Effektive Prävention gegen eine tödliche Gefahr

Ein Blick in die Arbeitsunfallstatistiken zeigt: Absturz ist außerhalb des Straßenverkehrs die mit Abstand größte Gefahr, einen tödlichen Unfall in der gewerblichen Wirtschaft zu erleiden. Die Unfallversicherungsträger und Fachbereiche der DGUV engagieren sich daher seit jeher mit klassischen und innovativen Präventionslösungen für die Reduzierung von tödlichen und schweren Absturzunfällen.

Besonders schwere Unfälle ziehen häufig die Zahlung einer Unfallrente an die Betroffenen nach sich. Im Jahr 2020 wurden 2.602 neue Unfallrenten durch Absturzunfälle verzeichnet. Verglichen mit dem Jahreswert von 2010 bedeutet dies zwar eine Abnahme um gut 16 Prozent, gegenüber den drei Vorjahren ist jedoch keine relevante Veränderung festzustellen. Von 2010 bis 2020 wurden pro Jahr über 2.835 neue Unfallrenten durch Absturzunfälle registriert. Fast 40 Prozent der Absturzunfälle, die eine Rente nach sich zogen, standen 2020 in Verbindung mit der Nutzung von Leitern. Mit großem Abstand und einem Anteil von 14 Prozent folgen Absturzunfälle, die sich bei Aktivitäten rund um Lkw ereigneten.

 

Die Relevanz von Absturzunfällen lässt sich an den DGUV-Statistiken zum Arbeitsunfallgeschehen ablesen: Im Jahr 2020 wurden 60 von 316 tödlichen Arbeitsunfällen von abhängig Beschäftigten sowie von Unternehmerinnen und Unternehmern durch Absturz verursacht. Dies entspricht einem Anteil von 19 Prozent. Absturz war damit im Jahr 2020 nach Unfällen im Straßenverkehr die mit Abstand größte Unfallgefahr mit Todesfolge in den Betrieben.

Im Zeitraum von 2010 bis 2020 ereigneten sich durchschnittlich gut 65 tödliche Absturzunfälle pro Jahr, für die Jahre von 2015 bis 2020 liegt dieser Durchschnittswert immer noch bei fast 57. Wenn man von dem Höchstwert im Betrachtungszeitraum im Jahr 2011 (91) und dem Tiefstwert in 2015 (47) absieht, bewegte sich die Zahl der tödlichen Absturzunfälle jährlich in einem Bereich zwischen 50 und 80.

2020 ereigneten sich 14 der 60 tödlichen Absturzunfälle –  also fast ein Viertel –  bei Arbeiten auf Dächern, Terrassen, Glasdächern, Dachstühlen und Dachläufen. Zwölf tödliche Abstürze wurden in Zusammenhang mit anderen baulichen Einrichtungen in der Höhe registriert (20 Prozent), zehn Unfälle mit tödlichem Ausgang beziehungsweise knapp 17 Prozent der Gesamtmenge wurden durch Abstürze von Gerüsten verursacht.

Über alle Branchen hinweg wurden zwischen 2010 und 2020 pro Jahr 41.216 meldepflichtige Absturzunfälle verzeichnet.

Besonders viele Absturzunfälle ereigneten sich 2020 wie im Vorjahr bei der Verwendung von Leitern (knapp 31 Prozent der meldepflichtigen Absturzunfälle), bei der Nutzung von Treppen (rund 21 Prozent) sowie im Zusammenhang mit Lkw und Ladeflächen (über 15 Prozent).

Die Entwicklung der absturzbedingten Unfallzahlen zeigt einerseits die Wirksamkeit der Präventionsarbeit der gesetzlichen Unfallversicherung und der Betriebe, wobei der starke Rückgang bei den meldepflichtigen Absturzunfällen im Jahr 2020 (Abbildung 3) wahrscheinlich auch zum Teil durch die Folgen der Corona-Pandemie bedingt ist. Andererseits fordert gerade der hohe Anteil von Absturzunfällen an den tödlichen und schweren Arbeitsunfällen weiterhin ein starkes Engagement aller Akteure und Akteurinnen in der Prävention.

Klassische Absturzprävention

Wirksame Präventionsmittel gegen Absturz sind seit Jahrzehnten bekannt und etabliert. Dazu gehören Seitenschutzsysteme und Randsicherungen, die insbesondere bei Arbeiten auf Dächern und anderen hoch gelegenen Arbeitsplätzen zum Tragen kommen (siehe Abbildung 4).[1] Auch an Verkehrswegen für Fußgängerinnen und Fußgänger mit Absturzgefahr sind Seitenschutzsysteme eine einfache und zuverlässige Sicherungsmöglichkeit. Zu den technischen Schutzmaßnahmen zählen zudem Schutznetze, die die verunfallte Person auffangen. Insbesondere bei Absturzgefahren innerhalb von Gebäuden können außerdem kleinformatige Schutznetze zur Sicherung eingesetzt werden.

