Die Betriebsbesichtigung der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen

Grundverständnis und Fakten zur Betriebsbesichtigung in der Prävention werden im Überblick dargestellt. Eine darauf basierende Abstimmung trägt zur arbeitsteiligen, abgestimmten Zusammenarbeit zwischen Unfallversicherungsträgern und staatlichen Arbeitsschutzbehörden bei.

„Betriebsbesichtigung“ und „besichtigte Betriebe“ sind zentrale Begriffe im Arbeitsschutzkontrollgesetz, das am 1. Januar 2021 in Kraft trat. Sie stehen dort in direktem Zusammenhang mit der ab 2023 geforderten elektronischen Datenübertragung zu „Betriebsbesichtigungen“ zwischen Unfallversicherungsträgern und Landesbehörden (§ 21 Abs. 3a ArbSchG; § 20 Abs. 1a SGB VII). Da die Aufträge der staatlichen Arbeitsschutzbehörden und der gesetzlichen Unfallversicherung zum Teil überlappen, zum Teil aber auch unterschiedlich sind, stellt sich für ein abgestimmtes Vorgehen die Frage: Was verstehen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand unter einer Betriebsbesichtigung?

Betriebsbesichtigung der Unfallversicherungsträger

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung bildet die Betriebsbesichtigung den Kern der Präventionsarbeit.[1] Ausgehend vom gesetzlichen Präventionsauftrag im Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) ist das übergeordnete Ziel der gesetzlichen Unfallversicherung, „mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten und für eine wirksame Erste Hilfe zu sorgen“ (§§ 1, 14 SGB VII). Die Betriebsbesichtigung als ein besonders „geeignetes Mittel“ gehört zur Präventionsleistung „Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung“ (siehe Infokasten, Überwachungs- und Beratungsauftrag, § 17 SGB VII). Diese Präventionsleistung steht neben weiteren im Katalog der Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger (siehe Infokasten).[2] Sie ist elementar für die Tätigkeit der Präventionsdienste und dient als „Türöffner“ zu den Betrieben. Im Bereich der Un­fallversicherung sind mit Betrieben immer auch Einrichtungen der öffentlichen Hand sowie Bildungseinrichtungen gemeint. Die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtspersonen (§ 19 Abs. 2 SGB VII) sind zentrales Mittel, um alle Betriebe eigeninitiiert zu erreichen – insbesondere solche, die nicht von sich aus aktiv die Beratung der Unfallversicherungsträger anfordern – und vor Ort Präsenz zu zeigen, wo risikobasiert der größte Präventionsbedarf besteht.[3] Die Betriebsbesichtigung ist dabei ein Teil einer nachhaltigen Wirkungskette mit dem Ziel, eine ganzheitliche betriebliche Kultur der Prävention im Sinne der Vision Zero herzustellen. „Höchste Priorität hat dabei die Vermeidung von schweren und tödlichen Arbeitsunfällen sowie von Berufskrankheiten. Über eine Kultur der Prävention werden Sicherheit und Gesundheit auf allen Entscheidungs- und Handlungsebenen integriert“.[4] Weitere Präventionsleistungen[5] vervollständigen die Wirksamkeit der nachhaltigen und ganzheitlichen Prävention, denn diese geht über die reine Überwachung hinaus: Ohne Überwachung geht es nicht und gleichzeitig ist Prävention mehr als Überwachung. Dabei gestaltet die paritätische Selbstverwaltung den gesetzlichen Rahmen branchenspezifisch aus und ermöglicht zielgruppenspezifische, bedarfsgerechte und praxisorientierte Lösungen für die unterschiedlichen Betriebe mit ihren Versicherten.

Der Ablauf einer Betriebsbesichtigung ist in einem Muster-Handbuch Prävention der Unfallversicherungsträger[6] ausführlich beschrieben und wird hier für ein Grundverständnis im Überblick skizziert. Um sich im Rahmen einer Betriebsbesichtigung einen Überblick über die reale betriebliche Situation vor Ort zu verschaffen, geht die zuständige und eigens dafür qualifizierte Aufsichtsperson (§ 18 SGB VII)[7] mittels ihrer hoheitlichen Befugnisse eigeninitiiert und stichprobenartig vor. Diese Besichtigungen auf Initiative des Unfallversicherungsträgers finden sowohl angekündigt als auch unangekündigt statt. Der zu besichtigende Betrieb wird in der Regel insbesondere unter Beachtung des branchen- und betriebsbedingten Risikos ausgewählt. Die branchenorientierte Organisation der Unfallversicherungsträger stellt dabei eine wichtige Grundstruktur für ebendieses risiko- und bedarfsorientierte Vorgehen dar. Vor Ort überprüft die Aufsichtsperson vorrangig das Vorhandensein wirksamer betrieblicher Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie zur Sicherstellung der Ersten Hilfe. Zu einer Besichtigung gehören unter anderem:[8][9]

  • das Einführungsgespräch,
  • die Besichtigung durch Begehung der Betriebsstätte oder von Betriebsteilen,
  • das Abschlussgespräch.

