Unfallversicherung auf dem Weg zum Betriebsstättenverzeichnis
Ein Betriebsstättenverzeichnis ist ein wichtiger Baustein für die Digitalisierung im dualen Arbeitsschutz und trägt dazu bei, dass zielgerichtete und wirksame Leistungen für Versicherte und Unternehmen schnell und ohne bürokratische Hindernisse umgesetzt werden können.
Ein effektiver Arbeitsschutz ist Daseinsvorsorge und gewährleistet das Recht jeder und jedes Einzelnen auf eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung. Betriebsstätten sind die Orte, an denen Unternehmen[1] ihre betrieblichen Tätigkeiten ausüben. Diese können vielfältige Formen haben wie Büros, Fabriken, Werkstätten, Geschäfte, Lager oder auch Bergwerke und Baustellen. Die Arbeit der Präventions- und Aufsichtsdienste findet zu großen Teilen vor Ort statt. Präzise Informationen zu Betriebsstätten sind daher für diese von großer Bedeutung. Da in Deutschland ein übergreifendes Verzeichnis zur Erfassung von Betriebsstätten fehlt, ist die Datenlage bei Unfallversicherungsträgern und Arbeitsschutzverwaltungen der Länder (ASV) derzeit sehr heterogen und die Etablierung eines bundeseinheitlichen Betriebsstättenverzeichnisses (BSV) bietet erhebliches Potenzial, um insbesondere die Präventionsleistungen Beratung und Überwachung noch zielgerichteter und effizienter zu gestalten. Durch ein BSV kann zudem die Vernetzung der beiden Partner im dualen Arbeitsschutz verbessert werden, wodurch die vorhandenen Ressourcen für diese wichtige Aufgabe eine noch größere Wirkung entfalten können.
Bericht zum Betriebsstättenverzeichnis
Die Bedeutung eines BSV wurde von der Unfallversicherung frühzeitig erkannt und bereits im Jahr 2020 eine Machbarkeitsstudie dazu durchgeführt. Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wurde ein BSV als wichtiges Instrument zur Erreichung der Ziele der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) thematisiert und mit dem Achten Änderungsgesetz zum Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) vom 28. Dezember 2022 wurde die DGUV in § 135 SGB IV beauftragt, einen „Bericht zur möglichen Konzeption eines Verzeichnisses zur bundeseinheitlichen Erfassung von Betriebsstätten für Zwecke der Prävention und der Kontrolle durch den Arbeitsschutz“ zu erstellen.
Die Geschäftsführerkonferenz (GFK) der DGUV setzte für diese Aufgabe eine interdisziplinäre Projektgruppe ein, an der neben den Unfallversicherungsträgern und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) auch die ASV, die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. (BDA) beteiligt wurden (siehe Abbildung 1). Die 51-köpfige Projektgruppe nahm am 11. Mai 2023 ihre Arbeit auf. Es wurden zwei Untergruppen gebildet, die in wöchentlichen Sitzungen die Schwerpunkte „Prozesse und Funktionen“ sowie „Gesetzliche und untergesetzliche Regelungen“ bearbeiteten. In einem iterativen Prozess wurden insgesamt vier Entwürfe erstellt, wobei jeder Entwurf die Grundlage für den jeweils nächsten bildete. Am 16. November 2023 stellte die Projektgruppe allen Beteiligten die letzte Entwurfsfassung zur Beratung in den jeweiligen Gremien bereit. Am 11. Januar 2024 wurde der finalisierte Bericht in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags von der DGUV an das BMAS übermittelt.
Ziele des BSV
Mit der Schaffung des BSV werden drei Kernziele verfolgt:
- Schaffung eines bundeseinheitlichen Identifikators für Betriebsstätten
- Bereitstellung eines qualitativ hochwertigen Datenbestands zu Betriebsstätten
- Herstellung eines Bezugs zwischen Betriebsstätten und Unternehmen
Betriebsstätten im Sinne des BSV
Die Abgrenzung der Objekte, die im BSV gespeichert und verwaltet werden sollen, war eine große Herausforderung bei der Berichterstellung. Die gemeinsamen Bedarfe von Unfallversicherungsträgern und ASV konnten in einer harmonisierten Betriebsstättendefinition abgebildet werden (siehe Infokästchen).
