Beruflich auf Tour – mobile Arbeit mit Fahrzeugen
Mobile Arbeiten mit Fahrzeugen umfassen neben der Verkehrsteilnahme vielfältige Tätigkeiten, die weitgehend in Fremdbetrieben verrichtet werden. Aus der zunehmenden Verzahnung von Fertigungs- und Transportabläufen ergeben sich Arbeitsbedingungen, die sich auf Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit auswirken.
Wechselndes Arbeitsumfeld
Ein gewohntes Bild an der Wand, Kolleginnen und Kollegen, die man ansprechen kann, Vorgesetzte, die bei Bedarf eine Entscheidung treffen – ähnliche Merkmale symbolisieren für die Mehrzahl der Beschäftigten das vertraute Arbeitsumfeld. Für Fahrpersonal trifft das nur bedingt zu. Im Güterkraftverkehr erhalten Fahrerinnen und Fahrer bei Fahrantritt Instruktionen und Frachtpapiere in der vertrauten Disposition oder nehmen in einem bekannten Ladebereich Fracht auf. Danach sind die in Deutschland etwa 572.000 Berufskraftfahrer und Berufskraftfahrerinnen[1] weitgehend auf sich gestellt, nicht selten für mehrere Tage. Persönliche Kontakte im Arbeitsalltag ergeben sich dann meist in Fremdbetrieben, zum Beispiel bei Kunden. Wenn Störungen, Probleme oder Fragen auftreten, ist eine gehörige Portion Lösungskompetenz gefragt. Eine Flugzeugcrew kommt vor dem Abflug zu einem Briefing zusammen – nicht als festes Team, sondern als eine für den bevorstehenden Flug zusammengestellte Besatzung. Auch hier gibt es aktuelle Informationen und eine Abstimmung der anstehenden Aufgaben, dann wird der Flieger übernommen. Damit beginnt ein langer Arbeitstag mit eingespielten Abläufen, wenig Rückzug, hoher Eigenständigkeit und unverzichtbarer sozialer Kompetenz – weit weg vom Office der Company.
Einsteigen, bitte!
Bereits in puncto Erreichen des Arbeitsplatzes zeigt sich ein markanter Unterschied: Der Zugang zu nahezu jedem Fahrzeug wie beispielsweise Lastwagen, Flugzeug oder Bahn ist gekennzeichnet durch Höhenunterschiede, Witterungseinflüsse, wechselnde Beleuchtung und andere Besonderheiten. Oft sind technische Hilfsmittel erforderlich, zum Beispiel ein Bahnsteig, eine Fluggasttreppe, eine Gangway oder ein Landsteg. Fahrzeugeigene Zugänge werden aus verkehrstechnischen Gründen in die Kontur der Fahrzeuge integriert, was ergonomische Einschränkungen bedingt – wie bei Lkw, Lokomotiven oder kleineren Flugzeugen. Bei jedem Ein- oder Aussteigen gilt es, geänderte Gegebenheiten zu beachten. Eine Entwässerungsrinne auf der Flughafenposition, ein Stolperstein auf der Baustelle oder eine Unebenheit auf dem Parkplatz. Eines ist gewiss: Bei Fahrzeugen bringt das Ein- und Aussteigen eine Häufung im Unfallgeschehen mit sich. Alleine 323 neue Unfallrenten verzeichnete die DGUV 2019 durch Abstürze von Lkw – erfahrungsgemäß ist ein gutes Viertel davon alleine auf das Ein- und Aussteigen zurückzuführen.
Nicht Fisch und nicht Fleisch
Auch hinsichtlich der Vorschriftenlage weisen Arbeitsplätze, Zugänge und Standflächen auf Fahrzeugen Besonderheiten auf. Transportmittel, die im öffentlichen Verkehr eingesetzt werden, sind beispielsweise von der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) ausgenommen (mit Ausnahme des Nichtraucherschutzes und der Sicherheitskennzeichnung). Obwohl viele Fahrzeuge offenkundig Maschinen sind, wurden sie doch aus dem Anwendungsbereich der Maschinenverordnung ausgeklammert. Auf den ersten Blick wirkt das verständlich, weil verkehrsrechtliche Zulassungsvorschriften zum Zuge kommen. Diese sind auf das Schutzziel einer sicheren Verkehrsinfrastruktur ausgerichtet und decken daher die Anforderungen des Arbeitsschutzes meist nicht vollständig ab.
