Nachhaltige Verkehrswende, sichere Mobilität

Ziele der Verkehrswende sind eine nachhaltige und sichere Mobilität sowie eine höhere Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Dies erfordert, Aspekte der Bereiche  Verkehrspolitik, Raumplanung und Stadtentwicklung gemeinsam zu betrachten. Auf dieser Basis können generationenübergreifende Bedürfnisse, Gesundheits- und Umweltaspekte berücksichtigt werden.

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat es bis in den Titel des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung geschafft. Der erste Satz des Kapitels zur Mobilität greift ihn erneut auf: So sollen die „2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik“ genutzt werden und „eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität“ ermöglicht werden.[1]

Das klingt erst einmal vielversprechend. Doch ein solcher Aufbruch kann nur dann nachhaltig sein, wenn er nicht zulasten der Verkehrssicherheit geht. Wenn man die Vision Zero ernst nimmt und Unfälle verhindern will, muss das ganze Verkehrssystem gemäß der Vision Zero das Recht auf eine sichere Mobilität für alle Menschen verwirklichen. Somit muss eine echte Verkehrswende viel mehr umfassen als nur eine Antriebs- und Energiewende.

In diesem Beitrag soll erläutert werden, inwiefern die Strategie der Vision Zero unumgänglich für einen gelungenen – also für alle Arten der Verkehrsteilnahme sicheren – Aufbruch zu nachhaltiger Mobilität ist.

Drohender Verkehrskollaps

Bereits Anfang 2019 veröffentlichte der Deutsche Städtetag eine Pressemitteilung mit dem Titel „Deutscher Städtetag warnt vor Verkehrskollaps“. Um diesen zu verhindern, müsse es mehr attraktive Angebote zum Umstieg vom Auto auf den Umweltverbund geben. „Ohne eine Verkehrswende werden wir bald in Teilen unseres Landes einen Verkehrskollaps erleben.[2] An der Verkehrsrealität in Deutschland hat sich seitdem vielerorts nicht viel geändert: Immer mehr Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmende drängen sich auf dem begrenzten Raum. Dies gilt wohlgemerkt für alle Gruppen von Verkehrsteilnehmenden – mit und ohne Fahrzeug.

Der Kraftfahrzeugbestand steigt in Deutschland seit Jahren in allen Bereichen kontinuierlich an. So gab es 2020 insgesamt 48,2 Millionen Pkw in Deutschland. Das sind 17 Prozent mehr als noch 2007.[3] Auch für den Radverkehr mit und ohne Elektroantrieb wird mehr Verkehrsraum benötigt. Radzählstellen erfassen einen klaren Anstieg des Radverkehrs, der nicht erst mit der COVID-19-Pandemie begann. So nahm beispielsweise in Berlin die Radverkehrsstärke an den automatischen Dauerzählstellen zwischen 2017 und 2020 um rund 27 Prozent zu; von 2019 auf 2020 um rund 14 Prozent.[4] Hamburg verzeichnete von März bis Dezember 2020 circa 33 Prozent mehr Radverkehr als im Vorjahreszeitraum, wobei sich die Zahl der verunglückten Radfahrer und Radfahrerinnen auf 2.735 belief – 204 mehr als 2019.[5] Daneben meldet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) immer neue Verkaufsrekorde für Fahrräder.[6]

Zudem kam 2019 mit den Elektrotretrollern eine neue Fahrzeugart hinzu, die zusätzlich auf den oft mangelhaften Radwegen genutzt werden soll und nicht zuletzt bei Fußgängerinnen und Fußgängern für Unbehagen sorgt. Vor diesem Hintergrund sind die zwei dringlichsten Forderungen der im Fahrrad-Monitor Deutschland 2021 Befragten an die Politik wenig überraschend: mehr Radwege bauen sowie den Radverkehr besser von Pkw-Fahrenden und dem Fußverkehr trennen.[7]

