Nachhaltiges Engagement der Unfallversicherung für sichere und gesunde Arbeit weltweit

Die internationalen Aktivitäten der DGUV verfolgen nachhaltige Ziele: Sie wollen sichere und gesunde Arbeitsplätze als integralen Bestandteil nachhaltiger Wirtschaft fördern, die DGUV als kompetente politische Partnerin und das System der gesetzlichen Unfallversicherung als weltweites Referenzmodell stärken.

Am 24. April 2023 jährt sich der tragische Gebäudeeinsturz der Fabrik von Rana Plaza in Dhaka zum zehnten Mal. Damals führte der Tod von mehr als 1.100 Menschen neben einer internationalen Solidarität auch zu einem Bewusstseinswandel hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, unter denen unsere Textilien weltweit hergestellt werden.

So begann in der Folge von Rana Plaza nicht nur die DGUV in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) damit, einen Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz vor Ort in Bangladesch zu leisten. Auch viele internationale Marken bekannten sich im sogenannten „Bangladesch Accord“ dazu, Konfektionsbetriebe und Textilfabriken sicherer zu machen.

In den zehn Jahren nach Rana Plaza ist viel passiert. Grund genug, an den Beispielen des Engagements in Bangladesch und China einen Blick auf das vielfältige und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Engagement der DGUV zu werfen.

Bangladesch: Auf dem Weg zu nachhaltiger sozialer Sicherung

Durch das schwere Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza im April 2013 wurde die Aufmerksamkeit der Welt auf die Arbeitsbedingungen in den Ländern gelenkt, unter denen viele unserer Konsumgüter produziert werden entlang der in den vergangenen Jahrzehnten entstandenen globalen Lieferketten.  

Dass damit in der Regel in Ländern wie Bangladesch andere Lohnstrukturen, andere Systeme der sozialen Sicherung sowie andere Standards in der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz verbunden sind, ist seitdem fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses. Hinzu kommt ein gesteigertes Bewusstsein in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft, einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen in Ländern Asiens oder Afrikas leisten zu wollen – sei es als Konsumenten und Konsumentinnen, als Verantwortliche der großen Konsumgütermarken und in der Politik oder als Vertreter und Vertreterinnen der deutschen Sozial- und Unfallversicherung.

So unterstützt die DGUV gemeinsam unter anderem mit der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU), der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) und in enger Partnerschaft mit dem BMZ sowie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) seit dem Unglück von Rana Plaza Bangladesch dabei, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken vor Ort zu verbessern. Ziel des Engagements war es von Beginn an auch, eine an der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland orientierte Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten einzuführen, in enger Zusammenarbeit mit Regierungs- und Wirtschaftsbeauftragten aus Bangladesch. Ein zentraler Schwerpunkt war dabei insbesondere die Weiterentwicklung nationaler Standards zur Vorbeugung und Behandlung von Berufskrankheiten und zur Vermeidung von Unfällen und deren Folgen.

So konnte in den letzten zehn Jahren durch das vielfältige, netzwerkorientierte Engagement der DGUV nicht nur ein vertrauensvolles, auf Partnerschaft basierendes Verhältnis zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Unfallversicherung einerseits und politischen, wirtschaftlichen wie zivilgesellschaftlichen Vertreterinnen und Vertretern in Bangladesch andererseits aufgebaut werden. Auch die Förderung von Studienaufenthalten, regelmäßige Delegationsreisen nach Deutschland, die Unterstützung beim Aufbau eines OSH-Instituts (Occupational Safety and Health) zusammen mit dem „Department of Inspection for Factories and Establishments“ sowie die Durchführung zahlreicher Trainings für Inspektorinnen und Inspektoren, Reha-Managerinnen und Reha-Manager oder Beschäftigte des Arbeitsministeriums von Dhaka – um nur einige Beispiele zu nennen – haben von Anfang an auf nachhaltige Ansätze abgezielt.

Aufbauend auf diesen Aktivitäten der DGUV in Bangladesch, einschließlich der Beratungsansätze für den Aufbau von Verwaltungsstrukturen und der Befähigung der Akteure in Politik, Verwaltung und Unternehmen vor Ort, findet nun das Operationalisierungsprojekt „Employment Injury Insurance System“ statt. Das Projekt wurde nicht zuletzt dank des nachhaltigen Wissenstransfers der DGUV zum Aufbau solcher Systeme von der Regierung in Dhaka am 21. Juni 2022 auch unter Beteiligung deutscher Unternehmen gestartet.

