„Der pandemiebedingte Arbeitsschutz hat sich gut eingespielt“
Die einzelnen Gewerke des Handwerks waren unterschiedlich von der Pandemie betroffen. Was hat den Betrieben geholfen? Wo gab es Probleme? Wie geht es weiter? Ein Gespräch mit Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).
Herr Schulte, der Zentralverband des Deutschen Handwerks vertritt rund eine Million Handwerksbetriebe mit mehr als 130 Berufen. Wie steht es um das Handwerk nach über einem Jahr Pandemie? Welche Branchen sind besonders stark betroffen?
Die wirtschaftliche Lage im Handwerk insgesamt stellt sich trotz der anhaltenden Pandemie weitgehend stabil dar. Es gibt aber sehr deutliche Unterschiede in den verschiedenen Handwerksbereichen, die zeigen, wie heterogen und vielfältig das Handwerk als Wirtschaftsgruppe ist. In den Bau- und Ausbauhandwerken laufen die Geschäfte weiter gut, wobei aktuell Rohstoffknappheit und eine Materialpreisexplosion das Bild trüben. Diese Betriebe haben die Corona-Pandemie bislang mit Abstand am besten verkraftet. Deutlich verbessert hat sich die Situation für die industrienahen Handwerke, die als Zulieferer allmählich von der Erholung der Produktions- und Exportzahlen profitieren. Die Kfz-Gewerke leiden unter der Schließung der Verkaufsräume. Vor allem die persönlichen Dienstleistungs- und Lebensmittelgewerke arbeiten wegen Kontaktbeschränkungen und teils Schließungen seit Monaten unter erheblich erschwerten Bedingungen. In einigen Gewerken wie etwa dem Messebau oder der Textilreinigung kämpfen etliche Betriebe um ihre Existenz. Viele Betriebsinhaberinnen und Betriebsinhaber sind sogar an ihre privaten finanziellen Rücklagen gegangen, um ihren Betrieb durch diese schwierige Zeit zu bringen und damit Arbeits- und Ausbildungsplätze zu erhalten. Bei einigen Betrieben dürften die letzten Reserven demnächst aufgebraucht sein – und ich spreche hier ausdrücklich auch vom Privatvermögen vieler Inhaberinnen und Inhaber, das oft genutzt wird, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten.
Für den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz wurde im April 2020 ein Arbeitsschutzstandard verabschiedet. Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen haben den Standard mit branchen- und zielgruppenspezifischen Handlungshilfen für die Betriebe konkretisiert. Konnten Ihre Betriebe diese nutzen und waren sie hilfreich?
Ja, die branchen- und zielgruppenspezifischen Handlungshilfen sind für unsere Betriebe in der Regel sehr hilfreich. Das ist sicherlich auch deshalb so, weil sich die jeweiligen Berufsgenossenschaften mit unseren Fachverbänden eng abgestimmt haben und so die spezifischen Praxiserfordernisse berücksichtigt werden konnten. Der pandemiebedingte Arbeitsschutz in den Betrieben hat sich zwischenzeitlich gut eingespielt.
Für Rechtsunsicherheit bei den Betrieben haben insbesondere die vielen und unterschiedlichen Vorgaben in den jeweiligen Corona-Regelungen der Länder und des Bundes gesorgt.
Was war schwierig?
Für Rechtsunsicherheit bei den Betrieben haben insbesondere die vielen und unterschiedlichen Vorgaben in den jeweiligen Corona-Regelungen der Länder und des Bundes gesorgt. Dieser Flickenteppich begleitet uns leider auf vielen Feldern seit Beginn der Pandemie. Darüber hinaus ist Ende Januar 2021 die neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung in Kraft getreten. Diese enthält ergänzende und rechtlich verbindlich verschärfte Arbeitsschutzmaßnahmen. Auch wenn diese grundsätzlich zwar nachzuvollziehen sind, halten wir sie dennoch für überflüssig, weil die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregelungen vom August 2020 in Verbindung mit den Handlungshilfen der Berufsgenossenschaften bereits ein effektives und hinreichend hohes Schutzniveau für die Beschäftigten gewährleisten.
