„Wir müssen bei den Menschen sein, sonst können wir nicht für sie da sein“
Nach rund 25 Jahren als Pressesprecher und Leiter des Stabsbereichs Kommunikation der DGUV tritt Gregor Doepke in den Ruhestand. Im Interview spricht er über die Bedeutung einer gemeinsamen Marke, Kommunikation als Führungsaufgabe, das Engagement in den sozialen Medien und das Potenzial von Prävention und Rehabilitation, um Menschen zu erreichen.
Herr Doepke, Sie leiten seit mehr als zwei Jahrzehnten die Kommunikation der DGUV. In dieser Zeit hat sich die Kommunikation der gesetzlichen Unfallversicherung und des Verbands enorm gewandelt – ein Prozess, den Sie sehr stark beeinflusst haben. Wie hat sich Kommunikation entwickelt?
Gregor Doepke: Auf der einen Seite hat das, was wir heute tun, nur noch wenig Gemeinsamkeiten mit der Kommunikation zu Beginn meiner Zeit bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Ein Beispiel: Digitalisierung. Da gibt es auch heute wieder viel Handlungsbedarf. Aber wenn ich an unsere erste Website im Jahr 1996 denke, war die ins Netz gestellte sogenannte Selbstdarstellungsbroschüre „Alles aus einer Hand“ nichts anderes als eine etwas bessere Visitenkarte – hat also mit unseren heutigen digitalen Angeboten nichts mehr gemein.
Auf der anderen Seite kann man auch eine gewisse Kontinuität verzeichnen. So zum Beispiel bei Corporate Design (kurz: CD) und Markenbildung. Das ist bereits vor 25 Jahren ein großes Thema für die gesetzliche Unfallversicherung gewesen und wird es auch weiter bleiben.
Inwiefern?
Wir haben zwar ein solides Fundament für unseren Auftritt in der Öffentlichkeit geschaffen und sind spürbar zusammengewachsen. Gleichzeitig stellt sich aber immer wieder aufs Neue die Frage: Wie können wir das CD so weiterentwickeln, dass wir auch in der digitalen Welt zukunftsfähig sind, den erreichten Status aber nicht gefährden.
Das, was die gesetzliche Unfallversicherung auszeichnet, ist Vielfalt. Unterschiedliche Branchen und Regionen prägen die verschiedenen Unfallversicherungsträger. Warum ist es dennoch so wichtig, das alles in einer Marke zusammenzubinden?
Bei aller Unterschiedlichkeit verbinden uns vor allem unser gestzlicher Auftrag und dessen konkrete Ausgestaltung. Das hat Folgen für unser Bild in der Öffentlichkeit: Wie ein einzelner Unfallversicherungsträger wahrgenommen wird, wirkt sich immer auch auf die Wahrnehmung der gesetzlichen Unfallversicherung insgesamt aus – und umgekehrt. Daher braucht es diese Einheit in der Vielfalt. Wir brauchen die Marke mit einem prägnanten Logo aber auch, um überhaupt wahrgenommen zu werden. In der Medienlandschaft, in der wir uns befinden, ist niemand von uns stark genug, um allein Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das schaffen wir nur gemeinsam, wenn wir unsere Themen voranbringen wollen.
Was braucht es, um diese Einheit in der Vielfalt zu befördern?
Vertrauen – und ich denke, dass es uns gut gelungen ist, das herzustellen. Das sieht man daran, dass die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unsere Unterstützung als Verband suchen und schätzen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir uns in der Kommunikation permanent austauschen, indem wir beispielsweise die Gremien der Kommunikation systematisch nutzen, um offen, ehrlich und manchmal auch kontrovers zu diskutieren und die wichtigen und großen Schritte abzustimmen.
Sie haben eben unterstrichen, wie wichtig Wahrnehmung für die gesetzliche Unfallversicherung ist. Bedeutet das für Sie, dass gute Kommunikation vor allem Sichtbarkeit ist?
Gute Kommunikation muss Sichtbarkeit schaffen, aber Sichtbarkeit ist nicht alles und vor allem kein Selbstzweck. Wir brauchen aber Sichtbarkeit als Grundlage für das, worauf es entscheidend ankommt. Es gilt, Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei unseren Zielgruppen zu gewinnen. Gerade heute in Zeiten der sozialen Medien und künstlicher Intelligenz ist das ein höheres Gut als je zuvor. Die Unfallversicherung ist hier gut aufgestellt. Wir werden zwar häufig als Langweiler gesehen, gleichzeitig aber auch als seriös wahrgenommen. Das ist eine Qualität, denn wenn man uns vertraut, zahlt das auf unsere Inhalte ein. Wir müssen eben nur an der einen oder anderen Stelle noch etwas flotter werden.
