Arbeitssicherheit als integraler Bestandteil des nachhaltigen Bauens
Bereits heute ist der globale ökologische Fußabdruck der Menschheit größer, als es die verfügbaren Ressourcen der Erde dauerhaft verkraften. Als ressourcenintensiver Wirtschaftszweig spielt die Bauwirtschaft für die Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung eine entscheidende Rolle. Allein in Deutschland werden jährlich mehr als 500 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut.
2021 war bereits am 29. Juli, dem sogenannten „Earth Overshoot Day“, das Ressourcenbudget der Natur für das gesamte Jahr aufgebraucht. Vor 30 Jahren fiel dieser Tag noch auf den 9. Oktober.[1]
Zu den Baumineralien, die den größten Anteil an der inländischen Rohstoffentnahme ausmachen, gehören Feldsteine, Kiese, gebrochene Natursteine und Bausande für die Betonproduktion sowie Kalk- und Dolomitstein für die Zementindustrie.[2] Der Rohstoffabbau und die anschließende Aufbereitung, der Transport, die Verarbeitung, die Nutzung und das Recycling sind über alle Wertschöpfungsstufen hinweg mit Umweltwirkungen verbunden. Denn: Je größer der Input an Primärmaterial ist, desto größer ist auch der daraus folgende Output an Abfällen und Emissionen.
Zukünftige Herausforderungen für die Bauwirtschaft
Die Bauwirtschaft wird mit diesem Ressourcenverbrauch und dem damit zusammenhängenden Abfallaufkommen über kurz oder lang an natürliche Grenzen stoßen, nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Deponiekapazitäten. Abgesehen von der wirtschaftlichen und sozialen Relevanz spielt die Bauwirtschaft somit für die Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland eine entscheidende Rolle.
Im September 2020 stellte Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union (EU) fest: Unsere Wirtschaft muss sich stärker in Kreisläufen organisieren, die Ressourcen schonen und der Natur das zurückgeben, was sie ihr entnimmt. Europa kann und soll dabei eine führende Rolle spielen. Etwa als Bauwirtschaft, die auf natürliche Materialien wie Holz und Recyclingbaustoffe setzt, oder als Architektur, die sich naturnahe Formen und Konstruktionsprinzipien zu eigen macht, die von Anfang an auf Wechselwirkungen in Ökosystemen Rücksicht nimmt und die Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit von Anfang an einplant.[3]
In der Realität spielt das Thema zirkuläres Bauen in der heutigen Baupraxis noch keine große Rolle. Auch der Einsatz sogenannter Sekundärrohstoffe, also Rohstoffe, die durch Recycling aus entsorgtem Material gewonnen werden, wird noch zu selten praktiziert.
Potenziale des zirkulären Bauens
Potenziale zur Ressourceneinsparung und Erhöhung der Ressourceneffizienz ergeben sich zum einen aus einer intensiveren Bestandsentwicklung, denn der Ressourcenaufwand bei Bestandsmaßnahmen ist wesentlich geringer als beim Neubau, zum anderen aus einer höheren Recyclingquote im Hochbau, zum Beispiel durch die Nutzung von Recycling-Gesteinskörnungen im Beton. Bislang wird Bauschutt hauptsächlich als Gesteinskörnung im Straßenbau verwendet. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um echtes Recycling, sondern um ein sogenanntes Downcycling, weil das Recyclingmaterial von geringerer Qualität ist als das Ausgangsmaterial.[4]
Wie kann zirkuläres Bauen gelingen? Baustoffe und Bauteile müssen wieder lösbar zusammengefügt und dürfen nicht verklebt werden. Denn durch die Verklebung, die Vermischung unterschiedlicher Materialgruppen werden die Baustoffe kontaminiert und können nicht mehr – oder nur mit unwirtschaftlichem Aufwand – sortenrein zurückgewonnen werden. Wertvolle Rohstoffe gehen verloren, es entsteht Abfall.
Für die Zukunft geht es also darum, Gebäude so zu planen, dass sie leicht wieder zu demontieren sind und die Materialien daraus wiederverwertet oder sogar wiederverwendet werden können.
