UV-Strahlungsexposition im Freien – wen betrifft die arbeitsmedizinische Vorsorge?

Der Verordnungsgeber hat die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge geändert und eine Angebotsvorsorge eingeführt. Was dies für einzelne Berufe bedeutet und welche Schlussfolgerungen gezogen werden können, hat das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) untersucht.

UV-Strahlung und Arbeitsschutz – Stand der Dinge

Die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren und der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit sind von großer Bedeutung und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist ein wesentlicher Teil von Maßnahmen des Arbeitsschutzes und kann dazu dienen, Beschäftigte persönlich über arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren aufzuklären. Das Ziel arbeitsmedizinischer Vorsorge ist daher die Verhütung und Früherkennung arbeitsbedingter Erkrankungen. Zudem soll sie dabei einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes leisten. Die arbeitsmedizinische Vorsorge fußt dabei auf dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge. Die Beratung der Beschäftigten zur Exposition und den sich daraus ergebenden Gefährdungen für ihre Gesundheit steht im Vordergrund. Sofern körperliche oder klinische Untersuchungen nicht erforderlich sind oder von den Beschäftigten abgelehnt werden, beschränkt sich die arbeitsmedizinische Vorsorge auf ein Beratungsgespräch. In der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge sind drei Ebenen der Vorsorge festgelegt, die je nach Vorsorgeanlass für jede Gefährdung im Rahmen einer Verordnung und Arbeitsmedizinischen Regel (AMR) definiert werden können: Wunschvorsorge, Angebotsvorsorge, Pflichtvorsorge; in dieser Reihenfolge mit steigender Verbindlichkeit.

Die Erfahrungen mit der Berufskrankheit (BK) Nr. 5103 „Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung“ haben seit deren Einführung zum 1. Januar 2015 gezeigt, wie hoch die Inzidenz dieser Erkrankungen ist. Bislang wurden – kumuliert von 2015 bis 2019 und gemeinsam für die DGUV und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau  (SVLFG) – circa 44.000 Berufskrankheitenanzeigen zur BK-Nr. 5103 gestellt und circa 23.500 hiervon anerkannt. Dies belegt auch mit Blick auf die Gesamtinzidenz und -prävalenz in der deutschen Bevölkerung die Notwendigkeit für verstärkte Anstrengungen in der Prävention. Das Robert Koch-Institut (RKI) gibt die Inzidenz allein für das invasive Plattenepithelkarzinom bei Männern von 184,1 und bei Frauen von 143,0, jeweils bezogen auf 100.000 Personen, an.[[1]] In-situ-Formen des kutanen Plattenepithelkarzinoms wie die von der BK 5103 ebenfalls erfassten aktinischen Keratosen beziehungsweise Morbus Bowen sind hier nicht berücksichtigt.

Obstbauer bei der Apfelernte. | © Fotografie©IFA
Obstbauer bei der Apfelernte. ©Fotografie©IFA

Die Arbeitsmedizinische Regel 13.3

Mit Blick auf die Exposition durch solare UV-Strahlung bei Tätigkeiten im Freien haben sich in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte ergeben. Zum einen wurde die S3-Leitlinie „Prävention von Hautkrebs“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) [[2]] grundlegend überarbeitet und durch ein Kapitel zum „Berufsbedingten Hautkrebs“ ergänzt. Zum anderen kamen auch verordnungsgeberische Verfahren hinsichtlich der zweiten Änderung der Arbeitsmedizinischen Vorsorgeverordnung in Verbindung mit der zugehörigen AMR 13.3 [[3]] zum Abschluss. Der Verordnungsgeber hat zum 28. Juni 2019 entschieden, dass bei Arbeiten im Freien eine Angebotsvorsorge zu gewähren ist, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden. Diese umfassen die Begrenzung der Expositionsbetrachtung auf die Monate April bis September sowie die tägliche Zeit von 11 Uhr bis 16 Uhr (MESZ). Wenn Beschäftigte in diesem Zeitraum an mehr als 50 Tagen mehr als eine Stunde im Freien tätig waren, erfüllen sie die Kriterien. Hier ist erstmals eine konkrete, weltweit bisher einzigartige Definition von durch solare UV-Strahlung gefährdeten Außenbeschäftigten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) verankert worden, die vielfach abgesichert ist durch umfangreiche aktuelle Messungen der tatsächlichen UV-Exposition von Beschäftigten in Deutschland.[[4]] Die oben angesprochene gerade erschienene AWMF-S3-Leitlinie postuliert die unbedingte Notwendigkeit der Vorsorge aufgrund der erdrückenden Datenlage zum Hautkrebs durch UV-Strahlung insbesondere im beruflichen Kontext.

