Was Beschäftigungsfähigkeit bedeutet

Beschäftigungsfähigkeit hat heutzutage einen sehr hohen Stellenwert. Um die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, müssen verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen umgesetzt werden. Dabei sollten Arbeitgebende, Arbeitnehmende sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte zusammenarbeiten.

Herr Belz, können Sie in wenigen Worten beschreiben, was genau unter Beschäftigungsfähigkeit zu verstehen ist?

Belz: Die Beschäftigungsfähigkeit nimmt sowohl die beschäftigte Person in den Blick als auch Arbeitgebende. Für Arbeitgebende geht es darum, Personal zu gewinnen, zu binden sowie sichere und gesunde Rahmenbedingungen zu schaffen. Für Beschäftigte andererseits ist damit die Möglichkeit gemeint, Arbeit zu finden, ihr langfristig nachgehen zu können und sich dabei weiterzuentwickeln.

Was sind die Schwerpunktthemen, mit denen Sie sich befassen?

Belz: Man könnte dem Oberbegriff Beschäftigungsfähigkeit sämtliche Maßnahmen unterordnen, mit denen die Arbeit an Menschen angepasst werden kann, sowie all das, was der Mensch tut, um „fit“ für den Job zu sein. Der Ausschnitt, dem wir uns im Sachgebiet widmen, greift gesellschaftliche Entwicklungen wie den demografischen Wandel und die zunehmende „Vielfalt“ auf. Unsere Themen sind zum Beispiel altersgemischte Teams, Arbeitszeitgestaltung für Jung und Alt, Betriebliches Eingliederungsmanagement.

Das sind schon recht bekannte Schlagwörter. Können Sie ein Beispiel nennen, das veranschaulicht, welche Bedeutung Beschäftigungsfähigkeit in der Praxis hat?

Belz: Nehmen wir einmal eine Zeitmarke, die sicherlich allen Leserinnen und Lesern präsent ist: die Coronapandemie. Und nehmen wir andererseits eine in der Öffentlichkeit bekannte Branche, die von der Pandemie und daraus resultierenden Veränderungen stark betroffen war: Schulen beziehungsweise Bildungseinrichtungen. Die Gesundheit von Lehrkräften ist seit jeher eine wichtige Voraussetzung, damit ein Bildungsbetrieb erfolgreich vonstattengehen kann. Gesundheit reichte dafür aber noch nie aus. Richtet man den Blick auf die Arbeitsfähigkeit der als Beispiel dienenden Lehrkräfte, so sind neben deren Gesundheit Aspekte wie beispielsweise ihr Fachwissen, ihre didaktischen Fähigkeiten, aber auch ihre Einstellungen von Bedeutung.

Bei der Beschäftigungsfähigkeit kommen nun die zeitliche Dimension sowie eine gewisse „Anpassungsfähigkeit“ hinzu. Gehörte vor der Coronapandemie zur Arbeitsfähigkeit einer Lehrkraft, Wissen gut im Präsenzunterricht zu vermitteln, musste sie dies während der Pandemie auch erfolgreich im Fernunterricht weitergeben können. Nur wenn Arbeitgebende und Beschäftigte es verstehen, Arbeitsbedingungen langfristig sicher und gesund zu gestalten sowie Arbeitsfähigkeit sicherzustellen, folgt daraus Beschäftigungsfähigkeit.

Kommen wir zum Stichwort „Arbeitsfähigkeit sicherstellen“. Herr Dr. Neubauer, ist Beschäftigungsfähigkeit in der arbeitsmedizinischen Vorsorge ein Thema?

Dr. Neubauer: Die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, war und ist die Triebfeder des Arbeitsschutzes. In den Anfängen lag die Motivation wohl eher darin, Beschäftigte bis zum Ende ihres Erwerbslebens einsetzen zu können. Und natürlich darin, Kosten aufgrund von Unfällen gering zu halten. Das Menschenbild hat sich seit Bismarck sicherlich gewandelt, aber das „Nebenprodukt“ Beschäftigungsfähigkeit hat heutzutage einen hervorgehobenen Stellenwert.

Was heißt das konkret für die betriebsärztliche Tätigkeit?

Dr. Neubauer: Ärzte und Ärztinnen werden von Beginn des Studiums an darauf „trainiert“, die unterschiedlichen Facetten der an sie herangetragenen medizinischen Probleme zu betrachten. Das schließt neben dem aktuellen körperlichen und seelischen Zustand viele Aspekte mit ein, wie zum Beispiel die Vorgeschichte, das soziale Umfeld, die beruflichen Belastungen, den Bildungsstand, aber auch den zu erwartenden zukünftigen Verlauf. Für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte ist es daher gewohntes ärztliches Handeln, nach „rechts, links, vorn und hinten“ zu schauen. Bei der Betreuung eines Betriebs oder der Beratung Beschäftigter schauen sie sich alle Arbeitsaufgaben, die arbeitsbedingten Gefährdungen und betrieblichen sowie persönlichen Randbedingungen an, die in irgendeiner Form Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnten und damit eben auch auf den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit Einfluss nehmen.

Bei den persönlichen Randbedingungen, die sich auf die Gesundheit auswirken können, denke ich sowohl an Erkrankungen, die im direkten Zusammenhang mit der Arbeit stehen, als auch an solche, die unabhängig davon sind, wie zum Beispiel chronische Erkrankungen. Bezieht die arbeitsmedizinische Vorsorge beides ein?

Dr. Neubauer: Ja, sofern es eine Wechselwirkung zwischen der Erkrankung und der Arbeit gibt. Bezogen auf die Beratung einer beschäftigten Person bedeutet das, dass die Person sowie ihre Abhängigkeiten und Wechselwirkungen betrachtet und medizinisch bewertet werden. Die Beschäftigten lassen weder ihren „vererbten“ hohen Blutdruck im „Familienalbum zu Hause“ noch den Stress mit dem Vorgesetzten nach Feierabend am Arbeitsplatz liegen. Diese umfassende Betrachtung entspricht der Ausbildung und dem Selbstverständnis von Medizinerinnen und Medizinern: Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Arbeit, Privatleben, Befinden, Krankheit, Psyche et cetera einzuordnen und zu bewerten. Die betriebsärztliche Tätigkeit hinsichtlich einer bestimmten Vorsorge fokussiert zusätzlich die besondere Belastung in Bezug zur individuellen Tätigkeit am Arbeitsplatz. Nur diese umfassende Betrachtung öffnet der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt dann auch die Schnittstellen zu den anderen Expertinnen und Experten im Betrieb, wie zum Beispiel der Fachkraft für Arbeitssicherheit, um individuelle oder kollektive Prävention gemeinsam erfolgreich umsetzen zu können.

„Prävention gemeinsam erfolgreich umsetzen“ und damit die Beschäftigungsfähigkeit erhalten finde ich ein passendes Schlusswort. Herzlichen Dank, Herr Belz und Herr Dr. Neubauer. 

Das Interview führte Karina Weinert von der DGUV.

Weitere Informationen

Arbeitsmedizinische Regel: „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen“ (AMR 3.3)

Fachbereich AKTUELL: „Demografische Begriffe mit Bezug zur Arbeitswelt“ (FBGIB-003)

Gemeinsames Verständnis von Beschäftigungsfähigkeit als Arbeitsgrundlage im Sachgebiet Beschäftigungsfähigkeit

Sachgebiet Beschäftigungsfähigkeit des Fachbereichs Gesundheit im Betrieb