Darüber hinausgehende Bedarfe, die Besonderheiten der Arbeit der Unfallversicherungsträger abbilden, sollen als Besichtigungsorte in das BSV aufgenommen werden. Im Gegensatz zu Betriebsstätten sollen diese nicht gesetzlich, sondern untergesetzlich, in sogenannten „Gemeinsamen Grundsätzen“ definiert werden. Diese Lösung bietet Raum für Feinabstimmungen und Anpassungen, die es im schnelllebigen digitalen Zeitalter erleichtern, auf technologische Neuerungen oder sich ändernde Anforderungen zeitnah zu reagieren.
Betriebsstätten sind Einrichtungen oder Anlagen eines Unternehmens, die
- der Tätigkeit oder dem Zweck eines Unternehmens dienen und örtlich oder wirtschaftlich abgegrenzte Einheiten darstellen, und
- Orte mit einer postalischen Anschrift und ständig beschäftigten oder versicherten Personen vor Ort sind und
- für mindestens 6 Monate Bestandsdauer konzipiert sind.
Betriebsstätten sind eindeutig einem Unternehmen zugeordnet.
Darunter zu verstehen sind insbesondere Stätten der Geschäftsleitung, Geschäftsstellen, Zweigniederlassungen, Fabrikations- und Werkstätten, Warenlager, Verkaufsstellen, öffentlich-rechtliche Einrichtungen, Fakultäten, Agrarbetriebe, Stätten zur Gewinnung von Bodenschätzen.
Außerdem sind alle Beschäftigungsbetriebe nach § 18i SGB IV, unabhängig davon, ob sie die oben genannten Kriterien erfüllen, Betriebsstätten.“
Daten im BSV
Das BSV ist ein zentrales Verzeichnis, in dem Stammdaten zu Betriebsstätten und Besichtigungsorten bereitgestellt werden (siehe Abbildung 2). Beispiele für Stammdaten sind:
- Name oder Bezeichnung
- Anschrift und/oder Geodaten
- Wirtschaftszweig
- Zahl der Beschäftigten
Darüber hinausgehende Fach- oder Nutzdaten werden nicht im BSV geführt, könnten aber später in separaten Produkten abgebildet werden. Das BSV dient als Bindeglied für die Informationen in den zentralen Produkten und den institutionsspezifischen Fachsystemen, wodurch automatisierte Zuordnungsprozesse und eine Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Geschäftsprozessen ermöglicht werden.
Der Datenbestand des BSV setzt sich zusammen aus Datenlieferungen der BA zu Beschäftigungsbetrieben und dem Datenbestand der Unfallversicherungsträger zu dort geführten Betriebsstätten. Die BA liefert der DGUV ab dem 1. Juni 2024 in regelmäßigen Abständen Daten zu Beschäftigungsbetrieben inklusive der Zuordnung zur Unternehmensnummer. Dieser Datenbestand wird für den initialen Aufbau des BSV verwendet und mit den vorhandenen Beständen der Unfallversicherungsträger ergänzt. Im Regelbetrieb wird der Umfang des BSV inkrementell erweitert. Angestrebt wird eine arbeitsteilige Verwaltung des Datenbestands, bei der alle beteiligten Institutionen im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Expertise an der Aktualisierung des BSV mitwirken.
Funktion des BSV
Jeder Eintrag im BSV erhält einen eindeutigen Identifikator, der durch das BSV vergeben wird. Dieser Identifikator wird durch eine Erweiterung der Unternehmensnummer des Zentralen Unternehmerverzeichnisses (ZUV) gebildet. Für den Betriebsstätten-Identifikator ergibt sich damit folgende Kaskade:
Unternehmer (UNR) – Unternehmen (UNR.S) – Betriebsstätte (UNR.S.BS)
Hierdurch wird sichergestellt, dass Einträge im BSV immer einem Unternehmen zugeordnet sind. Diese Beziehung ist notwendig, um einerseits die zuständigen Unfallversicherungsträger abzuleiten und andererseits eine effektive Dublettenprüfung zu realisieren, was zur Sicherung der Datenqualität unabdingbar ist.