Konkret verschafft sich die Aufsichtsperson zuerst in einem Vorgespräch durch zielgerichtete Fragen an Beteiligte einen Gesamtüberblick. Dabei dienen die Leitlinien der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) als eine zentrale Grundlage, die bei der Planung und Durchführung der Überwachungs- und Beratungstätigkeiten berücksichtigt werden.[10][11] Insbesondere durch Begutachtung aktueller Vorkommnisse (unter anderem Unfälle, Berufskrankheiten, Gefährdungssituationen) erhält die Aufsichtsperson einen Überblick über die betrieblichen Verhältnisse. Durch das Hinterfragen betrieblicher Organisationsstrukturen für Sicherheit und Gesundheit leitet sie dabei Schwerpunkte für die weitere Besichtigung ab.[12] Bei der Besichtigung prüft sie dann stichprobenartig und systematisch verschiedene Abläufe im Betrieb. Anschließend bewertet und berät sie im Abschlussgespräch und anlassbezogen je nach vorgefundener betrieblicher Situation. Jede Besichtigung ist untrennbar mit einer Beratung verbunden.[13] Dabei greift die Aufsichtsperson auf das gesamte Spektrum der Präventionsangebote der Unfallversicherungsträger[14][15] zurück. Idealerweise im direkten Gespräch mit der Unternehmerin oder dem Unternehmer und Führungskräften nimmt sie Bezug zu übergreifenden Themen, für die der konkrete Mangel ein Symptom darstellt. Die Aufsichtsperson zielt so darauf ab, ausgehend von der konkret vorgefundenen betrieblichen Situation das gesamte System im Sinne einer Kultur der Prävention zu verbessern. Sie leitet erforderliche Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln und zur Durchsetzung rechtlicher Mindestanforderungen ein und verfolgt und unterstützt deren Umsetzung. Dabei hat sie immer das Ziel der betrieblichen Weiterentwicklung zur Herstellung einer nachhaltigen Kultur der Prävention im Blick. Mit diesem Grundverständnis hat die Betriebsbesichtigung der Unfallversicherungsträger den Anspruch, über die Anwesenheit der Aufsichtsperson hinaus in den Betrieben einen Impuls zur Weiterentwicklung zu setzen und nachhaltig zur Verbesserung der Sicherheit und Gesundheit zu motivieren.

Ziele der Präventionsleistung „Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung“ im Überblick

  1. Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren verhüten
  2. Wahrnehmung der unternehmerischen Verantwortung im Bereich Sicherheit und Gesundheit sicherstellen
  3. Pflichten im Bereich Sicherheit und Gesundheit feststellen und deren Wahrnehmung durch Unternehmer, Unternehmerinnen und Versicherte durchsetzen
  4. Geeignete Arbeitsschutzorganisation erreichen
  5. Beseitigung von Gefährdungen sicherstellen
  6. Wirksame Erste Hilfe in den Unternehmen sicherstellen
  7. Gezielte Motivation zur Wahrnehmung der Eigenverantwortung herstellen
  8. Anlassbezogene Schwerpunkte setzen

Quelle: DGUV

Ohne Überwachung geht es nicht und gleichzeitig ist Prävention mehr als Überwachung.

Kennzahlen zur Betriebsbesichtigung

Im Jahr 2019 führten die Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand 473.285 Besichtigungen („Besichtigungen in Unternehmen“) in 230.076 Unternehmen durch („besichtigte Unternehmen“).[16] Damit werden jährlich circa sechs Prozent der Unternehmen besichtigt. Bezugsgröße in den Geschäfts- und Rechnungsergebnissen der gesetzlichen Unfallversicherung ist das „Unternehmen“, das dort definiert ist als „Gesamtheit der Versicherten unter dem Dach eines Rechtsträgers“, für das mindestens eine (kraft Gesetzes, kraft Satzung oder freiwillig) versicherte Person tätig ist.[17] Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz ist der Begriff „Betrieb“ nach Definition der Bundesagentur für Arbeit maßgeblich, wobei ein Betrieb eine „regional und wirtschaftsfachlich abgegrenzte Einheit [ist], in der mindestens ein sozialversicherungspflichtig […] Beschäftigter tätig ist.“[18] Unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen darüber hinaus auch Unternehmen ohne sozialversicherungspflichtige Beschäftigte.