Flotter werden heißt?
Kommunikation ist immer eine Schnittstelle zwischen Außen- und Innenwelt und sollte am Puls der Zeit arbeiten, also aktuelle Probleme erfassen. Wenn uns Fragestellungen betreffen, müssen wir sie aufgreifen und sehen, was wir zur Lösung beitragen können. Natürlich erfordert das immer eine gewisse Gründlichkeit, aber wir müssen auch schnell genug sein. Da hapert es manchmal ein wenig, grundsätzlich sind wir aber dazu in der Lage. Das zeigen Beispiele wie das Vorgehen bei Corona oder das Standardverfahren bei Großschadensereignissen.
Konkret?
Auf Basis der fachlichen Arbeit der Prävention unserer Mitglieder und des Verbands konnten wir zum Beispiel während der Coronapandemie innerhalb kürzester Zeit den Betrieben und öffentlichen Einrichtungen zahlreiche gemeinsame sowie branchenspezifische Informationsangebote anbieten, die für den Infektions- und Arbeitsschutz elementar waren. Das Feedback zeigte, dass die Unfallversicherung, also Unfallversicherungsträger und Verband, damit massiv vor Ort helfen konnten.
Klingt, als wäre es nicht immer so gewesen.
Kommunikation ist ein Prozess. Das fängt damit an, dass gute Kommunikation nach außen gute Kommunikation nach innen voraussetzt. In den vergangenen Jahren ist das Verständnis für die Notwendigkeit von Kommunikation zum Common Sense in der Unfallversicherung geworden. Das kam aber nicht von selbst, darum mussten wir kämpfen. Ein Beispiel: die Infoline der gesetzlichen Unfallversicherung, unsere gemeinsame Hotline. Heute wird sie akzeptiert – weil alle wissen, dass die Menschen da draußen den dort gebotenen Service von uns als selbstverständlich erwarten. Aber vor 20 Jahren war es eine heiße Diskussion, ob man tatsächlich eine gemeinsame Hotline einrichten möchte.
Und das ist heute anders?
Ja. Das zeigt gerade die Kommunikation in Krisen – in der Pandemie, aber zum Beispiel auch bei Großschadensereignissen wie der Flut im Ahrtal. Gerade in diesen Situationen ist die Kommunikation geprägt von der Teamarbeit zwischen Verband und Trägern.
Gelingende Kommunikation in Krisen setzt voraus, dass die Kommunikation in einer Organisation einen gewissen Stellenwert hat. Wo sollte sie aus Ihrer Sicht verortet sein?
Kommunikation ist mehr als nur eine Dienstleistung und muss stringent und transparent vorgelebt werden. Sie ist vor allem auch eine Führungsaufgabe. Daher sollte sie direkt der Geschäftsführung zugeordnet sein und Strategiekompetenz haben. Nur so kann Kommunikation die Kraft entwickeln, um sehr schnell proaktiv agieren zu können. Als Stab muss sie auf alle Bereiche zugreifen können, die sie dafür braucht.
Bedeutet das auch, dass die Kommunikation viele Ressourcen benötigt?
Größe allein macht es nicht. Unter den Unfallkassen gibt es kleine Unfallversicherungsträger, die sehr gute Ergebnisse in der Kommunikation erzielen trotz geringer Ressourcen. Wichtiger ist: Kommunikation als Führungsaufgabe muss auch gelebt werden. Die Führungsspitze muss deutlich machen: Ich fördere und fordere Kommunikation als strategische Funktion meiner Institution und stehe voll hinter dem umsetzenden Team. Nicht zu vergessen ist, alle Beschäftigten sind am Ende Botschafterinnen und Botschafter der jeweiligen Institution und des gesamten Systems.
Ein strategisches Thema, das die gesetzliche Unfallversicherung in den vergangenen Jahren zunehmend besetzt, ist Inklusion.
