Arbeitsbedingungen und Arbeitszeit von Soloselbstständigen – Schlussfolgerungen für ein zielgerichtetes Präventionsangebot
Soloselbstständige stehen bei ihrer Tätigkeit aufgrund besonders flexibler Arbeitsbedingungen vor spezifischen Herausforderungen und haben gleichzeitig einen schlechteren Zugang zu Präventionsangeboten. Neue Befragungsergebnisse liefern einige Ansatzpunkte für ein verbessertes Angebot.
Technische Entwicklungen und gesellschaftliche Trends haben die Arbeitswelt in den vergangenen Jahren massiv verändert. Durch die Digitalisierung ist Arbeit heute überall und jederzeit möglich. Aufgrund globaler Vernetzung und internationaler Zusammenarbeit über die Zeitzonen hinweg werden klassische Arbeitszeiten vermehrt aufgeweicht. Aufträge und Anfragen können rund um die Uhr eingehen, Absprachen ständig und nicht nur vom eigenen Schreibtisch aus getroffen werden. Diese örtliche und zeitliche Flexibilität bringt eine Reihe von Vorteilen und Chancen mit sich – geht allerdings auch mit möglichen Risiken für Gesundheit und Wohlbefinden angesichts erhöhter Anforderungen an die Selbstorganisation einher. Eine Gruppe, die in besonderem Maße mit solchen Herausforderungen konfrontiert ist, sind Soloselbstständige. Der Begriff bezeichnet Selbstständige, also weisungsungebunden tätige Personen, die keine Angestellten beschäftigen und die ihre Dienstleistungen für Unternehmen in Projekten von unterschiedlicher Dauer erbringen (Kunz, o. J.; DGUV, 2016). Die Zahl der Soloselbstständigen ist in Deutschland über lange Zeit kontinuierlich angestiegen, seit 2012 jedoch leicht rückläufig (Abbildung 1). Dennoch waren auch 2018 weit mehr als zwei Millionen Menschen soloselbstständig tätig.
Die besondere Arbeitssituation von Soloselbstständigen
Die Arbeitssituation von Soloselbstständigen zeichnet sich einerseits durch Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit aus. Andererseits ist sie aber auch geprägt durch eine schwankende Auftragslage, die besondere Anforderungen an die Arbeitszeitgestaltung stellt und oft finanzielle Unsicherheiten einschließt. Dies erschwert die grundsätzliche Planbarkeit der eigenen Beschäftigung. Unternehmerisches Risiko und mangelnde Kontrolle können eine große Belastung für Soloselbstständige darstellen.
Bezüglich der gesundheitlichen Absicherung zeigt sich ein weiterer Unterschied zu einem Angestelltenverhältnis. Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung müssen von Soloselbstständigen selbst finanziert werden (Statistisches Bundesamt, 2020b) und es besteht – bis auf einige Ausnahmen – keine Pflicht zu einer gesetzlichen Unfallversicherung (siehe www.dguv.de/webcode.jsp?query=d1660). Dadurch fehlt meist der Kontakt zu Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen, weshalb der Zugang zu entsprechenden Präventionsangeboten und Informationen eingeschränkt ist. Gleichzeitig kann diese Gruppe aufgrund der fehlenden Einbindung in Unternehmensstrukturen nicht von betrieblichen Angeboten zur Gesundheitsförderung profitieren. Sämtliche Präventionsleistungen zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit müssen dann selbst organisiert und finanziert werden.
Es zeigt sich eine Situation, in der Soloselbstständigkeit einerseits geprägt ist von hohen Anforderungen und möglichen Stressoren, andererseits besteht gleichzeitig ein schlechterer Zugang zu Ressourcen der Gesundheitsförderung und Arbeitssicherheit. Es stellt sich daher die Frage, ob Soloselbstständige die nötige Sicherheits- und Gesundheitskompetenz besitzen, um die gesunde Gestaltung ihrer Arbeit vorzunehmen, und wie ihnen Präventionsangebote und entsprechende Maßnahmen nahegebracht werden können.
