Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Rolle der gesetzlichen Unfallversicherung

Die gesetzliche Unfallversicherung leistet einen bedeutenden Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Basierend auf den gesetzlichen Grundlagen werden präventive und rehabilitative Leistungen erbracht.

Als Träger der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) leistet die gesetzliche Unfallversicherung einen maßgeblichen Beitrag zu den Zielen „gesundes Aufwachsen“ und „gesundes Leben und Arbeiten“. Während es in jungen Lebensjahren in den Bildungseinrichtungen in erster Linie darum geht, die Grundlagen für die Beschäftigungsfähigkeit zu legen, ist in der Arbeitswelt das Ziel, diese zu erhalten und zu fördern.

Rechtlicher Rahmen

Die gesetzliche Unfallversicherung ist verpflichtet zu unterstützen, insbesondere

  1. durch den allgemeinen Präventionsauftrag (§ 14 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII),
  2. die Maßnahmen gegen Berufskrankheiten (§ 3 Abs. 1 Berufskrankheiten-Verordnung – BKV) und
  3. zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit (§ 10 Abs. 1 SGB IX).

Der allgemeine Präventionsauftrag sieht neben der Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausdrücklich auch die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren vor. Mithilfe von Maßnahmen gegen Berufskrankheiten sollen die Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln der Gefahr für eine beschäftigte Person, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, entgegenwirken. Die Sicherung der Erwerbsfähigkeit bezieht sich auf die Rolle der Unfallversicherungsträger als Rehabilitationsträger, in der sie neben den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben prüfen, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderung oder von einer Behinderung bedrohten Menschen zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen.

Verpflichtungen für Unternehmen
Über die Verpflichtungen aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), seiner konkretisierenden Verordnungen und der DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ hinaus, gibt es rechtliche Notwendigkeiten für Arbeitgebende, zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf primär- oder sekundärpräventiver Ebene beizutragen. Zu nennen sind hier:

  • Arbeitsmedizinische Vorsorge (§ 1 Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge –ArbMedVV): Durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen sollen arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig erkannt und verhütet werden. Zugleich soll damit ein Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes geleistet werden.
  • Betriebliches Eingliederungsmanagement (§ 167 Abs. 2 SGB IX): Arbeitgebende sind verpflichtet, dieses anzubieten, um die Möglichkeiten zu klären, Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
  • Präventionsgesetz (§ 132 f. SGB V): In Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge können Gesundheitsuntersuchungen nach § 25 Abs. 1 SGB V, Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Präventionsempfehlungen, Empfehlungen medizinischer Vorsorgeleistungen und Heilmittelversorgung erbracht werden.
  • Rechte von Menschen mit Behinderung (§ 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG, Artikel 27 UN-Behindertenrechtskonvention): Für Menschen mit angeborener oder erworbener Behinderung sowie für nahe Angehörige einer Person mit einer Behinderung gilt ein arbeitsrechtliches Benachteiligungsverbot. Entsprechend gilt es unter anderem, den Erhalt und die Beibehaltung eines Arbeitsplatzes zu fördern.


Mitwirkung der Beschäftigten
Neben den Pflichten für Unternehmen spielt die Verantwortung der Beschäftigten für den Erhalt der eigenen Beschäftigungsfähigkeit zum Beispiel über die Förderung ihrer Kompetenzen eine zentrale Rolle (vergleiche auch § 15 „Allgemeine Unterstützungspflichten und Verhalten“ DGUV Vorschrift 1).

Bedeutung und Nutzen

Die konkrete und zielgerichtete Auseinandersetzung mit der dauerhaften Beschäftigungsfähigkeit ermöglicht es Arbeitgebenden, über die Schaffung sicherer und gesunder Rahmenbedingungen hinaus Personal zu gewinnen, zu qualifizieren und zu binden. Arbeitnehmenden wiederum ermöglicht sie, Arbeit zu finden, der sie langfristig nachgehen können, und sich dabei weiterzuentwickeln. Letztendlich ist Beschäftigungsfähigkeit auch von allgemeinem volkswirtschaftlichem und gesellschaftlichem Interesse.[1] In Zeiten des demografischen Wandels nimmt die Bedeutung der Beschäftigungsfähigkeit weiter zu, weil in vielen Betrieben ein Mangel an jüngeren Nachwuchskräften herrscht und sich das Durchschnittsalter der Belegschaft erhöht. Arbeit ist nicht nur deshalb alterns- und altersgerecht zu gestalten. Sowohl die jüngeren als auch die älteren Beschäftigten sollten (noch) möglichst lange arbeiten können.

Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung

Präventive Maßnahmen, die auf den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit einzahlen, ergeben sich aus den Präventionsleistungen[2] der gesetzlichen Unfallversicherung, sowohl der Unfallversicherungsträger als auch der DGUV:

  1. Anreizsysteme, beispielsweise für das Treffen einer Betriebsvereinbarung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) in Form von Prämienpunkten im Arbeitsschutzmanagementsystem (Gütesiegel), sofern der zuständige Unfallversicherungsträger das anbietet
  2. Beratung (auf Anforderung), beispielsweise zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung
  3. betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung, beispielsweise durch Beratung zu arbeitsmedizinischer Vorsorge, insbesondere Wunschvorsorgen
  4. Ermittlung von möglichen Ursachen und Begleitumständen für Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten oder arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren
  5. Forschung, Entwicklung und Modellprojekte, beispielsweise zu Definitionen von Sicherheits- und Gesundheitskompetenz im Betrieb und in Bildungseinrichtungen (siehe auch in dieser Ausgabe den Beitrag „Sicherheits- und Gesundheitskompetenz – individuell und organisational“)
  6. Information, Kommunikation und Präventionskampagnen, beispielsweise durch Handlungsempfehlungen zur Individualprävention[3]
  7. Prüfung und Zertifizierung, beispielsweise zum Demografie-Coach[4]
  8. Qualifizierung, beispielsweise durch Fachgespräche zur sicheren und gesunden Arbeitszeitgestaltung
  9. Überwachung einschließlich anlassbezogener Beratung, beispielsweise zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung
  10. Vorschriften- und Regelwerk, beispielsweise in Form von Publikationen des Sachgebiets Beschäftigungsfähigkeit[5] und Fachbereichs Gesundheit im Betrieb[6]

Darüber hinaus sei erwähnt, dass die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger eine Lotsenfunktion ausüben und gegebenenfalls auf andere Sozialleistungsträger verweisen, die beim Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit ebenfalls unterstützen.[7]

Rehabilitative Maßnahmen, die auf den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit einzahlen, betreffen sämtliche medizinische Leistungen nach einem Arbeitsunfall, einer Berufskrankheit oder auch bei einer drohenden Berufskrankheit sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Unter letztere fallen beispielsweise die berufliche Anpassung und Qualifizierung sowie die Arbeitsplatzvermittlung.[8]

Die Verzahnung der Bereiche Prävention und Rehabilitation durch koordinierte Maßnahmen und Kooperationen verschiedener Professionen kann zu einer Nutzenmaximierung für alle Beteiligten führen.

Gemäß dem Versicherungsschutz für Kinder, Schülerinnen und Schüler sowie Studierende werden nach einem versicherten Unfall ebenfalls Leistungen zur Teilhabe erbracht, die entsprechend zur Wiederherstellung oder auch zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit beitragen.

Da die gesetzliche Unfallversicherung dem ganzheitlichen Grundsatz „Alles aus einer Hand“ folgt, seien auch die Leistungen zur Sozialen Teilhabe[9] erwähnt, die ebenfalls den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit unterstützen können.

Verankerung im Betrieb

Angebote und Maßnahmen der gesetzlichen Unfallversicherung fußen im Wesentlichen auf dem Ziel der Verankerung im Betrieb. Die Rahmenbedingungen in Betrieben tragen entscheidend zur Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten bei und ermöglichen, die Beschäftigungsfähigkeit – auch bei eingeschränktem oder verändertem Leistungsvermögen – dauerhaft zu erhalten beziehungsweise positiv zu beeinflussen.

Der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit erfordert eine professionelle Kooperation zwischen den Akteurinnen und Akteuren im Betrieb, insbesondere Führungskräften, Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmedizinern, Fachkräften für Arbeitssicherheit, der operativen Personalarbeit und Betriebs- oder Personalräten sowie der Vertrauensperson der Menschen mit Schwerbehinderung und gegebenenfalls weiteren betrieblichen Interessenvertretungen.

Die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nehmen hier eine Schlüsselrolle wahr. Sie beraten die Unternehmen, unterstützen bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung und tragen zur Früherkennung arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes bei.

Die betriebliche Organisation, die Gestaltung der Zusammenarbeit und die Strukturen im Betrieb können ebenfalls großen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und Motivation der Beschäftigten haben. Führung beeinflusst direkt die Tätigkeitsanforderungen und die daraus für die Beschäftigten resultierenden Belastungen. Die Unternehmenskultur bildet den Rahmen für die sozialen Beziehungen. Anerkennung, soziale Integration und Persönlichkeitsentwicklung wirken sich positiv auf die Motivation und das Wohlbefinden aus. Auch Fort- und Weiterbildung trägt zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei, sowohl wenn Beschäftigte diese eigenmotiviert umsetzen als auch wenn Betriebe sie organisieren.

Fazit

Eine sicherheits- und gesundheitsgerecht gestaltete Arbeit kann zusammenfassend einen großen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit und ohne Behinderung und damit zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leisten. Wenn Beschäftigte dazu befähigt und motiviert werden, den sich wandelnden Arbeits- und Kompetenzanforderungen über ein ganzes Erwerbsleben hinweg gerecht zu werden, werden die Teilnahme und die Teilhabe am Erwerbsprozess aktiv gestaltet.[10] Davon profitieren Beschäftigte, Arbeitgebende, Sozialleistungsträger und letztlich die Volkswirtschaft.[11]