Überwacher oder Lotse? Zur zukünftigen Rolle der Aufsichtspersonen in der Betreuung der Betriebe
Aktuell gibt es Diskussionen über eine Erweiterung des Aufgabenspektrums von Aufsichtspersonen (AP) dahingehend, dass sie im Rahmen ihrer Besichtigungen auch zu den Leistungen des eigenen Unfallversicherungsträgers und der Sozialversicherung allgemein beraten sollen. Dieser Beitrag setzt sich mit dem Spannungsfeld der AP zwischen Überwachung und einer solchen Lotsenfunktion auseinander.
Rolle der Überwachung
Markenkern der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Überwachung der Betriebe mit begleitender Beratung durch die Aufsichtspersonen, die dafür im SGB VII sehr weitreichende hoheitliche Befugnisse erhielten. Die Kombination aus Überwachung, Beratung und anderen Präventionsleistungen mit dem Ziel, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren mit allen geeigneten Mitteln zu verhindern, unterscheidet die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung von der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung. Diese überwacht ebenfalls die Einhaltung von Gesetzen, berät, qualifiziert und informiert die Betriebe aber nur begrenzt. Die gesetzliche Unfallversicherung unterscheidet sich damit auch von allen anderen Zweigen der Sozialversicherung, die teilweise Projekte zur betrieblichen Gesundheitsförderung anbieten, aber keine Möglichkeit zur Durchsetzung dieser Maßnahmen besitzen.
Zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), den Sozialministerien der Länder und der DGUV wurde erst kürzlich politisch darum gerungen, welche Rolle Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sowie die staatliche Arbeitsschutzverwaltung in der Überwachung der Betriebe spielen sollen. Nach Auffassung einiger Länder ist die Überwachung der Betriebe ausschließlich eine staatliche Aufgabe – die Unfallversicherung sollte sich primär auf die Beratung und andere Maßnahmen der Prävention beschränken. Hier wurde vonseiten der Unfallversicherungsträger und auch der Sozialpartner heftig widersprochen: Gerade der starke Rückgang der schweren und tödlichen Unfälle in den vergangenen Jahrzehnten zeigte, dass die Verbindung von Überwachung, Beratung und weiteren Präventionsleistungen einen sehr erfolgreichen Präventionsansatz darstellt.
Diese Diskussion macht deutlich, dass es für den Fortbestand der gesetzlichen Unfallversicherung als eigenständigen Zweig der Sozialversicherung immens wichtig ist, ihren Markenkern Überwachung zu stärken. Daher beteiligen sich die Unfallversicherungsträger gleichberechtigt mit den Ländern an der Überwachung der Betriebe im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) und werden die Zahl ihrer Überwachungen grundsätzlich erhöhen.
Lotsenfunktion
Die Idee, die Aufsichtspersonen als „Lotsen“ zu betrachten, die die Betriebe durch die Untiefen des deutschen Arbeitsschutzsystems geleiten, ist nicht neu: Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages nach § 14 SGB VII verfahren die AP bereits so. Sie verstehen sich als "Generalisten", die zu allen relevanten Gefährdungen, Belastungen, Regeln und Gesetzen ein Überblickswissen besitzen. Jede Aufsichtsperson hat darüber hinaus in weiteren für die Prävention relevanten Themenbereichen ein vertieftes Fachwissen, auf das dann alle AP zurückgreifen können, wenn in einem Betrieb eine fachlich sehr tiefe Frage zu beantworten ist. Hinzu kommen Spezialistinnen und Spezialisten – etwa aus den Sachgebieten oder den Instituten der DGUV – als weitere Beratungsebenen.
Nach Auffassung der Befürwortenden könnte diese Struktur nun auch auf Themen jenseits der Prävention ausgeweitet werden. Die Aufsichtspersonen seien ohnehin vor Ort und könnten auch Fragen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, zur Berechnung des Beitrages, zum Umfang des Versicherungsschutzes und zu den Leistungen anderer Sozialversicherungsträger und der Versorgungsämter beantworten. Teilweise wird sogar eine aktive und umfassende Beratung zu den genannten Themen im Rahmen von Besichtigungen propagiert.
Strategische Schwerpunktsetzung erforderlich
Möchte man auch Beratungen zu Themen jenseits der Prävention von Unfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren als Aufgabe der AP etablieren, entsteht ein Spannungsfeld zu deren Kernthemen Überwachung und Beratung im Sinne des § 14 SGB VII, da Beratungszeit im Betrieb nicht unbegrenzt zur Verfügung steht.
Bei der Betriebsbesichtigung muss sich die AP in sehr kurzer Zeit ein Bild vom Zustand des Betriebes, den dort bestehenden Gefährdungen und Belastungen sowie der Umsetzung der organisatorischen Anforderungen machen. Sie muss konkrete Mängel ansprechen, zu deren Beseitigung beraten, gegebenenfalls sanktionieren sowie für weitere Unterstützungsangebote ihres Unfallversicherungsträgers wie Qualifizierungen, Projekte und Informationen werben. Zusätzlich sind die Aufsichtsdienste bereits heute mit zahlreichen Aufgaben jenseits ihres Kernauftrages konfrontiert – beispielsweise mit Betriebsbesichtigungen der GDA oder Aktivitäten im Rahmen von Kampagnen. Es ist somit kein zeitlicher Raum für weitere Themen ohne Reduktion entweder der Qualität oder der Quantität der Überwachung und Beratung.