Befragungsprojekt „Selbst und ständig“
Zu diesem Zweck hat das Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) im Rahmen eines Projekts der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) eine Befragung unter Soloselbstständigen durchgeführt (Fietz et al., im Druck). In einer Online-Panelumfrage mit 802 Soloselbstständigen zwischen 19 und 76 Jahren wurden Fragen zur Arbeits- und insbesondere Arbeitszeitgestaltung sowie zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitsverhalten gestellt. Zentrales Ergebnis des Projekts ist die allgemein hohe Arbeitsbelastung der Soloselbstständigen. Die Gestaltung der Arbeitszeit ist insgesamt unregelmäßiger und flexibler als bei angestellt Beschäftigten und richtet sich stark an der Auftragslage und den Bedürfnissen der Auftraggebenden, aber auch an eigenen Flexibilitätsbedürfnissen aus.
Bezüglich der Arbeitsfähigkeit zeigt sich, dass die große Mehrheit (84 Prozent) der Befragten laut eigener Auskunft über Wissen zur Vermeidung von branchentypischen Unfällen verfügt. Ebenfalls die deutliche Mehrheit (83 Prozent) kennt Maßnahmen zur Stärkung und zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit, jedoch hat nur ein kleiner Teil (16 Prozent) bisher an Präventionsangeboten teilgenommen. Werden solche Angebote wahrgenommen, so wird die Teilnahme mehrheitlich als hilfreich und zufriedenstellend bewertet. Allerdings wünscht sich ein großer Anteil (42 Prozent) weniger allgemeine als auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Maßnahmen (29 Prozent wünschen sich dies [eher] nicht, 30 Prozent antworten mit „teils/teils“).
Ferner zeigen die Daten, dass eine Mehrheit auf Gesundheit sowohl bei der Arbeit als auch im Alltag achtet. Jedoch wird häufig Präsentismus berichtet und primär begründet mit der Einhaltung gesetzter Fristen sowie der Vermeidung finanzieller Engpässe. Trotz der vergleichsweise hohen Arbeitsbelastung sehen die Soloselbstständigen größtenteils einen positiven oder keinen Einfluss der Tätigkeit auf ihre Gesundheit. Hier zeigen sich jedoch branchenspezifische Unterschiede. So wird in der Kommunikations- und Informationsbranche die Tätigkeit häufiger als in den anderen Branchen als negativer Einflussfaktor gesehen.
Es stellt sich die Frage, wie Soloselbstständigen Präventionsangebote und entsprechende Maßnahmen zur gesunden Gestaltung ihrer Arbeit nahegebracht werden können.
Die besondere Gruppe der jungen Soloselbstständigen
Eine besondere Stellung nehmen die jungen Soloselbstständigen im Alter von 19 bis 24 Jahren ein, die sich durch besonders flexibel gestaltete Arbeitszeiten auszeichnen und häufiger zu extremen Arbeitsmengen neigen. Es zeichnet sich überdies eine größere Beanspruchung ab: Der Einfluss der Arbeit auf die Gesundheit wird seltener positiv gesehen und die jungen Soloselbstständigen berichten häufiger von fehlender Energie nach der Arbeit. Dies alles deutet darauf hin, dass jüngere Personen in den Anfängen ihrer Soloselbstständigkeit zu gesundheitlicher Selbstausbeutung tendieren. Gleichzeitig zeigt die Befragung, dass das Thema Gesundheit unter den Jüngeren besonders präsent ist: In dieser Altersgruppe ist ein Gesundheitsbewusstsein am häufigsten vorhanden und der Anteil von Personen, die bereits an Maßnahmen teilgenommen haben, ist am größten. Das lässt auf eine größere Offenheit für Präventionsangebote und entsprechende Maßnahmen schließen. Eine weitere Besonderheit ist der stärker ausgeprägte Austausch mit anderen Soloselbstständigen, der für eine größere Vernetzung untereinander spricht.
