Verkehrssicherheitsarbeit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Die Zahl der Wegeunfälle stagniert seit vielen Jahren auf einem annähernd gleichen Niveau. Diesem Umstand versuchen die Unfallversicherungsträger mit verschiedenen Präventionsansätzen zu begegnen.
Der Verkehr auf deutschen Straßen wird immer dichter. Entsprechend nimmt die Zahl der polizeilich erfassten Verkehrsunfälle seit Jahren zu. Auch die Versicherten der gesetzlichen Unfallversicherung sind bei einigen versicherten Tätigkeiten den Gefährdungen des Straßenverkehrs ausgesetzt. Über alle Unfallversicherungsträger gemittelt ist die relative Häufigkeit der tödlichen Wegeunfälle bezogen auf die meldepflichtigen Wegeunfälle dreimal größer als die relative Häufigkeit der tödlichen Arbeitsunfälle bezogen auf die meldepflichtigen Arbeitsunfälle [eigene Berechnung basierend auf [1]].
Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung unternehmen schon seit Jahren Anstrengungen, um ihre Mitgliedsunternehmen bei der Prävention von Unfällen im Straßenverkehr zu unterstützen. Die gesetzliche Unfallversicherung ist einer der größten Beitragszahler des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), der bundesweit Aktionen zur Verkehrssicherheit durchführt.[2] Praktisch alle Unfallversicherungsträger bieten ihren Mitgliedsunternehmen eine Förderung von Pkw-Fahrtrainings an. Trotz dieser Aktivitäten zur Prävention von Verkehrsunfällen ist die Zahl der meldepflichtigen Wegeunfälle seit vielen Jahren abgesehen von einigen Schwankungen nahezu konstant.[3] Daher verfolgen die Unfallversicherungsträger unterschiedliche weitergehende Ansätze zur Prävention von Verkehrsunfällen.
Im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs überlässt in der Regel die Unternehmensleitung den Fahrenden ein Fahrzeug. Sie wäre dabei schon alleine aus der Fürsorgepflicht heraus verpflichtet sicherzustellen, dass die Fahrenden auch geeignet und fähig sind, das Kfz sicher zu führen.
Systematische Verkehrssicherheitsarbeit bei der BG RCI
Das „System Straßenverkehr“ ist ein kompliziertes Geflecht aus verschiedenen Faktoren, wie Regeln, infrastrukturellen Gegebenheiten und Verhaltensweisen der beteiligten Menschen. Obwohl in vielen Bereichen einzelne Faktoren ständig verbessert werden, wie etwa die Fahrzeugsicherheit durch den Einsatz von Fahrerassistenzsystemen, ist und bleibt der Mensch das schwächste Glied in dieser Kette. Aus diesem Grund rückt im Rahmen der Präventionsstrategie „VISION ZERO. Null Unfälle – gesund Arbeiten!“ der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) die Verkehrssicherheit verstärkt in den Fokus.
Zahlreiche Aktivitäten auf diesem Gebiet wurden im „VISION ZERO“-Teilprojekt „Prävention im Berufsverkehr“ neu gebündelt. Ziel ist es, Unternehmen und Beschäftigten die vielfältigen Möglichkeiten der Verkehrsunfallprävention aufzuzeigen, und ihnen auf ihre Wirksamkeit geprüfte Präventionsmaßnahmen und Hilfsmittel an die Hand zu geben. Kernstück ist die Praxishilfe „Sicherheit auf allen Wegen“. Sie fasst das gesamte Angebot der Berufsgenossenschaft zum Thema Wegeunfallverhütung zusammen.
In dieser Praxishilfe werden neben Best Practice-Beispielen, dem Seminarangebot, Konzepten für unterschiedliche Zielgruppen und Musterlösungen beispielsweise zum Thema Gefährdungsbeurteilung auch Wege aufgezeigt, die eine systematische und sehr praxisorientierte Wegeunfallverhütung ermöglichen. Diese Praxishilfe beleuchtet das Thema Verkehrssicherheit sehr plakativ und richtet sich nicht nur an große Unternehmen, sondern insbesondere auch an kleine und mittelständische Unternehmen der BG RCI. Die Praxishilfe ist auch für Mitgliedsunternehmen anderer Unfallversicherungsträger unter www.deinewege.info verfügbar.
