Burn-out, psychosomatische Beschwerden und Erschöpfung am Arbeitsplatz

Burn-out, psychosomatische Beschwerden und Erschöpfung sind auf dem Vormarsch. Aktuell sind circa 30 Prozent der Erwerbstätigen davon betroffen. Der Beitrag gibt einen Überblick über auftretende Beschwerden sowie arbeitsbedingte Risikofaktoren und verweist auf Empfehlungen für Prävention und Arbeitsschutz.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) führen alle sechs Jahre die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung durch, in der auch gesundheitliche Beschwerden und der subjektive Gesundheitszustand erhoben werden.

Abgefragt werden dabei zum Beispiel muskuloskelettale Beschwerden, Kopfschmerzen, Magen-/Verdauungsbeschwerden, Schwindel, Herzschmerzen, Ohrgeräusche, Müdigkeit, emotionale/körperliche Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Niedergeschlagenheit.

Ein Drittel hat häufig Beschwerden bei der Arbeit

Vor allem nächtliche Schlafstörungen, Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung haben seit der letzten Befragung signifikant zugenommen. Auch der Anteil der Erwerbstätigen, die ihren Gesundheitszustand weniger gut oder schlecht beurteilen, ist signifikant gestiegen.

Auch Auswertungen der BAuA-Arbeitszeitbefragungen von 2017, 2019 und 2021 zeigen ein ähnliches Bild. Ungefähr 30 Prozent der Erwerbstätigen geben an, sowohl ihren Gesundheitszustand eher als mittel/schlecht als auch ihre Arbeitsfähigkeit als eher schlecht einzuschätzen, 35 Prozent haben häufig Schlafstörungen. 32 Prozent fühlen sich emotional erschöpft.[1] Aktuellere Zahlen der BAuA werden in nächster Zeit vorliegen, sodass abzuwarten bleibt, wie sich die Situation entwickelt hat.

Dieses Bild fügt sich in das Bild, das viele andere gesundheitsbezogene Auswertungen, wie zum Beispiel die der gesetzlichen Krankenkassen und der Rentenversicherung, zeigen. Im Jahr 2022 gingen demnach 14,6 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage auf eine psychische Erkrankung zurück.[2] Psychische Erkrankungen waren im Jahr 2023 mit 42 Prozent der mit Abstand häufigste Grund für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.[3]

Die Psychosomatik als medizinische Fachdisziplin befasst sich im Schwerpunkt mit Problemlagen und Erkrankungen, die durch das Wechselspiel und die Verbindung von Soma (dem Körper) und der Psyche (seelische Vorgänge) geprägt sind.[4]

Anteil der Erwerbstätigen, bei denen psychosomatische Beschwerden in den letzten zwölf Monaten häufig während der Arbeit beziehungsweise an Arbeitstagen aufgetreten sind | © Zahlen aus Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Stressreport Deutschland 2019: Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden, Dortmund 2020. Eigene Darstellung
Anteil der Erwerbstätigen, bei denen psychosomatische Beschwerden in den letzten zwölf Monaten häufig während der Arbeit beziehungsweise an Arbeitstagen aufgetreten sind ©Zahlen aus Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Stressreport Deutschland 2019: Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden, Dortmund 2020. Eigene Darstellung

Besorgniserregend sind in diesem Kontext auch neuere Erhebungen des Robert Koch-Instituts (RKI). Im Jahr 2022 bewerteten nur 36 Prozent der deutschen Bevölkerung ihren psychischen Gesundheitszustand insgesamt als sehr gut oder ausgezeichnet. 20 Prozent zeigen eine auffällige Belastung durch depressive Symptome (wenig Interesse oder Freude an Tätigkeiten und Niedergeschlagenheit, Schwermut und Hoffnungslosigkeit). Dramatisch ist, dass es seit 2019 zu einer Verdopplung dieses Anteils kam und die Entwicklung über alle Bevölkerungsgruppen hinweg zu beobachten ist. Besonders betroffen sind Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status.[5] Der Beruf ist ein wichtiger Bestandteil des sozioökonomischen Status.[6] Der zuletzt genannte Zusammenhang, der auch in der Forschung noch unterrepräsentiert ist[7], hat auch besondere Implikationen für Prävention und Arbeitsschutz.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzte 2018 die Kosten von psychischen Erkrankungen durch Produktivitätsausfall, Ausgaben der Sozialversicherungen und Ausgaben in der Versorgung in Deutschland auf 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.[8] Da sich die Lage seit 2018 weiter verschärft hat, dürfte der Anteil heute sogar noch höher liegen.