Mehrheit berichtet von Herausforderungen, die zu Stresserleben führen
Zufriedenstellende Aspekte ihrer Arbeit sind für die Soloselbstständigen an erster Stelle die Zeitautonomie sowie das eigenverantwortliche und selbstbestimmte Arbeiten ohne Vorgesetzte. Eine große Mehrheit der Befragten identifiziert aber auch spezifische Herausforderungen ihrer Tätigkeit, die zu Stresserleben führen. Am häufigsten genannt werden die generelle finanzielle Unsicherheit und schlechte Bezahlung sowie als zweites Kernthema das Zeitmanagement bedingt durch die schwankende Auftragslage und damit einhergehenden Phasen hoher Belastung. Auch bestätigt sich die Annahme über fehlenden Kontakt zur Unfallversicherung: Primär angefragt wird im Falle von Krankheit und auch Unfällen die gesetzliche Krankenkasse; lediglich ein kleiner Anteil der Soloselbstständigen wendet sich an die Unfallversicherung.
Die nähere Betrachtung der Personen, die einen negativen Einfluss ihrer Arbeit auf ihre Gesundheit berichten, lässt neben den jungen Soloselbstständigen eine weitere Zielgruppe mit besonders ausgeprägtem Bedarf an Maßnahmen erkennen. Diese Gruppe empfindet ihre Arbeit als größere Belastung, was sich in verschiedenen Befunden widerspiegelt. So berichten Befragte aus dieser Gruppe häufiger von einer Belastung durch Gedanken an die Arbeit, seltener von ausreichend Schlaf, häufiger von fehlender Energie nach der Arbeit und weisen insgesamt ein höheres Arbeitspensum auf. Auch sprechen die Daten dafür, dass Personen aus dieser Gruppe der stärker Belasteten über weniger Gesundheitswissen verfügen und sich auch weniger gesund verhalten, beispielsweise weniger auf gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung achten. Darüber hinaus berichten sie häufiger von Präsentismus.
Bedarf nach zugeschnittenen Maßnahmen vorhanden
Die Ergebnisse sprechen zwar insgesamt eher gegen durch die Arbeit hervorgerufene gesundheitliche Probleme. Auch bezüglich des eigenen Gesundheitswissens besteht mehrheitlich Selbstsicherheit. Dennoch lässt sich ein Bedarf an spezifischen Maßnahmen und Angeboten ableiten. Zum einen hat sich gezeigt, dass unter Soloselbstständigen die Arbeitsbelastung verhältnismäßig hoch ist und ein hohes Maß an Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit vorliegt. Die überwiegende Mehrheit sieht sich zudem mit Herausforderungen konfrontiert, die zum Erleben von Stress führen. Zum anderen äußert immerhin knapp die Hälfte der Befragten den konkreten Wunsch nach zugeschnittenen Maßnahmen zum Erhalt und zur Stärkung der Arbeitsfähigkeit. Auch ist zumindest bei der Hälfte der Soloselbstständigen ein Gesundheitsbewusstsein vorhanden, was darauf schließen lässt, dass allgemein eine Bereitschaft zur Nutzung entsprechender Angebote zur Förderung der Sicherheits- und Gesundheitskompetenz vorliegt. Zuletzt muss auch unterschieden werden zwischen der Selbsteinschätzung, welche Auswirkungen die soloselbstständige Tätigkeit mit sich bringt, und den tatsächlichen, vielleicht auch erst später auftretenden Folgen für die Gesundheit.
Ansatzpunkte für ein angepasstes Präventionsangebot
Aus den Befragungsergebnissen lassen sich einige Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Präventionsangebots für Soloselbstständige und eine gezieltere Adressierung ziehen. Inhaltlich sollte der Fokus auf die Themen finanzielle Unsicherheit, Zeitmanagement und Work-Life-Balance gelegt werden. Finanzielle Aspekte sind nicht primär Thema der Unfallversicherung, könnten aber durch Kooperation mit entsprechend versierten Institutionen abgedeckt werden.