Die Pandemie hat es deutlich gezeigt: Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz. Wie schätzen Sie insgesamt die Rolle der gesetzlichen Unfallversicherung während der Pandemie ein?
Die in der Regel gute und praxisorientierte Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaften mit unseren Fachverbänden – gerade zu Beginn der Pandemie – hat es vielen Betrieben erleichtert, die Arbeitsschutzvorgaben umzusetzen. Es war zudem sehr hilfreich und hat vielen Betrieben eine spürbare Erleichterung gebracht, dass die meisten Berufsgenossenschaften bei der Beitragszahlung den Betrieben, die sich wegen der Corona-Pandemie in einer wirtschaftlichen Notlage befanden, Stundungen und Ratentilgungen ermöglicht haben.
Die in der Regel gute und praxisorientierte Zusammenarbeit der Berufsgenossenschaften mit unseren Fachverbänden – gerade zu Beginn der Pandemie – hat es vielen Betrieben erleichtert, die Arbeitsschutzvorgaben umzusetzen.
Wie schauen Sie auf die nächsten Monate?
Der Optimismus im Handwerk im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung hat zuletzt wieder zugenommen – die meisten Handwerkerinnen und Handwerker rechnen spätestens ab den Sommermonaten mit schrittweisen Öffnungen und einer Verbesserung der eigenen Geschäftslage. Wir gehen derzeit davon aus, dass insbesondere die Binnenkonjunktur im zweiten Halbjahr 2021 einen kräftigen Schub erhält, wenn mit den Öffnungen der private Konsum wieder anspringt. Klar ist aber auch, dass die von den wirtschaftlichen Beschränkungen besonders hart betroffenen Gewerke ihre Verluste aus dem laufenden Jahr wohl nicht mehr aufholen können. Vor allem die privaten Dienstleister des Handwerks wie Friseure und Kosmetiker, aber auch Fotografen, Maßschneider oder Goldschmiede, kämpfen vielfach um die Existenz: Diese Gewerke dürfen derzeit bestenfalls mit Einschränkungen und limitierenden Hygienevorgaben öffnen. Für das Gesamthandwerk gehen wir für 2021 von einem leichten Umsatzplus von etwa ein Prozent aus. Das setzt allerdings eine konkrete Öffnungsperspektive voraus, die durch ein noch schnelleres Voranschreiten der Impfungen abgesichert werden muss.
Welche Rolle spielen Impfen und Testen bei den Öffnungsstrategien?
Die möglichst rasche Impfung möglichst vieler Menschen ist und bleibt das alles entscheidende Instrument, um aus dieser Pandemie herauszukommen. Testungen sind hier sicherlich ein wichtiges, aber allenfalls flankierendes und überbrückendes Instrument. Die mittelständisch geprägten Betriebe des Handwerks haben in den vergangenen Wochen und auch schon vor der Einführung der Testangebotspflicht viel gesellschaftspolitisches Engagement und großen Einsatz bei der Pandemiebekämpfung gezeigt, indem sie ausgeklügelte Hygienekonzepte entwickelt und ihren Beschäftigten, soweit das möglich war, Tests zur Verfügung gestellt haben. Die Politik steht jetzt in der Pflicht, mit einem flächendeckenden Impfangebot für alle so schnell wie irgend möglich nachzuziehen. Wichtig ist die zügige Beteiligung auch der Betriebsärztinnen und Betriebsärzte. Die Berufsgenossenschaften sollten dies mit ihren arbeitsmedizinischen Diensten tatkräftig unterstützen.
Für gesundes und sicheres Arbeiten sind Führung, Kommunikation und Beteiligung wichtig – besonders in Krisenzeiten. Dies sind zentrale Handlungsfelder der aktuellen Präventionskampagne kommmitmensch der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Der ZDH ist Partner der Kampagne – mit welchen Schwerpunkten?
