Nachgehende Vorsorge – zentrales Element der arbeitsmedizinischen Vorsorge
In der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist nachgehende Vorsorge ein zentrales Element, um arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Der Einsatz von Biomarkern könnte für einen Durchbruch bei der Früherkennung maligner Mesotheliome sorgen.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung müssen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beurteilen, ob und in welchem Umfang für Beschäftigte arbeitsmedizinische Vorsorge zu veranlassen ist. Rechtsgrundlage hierfür ist im Wesentlichen die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) und Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) § 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen.
Häufig treten arbeitsbedingte Erkrankungen oder Berufskrankheiten (BK) erst lange nach der beruflichen Belastung auf. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen Beschäftigten sowie ehemals Beschäftigten daher auch nach Beendigung bestimmter Tätigkeiten, bei denen nach längeren Latenzzeiten Gesundheitsstörungen auftreten können, eine nachgehende Vorsorge anbieten. Am Ende des Beschäftigungsverhältnisses haben sie die Möglichkeit, ihre Verpflichtung zum Angebot der nachgehenden Vorsorge auf die gesetzlichen Unfallversicherungsträger zu übertragen.
Anlässe für nachgehende Vorsorge sind nach der ArbMedVV Tätigkeiten mit Exposition gegenüber einem Gefahrstoff, sofern dieser Stoff ein krebserzeugender oder keimzellmutagener Stoff ist. Auch Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, die als krebserzeugende Tätigkeiten oder Verfahren der Kategorie 1A oder 1B im Sinne der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) bezeichnet werden, sowie Tätigkeiten mit Expositionen gegenüber Blei oder anorganischen Bleiverbindungen und Tätigkeiten mit Hochtemperaturwollen begründen das Angebot. Lagen Tätigkeiten vor, die unter die Gesundheitsschutz-Bergverordnung (GesBergV) oder die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) fallen, so können auch Expositionen gegenüber fibrogenen Stäuben beziehungsweise ionisierender Strahlung die Verpflichtung zum Angebot begründen.
Organisation der nachgehenden Vorsorge
Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung betreiben verschiedene Einrichtungen, um die nachgehende Vorsorge auch über das Beschäftigungsende hinaus sicherzustellen. Derzeit nehmen für die Unfallversicherungsträger vier Organisationsdienste die Aufgaben der nachgehenden Vorsorge wahr:
- Gesundheitsvorsorge (GVS)
- Organisationsdienst für nachgehende Untersuchungen (ODIN)
- Fachkompetenzcenter Strahlenschutz der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM)
- Bergbaulicher Organisationsdienst für nachgehende Untersuchungen „Fibrogene Stäube“ (BONFIS)
Unter dem Dach DGUV Vorsorge haben sich die Organisationsdienste zusammengeschlossen, um Arbeitgeberinnen, Arbeitgebern und Versicherten ein übergreifendes Vorsorgeportal bereitzustellen, das die bedarfsgerechte Organisation und Dokumentation der nachgehenden Vorsorge ermöglicht.
Als ein zentrales Element von DGUV Vorsorge steht ein Meldeportal zu Verfügung, mit dem Meldungen zur nachgehenden Vorsorge an die Organisationsdienste vorgenommen werden können.
Erweitertes Vorsorgeangebot zur Früherkennung von Lungenkrebs
Da krebserzeugende Stoffe vielfach über die Atemwege aufgenommen werden, steht die Früherkennung von Krebserkrankungen im Bereich der Atmungsorgane, insbesondere Lungenkrebs, im Fokus der nachgehenden Vorsorge. Lungenkrebs nimmt bei der krebsbedingten Sterblichkeit weltweit eine Spitzenposition ein. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen wird die Erkrankung erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, in dem eine kurative Behandlung meist nicht mehr möglich ist.
Der Früherkennung von Lungenkrebs kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Ein im Anfangsstadium entdeckter Tumor bietet einen Ansatz für eine kurative Behandlung, was die Langzeitprognose verbessern kann.