Alleine 323 neue Unfallrenten verzeichnete die DGUV 2019 durch Abstürze von Lkw – erfahrungsgemäß ist ein gutes Viertel davon alleine auf das Ein- und Aussteigen zurückzuführen.
Was bleibt, ist ein regulatorisches Defizit insbesondere für solche Tätigkeiten und Komponenten von Fahrzeugen, die über die Teilnahme am Verkehr hinausgehen – eine Regelungslücke, die am Ende Unternehmerinnen und Unternehmer füllen müssen. Oft kommen Bau- und Ausrüstungsbestimmungen sowie Betriebsvorschriften aus Unfallverhütungsvorschriften zum Zuge, die an Unternehmen als Verwender von Fahrzeugen als Arbeitsmittel adressiert sind. Damit öffnet sich zugleich ein wichtiges Beratungsfeld gegenüber Betrieben und Herstellern – die Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sachgebiete und Fachbereiche der DGUV setzen sich für sichere Arbeitsplätze in Fahrzeugen ein, unterstützen die Branche und beraten die Hersteller.
Arbeiten in einer Maschine
Bei allem technischen Fortschritt gibt es wenige Arbeitsplätze, die unmittelbarer durch technische Randbedingungen beeinflusst werden, als die in Fahrzeugen. Die Seemannsregel "Eine Hand für das Schiff, eine Hand für dich" ist vermutlich so alt wie die christliche Seefahrt. Noch heute ist sie allen vertraut, die in einem Fahrzeug arbeiten, gleichgültig ob es rollt, fliegt oder schwimmt. Wer operativ in einem Bahnbetrieb arbeitet, führt seine Siebensachen in einem Rucksack mit sich, damit beide Hände frei bleiben. Festhalten als aktiver Selbstschutz kann jederzeit erforderlich sein. Zum Alltag gehören oft Bewegungsarmut, Zwangshaltung und ein über viele Stunden eingeschränkter Bewegungsraum: hinter dem Steuer, im Cockpit, am Bedienstand oder in der Bordküche. Sicher gewöhnt man sich an die ständige Bewegung des Fahrzeugs, weniger aber an schwere See, an Turbulenzen, harte Landungen oder stundenlange Staus. Präventionsansätze sind die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen in Fahrzeugen, eine ausgewogene Gestaltung von Arbeits- und Ruhezeiten sowie Anreize zu sportlichem Ausgleich und Bewegung in Pausenzeiten.
Wo ist denn hier die Toilette?
Eine saubere Toilette wertzuschätzen, sich frühzeitig Gedanken über den nächsten Toilettengang zu machen, überhaupt nach einer Toilette zu fragen – auch das gehört oft zu mobiler Arbeit mit Fahrzeugen dazu. Ebenso werden das Schlafverhalten, die Ernährungsgewohnheiten, der sportliche Ausgleich, der Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten und die Pausenzeiten beeinflusst durch Fahrpläne, Lenk- und Ruhezeiten oder durch die Verfügbarkeit von Einkaufs- und Nahrungsangeboten. Den meisten Menschen fällt es schon in den eigenen vier Wänden schwer, auf eine ausgewogene Ernährung, zuckerfreie Getränke und gesundheitlichen Ausgleich zu achten. Auf einem Autobahnhof, im Flughafenhotel oder auf See ist die Herausforderung erheblich größer. Dass es nicht unmöglich ist, beweisen uns Millionen von mobil Arbeitenden – neben dem Wissen um gesundheitliche Risiken gehört ein Quäntchen Selbstorganisation dazu, ein innerer Antrieb, eine latente Disziplin im Alltag. Die positive Unterstützung des Gesundheitsverhaltens von mobil Arbeitenden ist seit Jahren ein zentraler Präventionsbaustein der Schulungs- und Beratungstätigkeit der Unfallversicherungsträger, den viele Betriebe aktiv unterstützen. Fachkräftemangel und demografischer Wandel fördern häufig eine generell zunehmende Sensibilität für den Erhalt der Gesundheit. Diese Bemühungen tragen erste Früchte, beispielsweise war der Krankenstand von Berufskraftfahrern und Berufskraftfahrerinnen zuletzt rückläufig und lag unter dem Durchschnitt der Branche "Verkehr und Logistik". Die zarten Erfolge dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier weiterer Analyse- und Handlungsbedarf besteht.
