Uranerzbergbau Wismut – eine Langzeitaufgabe

Der Uranerzbergbau in der DDR hat nicht nur zu großen Umweltschäden, sondern auch zu erheblichen gesundheitlichen Folgen bei den Beschäftigten und ehemaligen Beschäftigten der SAG/SDAG Wismut geführt. Die Umweltschäden zu beseitigen und die gesundheitlichen Folgen zu bewältigen, erfordert bis heute erhebliche Anstrengungen von Bund, Ländern und gesetzlicher Unfallversicherung.

In der DDR förderte die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut (bis 1953 SAG
Wismut) von 1946 bis 1990 rund 231.000 Tonnen Uranerz in den Bergbaugebieten von Sachsen und Thüringen für das Atomprogramm der UdSSR. Infolge eines zunächst völlig unzureichenden Arbeits- und Strahlenschutzes waren die -  insbesondere durch Staub und Radioaktivität - verursachten gesundheitlichen Schäden und Spätschäden enorm.

Nach Kriegsende erkundeten sowjetische Experten der Roten Armee die Region und begannen 1946 mit dem gezielten Abbau des Uranerzes. Bei größter Geheimhaltung und unter dem Tarnnamen „Wismut“ gingen die Bergbaubetriebe als Reparationsleistungen in sowjetisches Eigentum über. Der Abbau wurde mit größtem Druck vorangetrieben, der Bedarf an Arbeitskräften war entsprechend groß. Anfangs gab es auch Zwangsverpflichtungen, entscheidend für die Anwerbung von Arbeiterinnen und Arbeitern waren jedoch die vom Unternehmen SAG/SDAG Wismut gezahlten (im Vergleich zur sonstigen DDR) außergewöhnliche hohen Löhne, die doppelt so hohe Lebensmittelversorgung (inklusive Zigaretten und Schnaps), ein betriebseigenes Gesundheitswesen mit Kliniken und Kureinrichtungen, ein Feriendienst sowie weitere Vergünstigungen.

Exakte Daten über all diese Gegebenheiten liegen nicht vor. Von 1946 bis 1990 waren insgesamt rund 500.000 Menschen in der Wismut untertage, in der Aufbereitung und im Tagebau tätig mit einem Höchststand von 130.000 im Jahr 1950, ab Mitte der 1960-er Jahre waren es dann rund 40.000 im Jahresschnitt.

Die Arbeitsbedingungen

Die ersten zehn Jahre, auch die „wilden Jahre“ genannt, waren gekennzeichnet von hoher Arbeitsbelastung bei fehlenden oder nur sehr geringen Schutzmaßnahmen. Dass der Abbau des Uranerzes bei unzureichender Bewetterung (Belüftung) der Schächte mit einer hohen Belastung durch ionisierende Strahlung (Radon und Radonfolgeprodukte [200-350 WLM/Jahr], Langlebige Radionuklide (Gamma-Strahlung) verbunden war, wurde den Bergleuten nicht mitgeteilt. Dazu kamen die hohe Staubelastung (bis zu 15mg/m3) infolge des Trockenbohrens, Lärm, Hitze und Kälte sowie ein erhebliches Unfallgeschehen. Mit Einführung des Nassbohrens und der gezielten künstlichen Bewetterung kam es in den fünfziger Jahren zur Verminderung der Staub- und Strahlenbelastung und die Abbaubedingungen erreichten ab Mitte der 1960-er Jahre internationales Niveau.

Neue Zuständigkeiten ab 1990

Nach der Wiedervereinigung übertrug am 16. Mai 1991 die Sowjetunion ihren 50-Prozent-Anteil am Unternehmen SDAG Wismut an die Bundesrepublik, die auf jegliche weitere Ansprüche gegenüber der Sowjetunion verzichtete. Der Bund gründete die Wismut GmbH als staatliches Sanierungsunternehmen für den Rückbau der Bergbaubetriebe und die Beseitigung der immensen Umweltschäden (unter anderem 3.700 ha kontaminierte Flächen) aus 44 Jahren Uranerzbergbau. Die gesetzliche Unfallversicherung übernahm die Rentenleistungen für die verunfallten oder erkrankten Wismut-Beschäftigten und wurde zuständig für die Bearbeitung der Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren, für Behandlung, Reha und Rentenleistung bei beruflicher Verursachung.