Die festgelegten Werte sind sinnvoll, denn sie basieren auf tatsächlichen Messungen. Eine weitere Einordnung kann durch den Vergleich mit dem durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP – International Commission on Non-lonizing Radiation Protection) vorgeschlagenen Expositionsgrenzwert von 1 Standard-Erythemdosis (SED) [[5]] pro Tag unter Berücksichtigung des vulnerablen Hauttyps I erfolgen. Aus dem Angebotskriterium lässt sich je Arbeitstag eine akzeptable Bestrahlung von 0,65 SED ableiten [[6]]. Berücksichtigt man eine Bestrahlung, die aus dem Freizeitbereich hinzukommt, so liegt diese Gesamtbestrahlung im Bereich des vorgeschlagenen Expositionsgrenzwertes.

Angebotsvorsorge – wer sollte sich besonders kümmern?

Was bedeuten die Regelungen der AMR 13.3 für die Praxis? Welche Berufe sind betroffen? Und mit welcher Zahl an Vorsorgen können Ärztinnen und Ärzte rechnen?

Auf Basis der Messungen mit GENESIS-UV wurde versucht, Zahlen zur Beantwortung dieser Fragen abzuschätzen. Der wissenschaftliche Prozess hierzu ist in einer internationalen Veröffentlichung ausführlich beschrieben, ebenso die Ergebnisse für alle Berufsgruppen.[[7]] Im Grunde wurde berufsweise analysiert, wie viele Tage bei den einzelnen Messungen das Kriterium zur arbeitsmedizinischen Vorsorge überschritten haben. Daraus lässt sich für jeden Beruf eine Quote errechnen. Da die Ergebnisse von so großem Umfang sind, wurde die Tabelle für einzelne Berufsgruppen auf den GENESIS-UV-Ergebnisseiten (https://genesisauswertung.ifa.dguv.de/) hinterlegt.

Von den statistisch gesicherten 176 bei GENESIS-UV gemessenen Berufen und Subberufen (vormals als Tätigkeitsgruppen bezeichnet) haben 153 (= 87 Prozent) das Kriterium überschritten. Das bedeutet, dass Beschäftigten in diesen Berufen Angebote zur arbeitsmedizinischen Vorsorge gemacht werden müssen, da sie stark gegenüber UV-Strahlung exponiert sind. Es wird deutlich, dass es Berufe aus allen Sektoren der Wirtschaft gibt, die oberhalb der maßgeblichen 40 Prozent liegen. Interessant ist dabei, dass Beschäftigte, von denen bekannt ist, dass sie gegebenenfalls mehr als eine Stunde im Freien beschäftigt sind, nach dieser Analyse das Kriterium nicht erfüllen, beispielsweise Erziehende, Teile der Forstwirte und Forstwirtinnen oder Teile der Sportlehrkräfte. Umgekehrt kommen aber Beschäftigte in Betracht, die zuvor nicht im Blickpunkt standen, wie zum Beispiel Berufskraftfahrer und Berufskraftfahrerinnen im Güterverkehr, Vermessungsingenieure und Vermessungsingenieurinnen oder Beschäftigte im Lager- und Transportportbereich. In anderer Weise betrachtet gibt die Auflösung der Daten einen Hinweis darauf, dass die Aufspaltung der Berufsgruppen in Subberufsgruppen von großer Bedeutung bei der Festlegung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes inklusive der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist. So können Subberufsgruppen identifiziert werden, bei denen die Gewährung der Angebotsvorsorge nicht notwendig ist (Beispiel: Turmdrehkranführer und Turmdrehkranführerinnen in der Gruppe der Baumaschinenführer) oder wo sie im Gegensatz zur Berufsgruppe notwendig ist (Beispiel: Werkstattarbeitende in der Berufsgruppe der Landmaschinenmechaniker und Landmaschinenmechanikerinnen).