Psychosomatische Beschwerden, Erschöpfung und psychische Erkrankungen sind somit sehr weit verbreitet und belasten nicht nur Betroffene, sondern sind eine Herausforderung in allen Bereichen der Gesellschaft, so auch am Arbeitsplatz.

Burn-out ist gemäß ICD-11 „ein Syndrom, das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzeptualisiert wird, der nicht erfolgreich bewältigt wurde.

Es ist durch drei Dimensionen gekennzeichnet:

  1. Gefühle der Energieerschöpfung oder Erschöpfung
  2. Erhöhte mentale Distanz zur Arbeit oder Gefühle von Negativismus oder Zynismus in Bezug auf die Arbeit
  3. Ein Gefühl der Ineffektivität und des Mangels an Leistung

Burn-out bezieht sich speziell auf Phänomene im beruflichen Kontext und sollte nicht zur Beschreibung von Erfahrungen in anderen Lebensbereichen verwendet werden.“[9][10]

Stress ist ein Zustand im Menschen, der durch erhöhte psychische und physische Aktivierung gekennzeichnet ist, die aus einer negativen Beurteilung der auf diese Person einwirkenden psychischen Belastung als Bedrohung seiner Ziele resultiert.[11]

Mögliche arbeitsbezogene Ursachen

Psychische und psychosomatische Beschwerden können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Arbeitsbedingungen sind dabei ein Faktor unter vielen, allerdings ein wichtiger, da Arbeit für die meisten Menschen einen einflussreichen Lebensbereich darstellt.

Ungünstige psychische Belastung kann vielfältige Gefährdungen der Gesundheit verursachen, mitverursachen und mitbeeinflussen. Folgen können nicht nur, wie häufig angenommen, psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen sein, sondern zum Beispiel auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Erkrankungen.[12]

Auf Basis einer wachsenden Zahl methodisch adäquater Studien wie Längsschnittstudien, Metastudien und epidemiologischer Forschung liegen seit Jahren bedeutsame Hinweise auf Zusammenhänge und Wechselwirkungen von ungünstiger psychischer Belastung, Arbeitsstress und Erkrankungsrisiken vor:

  • psychosomatische Beschwerden wie Schlafstörungen und Erschöpfung bei hohen beruflichen Anforderungen (Zeitdruck, hohe Arbeitsintensität, konkurrierende Anforderungen)[13]
  • Burn-out und Erschöpfung bei hohen beruflichen Anforderungen/hoher Arbeitsmenge, Arbeitsplatzunsicherheit und hohen emotionalen Anforderungen[14][15]
  • Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle oder Vorhofflimmern bei chronischem, mit der Arbeit assoziiertem Stress, durch hohe berufliche Arbeitsanforderungen bei niedrigem Handlungsspielraum, beruflichen Gratifikationskrisen, Arbeitsplatzunsicherheit oder überlangen Arbeitszeiten[16]
  • Depressionen bei beruflichen Gratifikationskrisen, bei geringer sozialer Unterstützung, bei Arbeitsplatzunsicherheit, bei emotionalen Arbeitsanforderungen, bei organisationaler Ungerechtigkeit, bei Mobbing und sehr langen Arbeitszeiten sowie Angststörungen bei hohen beruflichen Anforderungen[17]

Dass die häufig auftretende Kombination der oben genannten Belastungsfaktoren die Risiken für Erkrankungen ungünstig beeinflusst, verdient zusätzliche Beachtung.[18][19] Dies konnte unter anderem auch eindrucksvoll eine große finnische Längsschnittstudie in Bezug auf das Risiko für vorzeitige Erwerbsminderung zeigen.[20]

Stress, der kurzfristig anhält, ist nicht als problematisch anzusehen. Ein gewisses Maß an Anspannung und Aktivierung gehört dazu, um Herausforderungen zu meistern, zu lernen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Stressreaktionen können dann in Erholungsphasen reguliert werden. Über längere Zeit andauerndes Stresserleben kann allerdings psychosomatische Beschwerden und Erkrankungen verursachen, mitverursachen oder beeinflussen. Die Dosis und die Dauer von Stress sind daher entscheidend.