Mehr ungeschützte Verkehrsteilnehmende

Aus dem Blickwinkel der Verkehrssicherheit bedeutet eine Zunahme des Rad- und Fußverkehrs zunächst, dass mehr ungeschützte und somit besonders gefährdete Verkehrsteilnehmende unterwegs sind. Dies gilt nicht nur für Wege, die in der Freizeit zurückgelegt werden: Von den berufstätigen Befragten im Fahrrad-Monitor Deutschland 2021 gaben 21 Prozent an, das Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit zu nutzen. Bei den Auszubildenden lag der Anteil mit 27 Prozent noch höher.[8]

Neben dem steigenden Radverkehrsanteil und der wachsenden Nachfrage nach Fahrrädern mit Elektrounterstützung kann auch der demografische Wandel dazu beitragen, dass künftig einerseits mehr Menschen als bisher und diese andererseits schwerer als bisher mit dem Rad oder zu Fuß verunglücken. Denn ältere Menschen sind bei solchen Unfällen – insbesondere mit schweren Folgen – überrepräsentiert.

Bei Unfällen mit ungeschützten Verkehrsteilnehmenden spielt eine mangelhafte Infrastruktur häufig eine wesentliche Rolle. Damit ein Wachstum der aktiven Mobilität nicht zu mehr Toten und Verletzten im Straßenverkehr führt, muss die Infrastruktur an die veränderten Anforderungen und Bedürfnisse der Verkehrsteilnehmenden angepasst werden. Nur dann können alle sicher ans Ziel kommen.

Die Grundlage dafür ist seit dem Inkrafttreten der Novellierung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) in deren erstem inhaltlichen Absatz als Zielbestimmung für das Verwaltungshandeln verankert: „Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) regelt und lenkt den öffentlichen Verkehr. Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die ,Vision Zero‘ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen. [9]

Sichere Netzplanung für alle

Um den Radverkehr sicher zu führen, sollten Bund, Länder und Kommunen gemäß ihren Zuständigkeiten zusammenhängende sichere und ausreichend dimensionierte Radverkehrsnetze planen und herstellen. Ein besonderes Augenmerk muss auf der Gestaltung von Kreuzungen und Einmündungen liegen, da sich dort die meisten Radverkehrsunfälle ereignen. Das Freihalten von Sichtachsen an Kreuzungen und Querungsstellen sowie die Trennung abbiegender Kraftfahrzeuge vom geradeaus geführten Rad- und Fußverkehr sind dafür zentrale Aspekte. [10]

Für den Fußverkehr müssen zusammenhängende barrierefreie Fußverkehrsnetze mit direkten Verbindungen und sicheren Querungsstellen geschaffen werden. Letztere sind je nach Örtlichkeit mit Ampeln, Zebrastreifen, Mittelinseln oder vorgezogenen Fahrbahnrändern auszustatten. Auch eine niedrige Fahrgeschwindigkeit kann helfen, Verkehrsunfälle zu vermeiden oder zumindest die Verletzungsschwere zu reduzieren. In Bereichen, wo viele Personen zu Fuß unterwegs sind, sollten deshalb Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung ergriffen werden. [11]

Neben dem Umgang mit dem fließenden Verkehr muss jedoch auch der ruhende Verkehr stärker in den Blick genommen werden. Denn jeder fünfte Rad- und Fußverkehrsunfall steht im Zusammenhang mit dem Parken, wobei es selbst beim regelkonformen Parken zu gefährlicher Sichtverdeckung kommen kann. [12]

Bei der Antwort auf die Frage, mit welchen Führungsformen sich verschiedene Verkehrsteilnehmende am sichersten fühlen, sind sich einer Studie zur subjektiven Sicherheit im Radverkehr zufolge Radfahrende und Kfz-Führende in der Tendenz einig: Beide Gruppen bewerteten gut ausgebaute Radverkehrsanlagen mit Pollern als besonders sicher. Im Durchschnitt wurde aber beispielsweise das Konfliktpotenzial zwischen Radverkehr und ruhendem Verkehr durch die Autofahrenden als weniger gefährlich beurteilt. [13]