Das BSV stellt Funktionen bereit, über die die Fachsysteme von Unfallversicherungsträgern und ASV auf Einträge im BSV zugreifen können. Die Zuständigkeiten zu Einträgen werden dabei über ein Berechtigungssystem abgebildet. Die BA liefert ihre Daten über einen separaten Prozess, ein direkter Zugriff auf das BSV ist hier nicht vorgesehen. Ausschließlich über diese Schnittstellen können Daten aus dem BSV gelesen und in das BSV geschrieben werden, wodurch sichere und datenschutzkonforme Zugriffe gewährleistet werden.
Nutzen des BSV
Das BSV schafft erstmals einen bundesweiten Datenbestand zu Betriebsstätten, der einen direkten Mehrwert für die Arbeit von Unfallversicherungsträgern und ASV darstellt. Weiterhin wird ein eindeutiger Identifikator für Betriebsstätten bereitgestellt, wodurch die Vernetzung von Informationen zu Betriebsstätten in den Fachsystemen von Unfallversicherungsträgern und ASV und in weiteren zentralen Produkten ermöglicht wird. Hiervon können viele Prozesse im Arbeitsschutz profitieren, Beispiele dafür sind:
- Später auf dem BSV aufbauende zentrale Produkte zur Dokumentation von Besichtigungen und weiteren präventionsrelevanten Informationen können die Verfügbarkeit relevanter Daten maximieren, wodurch beispielsweise die risikobasierte Planung von Betriebsbesichtigungen der Unfallversicherungsträger optimiert werden kann.
- Eine umfassende und verlässliche Datengrundlage ermöglicht die Ableitung von aussagekräftigen Kennzahlen, wodurch strategische Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und die zielgerichtete Gestaltung von Präventions- und Arbeitsschutzmaßnahmen unterstützt werden können.
- Eine verlässliche Zuordnung von Daten zu Betriebsstätten ist Voraussetzung für einen effizienten Datenaustausch zu Betriebsbesichtigungen zwischen Unfallversicherungsträgern und ASV.
Aufbau des BSV
Das BSV soll bei der DGUV aufgebaut werden. Als Grundlage für die Entwicklung dient das dort bestehende ZUV. Die Arbeiten sollen in methodisch geplanten Stufen erfolgen und – eine positive Entscheidung des BMAS vorausgesetzt – bereits im Jahr 2024 beginnen. Die Aufnahme des Regelbetriebs ist für das Jahr 2030 geplant.
Ausblick
Das BSV ermöglicht es, Informationen zu Betriebsstätten miteinander zu verknüpfen. Dadurch können Risiken am Arbeitsplatz effektiver identifiziert und so die Sicherheit und Gesundheit der Versicherten besser geschützt werden.
Der Identifikator des BSV kann zukünftig als Referenz für die Vernetzung von digitalen Produkten mit Bezug zu Betriebsstätten dienen. Dadurch wird das Zusammenwirken von Verwaltungsverfahren verbessert und der Abbau von Bürokratie vorangetrieben. Dies ermöglicht schnelle und schlanke Prozesse, wovon die Unternehmen in der Unfallversicherung direkt profitieren.
Mit dem BSV wird nicht nur eine wichtige Grundlage für die Digitalisierung im dualen Arbeitsschutz geschaffen, sondern auch ein Beitrag zur Registermodernisierung in Deutschland geleistet. Der Aufbau des BSV ist somit nicht nur eine Antwort auf gegenwärtige Herausforderungen im dualen Arbeitsschutz, sondern auch eine nachhaltige Investition in die Zukunft.