Führen auf Distanz und Vertrauen
Heute in aller Munde, gehört Führung auf Distanz in der Transport- und Verkehrswirtschaft bereits seit langer Zeit zur Normalität. Unternehmensleitungen haben im Arbeitsalltag nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten, inwieweit die Beschäftigten vorgegebene Abläufe und Verhaltensregeln einhalten. Hinzu kommt, dass sie einen erheblichen Teil der Arbeitsgegebenheiten für mobil Arbeitende allenfalls anteilig gestalten können. Auf Witterungsbedingungen, Verkehrslage und auf Gegebenheiten in Fremdbetrieben haben auch Führungsverantwortliche kaum Einfluss.
Umso wichtiger sind neben klaren Verhaltensgrundsätzen und verlässlichen Vorgaben das Vertrauen der Führungsverantwortlichen und die Stärkung der Lösungskompetenz der Beschäftigten. Hier kommt die Kultur der Prävention zum Tragen. Führungsverantwortliche schöpfen ihren Gestaltungsspielraum aus, indem sie gemeinsam mit ihren Kunden gute Transport- und Verladeprozesse abstimmen. Auf der Grundlage einer positiven Fehlerkultur können mobil Arbeitende erkennbare Verzögerungen durch Staus, technische Störungen oder Witterungsbedingungen frühzeitig kommunizieren und gegebenenfalls Verhaltensoptionen vorschlagen, zum Beispiel eine andere Wegstrecke oder Abfolge der Ladestellen. Stress und psychischer Druck werden wirksam abgebaut, wenn eine Disposition die Kommunikation mit Dritten – wie Ladestellen, Werkstätten oder Pannendiensten – übernimmt. Die professionelle Unterstützung im Umgang mit Störungen entlastet nicht nur Fahrzeugbesatzungen, sondern verbessert auch die Qualität von Transportdienstleistungen. Nur durch regelmäßigen Kontakt zu den mobil Arbeitenden erfahren Vorgesetzte, wo es klemmt, und können Prozesse verbessern. Die digitale Vernetzung macht mobile Arbeitsabläufe zunehmend transparent. Dies birgt das Risiko einer permanenten Kontrolle, die beispielsweise in Teilsegmenten bestimmter Lieferdienste App-getriebene prekäre Arbeitsverhältnisse ermöglicht. Einer nachhaltigen Unternehmensführung eröffnet die Digitalisierung Chancen, hilfreiche Informationen bereitzustellen und Prozesse besser, sicherer und gesundheitsgerechter zu planen. Ursachen und Verbesserungspotenzial erschließen sich jedoch oft nur durch persönliche Kommunikation.
Präventionsansätze sind die ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen in Fahrzeugen, eine ausgewogene Gestaltung von Arbeits- und Ruhezeiten sowie Anreize zu sportlichem Ausgleich und Bewegung in Pausenzeiten.
Ein wichtiger Baustein zur Vermeidung von Unfällen und Störungen sowie zur Stärkung der Lösungskompetenzen sind Qualifizierung und Unterweisung der Beschäftigten. Viele Unternehmen finden hier kreative Lösungen – zum Beispiel in Form von Sicherheitstagen – zu Zeiten, zu denen die Beschäftigten nicht unterwegs sind. Unfallversicherungsträger unterstützen dies mit einem vielseitigen Angebot an Medien und Seminaren, die speziell auf die Unterweisung und Qualifizierung von Beschäftigten ausgerichtet sind, die mobil mit Fahrzeugen unterwegs sind – von der niederschwelligen Unterweisungskarte für das Sicherheitsgespräch in kleinen Teams, über Moderationstrainings für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bis hin zum branchenspezifischen Unterweisungshandbuch, das zum Beispiel in der See- und Binnenschifffahrt auch zweisprachig als App erhältlich ist.
Diese Gesichtspunkte zeigen beispielhaft Merkmale von mobiler Arbeit mit Fahrzeugen auf, die sich auf den Schutz von Sicherheit und Gesundheit in der Verkehrs- und Transportwirtschaft auswirken. Der Flexibilisierung und Globalisierung unserer Wirtschaft folgend, müssen wirksame Schutzmaßnahmen und -konzepte kontinuierlich fortentwickelt werden. Sicherheit im Straßenverkehr ist ein Handlungsfeld, das zunehmend eine berechtigte Aufmerksamkeit erfährt. Es bleibt zu bedenken, dass Verkehrssicherheit nur ein Teil des Arbeitsschutzes für mobile Arbeit mit Fahrzeugen ist. Die sichere Gestaltung von Transportabläufen kann nur gelingen, wenn Auftraggebende, Transportunternehmen, Fahrzeughersteller und Ladestellen gemeinsam betriebsübergreifende Standards vorantreiben.