Führung sicher- und gesundheitsgerecht – Nicht nur der Führungsstil entscheidet

Täglich wird in den Medien betont, dass die Arbeitswelt vor großen Herausforderungen steht. Digitale Transformation, hohe Fehlzeiten, Fachkräftemangel, geringe Produktivität und fehlende Kreativität – Führung ist für die sichere und gesunde Bewältigung dieser Herausforderungen entscheidend. Doch es reicht nicht aus, Führungskräfte zu diesen Themen zu schulen.

Die digitale Transformation ist keine Zukunftsvision aus dem Silicon Valley. Sie findet hier und heute statt; in großen und kleinen Unternehmen. Sie kommt selten als Umsturz. Es ist ein fortlaufender, dynamischer Veränderungsprozess. Führung hat hier eine zentrale Bedeutung. Die Transformation wird zwar durch Technik getrieben, wirkt sich aber auf alle Ebenen der Organisation aus. Das betrifft Führung, Kooperation und Unternehmenskultur. Mit Blick auf Führung wird im Weißbuch des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS)[1] übereinstimmend die Notwendigkeit neuer und angepasster Führungskultur betont, um den diversen Anforderungen der Arbeit 4.0 zu begegnen.

Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels stehen sichere und gesunde Arbeitsbedingungen im Fokus. Beschäftigte erwarten heute oft flexiblere Strukturen sowie sicherheits- und gesundheitsgerechte Rahmenbedingungen. Das gilt nicht nur für den hoch qualifizierten Bereich. Gerade auch im Niedriglohnbereich werden sichere und gesunde Arbeitsbedingungen sowie gute Qualifizierung zunehmend zum Mittel, um Personal längerfristig zu halten.

Führung neu definieren

Traditionell wird Führung mit den Fähigkeiten einzelner Personen verknüpft. Es werden besondere Charakter- oder Persönlichkeitseigenschaften erwartet: Charisma und Durchsetzungsvermögen, die Fähigkeit, analytisch zu denken oder seine Ellenbogen zu gebrauchen. Bei Personalentwicklerinnen und -entwicklern herrscht vielfach die Überzeugung, eine Führungskraft ist dann gut, wenn sie den aktuell in der Managementliteratur angesehenen Führungsstil beherrscht: transformationale Führung, Management-by-Ansätze[2] und so weiter. Aber das allein ist zu wenig, denn der Führungsstil muss auch zur Kultur des Unternehmens und der aktuellen Situation des Betriebs passen. Gesundheitsgerechte Führung braucht nach Ducki und Felfe[3] fünf zentrale Voraussetzungen. Zu diesen zählen:

  1. eine an humanen Werten ausgerichtete Unternehmens- und Führungskultur
  2. verantwortungsbewusste Führungskräfte
  3. Information und Reflexion
  4. genügend Zeit
  5. offene und transparente Kommunikation

Thomson et al.[4] betonen in ihrem Modell die Bedeutung organisationaler Rahmenbedingungen für die Gesundheit von Führungskräften und Beschäftigten. Konkret benennen sie Struktur, Organisationsklima sowie die Unternehmenskultur. Spieß und Stadler[5] weisen in ihrem Vier-Ebenen-Modell ebenfalls auf solche Faktoren sowie außerdem auf die Bedeutung von Führung für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen hin, die wiederum Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten entscheidend beeinflusst.

Ebenen sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung

Damit Führung in Unternehmen und Einrichtungen sicherheits- und gesundheitsgerecht gestaltet werden kann, kann auf den folgenden vier Ebenen angesetzt werden (Abbildung 1):

  • Selbstführung
  • Führung von Beschäftigten
  • Gestaltung der Arbeitsbedingungen
  • Führungskultur und Management von Sicherheit und Gesundheit

Die Basis ist die Selbstführung der Führungskraft. Denn auf sich selbst zu achten, ist die Voraussetzung, um positiv auf Mitarbeitende einwirken zu können. Wichtig ist, eigenes Zeit-, Fehler- und Ressourcenmanagement im Blick zu haben sowie Achtsamkeit für mögliche Sicherheits- und Gesundheitsgefahren im Arbeitsalltag zu entwickeln.

Die zweite Ebene zielt auf die Beziehung zwischen Führungskraft und Beschäftigten. Fairness, Gerechtigkeit, Respekt und Rücksichtnahme bilden eine gute Basis für eine produktive Zusammenarbeit. Werden diese Werte nicht gelebt, entsteht Frustration und das soziale Klima gefriert. Eine gute Zusammenarbeit ist kaum möglich. Die Beziehung zu den Beschäftigten wird auch durch die Art und Weise geprägt, wie Führungskräfte, Leitung und Beschäftigte ihre eigene Rolle verstehen und welche Erwartungen sie an die anderen haben. Die zentrale Frage ist hier: Wer trägt welche Verantwortung wofür und wie soll diese wahrgenommen werden?