Abbildung 4: Randsicherung auf einer Dachfläche | © H.ZWEI.S Werbeagentur GmbH - BG BAU
Abbildung 4: Randsicherung auf einer Dachfläche ©H.ZWEI.S Werbeagentur GmbH - BG BAU

Können technische Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt werden und bietet auch eine geänderte Arbeitsorganisation keine Alternativen zu Arbeiten mit Absturzgefahr, führt dies meist zum Einsatz von persönlichen Schutzausrüstungen (PSA) gegen Absturz. Neben der Auswahl geeigneter PSA, bei der auch die individuellen körperlichen Voraussetzungen der tragenden Personen berücksichtigt werden müssen, spielen hier die Themen Schulung und Unterweisung eine zentrale Rolle.

Leitern

In der Verhütung von Absturzunfällen kommt dem Arbeitsmittel „Leiter“ eine besonders hohe Bedeutung zu. Im Grundsatz sollten daher möglichst keine Leitern für Arbeiten von längerer Dauer verwendet werden.

Ein zentrales Regelwerk für den sicheren Umgang mit Leitern ist die Technische Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 2121, Teil 2.[2]Die Novellierung dieser Technischen Regel im Jahr 2018 erzielte bedeutende Verbesserungen der Vorgaben zur sicheren Verwendung von Leitern als Arbeitsplatz. Leitern dürfen demnach zum Beispiel bei einer Standhöhe ab fünf Metern nicht mehr als Arbeitsplätze genutzt werden. Wird eine Leiter als Arbeitsplatz genutzt, müssen die Beschäftigten während der Arbeiten mit beiden Füßen auf einer Stufe oder Plattform stehen. Sprossenleitern können nur noch in Ausnahmefällen (zum Beispiel in engen Schächten) als Arbeitsplatz dienen.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Neuregelungen bieten mittlerweile einige Leiterhersteller sicherheitstechnische Innovationen an, zum Beispiel rutschhemmende Trittauflagen oder leichte Plattformleitern. Zugleich stellen Hubarbeitsbühnen eine sichere Alternative zu Leitern für die Durchführung von Arbeiten in der Höhe dar.

Neben Verbesserungen bei den bekannten Maßnahmen zur Absturzunfallprävention werden mittlerweile verschiedene neue technische Präventionsansätze verfolgt. Für die Absturzsicherung bei Montagearbeiten wurden zum Beispiel sogenannte temporäre Lifeline-Systeme entwickelt. Dabei ist die zu sichernde Person über einen Auffanggurt und ein Höhensicherungsgerät mit einer horizontal vorgespannten Lifeline verbunden (siehe Abbildung 5). Stürzt die Person ab, wird sie durch das Lifeline-System vor dem Auftreffen aufgefangen[3]

Innovative Absturzunfallprävention

Abbildung 5: Temporäres Lifeline-System mit Höhensicherungsgerät und Auffanggurt | © H.ZWEI.S Werbeagentur GmbH Hannover – BG BAU
Temporäres Lifeline-System mit Höhensicherungsgerät und Auffanggurt ©H.ZWEI.S Werbeagentur GmbH Hannover – BG BAU

Durch technologische Innovationen kann auch der Absturz selbst vermieden werden. So werden bereits Drohnen eingesetzt, um Schäden an hoch gelegenen Gebäudeteilen wie Brücken oder Dächern zu identifizieren. Eine riskante persönliche Inspektion wird damit umgangen.

Auch Virtual-Reality-(VR-)Tools könnten zukünftig helfen, Absturzunfälle zu verhindern. Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) hat zum Beispiel im Rahmen eines Forschungsprojekts ein VR-Tool zur Gefährdungsanalyse und Unterweisung für Absturzgefahren bei der Flugzeugmontage entwickelt.

Fachgremien der Absturzprävention

Unfallversicherungsträger, das IFA und die DGUV-Fachbereiche verfolgen aktiv das Ziel, die Zahl der Absturzunfälle mit ihren schwerwiegenden Folgen zu senken. Innerhalb des Systems der Fachbereiche der DGUV sind insbesondere das Sachgebiet „Hochbau“ im Fachbereich „Bauwesen“, das Sachgebiet „Bauliche Einrichtungen und Leitern“ im Fachbereich „Handel und Logistik“ sowie das Sachgebiet „Persönliche Schutzausrüstungen gegen Absturz/Rettungsausrüstungen“ im Fachbereich „Persönliche Schutzausrüstungen“ in der Absturzprävention aktiv (siehe Infokasten).