Möglichkeiten zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit bei Berufskrankheiten
Die Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit ist bei Berufskrankheiten eine besondere Herausforderung, da die zu einer Erkrankung führenden Einwirkungen am Arbeitsplatz oft weiterhin vorliegen. Um eine gefährdungsfreie Fortsetzung der Beschäftigung sicherzustellen, müssen sich die Leistungen am jeweiligen Einzelfall ausrichten.
Verschiedene gesetzliche Bestimmungen verdeutlichen die besondere Bedeutung der Beschäftigungsfähigkeit im Kontext drohender oder bereits bestehender Berufskrankheiten.
Nach § 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet, mit allen geeigneten Mitteln die Entstehung von Berufskrankheiten zu verhüten sowie bei bereits eingetretenen Berufskrankheiten die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Betroffenen wiederherzustellen. Speziell für Berufskrankheiten konkretisiert § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) den Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung und eröffnet damit die Möglichkeit, die Beschäftigungsfähigkeit Betroffener mit Maßnahmen der Individualprävention (IP) zu erhalten.[1][2] Durch die gesetzlichen Änderungen im Recht der Berufskrankheiten zum 1. Januar 2021 wird die IP weiter gestärkt und eine Ausdehnung entsprechender Aktivitäten forciert.[3][4] Dies drückt sich in erster Linie durch die Neufassung des § 9 Abs. 4 SGB VII aus. Nunmehr besteht für die Unfallversicherungsträger die Aufgabe, Versicherte mit einer anerkannten Berufskrankheit über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Es besteht das vorrangige Ziel, den bestehenden Arbeitsplatz zu erhalten. Sofern dies nicht möglich ist, wird die Umsetzung auf eine gefährdungsfreie Tätigkeit im selben Betrieb angestrebt. Wenn auch diese Option ausscheidet, soll die Beschäftigung durch die Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt gesichert werden.[5] Für Berufskrankheiten besteht hier die Besonderheit, dass bei notwendiger Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit aufgrund einer drohenden oder bestehenden Berufskrankheit ein möglicher Minderverdienst für einen Übergangszeitraum nach § 3 Abs. 2 BKV („Übergangsleistungen“) ausgeglichen wird.
Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit als Teamaufgabe
Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit zeichnen sich durch einen hohen Individualisierungsgrad aus. Sie sind auf die Gegebenheiten des Einzelfalls auszurichten. Zu berücksichtigen ist in erster Linie der konkrete Gesundheitszustand der versicherten Person. Bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen kann es einen erheblichen Unterschied bedeuten, ob die Betroffenen über erste berufsbedingte Einschränkungen klagen oder ob eine Erkrankung bereits voll ausgeprägt ist. Wesentlich ist zudem die Frage, um was für eine Art von Erkrankung es sich handelt. Strategien zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit können sich beispielsweise bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems von solchen für Haut- oder Atemwegserkrankungen unterscheiden.
Ein weiterer bestimmender Faktor ist das Gefährdungspotenzial am konkreten Arbeitsplatz. Hier geht es verstärkt um die Frage, ob der Arbeitsplatz so gestaltet werden kann, dass potenzielle Gesundheitsgefährdungen komplett substituiert oder zumindest wesentlich reduziert werden können, oder nicht. Dieser Komplexität ist dadurch zu begegnen, dass die einschlägigen Expertinnen und Experten gemeinschaftlich agieren. Für Fragestellungen rund um den Gesundheitszustand sind dies zunächst Fachärztinnen und Fachärzte. Aber auch verwandte Professionen wie die Gesundheitspädagogik oder Psychologie können wertvolle Beiträge zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit leisten.
Auf dem Gebiet arbeitsplatzbezogener Maßnahmen sind in erster Linie die Präventionsdienste der Unfallversicherungsträger und die Arbeitgebenden gefragt und einzubinden. Auch Betriebsärztinnen und -ärzte können aufgrund ihres Branchenwissens beteiligt werden. Der Fachbereich Rehabilitation/Leistungen beziehungsweise das Reha-Management ist zudem die koordinierende Instanz, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Insbesondere ist, sofern eine neue berufliche Tätigkeit vermittelt beziehungsweise entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich sind, das Reha-Management gefordert.[6]
Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit
Zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit bei drohenden und bestehenden Berufskrankheiten haben sich trägerspezifische sowie trägerübergreifende Maßnahmen für diverse Erkrankungen etabliert. Im Folgenden werden Beispiele hierfür dargestellt. Die Darstellung trägerspezifischer Angebote orientiert sich an den Leistungen der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU).
Das wohl bekannteste und verbreitetste Konzept ist dabei das „Verfahren Haut“ der DGUV zur IP von Hauterkrankungen.[7][8] Je nach Schwere der Erkrankung und Ausprägung der Problemlage können hier verschiedene Maßnahmen eingeleitet werden. Dazu zählen neben der medizinischen Versorgung in Form von ambulanter und stationärer Heilbehandlung auch gesundheitspädagogische Seminare, Beratungen am Arbeitsplatz und die Versorgung mit Hautmitteln und Schutzhandschuhen.
