"Unsere Branche spürt den Klimawandel unmittelbar"

Der Bausektor kann einen erheblichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Welche Bereiche das betrifft und wie die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) ihren Fokus auf Nachhaltigkeit ausweitet, darüber spricht Hansjörg Schmidt-Kraepelin, Hauptgeschäftsführer der BG BAU, im Interview.

Herr Schmidt-Kraepelin, die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft, kurz BG BAU, hat sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben – warum?

Schmidt-Kraepelin: Wir alle müssen unseren Beitrag leisten, um eine nachhaltigere Wirtschaft sowie Gesellschaft zu erreichen und den Klimawandel zu bekämpfen. Gerade für uns als Institution, die sich den Themen Sicherheit und Gesundheit zutiefst verpflichtet fühlt, ist das ein ganz wichtiges Anliegen. Unsere Bereiche Prävention und Rehabilitation berücksichtigen in ihrem Handeln für die Unternehmen sowie für unsere Versicherten bereits den Grundsatz der Nachhaltigkeit – nämlich bezogen auf die Maßnahmen, die hier zum Einsatz kommen.

Aber hinzu kommt, dass wir für eine Branche zuständig sind, nämlich die Bauwirtschaft und die baunahen Dienstleistungen, für die das Thema Nachhaltigkeit ein ganz wesentliches Thema ihrer Arbeit ist. Denn: Der Bau kann einen erheblichen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, zum Beispiel durch nachhaltige Bauprozesse, klimaschützendes Bauen oder die Verwendung ökologischer Baustoffe. Insofern ist das Thema auch hier für uns schon angekommen. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass wir als moderne und zukunftsgerichtete Einrichtung, die für Fachkräfte und Personal attraktiv sein will, dieses Thema mit Nachdruck verfolgen müssen. Hinzu kommt: Als öffentlich-rechtliche Verwaltung ist es nicht nur unsere ideelle, sondern auch rechtliche Verpflichtung, den Bundesbehörden in ihrem Engagement für Nachhaltigkeit zu folgen.

Schmidt-Kraepelin | © Rolf Schulten_BG BAU
Hansjörg Schmidt-Kraepelin, Hauptgeschäftsführer der BG BAU ©Rolf Schulten_BG BAU

Sie haben es angesprochen, der Gesetzgeber stellt Anforderungen an öffentliche Verwaltungen, um mehr Nachhaltigkeit in Verwaltungsprozesse zu implementieren. Welche Anforderungen sind das?

Dies umfasst mehrere Initiativen. Das im Jahr 2019 verabschiedete und 2021 überarbeitete Klimaschutzgesetz sieht vor, dass alle Bundesbehörden bis 2030 klimaneutral werden. Dieses Ziel ist in erster Linie auf die unmittelbare Bundesverwaltung wie die Bundesministerien und -ämter gerichtet, hat aber auch Auswirkungen auf die mittelbare Bundesverwaltung. Zu dieser zählen etwa Körperschaften des öffentlichen Rechts wie die gesetzlichen Krankenkassen oder auch die Berufsgenossenschaften.

Ganz aktuell betroffen ist die gesamte Bundesverwaltung – also auch wir als BG BAU – vom „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit – Weiterentwicklung 2021“, das am 25. August 2021 von der Bundesregierung beschlossen wurde. Das Programm enthält viele Maßnahmen für nachhaltiges Handeln, etwa in den Bereichen Bauen, Mobilität, Beschaffung oder Veranstaltungen. Hieran haben wir uns zu orientieren. Konkret kann das bedeuten, dass wir beispielsweise ein Energie- und Umweltmonitoring einführen, die Beschaffung und unsere Veranstaltungen konsequent nachhaltig ausrichten sowie die Beschäftigten und die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Man sieht also schon an dieser Bandbreite von Maßnahmen, dass Nachhaltigkeit keineswegs nur ökologische Themen umfasst, sondern auch soziale und ökonomische Aspekte – dies haben übrigens die Vereinten Nationen bereits 2015 in ihren Nachhaltigkeitszielen formuliert.

Was tut die BG BAU, um ihre Verwaltungsprozesse künftig nachhaltiger zu gestalten?