Verkehrssicherheit erleben bei der BG ETEM und der VBG
Neben der systematischen Ableitung von Präventionsmaßnahmen, ist auch die Sensibilisierung der am Verkehr teilnehmenden Beschäftigten für die Verkehrssicherheit eine wichtige Grundlage für eine gelungene Prävention. Dazu bieten einige Unfallversicherungsträger Aktionsmedien an, die ein konkretes Erleben von brenzligen Situationen ermöglichen und so die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Problematik fördern. Drei verschiedene Aktionen und Aktionsmedien seien hier beispielhaft vorgestellt.
- Sicher unterwegs auf zwei Rädern – Präventionsmobil Verkehrssicherheit der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG), Aktionsmobil Zwei-rad/Zweiradtrainings der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM): Beide „Mobile“ vermitteln praxisnah und vor Ort das Thema Zweiradsicherheit. Neben theoretischen Fragestellungen liegt der Fokus der Zweiradtrainings insbesondere auf der Verbesserung der Fahrzeugbeherrschung, der verkehrssicheren Ausstattung der Fahrzeuge und verfügbarer Sicherheitsausrüstung. Konkrete, individuelle Problemlagen werden unter anderem bei Fahrradexkursionen zu exemplarischen Gefahrenstellen auf dem Werksgelände und/oder dem alltäglichen Umfeld thematisiert.
- Berauscht trotz null Promille – Rauschbrillen: Fahrfehler und Bewusstseinseinschränkungen fallen unter Einwirkung von Alkohol und Drogen kaum noch auf. Nicht so, wenn man dabei absolut nüchtern ist. Bereits seit mehreren Jahren werden deshalb sogenannte Rauschbrillen zur Simulation der Gefahren eingesetzt. Aber auch hier hat inzwischen die virtuelle Realität Einzug gehalten. So werden bei der neuen Virtual-Reality-Rauschbrille virtuelle Inhalte einer App mithilfe der Kamera eines handelsüblichen Smartphones in die reale Umgebung projiziert (Augmented Reality). So können optische Effekte wie Unschärfe, Doppelbilder und Tunnelblick sowie damit verbundene Risiken noch realitätsnaher verdeutlicht werden.
- Müdigkeit, die unterschätzte Gefahr – objektive Messung mittels Pupillographie: Sekundenschlaf am Steuer ist eine häufige Ursache schwerer und auch tödlicher Verkehrsunfälle. Schlafmangel, Ein- und Durchschlafstörungen, mangelnde Schlafhygiene, aber auch schlafbezogene Atmungsstörungen gelten als Hauptursachen. Objektiv messbar ist erhöhte Schläfrigkeit mittels pupillographischem Schläfrigkeitstest, bei dem typische Schwankungen der Pupillenweite aufgezeichnet werden. Mit dem Testergebnis „schwarz auf weiß“ sind Beschäftigte deutlich offener für eine entsprechende Beratung oder auch weitere Abklärung der Problematik.
Präventiver Einsatz von „Alcointerlocks“ im Straßenverkehr bei der BGHW
Die Regelungen bezüglich des Alkoholkonsums beim Führen eines Kraftfahrzeuges sind hinlänglich bekannt. Doch warum gibt es nach wie vor Unfälle unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr? Es scheint hier Fehleinschätzungen der Fahrerinnen und Fahrer zu geben, was den persönlichen Umgang mit Alkohol betrifft. Im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs überlässt in der Regel der Unternehmende den Fahrenden ein Fahrzeug. Er wäre dabei schon alleine aus der Fürsorgepflicht heraus verpflichtet sicherzustellen, dass die Fahrenden auch geeignet und fähig sind, das Kfz sicher zu führen. Doch in der Regel sehen die Unternehmenden die Fahrenden nach Verlassen des Betriebsgeländes nicht mehr. Vor diesem Hintergrund hat die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) ein Pilotprojekt aufgelegt, in dem Unternehmen Alcointerlocks zur Verfügung gestellt wurden.