Auch auf dem Gebiet von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems liegen trägerübergreifende Empfehlungen vor.[9] Entsprechende Maßnahmen werden unter anderem durch die BG BAU in Form des Knie-, Rücken-, Hüft- und Schulterkollegs angeboten.[10] Berufsbedingte Beschwerden der genannten Lokalisationen werden im Rahmen eines multimodalen und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Therapiekonzepts, das unter anderem medizinische Trainingstherapie, Physiotherapie, psychologisches Gesundheitstraining, Ernährungsberatung sowie Patientenschulungen beinhaltet, kombiniert. Nach einer dreiwöchigen Aufbauphase schließt sich nach jeweils zwölf Monaten ein einwöchiger Auffrischungskurs an, um die gelernten Inhalte zu vertiefen. Ergänzt wird das Verfahren um motivierende Kontaktaufnahmen, die ein eigenständiges Kraft- und Ausdauertraining sicherstellen sollen, sowie auf den Erkenntnissen der Kollegs aufbauende Beratungs- und Unterstützungsleistungen am Arbeitsplatz. Die positiven Effekte des Kniekollegs auf die Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden konnte belegt werden.[11]
Für obstruktive Atemwegserkrankungen ist mit der Atemwegssprechstunde ein trägerübergreifendes Angebot geschaffen worden, um möglichst frühzeitig individualpräventive Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit identifizieren und einleiten zu können. Neben der Optimierung der medizinischen Behandlung steht dabei beispielsweise auch die Versorgung mit geeignetem Atemschutz im Fokus.
Zusammenarbeit von Prävention und Rehabilitation
Ein zentrales Element zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit Berufserkrankter ist die Reduktion der Gefährdungslage am Arbeitsplatz. Entscheidend ist hierbei die enge Verzahnung der Aktivitäten innerhalb der Unfallversicherungsträger, im Besonderen der Fachbereiche Rehabilitation/Leistungen und Prävention. Ein mögliches Vorgehensmodell wurde von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) beschrieben.[12] Auch die BG BAU hat hierfür Standards und Prozessbeschreibungen entwickelt. Vereinfacht gesprochen wird der Prozess durch den Fachbereich Reha/Leistung ausgelöst, sobald eine Problemlage am Arbeitsplatz identifiziert wird. So signalisiert beispielsweise jede Anerkennung einer Berufskrankheit bei fortgesetzter Tätigkeit im Baugewerbe grundsätzlich einen entsprechenden Handlungsbedarf.
Um der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufklärung und Beratung zu tätigkeitsbezogenen Gefahren und Schutzmaßnahmen (§ 9 Abs. 4 SGB VII) nachzukommen, wird ein Auftrag an die Fachabteilung Prävention erteilt. Speziell ausgebildete Präventionsberaterinnen und Präventionsberater nehmen daraufhin Kontakt zu den Erkrankten und ihren Arbeitgebenden auf, um diese individuell an ihrem Arbeitsplatz zu beraten. Dabei geht es sowohl darum, die Verhältnisse am Arbeitsplatz zu optimieren, als auch Verhaltensalternativen aufzuzeigen, die es den Betroffenen ermöglichen, ihren Beruf weiterhin auszuüben. Es werden Empfehlungen für geeignete technische, organisatorische oder persönliche Schutzmaßnahmen gegeben und deren Umsetzung eingeleitet. Aufgrund der branchenspezifischen besonderen Betroffenheit stehen bei der BG BAU entsprechende Beratungen zu Lärm, UV-Strahlung, Belastungen des Muskel-Skelett-Systems und Staub im Vordergrund. Die Bandbreite an Beratungsinhalten ist dabei vielfältig. So werden beispielsweise Hautkrebserkrankte, die weiterhin einer Beschäftigung im Freien nachgehen, zu UV-Schutzmaßnahmen beraten und mit Lichtschutz versorgt.[13] Bei einer Lärmschwerhörigkeit bilden die Auswahl und Versorgung mit geeignetem Lärmschutz den Beratungsschwerpunkt. Zudem wird bei vorliegender Hörgeräte-Indikation geprüft, ob ein spezielles Hörgerät für den Lärmbereich erforderlich ist. Die Versorgung wird im Anschluss durch den Fachbereich Rehabilitation/Leistungen umgesetzt. Bei Muskel-Skelett-Erkrankungen kann die Beratung zu geeigneten ergonomischen Hilfen oder die Teilnahme an Präventionsprogrammen wie einem Kolleg dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit zu stärken. Die konkrete Problemlage einer versicherten Person ist dabei jeweils der Auslöser für eine Beratung. Die Einbindung der Arbeitgebenden eröffnet dabei gleichzeitig die Möglichkeit, die Verhältnisse im Betrieb insgesamt näher in den Blick zu nehmen. So kann die Beratung die Beschäftigungsfähigkeit von Beschäftigten des Bau- und Reinigungsgewerbes auch generell fördern.