Auf der dritten Ebene steht die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen. Führungskräfte sollten die Belastung an den Arbeitsplätzen ihrer Mitarbeitenden ermitteln und wenn es erforderlich ist, Maßnahmen zu sicherer und gesunder Arbeit ergreifen. Diese Maßnahmen werden über die Gefährdungsbeurteilung abgebildet, so wie sie in §§ 4 und 5 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) vorgeschrieben ist. Die Verantwortung für die Gefährdungsbeurteilung liegt bei der Unternehmensführung und sollte als eine zentrale Managementaufgabe verstanden werden. Die Unterstützung durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und andere betriebliche oder auch externe Fachleute entbindet die Führung nicht von ihrer Verantwortung. In dem Zusammenhang müssen auch psychische Arbeitsanforderungen wie die Organisation und die Inhalte der Arbeit sowie die Arbeitsumgebung und die Gestaltung der Beziehungen untereinander betrachtet werden.

Die vierte und letzte Ebene gilt der Etablierung einer Sicherheits- und Gesundheitskultur. Dies sollte Teil der strategischen Ausrichtung des Unternehmens sein. Die Einbindung in ein Managementsystem, in dem Sicherheit und Gesundheit gemeinsam betrachtet werden, ist vor allem größeren Unternehmen und Einrichtungen zu empfehlen. Die DIN EN ISO 45 001[6] gibt eine gute Orientierung. Kleinere Unternehmen, deren Organisation nicht normbezogen ausgerichtet wird, sollten Sicherheit und Gesundheit aber ebenso in ihre Prozesse integrieren. Damit kann erreicht werden, dass Sicherheit und Gesundheit bei wichtigen Entscheidungen und Handlungen mitbedacht werden.

Abbildung 1: Die vier Ebenen sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung | © IAG/eigene Darstellung
Abbildung 1: Die vier Ebenen sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung ©IAG/eigene Darstellung

Reflexion auf den vier Ebenen

Das oben vorgestellte Vier-Ebenen-Modell sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung wurde von Expertinnen und Experten der gesetzlichen Unfallversicherung als gemeinsame Grundlage für alle Präventionsprodukte zum Thema Führung erstellt. Es gibt Orientierung über die wesentlichen Aspekte gesunder Führung und hilft zum Beispiel in Seminaren oder in der Betriebsberatung, das Thema deutlich zu machen.

Zudem kann es praktisch eingesetzt werden. Dafür wurden die vier Ebenen praxisbezogen auf relevante Alltagsthemen heruntergebrochen, die – als Fragen formuliert – zum Nachdenken anregen (siehe Tabelle 1). Viele dieser Fragen sind nicht einfach beantwortbar, sondern ziehen, wenn man sie ernst nimmt, eine Reihe von Handlungen oder auch Verhaltensänderungen nach sich. Mithilfe dieser Reflexionsfragen wird eine Analyse des eigenen Führungsalltags angeregt und es werden gleichzeitig Lösungsperspektiven eröffnet. Das gelingt am besten im vertrauensvollen Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeitenden oder Coaches.

Die nachfolgende Tabelle (Tabelle 1) zeigt die vier Ebenen. Ihnen werden beispielhaft einige Reflexionsfragen zugeordnet. Weitere Fragen sind der DGUV Information 206-059[7] (erscheint voraussichtlich Ende des Sommers 2024) zu entnehmen.

Tabelle 1: Beispiele für Reflexionsfragen auf den vier Ebenen sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung | © DGUV Information 206-059 „Sicherheits- und gesundheitsgerechte Führung“, 2024
Tabelle 1: Beispiele für Reflexionsfragen auf den vier Ebenen sicherheits- und gesundheitsgerechter Führung ©DGUV Information 206-059 „Sicherheits- und gesundheitsgerechte Führung“, 2024

Bei der Bearbeitung der Fragen im Gespräch oder Workshop zeigt sich schnell, dass viele Themen effektiv zur Weiterentwicklung des Führungshandelns aufgegriffen werden können. Führungskräfte werden angeregt, Maßnahmen zu entwickeln. Wo als Erstes angesetzt wird, ob beim persönlichen Gesundheitsverhalten, in der Beziehungsgestaltung, den Arbeitsbedingungen oder der Kultur, ist nicht wichtig, denn die Themen greifen ineinander und befruchten sich gegenseitig. Wer gut führen will, sollte sie alle aufgreifen.