MUT – Mitarbeiterunterstützungsteam der Landeshauptstadt Stuttgart

Übergriffe und Bedrohungen gehören leider zum Alltag der Mitarbeitenden einer Stadtverwaltung. Da ist es gut, wenn ein eigenes Team gebildet wird, das gezielt für die psychosoziale Versorgung der Betroffenen sorgen kann. Wie das der Landeshauptstadt Stuttgart gelungen ist und welche Erfahrungen das Mitarbeiterunterstützungsteam (MUT) gemacht hat, zeigt dieser Erfahrungsbericht.

Bedrohungen und Übergriffe waren und sind in vielen Abteilungen der Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Stuttgart präsent. „Beschimpfungen, Bedrohungen und Übergriffe beschränken sich nicht nur auf Bereiche, wie sie uns aus den Medien bekannt sind […], sondern sind in allen Bereichen mit Dienstleistungen an und für Bürgerinnen und Bürger ein Thema“.[1] Dort, wo Menschen über zu bewilligende Gelder, Anerkennung von Dokumenten, Erstellen von Ausweisen und Dokumenten, die für den Bürger und die Bürgerin wichtig sind, entscheiden; dort, wo Erzieherinnen und Erzieher einer Kindertagesstätte Kinder wieder nach Hause schicken müssen; dort, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Pläne von Menschen nicht erfüllen können und sie damit unbewusst belasten und unter Stress setzen, werden sie auch selbst zu Opfern. Das heißt, sie erleben Bedrohung, Übergriffe, verbale, physische und auch psychische Gewalt.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit solche Ereignisse den unterschiedlichen Stellen in der Verwaltung gemeldet. Das betraf zum Beispiel die Dienststellenleitungen, den Personalrat, das Referat Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht, die Betriebliche Sozialberatung, die Arbeitsmedizin und den Arbeitsschutz und jede Stelle reagierte auf ihre Weise auf diese Ereignisse.

Es gab in der Stadtverwaltung Stuttgart auch bereits einige übergreifende Hilfsangebote wie die agile Notfallseelsorge, das Kriseninterventionsteam der Johanniter und das Einsatzkräftenachsorgeteam der Feuerwehr.

Dem Gesamtpersonalrat fiel aber auf, dass es kein Angebot von sofortiger Hilfe für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gab, das psychosoziale Unterstützung nach einer Gewalterfahrung im Dienst anbot. Aber man wusste: „Tatsächlich ist der bedeutendste aller bekannten Risikofaktoren für das Entstehen von posttraumatischer Belastung die direkte oder indirekte Konfrontation mit einem psychisch traumatisierenden Ereignis.“[2] Auf diese Gefährdungssituation wollte man reagieren.

Im Jahr 2016 gab sich der Gesamtpersonalrat deshalb den Auftrag, ein Konzept für ein mögliches Unterstützungsteam zu schreiben. Hierzu erbat er sich Hilfe durch die Feuerwehr und das Einsatzkräftenachsorgeteam. Schon am 3. Mai 2017 veröffentlichten der Oberbürgermeister und der Gesamtpersonalrat der Stadtverwaltung gemeinsam eine „Grundsatzerklärung gegen Gewalt am Arbeitsplatz“ (siehe Infokasten) und stellten damit das neu entstandene MUT in Dienst.

Grundsatzerklärung der Stadt Stuttgart

In der Grundsatzerklärung heißt es, dass die Stadt Stuttgart sich zu einer Kultur des Arbeitens bekennt, „die durch vertrauensvollen Umgang, Wertschätzung, Akzeptanz und Toleranz gegenüber allen Menschen geprägt ist. Dies gilt insbesondere für Menschen mit anderen Denkweisen, Mentalitäten und Kulturen, für den Umgang mit Kundinnen und Kunden, Bürgerinnen und Bürgern, ebenso wie für das kollegiale Miteinander. […] Gewalttätige Verhaltensweisen gegenüber städtischen Beschäftigten werden nicht geduldet.“

Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dennoch Opfer von Übergriffen oder traumatisierenden Ereignissen am Arbeitsplatz werden, soll Ziel sein, „[…] dass die zuständigen Führungskräfte und die Kolleginnen und Kollegen die betroffenen Mitarbeitenden dabei unterstützen, die Folgen [...] zu bewältigen beziehungsweise professionelle Hilfe- und Unterstützung anzunehmen“ (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart, Oberbürgermeisteramt, Gesamtpersonalrat, Grundsatzerklärung gegen Gewalt am Arbeitsplatz, 2017).