Vor dem Starten des Fahrzeuges werden die Fahrenden aufgefordert einen Atemalkoholtest durchzuführen – das bekannte „Pusten“. Wird dabei ein zu hoher Alkoholgehalt festgestellt lässt sich das Fahrzeug nicht starten, ein wiederholter Test ist erst nach einem gewissen Zeitraum möglich. Seit Ende 2014 nutzt nun die BGHW im Zuge eines Präventionsprojektes solche Geräte in Mitgliedsunternehmen. Interessierte Unternehmen erhalten von der BGHW Alcointerlocks, die präventiv in verschiedene Fahrzeuge eingebaut werden und wurden.
Mittlerweile ist die BGHW die Institution, die in der Bundesrepublik die meisten solcher Geräte (mehr als 260) betreibt und betreut. Die beteiligten Unternehmen übernehmen dabei die Einbaukosten, die Wartungs- und Eichkosten werden durch die BGHW übernommen. Dabei werden diese Geräte neben Lkws und Kleintransportern auch in Gabelstapler verbaut.
Die Reaktion ist dabei durchgehend positiv. Einige der am Projekt beteiligten Unternehmen planen nun deren gesamten Fahrzeugbestand mit Alcointerlocks auszustatten. Im Zuge der aktuellen Diskussion haben Anfragen für einen Einsatz solcher Geräte stark zugenommen. Hierzu trug auch die Empfehlung des 57. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2019 in Goslar bei, die den verbindlichen Einsatz von Alcointerlocks beim gewerblichen Güter- und Personentransport fordert.
Verkehrssicherheit im Prämienverfahren der BGN
Die Berufsgenossenschaft für Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) bietet Ihren Mitgliedsbetrieben die Möglichkeit, mit Präventionsmaßnahmen, die über die verpflichtend geforderten Grundlagen des Arbeitsschutzes hinausgehen, Punkte zu erwerben, die in Form einer Prämie monetär an den Betrieb ausgezahlt werden. Dazu können die Betriebe branchenspezifische Fragenbögen abrufen, auf denen die möglichen Maßnahmen gelistet sind. Neben Maßnahmen, die wiederkehrend umgesetzt werden können, gibt es auch projektartige, die zeitlich begrenzt oder einmalig umzusetzen sind. In den vergangenen Jahren konnte der Bereich „Transport und Verkehr“ deutlich breiter innerhalb dieses Prämienverfahrens aufgestellt werden. Im Bereich der wiederkehrenden Maßnahmen können 2020 zum Beispiel über folgende Maßnahmen Prämienpunkte erlangt werden:
- Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining, einem Eco Safety Training oder einem Fahrsicherheitstraining für Fahrräder und E-Bikes.
- Unterweisung von Beschäftigten bzw. Fahrern anhand einer auf die betrieblichen Belange zugeschnittenen Betriebsanweisung zur Ladungssicherung.
Im Bereich Projekte können zusätzlich Prämienpunkte gesammelt werden:
- Förderung des (sicheren) Radverkehrs im Unternehmen
Das Projekt sollte eine Erfassung des Anteils der Beschäftigten, die ihren Arbeitsweg mit dem Rad zurückgelegen zu Beginn und zum Ende der Maßnahme, die Durchführung und Evaluation eines Fahrrad-Seminars sowie zusätzliche Maßnahmen zur Förderung des sicheren Radfahrens umfassen. - Optimierung berufsbezogener Mobilität
Nach Durchführung des Online-Instruments GUROM (www.gurom.de) zur Gefährdungsanalyse berufsbezogener Mobilität werden die im daraus resultierenden Betriebsprofil genannten Maßnahmen umgesetzt und dokumentiert. - Verringerung des Unfallrisikos auf Lkw-Ladeflächen
Entwicklung und flächendeckende Anwendung einer über die herstellerseitig oft mangelhaft ausgelegten Aufstiegshilfen bzw. Absturzsicherungen hinausgehenden technischen Lösung verbunden mit einer regelmäßigen Unterweisung. - Verringerung des Unfallrisikos auf dem Betriebsgelände
Einsatz technischer Mittel zur Verringerung des Kollisionsrisikos von Fußgängerinnen und Fußgängern sowie Radfahrenden mit Nutzfahrzeugen auf dem Betriebsgelände (und im öffentlichen Straßenverkehr) zum Beispiel durch den Einsatz von Kamera-Monitor- oder radarbasierten Systemen.