Die Kennzahl „Besichtigungen in Unternehmen“ stellt die vor Ort durchgeführten eigeninitiierten Besichtigungen dar – unabhängig davon, wie oft dasselbe Unternehmen zum Zweck einer Besichtigung aufgesucht wurde. Dabei handelt es sich vielfach auch um Besichtigungen in unterschiedlichen Betriebstätten des gleichen Unternehmens oder Nachbesichtigungen im Sinne der Nachhaltigkeit der getroffenen Maßnahmen. Anders bei der Kennzahl "besichtigte Unternehmen": Bei dieser Kennziffer wird auch bei mehrfacher Besichtigung desselben Unternehmens dieses nur einmal angegeben.

Die Unfallversicherungsträger werden über die eigeninitiierte Besichtigung hinaus vielfach auch auf Anforderung der Betriebe aktiv, sodass diese Betriebsbesuche nicht als Betriebsbesichtigungen, sondern als „Beratung auf Anforderung“ erscheinen. Daher sind auch "Betriebsbesuche" und "Betriebskontakte" wichtige ergänzende Kennzahlen. Betriebsbesuche umfassen neben den Betriebsbesichtigungen auch Beratungen auf Anforderung vor Ort. Mit 666.287 Betriebsbesuchen vor Ort wurden etwa 324.000 Unternehmen im Jahr 2019 erreicht, was circa neun Prozent der Unternehmen umfasst. Die Betriebskontakte wiederum sind noch vielfältiger und schließen darüber hinaus auch Unfalluntersuchungen, Berufskrankheiten-Ermittlungen sowie schriftliche und telefonische Beratungen mit ein. Mit 1.209.209 Betriebskontakten wurden im Jahr 2019 schätzungsweise 605.000 und damit etwa 17 Prozent der Unternehmen erreicht (siehe dazu auch Infokasten).

Einige Zahlen im Überblick (Stand: 2019)

3,6 Millionen Unternehmen werden von 2.319 qualifizierten und geprüften Aufsichtspersonen überwacht. Mit 1.209.209 Betriebskontakten erreichen die Unfallversicherungsträger insgesamt circa 17 Prozent der Betriebe und Bildungseinrichtungen. Darunter zählen Besichtigungen, Betriebsbesuche vor Ort inklusive Berufskrankheiten- und Unfallermittlungen sowie telefonische oder schriftliche Kontakte.

Quelle: DGUV

Betriebsbesichtigung im Wandel

Die Veränderung der Arbeits- und Bildungswelt schafft neue Herausforderungen, eröffnet aber auch neue Möglichkeiten für die Überwachung, einschließlich der Aufsicht im Geltungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes. Aktuelle Entwicklungen, beschleunigt durch die weltweite Corona-Pandemie, zeigen dies besonders deutlich. Digitale Kommunikationsformen bei der Arbeit, mobile Arbeitsplätze und auch die Verwendung digitaler Unterstützungssysteme sind in den Vordergrund gerückt. Diese neuen Formen der Arbeit müssen in den Präventionsleistungen berücksichtigt werden. Dies gibt Anlass zu der Vermutung, dass auch andere Formate der Überwachung und Beratung wie zum Beispiel digitale Überwachungsformate in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Der Vorstand der DGUV adressiert diesen Wandel in dem in 2020 beschlossenen Papier „Überwachung und Beratung im Wandel“.[19] Ziel ist die kontinuierliche Weiterentwicklung des Überwachungs- und Beratungsverständnisses der Unfallversicherungsträger, um eine hohe Effizienz, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Zentrale Elemente sind die Beteiligung weiterer betrieblicher Ansprechpersonen wie Personalleitungen, der Einbezug weiterer Kompetenzbereiche der Unfallversicherungsträger, die Orientierung an geeigneten Kennzahlen sowie die Ausrichtung an der GDA und der nationalen Präventionsstrategie. Ebenso Teil ist die Weiterentwicklung der Rolle der Aufsichtspersonen im Rahmen einer Serviceorientierung hinsichtlich ihrer Beratungskompetenz zu weiteren Leistungen der Unfallversicherung und anderer Sozialleistungsträger (Lotsenfunktion).[20] Damit verbunden bleibt die Herausforderung für die Zukunft, die vorhandenen, begrenzten Ressourcen auf die vielen Themen in der Prävention angemessen zu verteilen.[21] Digitale Unterstützungssysteme können dazu beitragen.[22] Eine nachhaltige Stärkung der Kompetenzen und Eigenverantwortung der Unternehmerinnen und Unternehmer in Verbindung mit wirksamer Überwachung stehen dabei auch zukünftig im Vordergrund.