Zudem wurde in der Arbeitsgruppe Übergriffe ein Handlungsleitfaden zum Schutz vor und bei Übergriffen und traumatisierenden Ereignissen erstellt mit dem Ziel, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungskräften Hilfestellung für die Umsetzung dieser Grundsätze zur Vorbeugung gegen Übergriffe zum Umgang mit Übergriffen und traumatisierenden Ereignissen zu geben (vgl. Landeshauptstadt Stuttgart, Haupt- und Personalamt in Verbindung mit der Abteilung Kommunikation: Flyer MUT-Mitarbeiterunterstützungsteam, 2022).

Psychosoziale Unterstützung

„Bedrohungen und Übergriffe am Arbeitsplatz“ waren die ersten Stichworte, die für dieses Team Bedeutung bekamen. Es kamen „belastende Ereignisse“ hinzu, da sich nicht alle Einsatzlagen unter die beiden ersten Stichworte einordnen ließen. Der erste akute Einsatz des Teams im Mai 2017 war der Herz-Kreislauf-Stillstand eines Mitarbeiters, der die Betreuung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen erforderlich machte.

Die Systeme der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) kümmern sich in ihren Einsätzen vorwiegend um einzelne Betroffene. Für MUT zeigte sich, dass bei einer Vielzahl von Einsätzen Gruppen von Betroffenen betreut werden müssen.

Joachim Müller-Lang unterscheidet zwischen verschiedenen Opfergruppen: „Primäropfern: Menschen, die unmittelbar von einer Krisensituation, einer Katastrophe oder einem Trauma betroffen sind“; und „Sekundäropfern: Menschen, die unmittelbar mit den psychischen Traumatisierungen der Primäropfer konfrontiert sind. […] Einsatzkräfte und Augenzeugen.“ Weiter nennt er „Tertiäropfer: Menschen, die von dem Trauma mittelbar betroffen sind, so zum Beispiel, wenn sie erst später am Einsatzort eintreffen oder mit dem Trauma der Primär- oder Sekundäropfer zeitlich verzögert konfrontiert werden.“[3] Die Beschäftigten, die den Herz-Kreislauf-Stillstand ihres Kollegen erlebt hatten, sind Beispiele für die von Müller-Lang beschriebenen Sekundär- oder auch Tertiäropfer.

Das MUT entschloss sich, die Methode der Bundesvereinigung Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen e. V. (SbE)[4] anzuwenden. Diese Methode basiert auf dem von Jeffrey Mitchell in den USA entwickelten Verfahren „Critical Incident Stress Management“ und bezieht europäische sowie deutsche Forschungsergebnisse mit ein. Entstanden ist ein deutschsprachiger Standard, der flächendeckend verbreitet und anerkannt ist.

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des neuen Teams absolvierten eine Grundausbildung nach SbE. Seit 2018 werden regelmäßig Ausbilderinnen und Ausbilder nach Stuttgart eingeladen. Die Ausbildungsinhalte wurden an die Bedürfnisse einer städtischen Verwaltung angepasst.

