Wegweiser zur Nachhaltigkeit
Viele Unternehmen setzen sich verstärkt mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, der sogenannten „Corporate Social Responsibility“ (CSR), auseinander und entwerfen Strategien für ein nachhaltiges Agieren. Auch die DGUV hat sich zum Ziel gesetzt, die Prinzipien der Nachhaltigkeit in all ihre Geschäftsprozesse zu integrieren.
Das Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) in Dresden ist ein Institut der DGUV und hat circa 100 Beschäftigte vor Ort. Seit 2001 fördert das IAG Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit durch Qualifizierungen, Veranstaltungen sowie Forschung und Beratung. Fachliche Schwerpunkte sind beispielsweise digital unterstütztes Lernen, Wertewandel in der Arbeitswelt, psychische Belastungen, Verkehrssicherheit, betriebliches Gesundheitsmanagement, Demografie und Evaluation. Seit 2020 geht das IAG die Nachhaltigkeitsvision der DGUV strategisch an. In diesem Praxisbeispiel wird dargestellt, wie die Prinzipien der Nachhaltigkeit systematisch in alle Prozesse integriert werden können.
Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung
Viele Menschen denken bei dem Begriff Nachhaltigkeit in erster Linie an die Umwelt; dabei umfasst das Konzept drei Dimensionen: die ökologische, die soziale und die ökonomische Nachhaltigkeit. Im Jahr 2015 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung.[1] Sie umfasst 17 Ziele, die sich auf die Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft beziehen (siehe Abbildung 1). An diesen Zielen mit ihren 169 Unterzielen kann sich jede Organisation orientieren, um die eigenen Geschäftsprozesse zu reflektieren.
Die Mehrheit dieser Ziele steht direkt oder indirekt mit den Themen Sicherheit und Gesundheit in Verbindung; daher ist das Handlungsfeld der gesellschaftlichen Verantwortung auch für Unfallkassen und Berufsgenossenschaften von großer Bedeutung. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) kommt in ihrem Aktionsplan 2018 bis 2021[2] auch zu dem Schluss, dass das Mandat für soziale Gerechtigkeit nur dann effektiv ausgeübt werden kann, wenn die ökologische Nachhaltigkeit in die Agenda für menschenwürdige Arbeit integriert wird.
Nachhaltige Unternehmen – ein Paradigmenwechsel
Zu beobachten ist derzeit ein Paradigmenwechsel vom sogenannten Shareholder-Value (Aktionärswert), bei dem die finanzielle Rendite im Vordergrund steht und der Mensch sowie die Umwelt als Ressourcen betrachtet werden, zum Stakeholder-Value[3], bei dem verschiedene Anspruchsgruppen berücksichtigt werden. Das Ziel beim nachhaltigen Wirtschaften stellt allerdings der sogenannte System-Value (systemische Wertschöpfung) dar. Dabei wird die finanzielle Wertschöpfung mit der Verbesserung sozialer und ökologischer Systeme in Einklang gebracht. Die unterschiedlichen Zusammenhänge von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in den Paradigmen verdeutlicht Abbildung 2.
Peter Drucker, ein Pionier der modernen Managementlehre, hat einmal gesagt, dass jedes ungelöste gesellschaftliche oder globale Problem nichts anderes als eine große unentdeckte Marktchance[4] sei. Unternehmen sollten versuchen, sich vom Leitbild der engen Produktfokussierung zu lösen und sich mehr an gesellschaftlichen beziehungsweise ökologischen Bedürfnissen orientieren. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen: Es geht nicht darum, Autos zu verkaufen, sondern die Frage der Mobilität zu lösen. Es geht nicht darum, Versicherungen zu vermitteln, sondern Menschen im Umgang mit Risiken zu unterstützen und Prävention zu betreiben.
Für Unternehmen bedeutet das, dass sie ihre Unternehmensstrategie so ausrichten sollten, dass sie eine positive Auswirkung auf die Umwelt und die Gesellschaft haben. Aber wie kann das gelingen? Die Reflexion des eigenen Kerngeschäfts sowie eine Bestandsaufnahme können erste Schritte sein. Mithilfe einer solchen Analyse kann systematisch untersucht werden, was schon gut läuft und wo noch Optimierungsbedarf besteht.