Aus- und Weiterbildung für Nachhaltigkeit
Aufgrund des unabdingbaren Handlungsbedarfs, ausgelöst durch knapper werdende Ressourcen, den berechtigten Anspruch nachfolgender Generationen auf eine lebenswerte Zukunft sowie den politischen Willen, Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit zu erzielen, werden auch in den Unternehmen des Bauwesens und der Immobilienwirtschaft neue Kompetenzen benötigt und es entstehen neue Berufsfelder. Absolventen und Absolventinnen mit fachlichem Know-how im Bereich des nachhaltigen und ressourcenschonenden Bauens sind somit begehrte Fachkräfte, um Unternehmen zu helfen, die von der UN, der EU und der Bundesregierung geforderten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
„Wer die Zukunft nachhaltig und ressourcenschonend planen und bauen will, muss lernen, bewusster mit Ressourcen umzugehen und in Kreisläufen zu denken“, sagt Annette Hillebrandt, Expertin für Urban Mining und Professorin für Baukonstruktion, Entwurf und Materialkunde an der Bergischen Universität Wuppertal. Dort kann man ab Oktober 2022 berufsbegleitend lernen, wie das geht. Der Masterstudiengang „Nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen (sustainable construction | urban mining)“ (www.s-um.de) bildet Nachhaltigkeitsexperten und -expertinnen aus, die den Transformationsprozess von einer ressourcenintensiven Bauwirtschaft hin zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft im Bauwesen mitgestalten und weiterentwickeln können.
Auswirkungen auf den Arbeitsschutz
Es liegt nahe, dass neue Materialien und Bauweisen auf lange Sicht auch den Arbeitsschutz beeinflussen werden. Im Positiven wahrscheinlich durch die vermehrte Verwendung nicht toxischer Bauprodukte und -materialien beim Neubau von Gebäuden. Durch sich verändernde Bauweisen können sich zusätzlich zu den bereits bekannten Risiken auf Baustellen aber auch weitere Gefahrenpotenziale ergeben. Zum Beispiel bei der Pflege von begrünten Fassaden oder Dächern. Die Begrünung mit Buchenhecken wie beim Vorzeigeprojekt „Kö-Bogen II“ in Düsseldorf sorgt für eine Kühlung der Umgebungstemperatur, bindet Feinstaub und nimmt CO2 auf, erfordert jedoch auch eine kluge Planung von sicheren Laufwegen an der Schrägfassade. Denn zwei Drittel der Unfalllast bei Dacharbeiten machen nach wie vor Abstürze aus.
Betrachtet werden muss sicherlich auch der Rückbau. Abbruchmaßnahmen werden heute aus Gründen der Wirtschaftlichkeit hauptsächlich maschinell durchgeführt. Steigende Entsorgungskosten werden jedoch in Zukunft dazu führen, dass zur Rückgewinnung und Wiederverwendung von Rohstoffen der Abbruch in Teilen manueller vonstattengehen muss als bisher. So stellt beispielsweise Gipsputz einen Störstoff beim Recycling von mineralischen Gesteinskörnungen dar und muss vor dem maschinellen Abbruch händisch entfernt werden, um eine kostenintensive Entsorgung von Baumischabfall zu vermeiden.
Aus der aufwendigen manuellen Demontage und Sortierung von Bauabfällen beim Abbruch oder bei der Entkernung von Gebäuden resultieren somit hohe Anforderungen an die Arbeitssicherheit, denn die am Bau Beteiligten werden in naher Zukunft vermehrt mit Schadstoffen beim Rückbau beziehungsweise beim Bauen im Bestand konfrontiert werden, zum Beispiel mit asbesthaltigen Putzen, Fliesenklebern und Spachtelmassen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Arbeitsschutz ein wichtiger Aspekt des nachhaltigen Wirtschaftens im Bauwesen ist und bleiben muss, damit die Produktivität gesteigert und die Kosten unfallbedingter Ausfälle gesenkt werden können. Letztlich wird der Paradigmenwechsel und damit veränderte gesellschaftliche Einstellungen, Werte und Überzeugungen den Arbeitsschutz als integralen Bestandteil bei nachhaltigen Bauprojekten begreifen und nicht als isoliertes Aufgabenfeld.