VISION ZERO, eine nationale Strategie für eine Kultur der Prävention in Luxemburg
In Luxemburg wurde im Jahr 2016 das Konzept der Vision Zero für die Arbeitswelt als eine nationale Strategie eingeführt. Im Jahr 2022 wurde nun bereits die zweite Phase der Vision Zero (2023 bis 2030) eingeläutet, und dies mit Unterstützung der luxemburgischen Regierung. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Umsetzung der beiden Phasen der Vision Zero in Luxemburg.
Die langjährigen Partner, die luxemburgische Unfallversicherung (AAA), der Dachverband der luxemburgischen Arbeitgeber (UEL) und dessen nationales Institut für nachhaltige Entwicklung und soziale Verantwortung für Unternehmen (INDR), haben im Jahr 2016 das Konzept der Vision Zero für die Arbeitswelt in Luxemburg als eine nationale Strategie eingeführt.[1]
Startschuss der Vision Zero in Luxemburg
Im Rahmen der zehnjährigen Jubiläumsausgabe des jährlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz-Forums wurden in Luxemburg in Anwesenheit ihrer Königlichen Hoheiten, des Erbgroßherzogs und der Erbgroßherzogin, das Konzept der Vision Zero sowie die nationale Charta Vision Zero offiziell vorgestellt. Diese Charta wurde von zwölf nationalen Institutionen unterzeichnet: sechs Ministerien (Ressorts: Sozialversicherungswesen, Gesundheit, Arbeit, Nachhaltigkeit, Inneres und öffentlicher Dienst), drei nationale Gewerkschaften sowie die Initiatiierenden der Vision Zero (AAA, UEL und INDR).[2]
Sie verpflichteten sich zu einem gemeinsamen und integrierten Ansatz, beruhend auf den „7 Goldenen Regeln“ der Vision Zero, um die Zahl und die Schwere von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten in Luxemburg zu reduzieren.
Für den Zeitraum 2016 bis 2022 wurde als eine nationale Zielsetzung die Senkung der Häufigkeitsrate der Arbeitsunfälle um 20 Prozent, von 5,37 Prozent (2014) auf 4,30 Prozent (2022), beschlossen. Eine weitere Zielsetzung bestand in der kontinuierlichen Reduzierung der Zahl der Schwerstverletzten und der Todesopfer bei Arbeitsunfällen.
Die in Luxemburg ansässigen Betriebe werden seitdem angeregt, der nationalen Gemeinschaft Vision Zero beizutreten. Hierbei handelt es sich um ein freiwilliges Engagement, um die Zahl und die Schwere von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten im Unternehmen zu reduzieren.
Bilanz der ersten Phase der Vision Zero (2016–2022)
Ein erster Aktivitätsbericht der Vision Zero wurde in Form einer umfangreichen Broschüre sowie mehrsprachiger Infografik-Videos erstellt.
Daraus ging hervor, dass die Entwicklung der Vision Zero auf nationaler Ebene Früchte trägt. Dies zeigte sich daran, dass seit dem Startschuss der Vision Zero die kooperierenden nationalen Organisationen sowie die Unternehmen eine Vielfalt an Sensibilisierungsmaßnahmen und konkreten Aktionen durchgeführt haben.
Aus statistischer Sicht waren die Pandemiejahre 2020 und 2021 außergewöhnliche Jahre. Aufgrund der zahlreichen Lockdowns, Schließungen und des Herunterfahrens bestimmter Aktivitäten sowie des massiven Einsatzes von Telearbeit war eine angemessene Bewertung der Zielerreichung nicht möglich. Im Jahr 2019 konnte allerdings bereits eine vielversprechende Senkung der Häufigkeitsrate der Arbeitsunfälle um 15 Prozent erreicht werden. Die Unfallstatistiken für 2022, das letzte Jahr des Bilanzzeitraums, sind aktuell noch nicht verfügbar, diese werden erst im Herbst 2023 veröffentlicht.