Wie sieht die Unterstützung für Betroffene nach einem Übergriff konkret aus? Neben der Sicherung ihrer körperlichen Unversehrtheit ist auch die psychische Stabilisierung der Betroffenen unmittelbar nach dem Ereignis sehr wichtig. Das Unterstützungsteam bietet den Betroffenen Zeit und Gespräche an. Es ist wichtig, den Betroffenen Erklärungen für ihr Erleben in der augenblicklich außergewöhnlichen Situation zu geben. Denn so werden ein belastendes Ereignis und eine Krise gesehen, als „ein Geschehen, das eine Krisenreaktion hervorruft oder von ihr begleitet wird, also ein Ereignis, bei dem die normalen Bewältigungsmechanismen versagen […], als eine akute Reaktion auf ein Ereignis, wodurch das psychologische Gleichgewicht zerbrochen wurde, die üblichen Bewältigungsmechanismen fehlschlagen, die Anzeichen und Symptome von Distress, Fehlfunktionen oder Beeinträchtigungen auftreten“[5].

Das Team versucht, mit seiner Intervention zu koordinieren, zu stabilisieren, zu entschleunigen, zur inneren Beruhigung beizutragen. Es will den Betroffenen helfen, ihre Normalität zurückzuerlangen. Ziel ist es grundsätzlich, Mitarbeitende arbeitsfähig zu halten. Die Verletzung darf Mitarbeitende nicht vereinnahmen. Das Team sucht deshalb gemeinsam mit ihnen nach den individuellen Ressourcen. Manchmal reicht dazu ein Telefonat aus, in anderen Fällen sind mehrere Gespräche notwendig. Wenn nötig, vermittelt das Team auch an andere Institutionen weiter.

Bis ein Team installiert ist, ist viel zu tun

Damit MUT ins Leben gerufen werden konnte, war es wichtig, dass die entscheidenden Ämter und Bereiche mit eingebunden wurden. Auf Antrag des Gesamtpersonalrats wurde die „Arbeitsgruppe Übergriffe“ gegründet, in der alle zuständigen Bereiche zusammenkamen.

Für das Team war es wichtig, zugehörig, aber unabhängig zu sein. So wurde MUT beim Leiter des Personalservice im Haupt- und Personalamt angegliedert. Ihn trifft das Team zweimal im Jahr und berichtet von seiner Arbeit. Besprochen werden auch die Kosten des Teams und weitere Vorhaben. Auch mit dem Gesamtpersonalrat hält das Team Kontakt, denn dort sitzen diejenigen, die diese Arbeitsgruppe angestoßen haben. Beteiligt ist das MUT ebenfalls an einer neu gegründeten Arbeitsgruppe mit dem Haupt- und Personalamt, dem Gesamtpersonalrat, der Arbeitsmedizin, dem Arbeitsschutz und der Betrieblichen Sozialberatung. Hier werden Übergriffe aus den einzelnen Bereichen besprochen und ein gemeinsames Vorgehen wird festgelegt.

Die Technik für das Team stellt die Branddirektion zur Verfügung. Betroffene rufen unter einer intern bekannten Rufnummer bei der Integrierten Leitstelle der Feuerwehr und des Rettungsdienstes an, diese alarmiert die diensthabenden Kolleginnen und Kollegen vom MUT über Funkmelder, SMS und E-Mail, die wiederum umgehend Kontakt mit den Betroffenen aufnehmen.

Neben der bereits angesprochenen Ausbildung über SbE, wird das Team jährlich in einer eigenen Tagesveranstaltung und einer halbtägigen Fortbildung geschult.

Wie finanziert sich das Ganze? Die Stadt Stuttgart stellt einen angemessenen Finanzrahmen zur Verfügung. Die Verwaltung des Etats wird von der Branddirektion geleistet.

Für die Leitung des Teams konnten zwei psychosoziale Fachkräfte aus dem Bereich des Einsatznachsorgeteams und ein Mitarbeiter des Jugendamtes gefunden werden. Sie wurden als Fachberater der Feuerwehr ernannt. Im Jahr 2024 steht für die Leitung des Teams eine halbe Stelle zur Verfügung, da deutlich wurde, dass dieser Zeitanteil für die Aufgabe notwendig ist. Die weiteren Mitglieder des Teams werden während ihrer Dienstzeit tätig – auch bei ihren Fort- und Weiterbildungen.