Die Forschungslage zu den Zusammenhängen und Wechselwirkungen von ungünstiger psychischer Belastung und Erkrankungen entwickelt sich stetig weiter. Eine intensive methodische und inhaltliche Diskussion unterstreicht das Bemühen, den Erkenntnisstand weiter zu verbessern.[21][22][23][24][25]

Eine der Fragen, die in der Wissenschaft unter methodischen Gesichtspunkten genau betrachtet wird und die auch den Akteurinnen und Akteuren im Arbeitsschutz häufig begegnet: ob beanspruchte Erwerbstätige Arbeitsbedingungen anders, negativer, beurteilen und sich stärker belastet fühlen. Dies ist durchaus so, allerdings hebt dieser Faktor die Bedeutung ungünstiger psychischer Belastung als Risikofaktor keinesfalls auf.[26]

Dass ungünstig gestaltete Arbeitsbedingungen mit dem späteren Auftreten von Erkrankungen signifikant zusammenhängen und das entsprechende Erkrankungsrisiko dadurch zum Teil deutlich erhöht ist, konnte in Längsschnittstudien und epidemiologischer Forschung belastbar gezeigt werden.[27]

Teufelskreise erhöhen den Handlungsdruck weiter

Erwerbstätige mit bestehenden gesundheitlichen Problemen und Erkrankungen haben ein besonders hohes Risiko, durch ungünstige psychische Belastung in negative Belastungsspiralen zu geraten.[28] Im Übrigen betrifft dies nicht nur gesundheitliche Beeinträchtigungen im Bereich des psychischen Befindens, sondern zum Beispiel auch Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen.[29]

Gerade weil ein so großer Teil der Erwerbsbevölkerung durch gesundheitliche Beeinträchtigungen in seiner Leistungs-, Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, haben die ermittelten Risikofaktoren eine hohe Bedeutung.

Aus den Erfahrungen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) ist bekannt, dass unter anderem Anpassungen am Arbeitsplatz und Unterstützung durch Arbeitgebende sowie durch Kolleginnen und Kollegen helfen, Arbeitsunfähigkeiten und Rückfälle zu verhindern.[30] Daraus lässt sich ableiten, dass Maßnahmen des Arbeitsschutzes, der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) und des BEM den größten Nutzen haben, wenn sie ineinandergreifen und verzahnt betrachtet werden.

Mehr Engagement im Arbeitsschutz dringend erforderlich

Psychische Belastung bei der Arbeit ist im Arbeitsschutz längst kein Nischenthema mehr. Dort, wo Arbeit als Einflussfaktor für Gesundheitsbeeinträchtigungen infrage kommt, sind nach Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen in der Pflicht, Gefährdungen zu beurteilen und geeignete Maßnahmen zu treffen, um diesen wirkungsvoll zu begegnen. Dies gilt auch, wenn es darum geht, negative Belastungsspiralen zu unterbinden, wenn also ein großer Anteil der Erwerbstätigen bereits mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu tun hat und arbeitsbedingte Einflüsse eine Rolle spielen. Mehr Engagement im Bereich der psychischen Belastung ist im Arbeitsschutz dringend erforderlich.

Leider werden aktuell Debatten darüber, dass sich die Erwartungen der Menschen in Bezug auf gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen verändern, häufig undifferenziert und zum Teil unsachlich geführt. Es ist nicht zu erwarten, dass die Lage sich dadurch verbessern wird. Vielmehr besteht die Chance, Wechselwirkungen von arbeitsbedingter psychischer Belastung und Gesundheit anzuerkennen und ein Umdenken anzustoßen.

Die Unfallversicherungsträger unterstützen durch Beratung vor Ort, durch umfassendes Veranstaltungs- und Qualifizierungsangebot und weitere allgemeine und branchenspezifische Materialien und Angebote. Dies ist mehr denn je notwendig, da Arbeitgebende, Arbeitsschutzakteure und Präventionsfachleute einen anhaltend hohen Bedarf an Austausch und Hilfestellungen haben.

So wurden im Jahr 2022 unter Berücksichtigung bestehender Vorschriften und Regeln des Arbeitsschutzes, wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie Leitlinien und Normen Gestaltungsanforderungen und -ziele zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung im breiten Konsens konkretisiert[31] und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) beauftragte den Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ASGA), eine staatliche Regel zur psychischen Belastung zu erarbeiten. Die gesetzliche Unfallversicherung wird sich auch bei der Erstellung dieser Regel mit ihrer Fachkompetenz einbringen und ihre eigenen Präventionsleistungen entsprechend kontinuierlich weiterentwickeln, um sich im Sinne der Gesundheit von Erwerbstätigen einzubringen.[32]