Zweite Phase der Vision Zero (2023–2030)
Angesichts der Erfolge der ersten Phase der Vision Zero und der Wichtigkeit dieses Themas haben die Initiatoren der Vision Zero (AAA, UEL und INDR) beschlossen, eine weitere Phase der Vision Zero einzuläuten, um so die Bemühungen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz fortzusetzen, und dies mit besonderen Anstrengungen in den Risikosektoren. Die nationale Strategie Vision Zero wird nun offiziell von der Regierung unterstützt (Beschluss vom Regierungsrat vom 24. Oktober 2022).
Für die weitere Periode (2023 bis 2030) wurden folgende nationale Zielsetzungen festgehalten:
- Senkung der nationalen Häufigkeitsrate von Arbeitsunfällen um 20 Prozent im Vergleich zu 2019 (3,73 Prozent), wobei durch die Einführung einer Reihe von gezielteren Maßnahmen besondere Anstrengungen auf Risikosektoren gerichtet werden
- kontinuierlicher Rückgang der Zahl der schweren und tödlichen Unfälle
Beitritt zur Vision Zero
Kooperierende Institutionen und Unternehmen werden ermutigt, sich der nationalen Strategie Vision Zero anzuschließen. Die Mitglieder werden auf dem Internetportal der Vision Zero veröffentlicht.[3] Sie erhalten ein Beitrittszertifikat und dürfen das spezifische Vision Zero-Logo benutzen.
Die Mitglieder der Vision Zero engagieren sich mit folgenden Zielsetzungen:
- aktiv zur Erreichung der nationalen Ziele beizutragen
- die Zahl und Schwere von Arbeitsunfällen, Wegeunfällen und Berufskrankheiten zu verringern
- alle bereits begonnenen Bemühungen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz fortzusetzen und zu intensivieren
- allen Beschäftigten und allen anderen Personen, die im Unternehmen arbeiten, einschließlich Subunternehmern, Subunternehmerinnen, Leiharbeitnehmenden sowie Besucher und Besucherinnen, kontinuierlich einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen
- Förderung und Gewährleistung eines wirksamen Managements von Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz im Sinne einer Kultur der Prävention in den Unternehmen
- einen Aktionsplan umzusetzen, der die vier Grundsätze und „7 Goldenen Regeln“ der Vision Zero berücksichtigt
- besondere Anstrengungen für gefährdete Arbeitnehmende zu unternehmen, insbesondere für junge Arbeitnehmende, neu eingestellte Beschäftigte und die alternde Bevölkerung
- ihr Engagement für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz zu kommunizieren
- Veränderungen in der Arbeitswelt vorwegzunehmen und zu bewältigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem digitalen, ökologischen und demografischen Wandel
Medienpräsenz
Um den Bekanntheitsgrad der nationalen Strategie Vision Zero zu steigern sowie das Bewusstsein für eine Kultur der Prävention zu schaffen und Verhaltensänderungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes anzuregen, sind Medienkampagnen[4] und regelmäßige Medienpräsenz unerlässlich[5].
Die erste Medienkampagne wurde im Juni 2017 gestartet. Diese zeigte Menschen, die Opfer eines Arbeits- oder eines Wegeunfalles wurden. Das Ziel war, nicht zu schockieren, sondern herauszufordern und zu informieren, das Bewusstsein zu schärfen und die Menschen zu mobilisieren. Indem die Kampagne reale Gesichter und Stimmen erhielt, berührten die Erfahrungen der Unfallopfer die Menschen und sensibilisierten sie für die Risiken in der Arbeitswelt.
Im Herbst 2021 startete die zweite Medienkampagne. Deren Konzept bestand darin, die Folgen eines Arbeitsunfalls in drei beispielhaften Sektoren aufzulisten: Bau, Industrie und Verwaltung. Die Spots waren suggestiv und verdeutlichten das Ziel von Vision Zero: „Ein Arbeitsunfall kann, gemeinsam durch eine Kultur der Prävention, vermieden werden.“ Diese Kampagne wird nun im Herbst auf die Verkehrssicherheit übertragen.