Inzwischen melden sich interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst oder werden von Kolleginnen und Kollegen angesprochen. Im Durchschnitt kam MUT seit 2017 pro Jahr 33 Mal zum Einsatz. In den Coronajahren waren es weniger.

Es braucht Menschen mit Mut

Um MUT auf den Weg zu bringen, brauchte es zunächst Menschen, die den Mut besaßen, zu erkennen und zu benennen, dass für diese Aufgaben ein Angebot benötigt wird. Sie brauchten den Mut, ein solches Unterstützungsprogramm einzufordern und konkret zu planen.

Es brauchte die Zusammenarbeit der verschiedenen Ämter, die mit diesem Thema befasst sind.

Es brauchte Menschen, die bereit waren, sich einzubringen und etwas Neues zu kreieren.

Es brauchte Menschen, die, als das Konzept stand, „Ja“ sagten, die Verantwortung und den Auftrag übernahmen und sich als Persönlichkeit mit ihrem Wissen, ihrem Können und ihrer Erfahrung einbrachten.

Es brauchte Verantwortliche in der Stadtverwaltung, die es aushielten, einen städtischen Dienst in hoher Eigenverantwortlichkeit gestalten zu lassen.

Es brauchte eine Struktur, die die technischen und verwaltungstechnischen Möglichkeiten zur Verfügung stellte.

Es brauchte die Mitarbeit der verschiedenen Ämter, einerseits im Gremium der Arbeitsgruppe Übergriffe mitzuwirken, aber auch die Bereitschaft, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit und das Zeitbudget zur Verfügung zu stellen, damit sie im MUT mitarbeiten können.

Natürlich braucht es auch etwas Geld, damit die Dinge finanziert werden können.

Erfahrungen und Erkenntnisse

Erkenntnisse, die das Stuttgarter MUT im Laufe der vergangenen Jahre gesammelt hat:

  1. Gewalt und Bedrohungen können Beschäftigte an allen Arbeitsplätzen in der Verwaltung betreffen, nichts ist ausgeschlossen, selbst massive Bedrohungen mit Androhung von Gewalt, Mobbing nicht.
  2. Übergriffe und Bedrohungen kommen von außen, aber auch von innen.
  3. In Bereichen, in denen sich vermehrt Vorfälle ereignen, bietet das Team auch Prävention an.
  4. Das Thema Schutz vor Übergriffen und Bedrohungen am Arbeitsplatz soll auch in die Aus- und Fortbildungsprogramme der Führungskräfte integriert werden.
  5. Die Gefährdungsbeurteilungen der einzelnen Arbeitsplätze müssen ein deutliches Gewicht erhalten.
  6. Büroeinrichtungen und Arbeitsplatzgestaltung sowie Arbeitsabläufe müssen immer wieder den aktuellen Richtlinien angepasst und „klug“ gewählt werden.
  7. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Beratungsstellen – zum Beispiel der Betrieblichen Sozialberatung – ist lohnend.
  8. Jeder Übergriff ist einer zu viel!

Die Menschen, die das Team rufen, sind dankbar für die Unterstützung. Oft sind sie noch erstaunt, dass es dieses Angebot gibt, aber sie sind ihren Aussagen zufolge hochzufrieden mit der Qualität des Angebots.

Die Stadt Stuttgart wurde für ihr Konzept von der Unfallkasse Baden-Württemberg (UKBW) mit dem UKBW-Preis ausgezeichnet. Der Preis zeichnet gelungene Konzepte zur Gewaltprävention aus und zeigt mit Best-Practice-Beispielen, wie Gewaltprävention in der Praxis gelingt. Im Mittelpunkt stehen Mitgliedsbetriebe, die mit ihren Umsetzungen Beispiele geben, die zur Nachahmung anregen. Der UKBW-Preis wird alle zwei Jahre zu aktuellen Themen verliehen. Den Film zum Projekt finden Sie unter: https://www.ukbw.de/ukbw-preis 
Die Unfallkassen beraten zu Strategien der Gewaltprävention im Betrieb.