Forschung und Praxis – So kann schulische Verkehrssicherheitsarbeit gelingen

Eine sichere und gesunde Mobilität ist für junge Menschen besonders wichtig. Es gibt zahlreiche Angebote, die Schulen im Bereich Verkehrssicherheit unterstützen. Doch was macht eine gute und wirksame Maßnahme aus? Das von der DGUV geförderte Forschungsprojekt FP 448 ging dieser Frage nach.

Für die Entwicklung von jungen Menschen ist es auch im Straßenverkehr besonders wichtig, neben dem Erlernen von Verkehrsregeln eigene Bewegungs-, Umwelt- und Sozialerfahrungen zu machen. Immerhin bleibt der Schulweg über die gesamte Schulzeit hinweg eines der Hauptrisiken, einen Unfall zu erleiden. Ein Übermaß an Vorsicht ist aber weder sinnvoll noch geboten. Dennoch: Etwa alle 20 Minuten verunglückt in Deutschland ein Kind im Straßenverkehr.[1] Grund genug, um mit den Bemühungen um eine wirksame Verkehrssicherheitsarbeit nicht nachzulassen. Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung im Kontext Schule sind dabei ein bewährtes Mittel mit grundsätzlich günstigen Rahmenbedingungen. Die Präventionsarbeit gesetzlicher Unfallversicherungsträger in Bildungseinrichtungen kann diese wirksam unterstützen.

Schulische Rahmenbedingungen

Der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 1972 bildet die rechtliche Grundlage für die Einbeziehung der Verkehrserziehung in den Unterricht, zuletzt aktualisiert im Jahr 2012 mit der „Empfehlung zur Mobilitäts- und Verkehrserziehung in der Schule“.[2] Die dort enthaltenen didaktischen Grundsätze nennen konkret die Erfahrungs-, Handlungs- und Umgebungsorientierung. Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung werden nicht nur als schulische, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen. Polizei, Eltern, Verbände und weitere außerschulische Akteure – wie die gesetzlichen Unfallversicherungsträger – sollten bei der Verkehrserziehung zusammenarbeiten. Mit der Erweiterung um den Aspekt der Mobilitätsbildung sind wichtige Themenbereiche wie Klimaschutz, Ressourcenverbrauch, Verkehrsraumgestaltung, zukunftsfähige Mobilität und nicht zuletzt die Förderung der selbstständigen Mobilität von Schülerinnen und Schülern hinzugekommen.

DGUV-Rahmenbedingungen

Die Unfallversicherungsträger sind gesetzlich dazu verpflichtet, Unfälle auf Wegen beziehungsweise damit verbundene Risiken zu reduzieren. Direkte rechtliche Regelungsmöglichkeiten für den öffentlichen Verkehrsraum stehen den Trägern hier allerdings nicht zur Verfügung, was eine Herausforderung darstellt. Bildungseinrichtungen dabei zu unterstützen, Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung als besonders wichtige Themen ihrer Arbeit zu betrachten und gleichzeitig zu gesunden, sicheren und lebenswerten Lernorten zu gestalten, stellt daher für die Präventionsarbeit eine besondere Chance und Aufgabe dar.

In der langfristigen Betrachtung ist die Verkehrssicherheitsarbeit eine Erfolgsgeschichte. Die Unfallzahlen sind rückläufig. Dennoch passierten von den 1.076.109 Schülerunfällen im Jahr 2022 laut DGUV-Statistik 88.718 Unfälle auf dem Schulweg, davon sind 50.804 auf Unfälle im Straßenverkehr zurückzuführen.[3] Gerade im Hinblick auf die Vision Zero, die zum Ziel hat, Arbeitsunfälle, Wegeunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen zu vermeiden, muss die Prävention dazu beitragen, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für Sicherheit und Gesundheit zu sensibilisieren.

Neben der Schaffung von sicheren Rahmenbedingungen geht es darum, die Heranwachsenden zu befähigen und auf den Umgang mit Risiken vorzubereiten. Hier spielen die Bewegungsförderung und die Ausprägung sozialer Kompetenzen auch in der verkehrserzieherischen Arbeit eine große Rolle. Ziel ist es, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene Bewegungssicherheit und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten erlangen, Fairness und Rücksichtnahme erlernen und letztlich Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen.

Das DGUV-Forschungsprojekt FP 448
„Überblick über Maßnahmen und strukturelle Bedingungen der aktuell in den Ländern durchgeführten Präventionsmaßnahmen zur Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen“[4] hatte zum Ziel, Risikogruppen von Schülerinnen und Schülern auf dem Schulweg sowie Schwerpunktthemen der Verkehrserziehung zu identifizieren, einen systematischen Überblick der schulischen Verkehrserziehungsarbeit zu geben, einen Kriterienkatalog zur Bewertung von Verkehrserziehungsmaßnahmen zu entwickeln und förderliche strukturelle Faktoren zu beschreiben. Es wurde von April 2020 bis Juni 2022 vom Institut für empirische Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg unter Federführung von Dr. Walter Funk durchgeführt.

Vier Arbeitspakete für einen sicheren und gesunden Schulweg

Das von der DGUV geförderte Forschungsvorhaben FP 448 enthielt vier Arbeitspakete, die ein aktuelles Bild zur Risikosituation, strukturellen Bedingungen in den Ländern bis hin zu Kriterien wirksamer Maßnahmen beschreiben.