Und das finde ich gut. Mit unseren Aktionsplänen haben wir von Anfang an dazu beigetragen, die UN-Behindertenrechtskonvention (kurz: UN-BRK) in Deutschland umzusetzen. Inklusion im Sinne dieser Konvention ist die menschenrechtlich begründete Forderung nach der vollen und gleichberechtigten Teilhabe in allen Lebensbereichen. Es geht also nicht mehr um die nachträgliche Integration von Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung ausgegrenzt waren, sondern darum, von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen. Auch wenn mir jetzt die Fachleute vielleicht widersprechen mögen, finde ich, dass der umfassende Teilhabe-Begriff, den die gesetzliche Unfallversicherung zugrunde legt, und die Reha mit allen geeigneten Mitteln einen Teil der Diskussion um die Inklusion im Sinne der UN-BRK vorweggenommen haben.
Haben Sie deshalb so stark auf den Behinderten- und Rehasport als Thema gesetzt?
Ja, aber nicht nur. Es geht auch um Bewusstseinsbildung. Da liegt der Schlüssel. Die Geschichten über Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung bringen einfach sehr gut auf den Punkt, was die Reha der Unfallversicherung leisten kann. Wenn man die Geschichten von Betroffenen liest, berührt das sehr stark. Menschen, die einen Unfall hatten und dadurch eine Behinderung zurückbehalten, haben oft das Gefühl, dass ihnen der Boden unter den Füßen wegbricht. Sie fallen sozusagen in ein tiefes Loch. Sport kann wesentlich dazu beitragen, sich wieder ins Leben zurückzukämpfen. Das sagen mir Fachleute immer wieder. Wenn die Betroffenen merken, dass sie mit starkem Willen und Ausdauer sportlich etwas leisten können, wachsen Selbstvertrauen und die Zuversicht, dass ihnen im Leben und auch im Beruf wieder etwas gelingt. Das zahlt also auf alle Aspekte von Teilhabe ein. Und das Entscheidende ist: Diese Zuversicht ist ansteckend – denn auch andere lassen sich dadurch motivieren.
Das ist die Wirkung von Sport für die Versicherten. Was bedeutet der Behinderten- und Rehasport für die Wahrnehmung der gesetzlichen Unfallversicherung?
Sehr viel. Für die Öffentlichkeit ist die gesetzliche Unfallversicherung erst mal ein Teil der mittelbaren Staatsverwaltung. Und die erscheint den Menschen oft bürokratisch und unpersönlich. Daher ist es wichtig, dieses Bild zurechtzurücken und das positive Wirken sowie die menschlich wertvolle Arbeit, die bei uns geleistet wird, zu zeigen. Das gelingt über den Behindertensport sehr gut, zum Beispiel mit der Paralympics Zeitung oder dem Film „Gold – Du kannst mehr als Du denkst“. Die Botschaft des Films hat auch zehn Jahre nach der Premiere nicht an Kraft verloren und viel zur Bewusstseinsbildung im Sinne der UN-BRK beigetragen. Der Film wird auch heute noch in Schulen und Veranstaltungen eingesetzt, um das Thema Inklusion und Rehabilitation zu vermitteln.
Wir haben jetzt viel über Reha gesprochen. Heißt das, Prävention ist aus Ihrer Sicht weniger wichtig?
Definitiv nein. Wir müssen beide Themen bedienen. Schon aufgrund unseres gesetzlichen Auftrags.
Dennoch kann man den Eindruck bekommen: Wo die Reha über Geschichten und Gefühle kommt, kommt die Prävention über den Kopf und den Verstand. Woran liegt das?
Prävention ist ein schwieriges Thema. Man spricht über Dinge, die noch nicht passiert sind – und es auch nicht sollen. Wir bieten dazu viel Informationsmaterial auf vielen Kanälen und in allen Medien. Aber das allein reicht nicht aus, denn wir müssen bei unseren Zielgruppen den Wunsch auslösen, auch nach den richtigen Erkenntnissen zu handeln. Und das geschieht beim Menschen sehr häufig über das Gefühl, den emotionalen Impuls. Aber bei unseren Präventionsthemen Gefühl ins Spiel zu bringen, ist eben nicht einfach. Gut gelungen war uns das in der Rückschau bei „Deine Haut. Die wichtigsten 2 m2 Deines Lebens.“.
… eine Kampagne, die 2007/2008 für die Prävention von Hauterkrankungen warb …
Und das sehr erfolgreich. Der Slogan, die Visuals, das alles war sehr nah dran an den Menschen, und das hat emotional berührt.