Indem wir einen internen Prozess gestartet haben, wollen wir unseren Fokus auf Nachhaltigkeit ausweiten. Ziel ist es, dass das Thema in jedem Bereich und bei jedem Arbeitsschritt der BG BAU mitgedacht wird. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, dennoch ist es wichtig, den ersten Schritt zu unternehmen. Wir fangen übrigens auch nicht bei null an, wir haben bereits viele einzelne Maßnahmen umgesetzt – von Elektroautos in unserem Fuhrpark, über CO2-neutralen Druck und Versand bis hin zu nachhaltigen Kriterien bei Ausschreibungen. Wichtig ist nun, die einzelnen Maßnahmen zu sammeln und einen ganzheitlichen Ansatz für das Thema Nachhaltigkeit in der BG BAU zu entwickeln. Wir freuen uns, dass wir bei Methodik, Evaluation und konkretem Vorgehen vom Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV, kurz IAG, beraten und unterstützt werden. Das IAG hat beim Thema Nachhaltigkeit bereits Erfahrungen gesammelt. Unser gemeinsames Ziel ist es, sich intensiv dazu auszutauschen und voneinander zu lernen.

Wie soll diese Zusammenarbeit konkret aussehen?

Wir haben den Prozess gerade erst begonnen. Mitglieder unserer internen Arbeitsgruppe haben sich mit den Fachleuten des IAG zu möglichen Arbeitsfeldern einer Kooperation ausgetauscht. Uns geht es vor allem zunächst um einen intensiven Erfahrungsaustausch, aber auch um die Beratung zur Planung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Außerdem um die gemeinsame Erarbeitung von funktionierenden, womöglich übertragbaren Methoden. Das IAG hat zudem eine ausgewiesene Expertise beim Thema Evaluation, was für uns auch wichtig bei allen Maßnahmen ist. Ein solch komplexer, langfristiger und zentraler Prozess muss ja gut vorbereitet werden, um das gewünschte Ergebnis auch realistisch zu erreichen. Denn eines ist klar: Nachhaltiges Handeln muss für uns zugleich wirtschaftliches Handeln bedeuten, denn wir haben eine große Verantwortung gegenüber unseren Mitgliedern, die ihre Beiträge gut, sinnvoll und zukunftsgerichtet eingesetzt sehen wollen.

Welche Probleme und welche Chancen sehen Sie beim Thema Nachhaltigkeit für die BG BAU?

Eine der Herausforderungen wird die Umstellung auf ein langfristig konsequent nachhaltiges Verwaltungshandeln in Einklang mit den ökonomischen Anforderungen an Sozialversicherungsträger bringen. Wir sind froh, dass mit dem Maßnahmenprogramm des Bundes ein Rahmen geschaffen wird, der Orientierung hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben bietet. Nachhaltiges Handeln wirkt – auch wirtschaftlich – erst auf längere Sicht. Das muss in die Gesamtbetrachtung einfließen. Gleichzeitig wird die BG BAU schon dadurch nachhaltiger, dass sie viele ihrer Prozesse und Verfahren digitalisiert, was bereits vor einiger Zeit angestoßen wurde. Grundsätzlich ist intern ein sorgfältiger Analyse- und Abwägungsprozess nötig, um ein Konzept zu erarbeiten, wie Nachhaltigkeit in der BG BAU systematisch entwickelt werden kann.

Inwieweit spielen die Auswirkungen des Klimawandels sowie das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle für die Arbeit der BG BAU als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung?

Unsere Branche spürt die Auswirkungen des Klimawandels schon heute sehr unmittelbar, wie verschiedene Beispiele zeigen. Die Erderwärmung und damit heißere Sommer und eine intensivere Sonnenstrahlung sorgen schon heute bei unseren Versicherten, die ja überwiegend im Freien arbeiten, für Gesundheitsgefährdungen wie Hautkrebs oder Hitzeerkrankungen. Hier beraten wir bereits intensiv zu notwendigen oder möglichen Schutzmaßnahmen. Das wird sicherlich weiter zunehmen und darauf müssen wir uns auch entsprechend vorbereiten. Weitere Themen werden hinzukommen. So haben wir in diesem Sommer, der durch die schlimmen Hochwasser im Westen Deutschlands geprägt war, kurzfristig Informationen für die Baubranche zur Verfügung gestellt, die ja maßgeblich an der Beseitigung der Schäden beteiligt war und ist. Räumungen und Sanierungen in diesen Gebieten stellen die Unternehmen vor besondere Herausforderungen, da die Umstände nicht mit den üblichen Bedingungen zu vergleichen sind.

Prognosen zeigen, dass wir künftig viel häufiger mit solchen Phänomenen kämpfen müssen – für uns als BG BAU ist es daher eine zentrale Aufgabe, unsere Mitgliedsunternehmen hierbei sehr kurzfristig und auf die Situation zugeschnitten beraten und unterstützen zu können.