Reflexion des Kerngeschäfts und Bestandsaufnahme
Im Jahr 2020 hat das IAG eine systematische Bestandsanalyse in Bezug auf die soziale und ökologische Nachhaltigkeit durchgeführt. In einem ersten Schritt wurde die Geschäftstätigkeit des IAG analysiert und ein Bezug zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung hergestellt. Das Ergebnis zeigt klar, dass das IAG mit seinen Aufgaben direkt zu mehreren Nachhaltigkeitszielen beiträgt, zum Beispiel zu Ziel 3: Gesundheit und Wohlbefinden; Ziel 4: Hochwertige Bildung; Ziel 8: Menschwürdige Arbeit und Ziel 17: Partnerschaften (siehe Abbildung 1).
Im zweiten Schritt folgte die Identifikation der Kernbereiche des Instituts: Forschung und Beratung, Qualifizierung, Kongressmanagement, Hotel, Personalwesen sowie Technik und Verwaltung. Für diese Bereiche wurden in einem dritten Schritt Indikatoren zur Bewertung der Nachhaltigkeit herangezogen. Dazu wurden standardisierte Instrumente recherchiert, zum Beispiel die Veranstaltungsindikatoren des Umweltbundesamtes[5], die Hotelkriterien der Vereinten Nationen (Green Key)[6], die Indikatoren der Lehre (Uni Hamburg)[7] und Forschung[8], vielfältige Kriterien der Büroökologie (Checkliste des FUPS)[9], konkrete Leistungsindikatoren für Umwelt, Soziales und Politik der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA)[10] sowie die Degussa-Hüls-Studie der Technischen Universität Dresden[11]. Im Ergebnis entstand ein Kriterienkatalog mit rund 50 Indikatoren für die soziale und etwa 50 für die ökologische Nachhaltigkeit. Im Folgenden sind diese für die einzelnen Bereiche aufgeführt. Bestimmte Aspekte wie Gleichberechtigung, Inklusion und Datenschutz betreffen dabei mehrere Bereiche.
Management und Personalwesen: Art der Mitbestimmung, Ausbildungsquote, durchschnittliche Weiterbildungstage, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Verfahren bei Überstunden, Fluktuationsrate, Arbeitsunfälle, Vorhandensein eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Gefährdungsbeurteilung sowie Sozialeinrichtungen, Dienstreisen, Diversität, ökologieorientiertes Verhalten, Sozialmanagement (Bilanzierung, Audits beziehungsweise Zertifizierung), Umweltmanagement, Berichtswesen, Beitrag zum Gemeinwesen, Partnerschaften und Plattformen für den Austausch.
Forschung und Beratung: Nutzerorientierung, Transparenz, Umgang mit Komplexität und Unsicherheiten, integrative Herangehensweise, Interdisziplinarität, Ethik, Reflexion von Wirkungen, Transdisziplinarität und Datenschutz.
Qualifizierung: Interdisziplinarität, Partizipation, gesellschaftsrelevante Themen, praxisnaher Lernort, prozess- und handlungsorientierte Prüfungs- und Beurteilungsformate, An-/Abreise und Ressourcen (zum Beispiel Druck-Erzeugnisse).
Kongressmanagement: Mobilität und Klimakompensation, Beschaffung (Produkte und Dienstleistungen) sowie Ressourcen (zum Beispiel technische Ausstattung).
Seminar- und Veranstaltungscatering: ökologischer Anbau, fairer Handel, saisonale sowie regionale Produkte und Transport, hoher Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln, umweltzertifizierter Fisch, Nutzung von Mehrweggeschirr, Abfallsystem.
Hotel: Energie, Abfall, Waschen und Reinigen, Verpflegung, Involvierung von Beschäftigten, Gästeinformation, Außenanlagen.
Technik und Verwaltung: Energie-, Wasser- und Papierverbrauch, Abfallmanagement, ökologische Zertifizierungen, Gebäude, Biodiversität, Beschaffungsrichtlinien, Lieferketten und Subunternehmen.
