„Nur mit einem Maßnahmenmix werden wir nachhaltiger Mobilität näherkommen“

Im Dezember 2022 wurde Manfred Wirsch, Vorstandsvorsitzender der DGUV, zum Präsidenten des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) gewählt. Im Interview mit DGUV Forum spricht der 64-Jährige über die Bedeutung einer nachhaltigen Mobilität für Mensch und Umwelt.

Herr Wirsch, vor vier Monaten wurden Sie zum Präsidenten des DVR gewählt. Sie sind der erste Präsident des DVR, der aus den Reihen der Versicherten gestellt wird. Welche Bedeutung hat die Wahl für Sie?

Wirsch: Als Erstes habe ich mich sehr darüber gefreut, dass meine Nominierung in der DGUV sowohl vonseiten der Versicherten als auch der Arbeitgebenden getragen wurde. Dass mich die Mitglieder des DVR zum Präsidenten des DVR gewählt haben, unabhängig davon, auf welcher Seite ich in der Selbstverwaltung stehe, hat mich auch sehr gefreut. Ich habe den Eindruck, dass sie mich aufgrund meiner langjährigen Mitarbeit in den Gremien und meiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der DGUV sowie in den Gremien und als stellvertretender Präsident des DVR für dieses Amt wohl ganz gut geeignet halten und schätzen, dass ich über das erforderliche Fachwissen, Erfahrung und gute Netzwerke verfüge.

Welche Themen bewegen Sie seit Ihrer Wahl zum Präsidenten des DVR?

Es gibt vor allem ein Thema, das mich nach wie vor sehr bewegt: die Vision Zero. Sie ist von großer Bedeutung für die Arbeit der gesetzlichen Unfallversicherung. Und: Die Umsetzung der Vision Zero steht über allen Aktivitäten des DVR: keine Getöteten oder Schwerverletzten im Straßenverkehr. Die Vision Zero geht davon aus, dass der Mensch fehlbar ist. Es ist daher wichtig, um den Menschen herum Anpassungen vorzunehmen, um das Unfallrisiko zu senken. Dazu zählen getrennte Verkehrswege für die verschiedenen Verkehrsarten oder auch Abbiegeassistenzsysteme.

Auch die Eco Safety Trainings sind für mich ein spannendes Nachhaltigkeitsthema. Mit den Eco Safety Trainings bieten der DVR und die Unfallversicherungsträger im Programm „Deine Wege – sichere Mobilität im betrieblichen und öffentlichen Bereich“ untersuchte Fahrtrainings im Realverkehr an. Sie fördern vorausschauendes Fahrverhalten, senken dabei die Spritkosten und entlasten somit auch die Umwelt.

Die Arbeit des DVR wird geleitet von aktuellen Herausforderungen. Zu diesen zählt der Klimawandel. Welchen Beitrag kann eine nachhaltige Mobilität leisten, um die negativen Folgen des Klimawandels abzumildern?

Mobilität ist für die wirtschaftliche, aber auch für die gesellschaftliche Entwicklung moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften von elementarer Bedeutung. Gleichzeitig geht von motorisiertem Verkehr eine hohe Belastung für Mensch und Umwelt aus. Daher muss Mobilität möglichst umweltverträglich gestaltet werden. Die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad- und Fußverkehr sowie emissionsarmen Fahrzeugen leistet einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Aber auch Car- und Bikesharing wirken sich positiv auf die Anzahl und das Nutzungsverhalten von Verkehrsmitteln aus. Auch die Herkunft der erforderlichen Energie ist essenziell: Erneuerbare Energien für den privaten Verkehr und den Güterverkehr zu nutzen, ist ebenfalls ein großer Beitrag zum Klimaschutz.

Manfred Wirsch | © Wolfgang Bellwinkel/DGUV
Manfred Wirsch ©Wolfgang Bellwinkel/DGUV

Ein wichtiger Baustein nachhaltiger Mobilität ist die Nutzung von Fahrrädern. Sie werden stetig mehr genutzt. Vor welchen Herausforderungen stehen wir im Hinblick auf die Sicherheit beim Fahrradfahren?

Dass Fahrradfahren gut für die Umwelt, gesund und günstig ist, wissen viele Menschen seit Langem. Mit der höheren Sensibilität für das Thema Klima entscheiden sich immer mehr Menschen dazu, Fahrrad zu fahren. Auch Corona hat diesen Trend begünstigt, war man doch im Freien keinen Aerosolen ausgesetzt, so wie in vollen Bussen und Bahnen. Und man musste keine Maske tragen. Für viele Menschen waren dies in der Pandemie gute Gründe, um aufs Rad umzusteigen. Das Bewusstsein dafür, dass Fahrradfahrende zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmenden gehören, muss freilich noch geschärft werden. Zum Beispiel durch Kampagnen. Im April startet die erste Pedelec-Kampagne von DVR und dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Zahl der Wegeunfälle verdeutlicht, dass wir zum Schutz unserer Versicherten noch aktiver werden und für Gefahren beim Fahrradfahren sensibilisieren müssen. Aber es ist auch notwendig, für eine gute Infrastruktur zu sorgen, die sicheres Fahrradfahren ermöglicht. Denn: Eine Infrastruktur, die Fehler verzeiht und die Bedürfnisse der schwächeren Verkehrsteilnehmenden, sei es auf dem Fahrrad oder auch zu Fuß, erfüllt, kann nicht nur einen sehr großen Beitrag zur Verkehrssicherheit, sondern auch zur nachhaltigen Mobilität leisten.

Wo sehen Sie Potenzial, um mehr Nachhaltigkeit in der Mobilität zu erreichen, und an welchen Stellschrauben muss gedreht werden?

Digitalisierung im Straßenverkehr ist ein Thema, das bislang zu wenig mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht wird. Dabei bietet die Digitalisierung Chancen für einen umweltfreundlicheren Verkehr. Durch intelligente Verkehrssysteme und verbesserte Verkehrsinformation kann beispielsweise der Verkehrsfluss verbessert, Wege können verkürzt oder vermieden werden. Doch dies ist nur ein Faktor unter vielen, die für mehr Nachhaltigkeit im Verkehr eine Rolle spielen. Es müssen unterschiedliche Maßnahmen und Faktoren in ihren Wechselwirkungen betrachtet und ein Maßnahmenbündel geschnürt werden. Zu diesem gehören sowohl die Förderung emissionsarmer Kraftfahrzeuge und erneuerbarer Energien als auch die Förderung der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad- und Fußverkehr. Nur mit einem Maßnahmenmix werden wir alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer erreichen und nachhaltiger Mobilität näherkommen. Dabei müssen die Maßnahmen auch die Lebensbedingungen der Menschen berücksichtigen. Fahrradfahren in der Stadt ist oftmals eine gute Alternative zu öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Auto. Auf dem Land sieht die Situation hingegen anders aus. Für mehr Nachhaltigkeit muss vor allem die öffentliche Verkehrsinfrastruktur gestärkt werden.

Mit welchem Verkehrsmittel sind Sie überwiegend unterwegs, um Ihre Termine wahrzunehmen?

Viele Strecken lege ich mit dem Auto zurück, weil ich so meine Termine besser organisieren kann. Wenn die Entfernungen überschaubar sind, gehe ich sehr gern zu Fuß. Gelegentlich bin ich auch als unmotorisierter Radfahrer unterwegs.

Das Interview führte Dr. Anna Kavvadias, DGUV.