Unser Ziel als BG BAU ist es, im nächsten Jahr zunächst eine Bestandsaufnahme zum Thema Nachhaltigkeit abzuschließen.

Gibt es weitere Aspekte?

Arbeitsschutz ist auch eine wichtige Komponente beim Thema Nachhaltigkeit, denn sichere und gesunde Arbeitsplätze sind Bestandteil der sozialen Dimension von Nachhaltigkeit. Insofern bietet das Thema den Unternehmen eine große Chance: Mit ihrem Engagement für Arbeitsschutz tragen sie zu einem nachhaltigen unternehmerischen Handeln bei – ein großer Pluspunkt zum Beispiel bei Zertifizierungen, aber auch in der Wirkung nach außen sowie bei der Fachkräftegewinnung.

Zudem müssen wir die Entwicklungen der Baubranche hin zu mehr Nachhaltigkeit genau beobachten und unsere Präventionsmaßnahmen daraufhin überprüfen – Bauen in Holzbauweise oder serielles Bauen stellen beispielsweise andere Herausforderungen für den Arbeitsschutz dar als die klassische Bauweise „Stein auf Stein“.

Neben der Prävention ist aber auch unsere Rehabilitation – übrigens von jeher – dem nachhaltigen Handeln verpflichtet. Zum Beispiel hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Maßnahmen, die unseren Versicherten nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten die bestmögliche Behandlung bieten sollen, um möglichst wieder ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen zu können. Im besten Fall ist dies die Wiedereingliederung in den Beruf und das Privatleben.

Wie unterstützen Sie die betroffenen Betriebe und ihre Beschäftigten konkret – beispielsweise in Bezug auf die Risiken des Klimawandels?

Die Baubranche war bei der Arbeit schon immer von der Witterung abhängig. Daher beschäftigen uns der Klimawandel, die zunehmende Hitze und die Gefahren durch UV-Strahlung schon lange. Mit unseren Aufsichtspersonen vor Ort, aber auch mittels unserer Website, unseren Publikationen, Plakaten, UV-Schutz-Paketen sowie in Seminaren und Veranstaltungen bieten wir entsprechende Beratung und Informationen an. Wir unterstützen zudem finanziell Anschaffungen, die Beschäftigte vor UV-Strahlung schützen.

Innerhalb unseres Forschungsprojekts „KlimaBau“, das wir unter anderem gemeinsam mit der TU Braunschweig durchführen, betrachten wir die verschiedenen Aspekte der Witterungsabhängigkeit der Bauausführung, um daraus faktenbasierte Beratungsangebote und weitere Hilfestellungen zu entwickeln. Die Ergebnisse des Projektes sind bereits in die Angebote des Deutschen Wetterdienstes speziell für die Bauwirtschaft eingeflossen.

Grundsätzlich ist es wichtig für uns, kommende Entwicklungen und vor allem daraus resultierende Gefährdungen frühzeitig zu erkennen, um die entsprechenden Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Wie bereits erwähnt, haben wir zum Thema Hochwasser und Havarien entsprechende Handlungshilfen und Checklisten erarbeitet und bereitgestellt. Diese Anstrengungen müssen wir auch in Zukunft fortsetzen, um unsere Partner auf Augenhöhe und bedarfsgerecht beraten zu können.

Wie werden Sie vorgehen, um das Thema Nachhaltigkeit in der BG BAU weiter voranzubringen?

Unser Ziel als BG BAU ist es, im nächsten Jahr zunächst eine Bestandsaufnahme zum Thema Nachhaltigkeit abzuschließen: Wo stehen wir? An welchen Stellen sind wir gut aufgestellt, wo können oder müssen wir nachbessern? Aber wir wollen auch – in enger Abstimmung mit unserer Selbstverwaltung – eine Strategie zum weiteren Vorgehen mit realistischen Zielen entwickeln. Wichtig ist ein Fahrplan für die kommenden Jahre, der uns vorgibt, wie wir zum einen den rechtlichen Anforderungen an eine nachhaltige Organisation, aber zugleich auch unseren eigenen Ansprüchen an Nachhaltigkeit im Verwaltungshandeln gerecht werden. Außerdem werden wir uns fachlich weiter beim Thema Nachhaltigkeit aufstellen, um unserer Branche ein moderner und zukunftsorientierter Partner zu sein.

 

Das Interview führte Dagmar Schittly (BG BAU)