Die letzte große Kampagne – „kommmitmensch“ – konnte nicht daran anknüpfen.
Nein. Wir wollten zu viel von der Kampagne. Inhalte und Ziel waren zu komplex. Dennoch hatte auch diese Kampagne ihr Gutes, denn wir haben inhaltlich viel zum Themenkomplex Kultur der Prävention gelernt, und vor allem haben wir verstanden, dass sich Kampagnen ausschließlich auf ein einzelnes und klar zu fassendes Thema konzentrieren sollten. Die Botschaften müssen viel stärker zugespitzt sein. Am Ende aber hat „kommmitmensch“ das erfolgreiche Instrument der sogenannten Mini-Kampagnen hervorgebracht, die genau das leisten.
Ist die Zeit der großen Kampagnen vorbei?
Ich glaube schon, dass wir uns fragen müssen, ob große Kampagnen mit Außenwerbung und ähnlichen Methoden noch das passende Instrument für uns sind oder ob es nicht geeignetere Instrumente gibt. Ja, wir brauchen flexible Formate, die nicht nur, aber auch stark und kontinuierlich auf die sozialen Medien setzen. Wichtig bleibt, den Betrieben immer wieder zu verdeutlichen, dass wir für sie einen konkreten Nutzen generieren. Am Ende ist aber auch immer der Einzelfall zu prüfen und da möchte ich nicht denen, die die zukünftige Arbeit machen werden, vorgreifen.
Gerade am Thema soziale Medien scheiden sich allerdings die Geister.
In den sozialen Medien finden alle Themen statt, die die Menschen bewegen – ob wir das wollen oder nicht. Ich finde: Für eine Institution wie die gesetzliche Unfallversicherung ist es wichtig, in den sozialen Medien Präsenz zu zeigen. Erstens, damit wir wissen, was gerade los ist. Wir müssen wissen, was in den Netzwerken diskutiert wird, um es in unsere eigenen Inhalte zu übersetzen. Und zweitens, weil es meiner Meinung nach unsere Aufgabe ist, die Diskussionen so anzureichern, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich mit glaubwürdigen Inhalten auseinanderzusetzen.
Meinen Sie, dass das angesichts der Masse von Falschinformationen Aussicht auf Erfolg hat?
Es stimmt: Die sozialen Medien sind nicht frei von Problemen. Aber ob mit oder ohne uns werden da auch Themen diskutiert, die uns betreffen. Dem müssen wir uns stellen. Egal, ob wir das persönlich gut finden oder nicht. Ich bin überzeugt: Die gesetzliche Unfallversicherung mit ihren zutiefst humanitären Anliegen darf sich aus keinem Lebensbereich verabschieden. Wir müssen bei den Menschen sein, sonst können wir nicht für sie da sein.
Herr Doepke, Sie gehen in diesem Herbst in Ruhestand. Welchen Rat haben Sie für uns mit Blick auf die Kommunikation der gesetzlichen Unfallversicherung?
Ich habe insgesamt fast 30 Jahre in der gesetzlichen Unfallversicherung gearbeitet. Bereut habe ich keine Sekunde, denn ich wusste immer, dass ich für eine gute Sache arbeite. Gleichzeitig hatte ich das Glück, von einem Top-Team unterstützt zu werden, Rückendeckung von Hauptgeschäftsführung und Vorstand der DGUV zu haben und bei unseren Mitgliedern Offenheit, manchmal bis hin zur Freundschaft, zu finden. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Zurzeit sehe ich aber trotzdem eine Gefahr. Unsere Prozesse werden immer formaler. Ein Teil davon ist extern getriggert und von uns nicht beeinflussbar. Aber es gibt auch zusätzliche Formalien, die von uns selbst in der Unfallversicherung aufgelegt werden. Das muss nicht sein. Mein Rat daher: Erhalten Sie den Menschen, die in der Unfallversicherung für die Kommunikation verantwortlich sind, die Gestaltungsspielräume. Die brauchen sie, um auch in Zukunft den Verstand und das Herz der bei uns versicherten Menschen sowie der Verantwortlichen in den Betrieben erreichen zu können. Nur so kann kreative Kommunikation auf Basis präziser fachlicher Erkenntnis dazu beitragen, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit weiter zu verbessern. Ein wenig überspitzt gesagt: Kommunikation muss gestalten, nicht verwalten.
Vielen Dank!