Da als Auswahlkriterien für Maßnahmen primär der Anbieter sowie Dauer und Kosten genannt wurden, sollte neben konkreten Inhalten auch mit diesen Rahmenbedingungen geworben werden. Mit Blick auf den besonders bei den Jüngeren bestehenden Austausch untereinander sind auch Marketingkonzepte denkbar, die Weiterempfehlungen und Anwerbung durch Teilnehmende für Präventionsmaßnahmen nutzen.
Eine besondere Zielgruppe stellen junge Soloselbstständige dar, bei denen ein höheres Risiko zur gesundheitlichen Selbstausbeutung zu bestehen scheint. Hier besteht angesichts des häufiger vorhandenen Austauschs mit anderen Soloselbstständigen zudem das Potenzial, sicherheits- und gesundheitsförderliches Wissen weiterzutragen. An dieser Stelle ist zu diskutieren, inwiefern Formate wie beispielsweise Social Media, die jenseits klassischer Angebote angesiedelt sind, zur Ansprache gerade der Jüngeren genutzt werden können. Auch zeigen die Befragungsdaten branchenspezifische Unterschiede hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeit auf die Gesundheit, weshalb eine genauere Betrachtung spezifischer Einflussfaktoren und die Entwicklung darauf abgestimmter Angebote zu empfehlen sind.
Bisher werden sowohl im Falle von Krankheit als auch Arbeitsunfällen vor allem die gesetzlichen Krankenkassen angesprochen. Insgesamt könnte eine verstärkte Zusammenarbeit der Kranken- und Unfallversicherung für eine bessere Erreichbarkeit der Soloselbstständigen in Sachen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zielführend sein. Überdies sollte im Marketing die Expertise der Unfallversicherung hinsichtlich Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten herausgestellt werden, um die Vorteile der Unfallversicherungsträger für die Soloselbstständigen klar sichtbar zu machen. Es stellt sich überdies die Frage, welche Bereitschaft hinsichtlich des Einsatzes finanzieller wie zeitlicher Ressourcen bei den Soloselbstständigen für ihre Absicherung besteht. Dies sollte in zukünftigen Befragungsprojekten mit erhoben werden.
Literatur
Bonin, H.; Krause-Pilatus, A.; Rinne, U.: Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland (Aktualisierung 2020). IZA Research Report No. 93, 2020; http://ftp.iza.org/report_pdfs/iza_report_93.pdf (abgerufen am 17.03.2021)
DGUV (Hrsg.): Neue Formen der Arbeit, neue Formen der Prävention – Arbeitswelt 4.0. Initiativpapier, Berlin 2016
Fietz, T.; Wilhelm, P.; Zieschang, H.; Becker, M.; Kuhlhoff, L; Schwartz, S.; von Mengden, I.: Selbst und ständig? Arbeitszeitgestaltung und Gesundheitsverhalten von Soloselbstständigen. iga.Report 46, im Druck
Kunz, J.: § 4 Solo-Selbstständige/A. Definition/Begriff des Solo-Selbstständigen im Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht; https://www.haufe.de/recht/deutsches-anwalt-office-premium/4-solo-selbststaendige-a-definitionbegriff-des-solo-selbststaendigen-im-arbeits-steuer-und-sozialversicherungsrecht_idesk_PI17574_HI13598661.html (abgerufen am 17.03.2021)
Statistisches Bundesamt (2020a): Tabelle 12211-0012: Selbständige: Deutschland, Jahre, Beschäftigtenzahl, Geschlecht; https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?language=de&sequenz=tabelleErgebnis&selectionname=12211-0012#abreadcrumb (abgerufen am 17.03.2021)
Statistisches Bundesamt (2020b): Solo-Selbstständige; https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-4/solo-selbstaendige.html (abgerufen am 17.03.2021)