Der ZDH unterstützt den ganzheitlichen Ansatz der kommmitmensch-Kampagne. Danach soll Betrieben und Bildungseinrichtungen geholfen werden, eine Präventionskultur zu entwickeln, in der Sicherheit und Gesundheit wichtige Grundlagen des Handelns sind. Dieser Ansatz hat vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen. Aktuell liegen die Schwerpunkte unserer Zusammenarbeit darin, den Deutschen Arbeitsschutzpreis zu unterstützen, beim Film & Media Festival der DGUV eingebunden zu sein – hier stiftet der ZDH einen Sonderpreis „Handwerk und Mittelstand“ – sowie die kommunikativen Maßnahmen zu verzahnen.
Die Anforderungen im Arbeitsschutz und die Detailtiefe der Regelungen nehmen seit vielen Jahren immer stärker zu. Diese Entwicklung müssen wir umkehren.
Der ZDH vertritt auch die Interessen von mehr als 360.000 Auszubildenden. Welche Perspektiven hat das Handwerk für Jugendliche?
Eine Ausbildung im Handwerk ist eine sichere Basis für Berufskarrieren – gerade auch in Zeiten von Corona. Jugendliche sollten sich durch Meldungen über wirtschaftliche Schwierigkeiten von Betrieben wegen der Pandemie nicht verunsichern lassen: Die Ausbildungsbereitschaft unserer Betriebe ist ungebrochen weiter hoch. Derzeit bieten sie Jugendlichen in allen Regionen und Gewerken noch offene Ausbildungsplätze an und ich kann nur ermutigen, diese Chancen auch zu ergreifen. Denn im Handwerk gibt es verlässliche und sichere berufliche Zukunftsperspektiven: Der Fachkräftebedarf ist enorm. Handwerkerinnen und Handwerker werden auf allen wichtigen Zukunftsfeldern dringend gebraucht, sei es bei der Energie- und Mobilitätswende, beim Klimaschutz oder Infrastrukturausbau, bei Smarthome oder E-Health. Und die Fortbildungs- und Karriereoptionen im Handwerk sind vielfältig und stehen denen eines Studiums nicht nach. Diese Gleichwertigkeit dokumentieren auch die neuen Abschlussbezeichnungen in der höheren Berufsbildung – wie der Bachelor Professional oder der Master Professional. Im Bereich der höheren Berufsbildung ist vor allem der Meisterbrief zu nennen, der die händeringend gesuchten Unternehmensnachfolger qualifiziert und zugleich die beste Absicherung gegen Arbeitslosigkeit ist. Weitere Möglichkeiten, um sich im Rahmen der höheren Berufsbildung auf eine Spezialisten- oder Führungskarriere im Handwerk vorzubereiten, bieten beispielsweise der Servicetechniker oder der Betriebswirt nach der Handwerksordnung.
Welche Aufgaben und Themen sehen Sie langfristig für die gesetzliche Unfallversicherung in Bezug auf das Handwerk?
Die Anforderungen im Arbeitsschutz und die Detailtiefe der Regelungen nehmen seit vielen Jahren immer stärker zu. Diese Entwicklung müssen wir umkehren – auch um die Akzeptanz des Arbeitsschutzes und damit der gesetzlichen Unfallversicherung bei den Handwerksbetrieben zu stärken. Die Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein weiteres wichtiges Thema. Angesichts der seit Langem sinkenden Zahl der Arbeitsunfälle erwarten unsere Betriebe nicht nur Beitragsstabilität, sondern Entlastungen. Im Leistungsrecht sollte man sich daher wieder stärker auf den ursprünglichen Sinn und Zweck konzentrieren, nämlich die Haftungsablösung von Arbeitgebern gegenüber ihren Beschäftigten. Beim Berufskrankheitenrecht sind Evidenz und Augenmaß gefordert statt politischer Verschiebebahnhöfe zugunsten der Krankenversicherung. Weitere Themen sehe ich beim Umgang mit Soloselbstständigen und neuen Erwerbsformen sowie bei der Transformationsbegleitung hin zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft.
Das Interview führte Kathrin Baltscheit, DGUV