Im vierten Schritt erfolgte die Datenerhebung. Hier wurde mithilfe einer umfangreichen Dokumentenanalyse sowie durch Interviews mit Beschäftigten geprüft, welche konkreten Werte für die Indikatoren vorliegen. Um die recherchierten Indikatoren und ihre Ausprägung im fünften Schritt bewerten zu können, wurden Vergleiche mit Durchschnittswerten der Branche angestellt. Die Bewertung wurde dann anhand eines einfachen Ampelschemas mit Rot, Gelb und Grün vorgenommen
Ergebnisse der Analyse
Die Ergebnisse zeigen in jedem Indikator den aktuellen Status auf. Gleichzeitig wird dadurch ersichtlich, in welchen Feldern Handlungsbedarf besteht (Abbildung 3). Wie schon die Beschäftigung mit dem Kerngeschäft zeigte, sind die Indikatoren der sozialen Nachhaltigkeit überwiegend erfüllt. Sichere und gesunde Arbeit steht im Fokus aller Tätigkeiten. Es bestehen vielseitige nationale und internationale Partnerschaften, Forschung und Beratung weisen einen hohen Grad an Nutzerorientierung, Transdisziplinarität und Interdisziplinarität auf, inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung wird gewährleistet und lebenslanges Lernen gefördert. Zukünftig wären die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts sowie die Integration von sozialen und ökologischen Zuschlagskriterien bei der Beschaffung wünschenswert. Durch das umlagefinanzierte System wird nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gehandelt. Bezüglich der ökologischen Nachhaltigkeit konnten durch die Analyse verschiedene Handlungsfelder identifiziert werden, vor allem was die Ressourcennutzung (zum Beispiel Energie- und Abfallmanagement) angeht. Aber auch in puncto ökologieorientiertes Verhalten und Umweltmanagement wurde Optimierungspotenzial deutlich.
Auf Basis der systematischen Analyse können Maßnahmen abgeleitet werden, die kurz-, mittel- beziehungsweise langfristig umgesetzt werden sollen. Für die Fortführung des Themas ist es sinnvoll, eine beauftragte Person beziehungsweise eine Arbeitsgruppe zu benennen. Natürlich ist auch die Unterstützung durch die Leitungsebene von großer Bedeutung.
Weiteres Vorgehen
2021 hat das IAG eine Arbeitsgruppe für das Thema Nachhaltigkeit gegründet. Diese hat sich mit den Ergebnissen der Analyse befasst und daraus Maßnahmen abgeleitet, die nun umgesetzt werden. Ausgehend von den Ergebnissen wurden fünf größere Maßnahmen beschlossen. So ist geplant, (1) die Liste mit den identifizierten Indikatoren in eine Nachhaltigkeitsbilanz zu überführen. Diese bildet die Grundlage für einen zukünftigen Nachhaltigkeitsbericht. Zudem soll (2) ein Energiemonitoring durchgeführt werden, um Einsparungspotenziale zu identifizieren. Es wird auch geprüft, ob (3) ein Teil des Stroms, der verbraucht wird, selbst erzeugt werden kann. Im Bereich der Beschaffung sollen (4) soziale und ökologische Zuschlagskriterien integriert und berücksichtigt werden. Nicht zuletzt ist es beim Thema Nachhaltigkeit von zentraler Bedeutung, (5) die Belegschaft zu involvieren und zu sensibilisieren.
Dazu finden zahlreiche Aktionen statt. So hat sich beispielsweise das neue Nachhaltigkeitsteam bei einem Mitarbeitendenforum (online) der Belegschaft vorgestellt. Es wurden virtuelle Pinnwände zur Verfügung gestellt, auf denen die Beschäftigten Anliegen und Vorschläge anonym rückmelden können. In einer Informationsveranstaltung mit einer Expertin von Psychologists for Future haben die Beschäftigten Hintergründe und Ansätze für eigenes Handeln erhalten. Des Weiteren wurde der Belegschaft die Suchmaschine Ecosia vorgestellt. Das Kerngeschäft von Ecosia ist es, Bäume zu pflanzen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Das ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, das „Kerngeschäft neu zu denken“. Aber auch zu Eigeninitiative werden die Beschäftigten des IAG angeregt. So ist schon ein Kräutergarten am Hotel entstanden und eine Blumenwiese auf dem Campus ist in Arbeit. Neben den fünf großen Maßnahmen gibt es immer mal wieder kleinere Aktionen und Projekte zum Thema Nachhaltigkeit. Hinweise von Kolleginnen und Kollegen werden kontinuierlich aufgenommen und gemeinsam mit ihnen bearbeitet.