Für die Früherkennung von Krebserkrankungen stehen trotz aller Fortschritte der modernen Medizin immer noch wenig geeignete Verfahren zur Verfügung. Krebsfrüherkennung muss sich zudem, wenn sie effektiv die Mortalität senken will, immer auf Hochrisikogruppen fokussieren. Hochrisikogruppen können durch Parameter wie Alter, Geschlecht oder Expositionen gegenüber Gefahrstoffen definiert sein. Seit 2011 liegen die wissenschaftlichen Daten der sogenannten NLST-Studie (National Lung Screening Trial) vor. Sie konnte zeigen, dass durch eine Low-Dose-High-Resolution-Computertomografie-Untersuchung – kurz: LD-HRCT – in einem Hochrisikokollektiv die Lungenkrebsfrüherkennung möglich ist und die lungenkrebsspezifische Sterblichkeit reduziert wird. Das Hochrisikokollektiv war definiert als Personen im Alter von 55 bis 74 Jahren mit einer kumulativen Tabakdosis von mindestens 30 Packungsjahren.
Die gesetzliche Unfallversicherung hat auf diese wissenschaftlichen Erkenntnisse reagiert und die Implementierung in die nachgehende Vorsorge initiiert. Bereits im Herbst 2014 startete EVA-Lunge, das erweiterte Vorsorgeangebot der DGUV zur Früherkennung von Lungenkrebs im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge und für Versicherte mit anerkannter BK-Nr. 4103, in Pilotregionen. Zwischenzeitlich wurde das Angebot deutschlandweit eingeführt. Es richtet sich aktuell an Versicherte, die mindestens 55 Jahre alt sind, einen Raucherstatus von mindestens 30 Packungsjahren sowie eine mindestens zehnjährige berufliche Asbestexposition mit Beginn vor 1985 oder eine anerkannte BK-Nr. 4103 aufweisen. Organisiert wird das Angebot im Rahmen der nachgehenden Vorsorge durch die GVS auf Grundlage von § 5 Abs. 3 Satz 2 ArbMedVV oder dort, wo bereits eine BK-Nr. 4103 anerkannt ist, durch den zuständigen Unfallversicherungsträger auf Basis von § 26 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII.
Weiterentwicklung der nachgehenden Vorsorge
Das Angebot EVA-Lunge wird wissenschaftlich begleitet, um eine epidemiologische Auswertung der Befunde zu ermöglichen und neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse in das Angebot einfließen lassen zu können.
An ausgewählten Untersuchungsstandorten werden die Versicherten zudem um Abgabe einer freiwilligen Blut- und Speichelprobe gebeten, die in die zentrale Biobank des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) überführt wird. Die Proben sollen der Entwicklung und Validierung von Biomarkern für die Früherkennung beruflich bedingter Krebserkrankungen dienen.
Während Biomarker bei der Früherkennung von Lungenkrebs zukünftig den Einsatz der LD-HRCT-Untersuchung ergänzen könnten, fehlt es für die Früherkennung von asbestassoziierten Mesotheliomen bislang an geeigneten radiologischen Verfahren.
Sowohl für die Diagnostik als auch die Therapie von Mesotheliomen ist es daher von Bedeutung, dass sich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Früherkennung mit Biomarkern, die durch einfache Bluttests bestimmt werden können, neue Ansätze für die nachgehende Vorsorge ergeben. In der „MoMar“-Studie konnte das IPA erstmals die Möglichkeit der Früherkennung maligner Mesotheliome bis zu einem Jahr vor ihrer klinischen Manifestation durch die Kombination der Biomarker Calretinin und Mesothelin in einer Hochrisikogruppe aufzeigen. Dies bedeutet in der Konsequenz auch, dass infolge des vorverlegten Diagnosezeitpunkts mutmaßlich früher mit der Therapie begonnen werden kann. Zugleich könnten Tumoren in frühen Entwicklungsstadien entdeckt werden, was die Behandlungsoptionen erweitert und die Langzeitprognose günstig beeinflussen kann. Eine Kombination aus Früherkennung und optimiertem Therapieangebot könnte die Basis bilden, um die Prognosen für die Erkrankten zukünftig zu verbessern.