Es gilt daher in den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen festzulegen, welche Strategie man hier einschlagen möchte: Möchte man die Aufsicht stärken, die Beratung auch zu Themen am Rande der Prävention intensivieren oder beides durch eine Erhöhung der Ressourcen angehen?
Ressourcen anpassen
Der beschriebene Zielkonflikt entsteht nur dann, wenn sich die Erwartung, vor Ort Themen jenseits der Prävention anzusprechen, an die Aufsichtspersonen richtet und die Beratung zu den neuen Themen Zeit kostet. Wird die Beratung zu Leistungen der Unfallversicherung und anderer Sozialversicherungszweige hingegen durch andere Personen durchgeführt (zum Beispiel durch Unfallsachbearbeiterinnen und Unfallsachbearbeiter oder Gesundheitswissenschaftlerinnen und Gesundheitswissenschaftler), wird der Überwachungsauftrag nicht tangiert. Diese Personengruppen könnten die Informationen zu diesen Themen zum Beispiel über andere Kommunikationswege wie Qualifizierungsmaßnahmen in die Betriebe transportieren. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch eine Reduktion der Aufgaben der AP auf die bloße Weitergabe von Informationen – etwa zu einer zentralen Webseite zu den Leistungen der Sozialversicherungsträger.
Hält man aber die AP für die einzigen geeigneten Personen, die oben genannten zusätzlichen Beratungen als „Lotse“ durchführen, und will man die Zahl und Qualität der Überwachungen nicht reduzieren, so ist eine Anpassung der Ressourcen unumgänglich. Muss eine AP weniger Betriebe besuchen, weil ihr Aufsichtsbezirk kleiner wurde, hat sie mehr Zeit für den einzelnen Betrieb – auch für Beratungen zu Themen jenseits ihres Kernauftrages. Wichtig wäre es in diesem Zusammenhang dann auch, Zielvorgaben oder Zielvereinbarungen (zum Beispiel zur Zahl der besichtigten Betriebe) anzupassen.
Alternativ könnten Ressourcen auch dadurch erhöht werden, dass man die AP von anderen fachfremden Aufgaben entlastet oder durch ein verbessertes Informationsmanagement zeitliche Freiräume schafft. Dazu gehört eine stets aktuelle, zentral gepflegte Datenbank mit Angeboten und Ansprechpersonen der anderen Sozialversicherungsträger, auf die die Betriebe verwiesen werden könnten. Diese könnte gemeinsam mit den anderen Trägern der Sozialversicherung erstellt und aktualisiert werden.
Zudem müssten die genannten Themen in die Aus- oder Fortbildung der AP aufgenommen werden.
Fazit und Ausblick
Die Grundidee, die Lotsenfunktion der Aufsichtspersonen auch auf Themen jenseits der Kernaufgaben der Unfallversicherungsträger auszuweiten, ist aus Kundensicht nachvollziehbar und sicher populär. Sie steht allerdings in einem Spannungsfeld zum Markenkern der gesetzlichen Unfallversicherung – der Überwachung in Verbindung mit Beratung.
Gerade aus politischen Gründen muss vermieden werden, ein Signal auszusenden, das die bisherige Argumentationslinie der DGUV gegenüber BMAS und Ländern konterkariert. Anstelle eines Bekenntnisses zur Überwachung könnte dies als Abrücken davon verstanden werden. Dies würde die Kräfte stärken, die eine exklusive Durchführung der Überwachung der Betriebe durch die staatliche Arbeitsschutzverwaltung fordern. Würden die Unfallversicherungsträger das Recht zur Überwachung als ihren Markenkern verlieren, wäre die Eigenständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung in Gefahr.
Daher ist zunächst zu prüfen, ob zu Beratungen jenseits des gesetzlichen Auftrages tatsächlich hoch qualifizierte Aufsichtspersonen mit hoheitlichen Befugnissen eingesetzt werden sollten – oder ob dies auch durch speziell dazu qualifizierte Beschäftigte erreicht werden kann. Möchte man das Netzwerk der AP zum Transport der weiteren Themen nutzen, so ist dies eine strategische Entscheidung, deren Facetten in jedem Unfallversicherungsträger diskutiert werden müssen. Wichtig ist insbesondere die Frage, wie die zusätzlichen Aufgaben etabliert werden können, ohne die Überwachung quantitativ und qualitativ zu reduzieren. Dazu gibt es verschiedene Wege, die AP zeitlich zu entlasten und so die notwendigen Ressourcen zu schaffen.
Um die Diskussion zu diesem Thema in den Selbstverwaltungen zu unterstützen, wurde das Positionspapier „Beratungsverständnis der Unfallversicherungsträger“ erstellt und bereits inhaltlich durch die Präventionsleiterkonferenz, den GFK-Ausschuss Prävention und den Grundsatzausschuss Prävention des Vorstandes der DGUV bestätigt. Auch dort wurden die Überwachung und Beratung durch die Aufsichtspersonen als Kernaufgaben definiert, um die die weiteren Präventionsleistungen zur Erreichung der Ziele des § 14 SGB VII angeordnet sind. Darum herum sind die Serviceaufgaben zu Themen jenseits der Prävention als optionale Leistungen gruppiert. Jede Berufsgenossenschaft und Unfallkasse muss intern entscheiden, wie, durch wen und mit welchen Ressourcen sie erledigt werden können (siehe Abbildung).