Arbeitspaket 1: Identifikation von Risikogruppen im Straßenverkehr verunglückter Schülerinnen und Schüler sowie Schwerpunktthemen der schulischen Verkehrserziehung

Folgende Risikogruppen wurden anhand der DGUV-Wegeunfalldaten aus dem Zeitraum 2010 bis 2019 identifiziert:

  • Fußgängerinnen und Fußgänger im Primarstufenalter
  • Fahrrad fahrende Schülerinnen und -schüler der Sekundarstufe
  • Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene mit motorisierten Verkehrsmitteln

In der Primarstufe ist Verkehrserziehung zentraler Unterrichtsbestandteil, in der Sekundarstufe dagegen weniger wahrnehmbar.

Arbeitspaket 2: Erarbeitung eines systematischen Überblicks der Verkehrssicherheitsarbeit an Schulen

Die Untersuchung zeigt, dass hinreichend viele Präventionsangebote für alle Altersjahrgänge des allgemeinbildenden Schulbereichs vorhanden sind. Über alle Bundesländer hinweg spielt Mobilitäts- und Verkehrserziehung in der Primarstufe eine wichtige Rolle. Weder in den Lehrplänen noch in der Umsetzung von Maßnahmen ist die Mobilitäts- und Verkehrserziehung in der Sekundarstufe vergleichbar etabliert.
Ausreichende zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen sind dabei besonders wichtige Erfolgsfaktoren, das Fehlen jener wirkt limitierend.

Arbeitspaket 3: Entwicklung von Qualitätskriterien zur Bewertung von Präventionsmaßnahmen im Bereich der Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen

Mittels Literaturanalysen, der geführten Experteninterviews und der Sichtung bestehender Kriterienverzeichnisse wurde ein Katalog mit 20 Qualitätskriterien zur Bewertung von Präventionsmaßnahmen im Bereich der Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen neu entwickelt.

Arbeitspaket 4: Überblick über gute Präventionsmaßnahmen: pilothafte Anwendung der Qualitätskriterien auf 20 Maßnahmen zur Mobilitäts- und Verkehrserziehung

Der im Arbeitspaket 3 entwickelte Kriterienkatalog wurde pilothaft anhand von 20 ausgewählten Maßnahmen zur Mobilitäts- und Verkehrserziehung auf seine Anwendbarkeit überprüft und bestätigt.

Wichtige Erkenntnisse im Überblick

  • Die Hauptrisikogruppen von Schülerinnen und Schülern auf dem Schulweg sind unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Art der Fortbewegung aktuell und präzisiert beschrieben.
  • Über alle Altersstufen im allgemeinbildenden Schulbereich hinweg sind hinreichend viele Präventionsmaßnahmen vorhanden.
  • In der Primarstufe ist die Mobilitäts- und Verkehrserziehung zentraler Unterrichtsbestandteil – in den Sekundarstufen jedoch weniger.
  • Für die Umsetzung von Mobilitäts- und Verkehrserziehung in Schulen sind folgende Erfolgsfaktoren besonders wirksam:
    - verbindliche Regelungen für mehr Zeit der schulischen Fachberatung
    - verbindliche Regelungen für mehr Verkehrssicherheitsbeauftragte
    - verbindliche Rahmenlehrpläne/Konzepte (ähnlich wie im Primarbereich)
    - Verankerung der Inhalte zur Mobilitäts- und Verkehrserziehung im Lehramtsstudium/Referendariat
  • Mit einem Kriterienkatalog von 20 Items kann die Qualität von Maßnahmen zur Mobilitäts- und Verkehrserziehung sicher beurteilt werden.
  • Die Qualitätskriterien können Lehrkräfte bei der Auswahl qualitätsgesicherter Maßnahmen und Materialien unterstützen.
  • Neu zu konzipierende Maßnahmen und Konzepte können sich an den Anforderungen der Qualitätskriterien orientieren.

Fazit für Präventionsarbeit der Unfallversicherungsträger

Insgesamt bieten die gewonnenen Forschungserkenntnisse ein hohes Potenzial zur Weiterentwicklung der Verkehrssicherheitsarbeit in Bildungseinrichtungen, um im Sinne der Vision Zero die Risiken im Straßenverkehr für Kinder und Jugendliche weiter wesentlich zu reduzieren.

Das Beratungs- und Überwachungshandeln der DGUV beziehungsweise der Unfallversicherungsträger sollte die Erkenntnisse des Forschungsprojekts insbesondere in den Präventionsleistungen Information und Kommunikation, Qualifizierung sowie Beratung und Aufsicht aufnehmen und verstetigen. Die Qualitätskriterien sollten zur Bewertung von Präventionsmaßnahmen und institutionsübergreifend zum Standard sowohl bei der Überprüfung vorhandener Maßnahmen als auch bei der Weiter- oder Neuentwicklung von Maßnahmen eingesetzt werden. Darüber hinaus sollten Schulen für Maßnahmen der Mobilitätsbildung und Verkehrserziehung mit hoher Qualität sensibilisiert werden und besonders in der Sekundarstufe muss auf eine bessere Etablierung hingewirkt werden.

Zum richtigen Zeitpunkt die passende Verkehrserziehungsmaßnahme in der Schule anbieten und null (schwere) Unfälle – ein bewegendes Ziel, das so gemeinsam erreicht werden kann!