Das Berufsrollenverständnis, die Ausbildung, Prüfung und Weiterbildung der Aufsichtspersonen der Unfallversicherung werden ebenso kontinuierlich weiterentwickelt, um die Handlungskompetenz der Aufsichtspersonen im Hinblick auf die schnellen und tiefgreifenden Veränderungen der Arbeits- und Bildungswelt auszurichten. Um die Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung vor Ort weiter zu stärken, können die Unfallversicherungsträger zukünftig neben den als Generalistinnen und Generalisten in Betrieben und Bildungseinrichtungen eingesetzten Aufsichtspersonen mit Hochschulqualifikation zusätzliche Aufsichtspersonen mit Qualifikation entsprechend dem Kompetenzniveau sechs des Deutschen Qualifikationsrahmens für die Betreuung spezieller Zielgruppen und Bereiche einstellen[23][24] – wie dies bisher nur bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft der Fall war.

Zusammenwirken mit weiteren Akteurinnen und Akteuren im Arbeitsschutz

Die Zusammenarbeit mit weiteren Akteurinnen und Akteuren wie den Arbeitsschutzbehörden der Länder und Sozialleistungsträgern, insbesondere der Renten- und Krankenversicherung sowie Integrations- beziehungsweise Inklusionsämtern, ist für eine wirksame und nachhaltige Prävention sowie den Arbeitsschutz von großer Bedeutung.

Die staatliche Arbeitsschutzaufsicht sowie die gesetzliche Unfallversicherung verfolgen beide das Ziel, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu erhöhen (§ 1 ArbSchG; § 1 SGB VII). Da ihre Aufträge in verschiedenen Gesetzen festgeschrieben sind, ergeben sich unterschiedliche Stärken. Neben vielen Gemeinsamkeiten gibt es inhaltliche und methodische Schwerpunkte.

Staatliche Arbeitsschutzbehörden haben laut § 21 Abs. 1 ArbSchG den Auftrag, „die Einhaltung dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu überwachen und die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu beraten“. Sie sind zuständig für Beschäftigte, Beamtinnen und Beamte, Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Traditionell sind sowohl Umweltschutz als auch die Gewerbeaufsicht Aufgabenfelder der staatlichen Arbeitsschutzbehörden. Darüber hinaus haben die Arbeitsschutzbehörden der Länder weitere Schwerpunkte wie beispielsweise die Überprüfung der Einhaltung von Jugendarbeitsschutz-, Mutterschutz- und Arbeitszeitgesetz sowie die Überprüfung der Produktsicherheit.

„Eine Überschneidung gesetzlicher Aufträge besteht für den Bereich der Überwachung der Pflichten des Arbeitgebers nach dem Arbeitsschutzgesetz und den darauf beruhenden Verordnungen“.[25] Auch für die Unfallversicherung sind die zu treffenden Maßnahmen für sicheres und gesundes Arbeiten insbesondere in staatlichen Arbeitsschutzvorschriften, in der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“[26] und in weiteren Unfallverhütungsvorschriften näher bestimmt. „Durch diese Inbezugnahme staatlichen Rechts im Unfallverhütungsrecht und der Möglichkeit zum Vollzug der Unfallverhütungsvorschriften durch die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger sind das Arbeitsschutzgesetz sowie die darauf gestützten Rechtsverordnungen sowohl für Aufsichtsdienste der staatlichen Arbeitsschutzbehörden als auch für die Präventionsdienste der gewerblichen Unfallversicherungsträger und Unfallkassen Gegenstand der Überwachung."[27] 