Dieses System zur Absicherung gegen Arbeitsunfälle versteht sich als ein Sozialschutzsystem, das Entschädigungsleistungen für medizinische Behandlung und Rehabilitationsmaßnahmen sowie für Einkommensverluste aufgrund von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten für Beschäftigte sowie deren Familien vorsieht. Dies gilt für alle Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch. Das sind etwa vier Millionen Menschen. Zudem ist es erklärtes Ziel dieses Projektes, dauerhafte organisatorische Strukturen für ein vollwertiges System für Arbeitsunfälle nach dem Vorbild des bismarckschen Systems einzurichten. Auch hier unterstützt die Expertise der DGUV für nachhaltige Ansätze im Aufbau von dauerhaften Prozessen, Strukturen sowie IT-Systemen und stellt Synergieeffekte zu Projekten in anderen Ländern wie beispielsweise Nepal oder Tansania her.

China: Präventionsarbeit und Arbeitsschutzstandards

Auch die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China ist seit dem Jahr 2005 mit der Unterzeichnung des „Memorandum of Understanding on Labour and Social Affairs“ im Bereich der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Dieses Memorandum schuf im Kern eine Grundlage für die Zusammenarbeit in Bereichen wie Arbeitsrecht, Arbeitsbeziehungen und soziale Sicherheit. Darüber hinaus wurden im Dezember 2020 die Verhandlungen über ein umfassendes Investitionsabkommen (Comprehensive Agreement on Investment, CAI)[1] abgeschlossen. Es ist eines der ehrgeizigsten Abkommen dieser Art, das China jemals mit einem Drittland geschlossen hat. China verpflichtet sich darin zur Ratifizierung der ILO-Kernarbeitsnormen. In diesem Zusammenhang gewinnt ein seit 2021 von der EU finanziertes Projekt der DGUV in China weiter an Bedeutung, auf das später eingegangen wird.

In den letzten zwei Jahrzehnten wurde eine Vielzahl von Partnerschaften, Abkommen und Initiativen auch von deutscher Seite auf den Weg gebracht, die die Arbeitsbedingungen in China nachhaltig verbessert haben. Und auch deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, haben die Rahmenbedingungen zum Schutz der Beschäftigten in ihren chinesischen Werken sukzessive verbessert. Beispielsweise führten einige große, in China tätige Konzerne Programme und Initiativen für Schulungen und Workshops für Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Führungskräfte in Bereichen wie Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sowie zu den Rechten der Arbeitnehmenden ein.

Eine wichtige Säule für den partnerschaftlichen Austausch zwischen China und der EU im Bereich der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes ist das seit vielen Jahren stark ausgeprägte Engagement der DGUV. Die DGUV begleitete die Einführung einer gesetzlichen Unfallversicherung in China aktiv, nachdem sich der Ansatz der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung im Wettbewerb mit anderen Modellen der Unfallversicherung durchgesetzt hatte. Die chinesische Arbeitsschutzbehörde SAWS, inzwischen aufgegangen im Ministerium für Arbeits- und Katastrophenschutz, kann ebenfalls als ein Produkt der Kooperation zwischen der chinesischen Regierung und der DGUV angesehen werden. Weitere Schwerpunkte der Kooperation seither sind die berufliche Wiedereingliederung und jüngst die schrittweise Etablierung einer datenbasierten Präventionsarbeit in China.

Im Jahre 2021 begann die DGUV im Rahmen der „EU-China Cooperation on Employment, Social Affairs and Inclusion“ mit der Umsetzung des bereits weiter oben erwähnten Arbeitsschutzprojektes, das durch die Europäische Kommission finanziert wird. Dank der bestehenden Beziehung zwischen der DGUV und dem chinesischen Ministerium für Arbeits- und Katastrophenschutz sowie den bereits mit der chinesischen Regierung vereinbarten Aktivitäten der DGUV in China im Bereich Prävention konnten Verhandlungen mit den zuständigen Behörden schnell starten.

In Zusammenarbeit mit der Nationalen Gesundheitskommission und dem Ministerium für Arbeits- und Katastrophenschutz sowie ihren jeweiligen Forschungseinrichtungen entwickelt die DGUV Methodologien zur Datenerhebung. Diese orientieren sich an europäischen Standards, insbesondere an den International Labour Standards on Occupational Safety and Health (ILO) sowie den European Statistics on Accidents at Work (ESAW). Damit werden die Daten aus China und der EU miteinander vergleichbar. Das ist ein Ziel des Projektes: Es will eine Vergleichbarkeit der Leistungsfähigkeit der Arbeitsschutzsysteme in der EU und in China herstellen. Diese Vergleichbarkeit soll zur Vermeidung von Sozialdumping auf Kosten europäischer und damit auch deutscher Unternehmen beitragen.