Es handelte sich jeweils um crossmediale Medienkampagnen, wobei die jeweiligen Spots, Anzeigen und Banner in mehreren Wellen im Internet, in sozialen Netzwerken, in der Presse, im Radio, im Kino und über Out-of-Home-Elemente verbreitet wurden.
Ein neues Internetportal visionzero.lu wurde mit dem Startschuss der Vsion Zero eingeführt sowie regelmäßig aktualisiert und überarbeitet. Dieses Portal ist nun in drei Sprachen verfügbar (Deutsch, Französisch und Englisch).
Zusätzlich werden die Betriebe über soziale Medien und Newsletter der Vision Zero sowie der Initiatoren sensibilisiert und informiert.
Forum sowie Arbeits- und Gesundheitsschutzpreis
Die Initiierenden der Vision Zero organisieren jährlich in Zusammenarbeit mit mehreren kooperierenden Organisationen das Arbeits- und Gesundheitsschutz-Forum sowie alle zwei Jahre den Arbeits- und Gesundheitsschutzpreis.
Der nationale Arbeits- und Gesundheitsschutzpreis wurde 2018 zum ersten Mal von drei Ministerien, dem Ministerium für Gesundheit, dem Ministerium für Sozialversicherungswesen sowie dem Ministerium für Arbeit, Beschäftigung sowie Sozial- und Solidarwirtschaft, verliehen.
Mit diesem Preis werden jeweils besonders innovative Maßnahmen oder Produkte ausgezeichnet, die Verbesserungen des Arbeitsschutzes, des Gesundheitsschutzes und des Wohlbefindens am Arbeitsplatz bewirken.
Die ausgezeichneten Unternehmen werden von der Jury bestimmt. Der Schwerpunkt der Bewertung der Bewerbungen liegt auf innovativen, effizienten und dauerhaften Umsetzungen sowie auf Maßnahmen mit hoher Wirkung und bester Übertragbarkeit auf andere Unternehmen oder Branchen.
Für sämtliche ausgezeichneten Betriebe wird ein Video zu dem jeweiligen Projekt erstellt und sie erhalten ein Preisgeld.
Ein Preisträger oder eine Preisträgerin erhält zudem den Publikumspreis. Wer den Preis bekommt, wird ermittelt, indem das Publikum nach der offiziellen Preisverleihung während einiger Wochen digital abstimmt.
Das Arbeits- und Gesundheitsschutz-Forum ist in Luxemburg zum Pflichttermin zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz geworden. Das Forum richtet sich an Unternehmensleitungen, Verantwortliche für Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie an alle Akteurinnen und Akteure in diesem Bereich.
Das Arbeits- und Gesundheitsschutz-Forum findet in den geraden Jahren in Form einer Ausstellung statt. Diese hat etwa 1.500 Besucherinnen und Besucher, 100 Ausstellerinnen und Aussteller und bietet mehr als 20 Workshops. Das Forum dient auch als Plattform für die Verleihung des Arbeits- und Gesundheitsschutzpreises.
In den ungeraden Jahren findet das Forum als Konferenz statt. Die diesjährige Ausgabe hatte ein abwechslungsreiches Programm zu bieten mit einer Plenarsitzung am Vormittag und drei Fachsitzungen am Nachmittag, die jeweils Risikobereiche abdeckten. Im Rahmen der Konferenz wurden die rund 400 Teilnehmenden von vier Ministern und Mnisterinnen begrüßt.
Save-the-date:
Das nächste Arbeits- und Gesundheitsschutz-Forum findet am 15. Mai 2024 in Kirchberg (Luxemburg) statt. Informationen sind einige Monate vor der Veranstaltung online unter www.visionzero.lu/forum-sst verfügbar.
Beratung und Informationsmaterial
Die Präventionsabteilung der AAA bietet eine Anlaufstelle für die Unternehmen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Eine Beratung kann im Unternehmen, telefonisch oder online erfolgen.