Das Wichtigste bei diesem Thema ist, dass Nachhaltigkeit bei jedem Arbeitsschritt, in jedem Bereich und jeder Abteilung mitgedacht wird. Auch wenn ein Betrieb oder eine Einrichtung nicht gleich mit einer systematischen Analyse einsteigen kann, können erste Maßnahmen umgesetzt werden. Möglich ist zum Beispiel die Auswahl eines Ökostromanbieters, der sich für den Ausbau von erneuerbarer Stromerzeugung einsetzt[12], die Standardeinstellung einer nachhaltigen Suchmaschine[13] oder den Beschäftigten Homeoffice zu ermöglichen, wenn die Arbeitstätigkeit dies zulässt.
Vorteile von nachhaltigem Wirtschaften
Nachhaltiges Agieren am Markt wird zunehmend von den verschiedenen Interessengruppen eingefordert. Dazu zählen beispielsweise Kundinnen und Kunden, Beschäftigte, Fachkräfte, Investmentfirmen, Versicherer sowie Partnerunternehmen. Eine nachhaltige Unternehmensführung hat vielfältige Vorteile[14], zum Beispiel eine verbesserte Kundenbindung und Reputation, eine Erhöhung der Attraktivität, eine Steigerung der Produktivität, eine Optimierung des Qualitätsmanagements sowie einen besseren Zugang zu Finanzmitteln (siehe Kasten). Viele große Wirtschaftsunternehmen haben bereits erkannt, dass sie zu einer guten, menschengerechten Arbeit beitragen, wenn sie ihr Kerngeschäft auch in Bezug auf die 17 Nachhaltigkeitsziele neu definieren. Hiermit tragen sie einerseits unmittelbar zur Sinnstiftung durch Arbeit bei, arbeiten andererseits aber auch an ihrer gesellschaftlichen Legitimation.
Dieser Beitrag wurde zuerst in der Zeitschrift Sicherheitsingenieur 10/21 veröffentlicht.
Vorteile von nachhaltigem Wirtschaften
Kundenbindung & Reputation
- 58% der Konsumentinnen und Konsumenten zögern beim Kauf, wenn sie Unternehmen als nicht nachhaltig wahrnehmen. (Capgemini, 2020)
- 42% aller Millennials starten oder intensivieren eine Geschäftsbeziehung mit einem Unternehmen, weil sie vom sozialen/ökologischen Beitrag des Unternehmens überzeugt sind. (Deloitte, 2019)
Attraktivität des Unternehmens
- Für 86% der Deutschen steigert das soziale Engagement eines Unternehmens die Attraktivität. (Manpower Group, 2014)
- Klare Haltung der Unternehmen zu Nachhaltigkeit zählt für über 50% der Beschäftigten zu Top-3-Anreizen bei der Job-Suche. (Königsteiner Agentur, 2020)
Steigerung der Produktivität
- Ein verantwortungsvolles Lieferkettenmanagement hat das Potenzial, direkten wirtschaftlichen Nutzen zu erzielen als Ergebnis von Produktivitätsgewinnen bei Lieferunternehmen. (ILO, BusinessEurope et al., 2015)
- Bessere Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in Textilfabriken steigert die Produktivität. (ILO-IFC Better Work Programme, 2016)
Optimierung des Qualitätsmanagements
- Verbesserung der Arbeitsabläufe und Bedingungen in der Wertschöpfungskette ist ein entscheidender Teil eines systematischen Qualitätsmanagements von Produkten. (Deutsches Global Compact Netzwerk, 2012)
Zugang zu Finanzmitteln
- Weltgrößte Vermögensverwaltung „zunehmend geneigt“, dem Management von Unternehmen die Zustimmung zu verweigern, die beim Thema Nachhaltigkeit keine ausreichenden Fortschritte machen. (BlackRock, 2020)
- Über 60% der Vorstände von Investmentfirmen sind bereit, bei schlechter Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen ihre Investitionen darin zu reduzieren. (MIT Sloan & BCG, 2016)