Kennt man die Berufsgruppen, die unter die Angebotsvorsorge fallen, dann ist es aufgrund der Vielfalt der in den GENESIS-UV-Projekten untersuchten Berufe möglich, eine Abschätzung der Betroffenenzahl durchzuführen. Hierzu wird die Zahl der Beschäftigten aus der Klassifizierung der Berufe (KldB) der Bundesagentur für Arbeit [[8]] berufsweise herangezogen, wenn dieser Beruf oberhalb des Kriteriums von 40 Prozent liegt. Daraus ergibt sich in der Summe die Gesamtzahl der Betroffenen. Für die Angebotsvorsorge kommen demnach etwa 5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (von 33,3 Millionen Beschäftigten insgesamt) infrage, etwa 1,4 Millionen geringfügig Beschäftigte (7,3 Millionen) und etwa 920.000 ausschließlich geringfügig Beschäftigte, (4,5 Millionen).

Die Studie zeigt auch, dass die Angebotsvorsorge nicht nur hochexponierte Beschäftigte betrifft, die sich lange im Freien aufhalten. Eine über alle Berufe schauende Analyse empfiehlt die Angebotsvorsorge schon für Personen, die sich etwa 20 Prozent ihrer Arbeitszeit im Freien aufhalten (dies entspricht etwa 1,5 Stunden). Dies sollte die neue Definition eines „Outdoor-Workers“ werden.

Zusammenhang mit der Berufskrankheit Nr. 5103

Doch welchen Zusammenhang hat all dies mit der oben angesprochenen Berufskrankheit? Wie passen arbeitsmedizinische Vorsorge und Berufskrankheitenkriterien zusammen? Das Anerkennungskriterium für die Berufskrankheit Nr. 5103 konnte rechnerisch auf das Kriterium zur arbeitsmedizinischen Vorsorge abgebildet werden. Idealerweise verhindert die arbeitsmedizinische Vorsorge, dass eine beschäftigte Person eine berufliche Erkrankung oder eine Berufserkrankung erleiden muss. Es fehlte bislang der messtechnische und wissenschaftliche Nachweis, welche Berufsgruppen oder Subberufsgruppen besonders hoch exponiert sind und welche Auswirkungen auf das spätere Berufskrankheitengeschehen erwartet werden können.

Dabei stellte sich die wichtige Erkenntnis heraus, dass die Kriterien zur Angebotsvorsorge bei strikter Einhaltung dazu beitragen können, eine spätere Berufskrankheit zu verhindern.

Es gibt noch viel zu tun

In den vergangenen Jahren ist sowohl vom Verordnungsgeber als auch von der gesetzlichen Unfallversicherung und anderen Interessensvertretungen viel zur Verbesserung in der Prävention getan worden. Leider wird das Thema in der Praxis noch viel zu wenig beachtet. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: keine Angst vor Krankheiten mit langer Latenzzeit, falsches Schönheitsideal, eingefahrene Verhaltensweisen. Spricht man aber mit den Menschen, so kennt zumindest fast jeder jemanden mit hellem Hautkrebs. Das sollte alarmieren, tut es aber scheinbar nicht. Sowohl aus der Arbeitsmedizin als auch aus der Dermatologie kommt die Rückmeldung, dass die Angebotsvorsorge mit Blick auf UV-Strahlung praktisch nicht in Anspruch genommen wird. Insbesondere hier müssen Kampagnen stattfinden, die die Betroffenen umfassend aufklären. Sollte dies nicht fruchten, so ist der Verordnungsgeber wahrscheinlich gehalten, stringentere Maßnahmen einzuführen.

In einem nächsten Schritt wäre es – neben einer starken Bewerbung der Angebotsvorsorge – nun unabdingbar, Schulungscurricula für die Unterweisung von Beschäftigten entsprechend den gefundenen Erkenntnissen aufzubauen oder zu aktualisieren. Der Einklang mit den anderen Maßnahmen des technischen und verhaltenspräventiven Arbeitsschutzes, auch und insbesondere unter Berücksichtigung der privaten Expositionen, wäre ein idealer, gleichermaßen holistischer Ansatz für die Prävention von Hautkrebserkrankungen. Dies wäre auch ganz im Sinne der AWMF-S3-Leitlinie und spiegelt folgerichtig die Meinung von Fachleuten und Verbänden der interessierten Kreise wider.