Kleinere Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, sich im Rahmen der Zertifizierung des „Sicher und Gesund mit System“-Labels ausführlich beraten zu lassen. Dieses Qualitätslabel wurde von der luxemburgischen Unfallversicherung eingeführt und soll die Bemühungen der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen im Bereich der Risikoprävention fördern und gleichzeitig den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich halten.
Den Betrieben wird eine Vielzahl an Broschüren über die Website sowie während verschiedener Veranstaltungen zur Verfügung gestellt. Dieses Infomaterial ist überwiegend in französischer und deutscher Sprache, aber auch teilweise in anderen Sprachen verfügbar.
Die Präventionsabteilung arbeitet ebenfalls Empfehlungen zur Unfallverhütung aus. Dabei handelt es sich um Fachregeln auf dem Gebiet der Prävention arbeitsbedingter Risiken. Sie sollen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden helfen, ihre gesetzlichen und rechtlichen Verpflichtungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes bestmöglich zu erfüllen.
Im Rahmen des sektoralen Ansatzes der zweiten Phase der Vision Zero werden weitere Broschüren und Empfehlungen zur Unfallverhütung für Unternehmen in Risikosektoren ausgearbeitet. Zusätzliche Bemühungen werden unternommen, um vermehrt Betriebe der Risikosektoren für das „Sicher und Gesund mit System“-Label zu gewinnen.
Risikosektoren
Um die Granularität der Unfallstatistiken zu erhöhen, wurden die Unternehmen und die sonstigen Beitragszahler in mehr als 80 Cluster mit vergleichbarer Aktivität eingeteilt; diese verteilen sich auf zehn Hauptkategorien.
Die Analyse der Unfallstatistiken sowie die Bestimmung der Risikosektoren sollen helfen, das Präventionsangebot in den Risikosektoren zusammen mit den entsprechenden Berufsverbänden und Sozialpartnern auszubauen. Spezifische Projekte mit der Landwirtschafts- sowie der Handwerkskammer sind bereits angelaufen. Im Rahmen des sektoralen Ansatzes der zweiten Phase der Vision Zero werden weitere Kooperationsprojekte folgen.
Bonus-Malus-System – Anreiz für Betriebe
In Luxemburg werden die Beiträge zur Unfallversicherung vollständig von den Arbeitgebenden getragen. Im Jahre 2019 trat ein Bonus-Malus-System in Luxemburg in Kraft. Dieses System soll ein Anreiz für die Beitragszahlenden der Unfallversicherung sein, verstärkt in die Vermeidung von Arbeitsunfällen zu investieren. Der Grundbeitragssatz jedes Unternehmens kann mittels eines individuellen Multiplikationsfaktors, dem Bonus-Malus-Faktor, reduziert oder erhöht werden. Zur Berechnung dieses Bonus-Malus-Faktors werden die Beitragszahler nach ihrer Haupttätigkeit in Risikoklassen eingeteilt und mit anderen Beitragszahlern derselben Klasse verglichen. Dieser Vergleich basiert auf den Kosten der Arbeitsunfälle in einem festgelegten Referenzjahr.
Um einerseits die Unternehmen in Bezug auf die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz zu sensibilisieren und sie zur Einführung von Präventionsmaßnahmen zu bewegen und andererseits die Unternehmen zu belohnen, die Anstrengungen in diesem Bereich unternommen haben, wurde der Bonusfaktor ab dem 1. Januar 2023 von 0,90 auf 0,85 gesenkt. Dies hat zur Folge, dass sich der Beitragssatz für Unternehmen, Selbstständige sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einer Haushaltshilfe, die keine Arbeitsunfälle aufweisen, weiter verringert.
Kampagne Vision Zero-Global
Es bleibt zu erwähnen, dass die Initiierenden der nationalen Strategie Vision Zero (AAA, UEL, INDR) ebenfalls offizielle Partner der weltweiten Kampagne Vision Zero-Global der Internationalen Vereinigung für soziale Sicherheit (IVSS) sind.
Weitere Informationen:
Strategie Vision Zero in Luxemburg: www.visionzero.lu
Association d’assurance accident (AAA): www.aaa.lu