Neben Beschäftigten umfasst die Präventionsarbeit der gesetzlichen Unfallversicherung auch einen großen Versichertenkreis ohne Zuständigkeit der Arbeitsschutzaufsicht, unter anderem Ehrenamtliche, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Kinder in Tageseinrichtungen sowie freiwillig oder pflichtversicherte Unternehmerinnen und Unternehmer. Ein weiterer Schwerpunkt und gleichzeitig eine Herausforderung ist in Anbetracht des hohen Anteils der Verkehrsunfälle die Prävention von Wegeunfällen und somit auch die Prävention im außerbetrieblichen Kontext. Aktuell wird intensiv diskutiert, wie das Thema Verkehrssicherheit noch stärker auch integraler Teil der Betriebsbesichtigung werden kann. Der Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherung geht damit über die reine Überwachungstätigkeit hinaus und ist untrennbar mit beratenden Elementen und weiteren Präventionsleistungen verbunden.[28] Dieser Ansatz ergänzt im dualen System der Prävention und des Arbeitsschutzes die Arbeit der staatlichen Arbeitsschutzbehörden. Zusammen decken die beiden Systeme ein breites Spektrum an verschiedenen Ansätzen und Leistungen ab, mit denen die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Deutschland weiter verbessert werden kann. Gemeinsam ergänzen sie sich in ihrer Wirkung wechselseitig.

Gemeinsamkeiten bestehen somit insbesondere beim versicherten Personenkreis der Beschäftigten und den hoheitlichen Befugnissen zur Überwachung der Betriebe. Besonders für die Durchführung der Betriebsbesichtigungen stimmen sich Bund, Länder und Unfallversicherungsträger bereits seit 2008 im Rahmen der Zusammenarbeit in der GDA für ein arbeitsteiliges, zielgerichtetes und transparentes Handeln zur Gestaltung der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit miteinander ab (gesetzlich verankert in § 20a ArbSchG und § 20 SGB VII). Grundsätzlich wird dabei zwischen zwei Arten von Betriebsbesichtigungen unterschieden. Bei der Betriebsbesichtigung mit Systembewertung werden die Leitlinien der GDA zur Arbeitsschutzorganisation und zur Gefährdungsbeurteilung vollständig und konsequent angewendet. Bei der Betriebsbesichtigung mit Bewertung betrieblicher Arbeitsschutzprozesse werden die Leitlinien zur Arbeitsschutzorganisation und/oder zur Gefährdungsbeurteilung situativ berücksichtigt.[29] Wichtig dabei ist, dass diese Besichtigungen als gleichwertige Ansätze nebeneinanderstehen. Letztere entspricht am ehesten dem Grundverständnis der Unfallversicherung zur Sicherstellung der Wirksamkeit von Maßnahmen und dem Ziel, den Betrieb im Sinne einer nachhaltigen und ganzheitlichen Prävention weiterzuentwickeln. Zu dieser Art der Besichtigung zählen insbesondere auch die unangekündigten Besichtigungen, die wichtige Erkenntnisse über die tatsächliche betriebliche Realität liefern und es ermöglichen, die Überwachung und Beratung an konkrete betriebliche Bedarfe vor Ort anzupassen und Schwerpunkte an geeigneter Stelle zu setzen. Diese Informationen dienen auch als Grundlage für Besichtigungen mit Systembewertung, wie sie beispielsweise mit Unternehmerinnen und Unternehmern in der Unternehmenszentrale durchgeführt werden.

Durch ihren spezifischen gesetzlichen Auftrag bildet die gesetzliche Unfallversicherung zudem eine Brücke zwischen dem Arbeitsschutz mit Bund und Ländern einerseits und weiteren Sozialleistungsträgern mit ihren Aufträgen zur Prävention und Gesundheitsförderung andererseits[30]. Ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken ist die Abstimmung dieser Akteurinnen und Akteure zur Unterstützung und Beratung der Betriebe und Bildungseinrichtungen bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Ein anderes Beispiel ist die „Landkarte der Unterstützenden“, mithilfe derer Aufsichtspersonen praxisgerechte Beispiele erhalten, wie sie bedarfsweise über andere Sozialleistungsträger weiter zur Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb unterstützen können.[31]