In der Bundesrepublik waren 1989/90 Details über den Uranerzbergbau Wismut kaum bekannt. Die staatlichen Einrichtungen wie das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Gremien wie die Strahlenschutzkommission (SSK) beim Bundesumweltministerium (BMU) und die gesetzliche Unfallversicherung (vertreten durch den damaligen Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften HVBG, heute DGUV) mussten im Hinblick auf die notwendigen Maßnahmen zügig grundlegende Konzepte entwickeln. Dazu gehörte auch die Sicherung von Daten über den Betrieb, die Produktion und die Gesundheitseinrichtungen der SDAG Wismut. Die gesetzlichen Regelungen dazu fordern eine Aufbewahrung bis zum Jahr 2036. Nur die enge und vertrauensvolle Kooperation von BMU, BMA, gesetzlicher Unfallversicherung und deren nachgeordneten Stellen sowie Wismut GmbH und Wissenschaft ermöglichten es, diese Datensicherung durchzuführen und für wissenschaftliche Forschung verfügbar zu machen. Zum wichtigen Thema Exposition wurden von Lehmann et al (1998) [1]und Bauer (2000) [2] umfangreiche Forschungsvorhaben durchgeführt.

Die Gesundheitsschäden

Die beiden umfangreichsten Erkrankungsgruppen waren Silikosen (infolge von Staub) und Lungenkrebs (infolge der Strahlung). Von 1946 bis 1990 waren durch die Sozialversicherung Wismut 14.533 Fälle einer Silikose (BK40 der DDR) und 5.508 Fälle einer bösartigen Neubildung durch ionisierende Strahlung (BK92 der DDR) als Berufskrankheiten anerkannt und entschädigt worden.
Mit der Übernahme der Zuständigkeit durch die gesetzliche Unfallversicherung bestand aufgrund eines unterschiedlichen Rechtssystems die Notwendigkeit, neben noch nicht abgeschlossenen Fällen auch abgelehnte Altfälle der SV Wismut zu überprüfen sowie alle Neuanzeigen zu bearbeiten.

Da in der Bundesrepublik nur eine zahlenmäßig geringe Erfahrung mit Strahlenerkrankungen aus dem Bergbau vorlag, ließ der HVBG bei dem international renommierten Strahlenphysiker Prof. Wolfang Jacobi (Neuherberg) zwei Gutachten [3] [4] erarbeiten, durch die Grundlagen für die Bearbeitung der BK-Feststellungsverfahren bei Krebserkrankungen und deren beschleunigte Durchführung erstellt wurden.

Das Berufskrankheitengeschehen setzte sich auch nach Ende des Uranerzbergbaus fort, denn die beiden wesentlichen Erkrankungsgruppen (Lungenkrebs und Silikose) sind Latenzerkrankungen, das heißt sie können auch noch lange Zeit nach der Exposition auftreten. Von den Unfallversicherungsträgern wurden zwischen 1991 und 2021 aus dem Bereich Wismut rund 4.300 weitere angezeigte Verdachtsfälle einer BK 2402 „Erkrankungen durch ionisierende Strahlen“ geprüft und anerkannt. Und auch im 32. Jahr nach Ende des Uranerzabbaus in Deutschland treten weiterhin noch Erkrankungen infolge der Tätigkeit bei der Wismut auf.

Die Betreuung der ehemaligen Bergleute

Als ein weiterer Expertenkreis entstand beim HVBG der sogenannte AK 8 im Ausschuss Arbeitsmedizin unter dem Vorsitz des renommierten, bergbauerfahrenen Arbeitsmediziners Prof. Dr. Claus Piekarski. Erfahrene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Arbeitsmedizin, des Strahlenschutzes, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte und Bergbau-Experten arbeiteten in diesem Arbeitskreis ehrenamtlich von 1992 bis 2007 zusammen, um die Grundlagen eines bundesweit einheitlichen medizinischen Betreuungsprogramms für die ehemaligen Bergleute zu erarbeiten. Der HVBG hatte 1992 von den rund 500.000 Beschäftigten Daten der noch Lebenden ermittelt und auf diesem Wege rund 165.000 Personen ein Angebot zu medizinischen frühdiagnostischen Maßnahmen übermitteln können. Dazu errichteten die Unfallversicherungsträger beim HVBG die „Zentrale Betreuungsstelle Wismut (ZeBWis)“.