In einem zweiten Schritt werden auf der Grundlage dieser Daten konkrete, datenbasierte Präventionsmaßnahmen in den Pilotregionen Guangxi und Zhejiang etabliert – beispielweise zur Vermeidung von Absturzunfällen oder von Unfällen im Umgang mit Arbeitssägen. Hierzu finden im März und April 2023 mehrere Workshops mit Vertretungen der chinesischen Provinzverwaltungen sowie Unternehmen der Pilotregionen statt, um in direktem Austausch vor Ort den Ansatz der Analyse von Daten und die darauf aufbauende Entwicklung gezielter Präventionsmaßnahmen nach dem Vorbild der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung in der gelebten Praxis in China zu verankern.

In weiteren Workshops soll im Laufe des Jahres zudem ausgelotet werden, inwieweit der Aufbau einer landesweiten digitalen Plattform ein nachhaltiger Ansatz für die nächsten Jahre sein kann. Auf der Plattform könnten zum einen Daten zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgewertet werden, zum anderen spezifische digitale Präventionsinformationen und Services.

Nachhaltiges Unternehmenshandeln stärken

Die Aktivitäten der DGUV in Bangladesch, China oder auch in Indien, Nepal, Äthiopien und Tansania fügen sich ein in die Bemühungen der Bundesregierung und der G7 um weltweit nachhaltige Lieferketten und gewinnen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes für nachhaltige Lieferketten am 1. Januar 2023 weiter an Bedeutung. Denn mit ihren Aktivitäten zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in Ländern entlang der Lieferketten trägt die DGUV dazu bei, dass sich von diesem Gesetz erfasste Risiken am Anfang der Lieferkette gar nicht erst realisieren. Auch auf der G-7-Konferenz zu nachhaltigen Wertschöpfungsketten am 6. Mai 2022 formulierte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ganz klar den Anspruch der Bundesregierung: „Die Diskussionen heute haben bestätigt, wie dringend wir klare internationale Standards brauchen, um Mensch und Umwelt besser zu schützen. Nötig ist ein weltweit gemeinsames Verständnis darüber, wie nachhaltiges Unternehmenshandeln aussieht – und wie es durchzusetzen ist.“ 

Im Rahmen der drittmittelfinanzierten Projektarbeit in afrikanischen und asiatischen Ländern gewinnt die DGUV wichtige Erkenntnisse auf einem Gebiet, das auch hierzulande immer mehr an Bedeutung gewinnt: der Einfluss des Klimawandels auf die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Daher plant die DGUV, sich mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) an zwei über den Vision Zero Fund finanzierten Projekten in Madagaskar und Vietnam zu beteiligen. Bei diesen Projekten geht es um die Erhebung von Daten zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Im Anschluss sollen evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen entwickelt werden. Diese Ergebnisse könnten in die Beratungsdienstleistungen der Unfallversicherungsträger für ihre Mitgliedsunternehmen einfließen und so einen Beitrag zu nachhaltigem Handeln leisten.

Fazit

Mit dem Unglück von Rana Plaza vor zehn Jahren – aber auch mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor drei Jahren – wurde deutlich, wie wichtig sichere und gesunde Arbeitsplätze für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, stabile Wertschöpfungsprozesse und damit auch für nachhaltig finanzierte Unfallversicherungssysteme sind. Daher leistet die DGUV in Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern durch Aufbau von Arbeitsschutz- und Unfallversicherungssystemen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Von sicheren und gesunden Arbeitsplätzen in Deutschland sowie weltweit profitieren Versicherte und Unternehmen gleichermaßen. Letztere profitieren davon umso mehr, wenn vom Lieferkettengesetz erfasste Risiken in den Ländern entlang der Lieferkette gar nicht erst auftreten.

Mit ihrem internationalen Engagement stärkt die DGUV darüber hinaus den Referenzcharakter des Systems der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung. 

Gleichzeitig wird mit dem Aufbau von Arbeitsschutz- und Unfallversicherungssystemen sowie der Entwicklung von Methoden für einen besseren Vergleich ihrer Leistungsfähigkeit ein wichtiger Beitrag zu fairem Wettbewerb und der Bekämpfung von Sozialdumping geleistet. 

Schließlich kann das eigene System immer weiter verbessert werden, wenn über die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen gelernt wird, mit welchen Maßnahmen erfolgreich auf Herausforderungen wie den Klimawandel, den demografischen Wandel oder die Digitalisierung reagiert werden kann.