Handlungsbedarfe

Es bestehen also bereits Formate, die ein abgestimmtes Miteinander und so auch die Prävention, den Arbeitsschutz und die Gesundheitsförderung verbessern. Mit Blick auf den Überlappungsbereich im Arbeitsschutz fehlen aktuell allerdings noch einheitliche und den Belangen der Arbeitsschutzbehörden der Länder und der Unfallversicherungsträger gleichermaßen genügende Definitionen für Begriffe wie „Betriebe“ und „Betriebsstätten“ in Abgrenzung zum Begriff „Unternehmen“. Auch die zentrale Frage, was unter einer „Betriebsbesichtigung“ verstanden wird, ist noch nicht abschließend zwischen allen Akteurinnen und Akteuren im Arbeitsschutz abgestimmt. Die Bezugnahme auf unterschiedliche Begriffe und Definitionen besonders im Kontext der gegenseitigen Datenübertragung zu durchgeführten Betriebsbesichtigungen im Arbeitsschutzkontrollgesetz macht den Bedarf eines noch stärkeren gemeinsamen Verständnisses im Überlappungsbereich des Arbeitsschutzes deutlich. Um dieses Problem zu lösen, ist eine abgestimmte, einheitliche Definition nötig. Darüber hinaus ist zurzeit ein Betriebsstättenregister in Planung, das die eindeutige Identifizierung von Betriebsstätten in der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Unfallversicherung sowie perspektivisch gegebenenfalls auch mit anderen Sozialleistungsträgern vereinfachen soll.

Des Weiteren werden im Bericht der Bundesregierung zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, im Präventionsbericht der Nationalen Präventionskonferenz sowie in Berichten der GDA Betriebsbesichtigungen der gesetzlichen Unfallversicherung erläutert und in Kennzahlen abgebildet. Diese Kennzahlen sollten dabei aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Aufträge die Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger sowie die der staatlichen Arbeitsschutzaufsicht und anderer Sozialleistungsträger adäquat, differenziert und sich ergänzend darstellen. Sie sollten das gesamte Spektrum der Aufgaben nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch, dem Arbeitsschutzgesetz und anderer rechtlicher Grundlagen der Präventionsdienste widerspiegeln. Im Rahmen der aktuellen politischen Fokussie­rung auf die Betriebsbesichtigung als Teil der Überwachung sollte dabei stets beachtet werden, dass andere wichtige Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger im Blick bleiben, die – insbesondere auch vor Ort – zu einer nachhaltigen Verbesserung der Sicher­heit und Gesundheit bei der Arbeit führen.

Präventionsleistungen der Unfallversicherungsträger

  1. Anreizsysteme
  2. Beratung auf Anforderung
  3. Betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung
  4. Ermittlung
  5. Forschung, Entwicklung und Modellprojekte
  6. Information, Kommunikation und Präventionskampagnen
  7. Prüfung/Zertifizierung
  8. Qualifizierung
  9. Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung (= Betriebsbesichtigung)
  10. Vorschriften- und Regelwerk

Quelle: DGUV

Fazit

Die Betriebsbesichtigung ist ein zentrales und bewährtes Mittel für eine wirksame Prävention, das sich ständig weiterentwickelt. Durch die Dualität im Arbeitsschutz und der Prävention ist die Abstimmung an der Schnittstelle zum Arbeitsschutz der Länder wichtig. Durch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie und nationale Präventionsstrategie wurden wichtige Fundamente für ein abgestimmtes, transparentes und zielgerichtetes Handeln gelegt. Dabei sollte auf Basis des bereits erreichten Miteinanders aller Beteiligten kontinuierlich weiter ausgehandelt werden, was bei den sich ändernden Herausforderungen jeweils unter einem „abgestimmten Vorgehen“ (§ 20a ArbSchG) verstanden wird. Ziel ist ein arbeitsteiliges Zusammenwirken, das die Stärken aller Beteiligten berücksichtigt und erfolgreich sowie praktikabel umsetzt. Unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte und Herangehensweisen sollen dabei als gleichwertig und das duale System als komplementäres System anerkannt werden. Im Bericht zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit und weiteren Berichten sollten deshalb qualitative und quantitative Kennzahlen die vielfältigen Präventionsleistungen der Unfallversicherung adäquat widerspiegeln. Hier besteht zum Teil noch Handlungsbedarf. Die Unterschiedlichkeit zwischen der Arbeit der Unfallversicherungsträger und weiteren Akteurinnen und Akteuren sind eine Stärke und sollten künftig noch deutlicher als ein sich ergänzendes Gesamtsystem abgebildet werden. Dies kann auch die politische Außenwahrnehmung des dualen Arbeitsschutzsystems in der Prävention in Deutschland stärken, wie zuletzt im Abschlussbericht der SLIC-Revision 2017 am Beispiel der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie positiv festgestellt wurde: „[…] die GDA [könnte] ein gutes Vorbild für andere Länder oder sogar für die europäischen Institutionen sein, in denen meistens verschiedene Akteure unterschiedlichen Typs im Bereich des Arbeitsschutzes tätig sind.“[32]