Von 1992 bis 2011 wurden rund 215.000 ärztliche Untersuchungen an 200 Standorten bundesweit durchgeführt; 2012 ging die Organisationsaufgabe auf die damalige GVS (eine Gemeinschaftseinrichtung der Unfallversicherungsträger) über. Noch heute werden von dort aus die Untersuchungen von rund 9.000 Personen (Stand 31.12.2022) organisiert. Bei rund 1.900 dieser ehemaligen Beschäftigten war die frühere Strahlenbelastung so hoch, dass auch heute noch ein deutliches Risiko für Lungenkrebs besteht.  

Die Kosten

Seit 1990 hat die gesetzliche Unfallversicherung rund 1,4 Mrd. Euro für Behandlung, Reha und Renten der erkrankten ehemaligen Beschäftigten sowie weitere medizinische Maßnahmen, einschließlich Forschung, aufgewendet.

Wissenschaftliche Forschung

Die Strahlenschutzkommission (SSK) beim Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (BMUV) und die gesetzliche Unfallversicherung hatten schon früh empfohlen, die vorhandenen und verfügbaren Daten wissenschaftlich auszuwerten und in internationale Kooperationen einzubringen. Sowohl die Unfallversicherung als auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) führten Projekte durch oder förderten solche. Im Jahr 1996 startete das BfS eine Mortalitätsstudie unter Verwendung der anonymisierten Daten von rund 60.000 ehemaligen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Wismut. Alle fünf Jahre erfolgt ein Follow-up [5]. Den Empfehlungen folgend gelang es dem BfS, diese Daten in die weltgrößte gepoolte internationale kooperative Studie an Uranerzbergleuten [Pooled Uranium Miner Analysis (PUMA)] mit Beteiligung von fünf Ländern einzubringen (vgl. Rage et al 2020) [6]. In dieser werden nun die Daten von 124.507 Beschäftigten des Uranerzbergbaus in Canada, USA, Frankreich, Tschechien und Deutschland (allein 54.919 aus Wismut) ausgewertet. Ziel der Studie ist, die Erkenntnisse über Radon-assoziierte Krebs- und andere Erkrankungen zu erweitern. Dabei wird bedacht, dass Radon und seine Folgeprodukte auch im Wohn- und Arbeitsumfeld vorkommen (siehe BfS [7]) und Uranerzabbau auch andernorts in der Welt weiterhin (Kasachstan, Kanada, Australien, Namibia, Niger, China, und andere) betrieben wird (vgl. IAEA [8]).

In einer Reihe von Kongressen und Workshops sowie auf vielen Fachtagungen wurden seit Mitte der 1990er Jahre Forschungsergebnisse vorgestellt und publiziert (unter anderem HVBG 1997 [9], DGUV 2014 [10], BfS [11]). Eine umfassende Präsentation und Diskussion der Ergebnisse der internationalen gepoolten Daten erfolgte erst vor wenigen Wochen beim „International Workshop on Uranium Miners Studies“ (23. bis 25. Mai 2023, München). Diese Forschung hat den Erkenntnisstand von 1992/93 zur Höhe des Risikos von strahlenbedingtem Lungenkrebs, zu nicht-pulmonalen Krebserkrankungen sowie zu nicht-malignen Erkrankungen bei Uranerzbergleuten erheblich vergrößert und verbessert. Dies wird auch für die Unfallversicherung Bedeutung erlangen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Empfehlungen Anfang der 1990-er Jahre zur Nutzung der Daten, die bisherigen Erkenntnisse der Forschungsprojekte und auch die noch kommenden Auswertungen aller Mühe wert waren, auch wenn inzwischen 32 Jahre seit dem Ende des Uranbergbaus in Deutschland vergangen sind.

In Erinnerung an Prof. Dr. med. Claus Piekarski (Köln/Dortmund)