Betriebliche Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit
Wie gut sind Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit auf den Bedarf der Beschäftigten abgestimmt? Trotz positiver Rückmeldungen zeigt sich, dass der Bedarf nicht ausreichend gedeckt ist. Dieser Beitrag beleuchtet das Thema anhand aktueller Ergebnisse der lidA-Studie des Lehrstuhls für Arbeitswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal.
Da in Deutschland immer mehr Menschen immer länger im Erwerbsleben verbleiben, nimmt auch die Anzahl älterer Beschäftigter mit schlechter Gesundheit zu.[1] Arbeiten mit eingeschränkter Gesundheit ist Realität für viele Beschäftigte, gerade in den späteren Lebensjahren. Sechs von zehn älteren Beschäftigten geben beispielsweise an, dass sie bei anstrengenden Tätigkeiten durch ihren Gesundheitszustand beeinträchtigt seien (Abbildung 1). Ein Drittel berichtet von starken Schlafstörungen. Jede oder jeder Sechste hatte in den vier Wochen vor der Befragung oft oder immer starke körperliche Schmerzen, ebenso viele fühlten sich oft oder immer niedergeschlagen. Was ermöglicht dieser großen Mehrheit unter den älteren Beschäftigten, trotz aller gesundheitlichen Einschränkungen weiter erwerbstätig zu sein?

Betriebliche Maßnahmen wirken
Ein Weg sind betriebliche Maßnahmen, die die Arbeitsumstände an die speziellen Bedürfnisse der Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen anpassen. Die internationale Studienlage belegt, dass solche Maßnahmen das Potenzial haben, die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschränkungen zu stärken.[2][3] Dabei handelt es sich nicht nur um klassische Maßnahmen des Arbeitsschutzes wie zum Beispiel ergonomische, sondern oft auch um arbeitsorganisatorische. Studienergebnisse weisen außerdem darauf hin, dass solche Anpassungen positive Effekte auf den Verbleib im Arbeitsleben haben können.[4][5] Beispielsweise zeigten Boot et al.[6], dass nach solchen Maßnahmen bei gesundheitlich eingeschränkten Beschäftigten die Arbeitsunfähigkeitstage zurückgingen, während dies bei deren Kollegen und Kolleginnen ohne solche Anpassungen nicht der Fall war.
Die niederländische Studie von Boot et al. hat die lidA-Forschungsgruppe (Infokasten 1) dazu inspiriert, in lidA-Befragungswelle 3 (2018) alle Beschäftigten mit sehr schlechter Gesundheit oder geringer Arbeitsfähigkeit ebenfalls nach „betrieblichen Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit“ zu befragen. Die Forschungsförderung der DGUV für Welle 3 machte dies möglich und sorgte damit für eine Reihe interessanter Befunde. So fanden Dettmann und Hasselhorn[7], dass unter älteren Beschäftigten mit sehr schlechter Gesundheit
- etwa die Hälfte in den letzten zwölf Monaten mindestens eine solche betriebliche Maßnahme erhalten hatte,
- knapp 60 Prozent aller, die Maßnahmen erhalten hatten, diese als „etwas oder sehr hilfreich“ bezeichneten,
- die tatsächlich erhaltenen Maßnahmen hinsichtlich Art, Rangfolge und Häufigkeit deutlich von den gewünschten Maßnahmen abwichen,
- der ungedeckte Bedarf nach (gegebenenfalls weiteren) Maßnahmen groß ist.
Infokasten 1: Die lidA-Studie
Seit 2011 begleitet die lidA-Studie (leben in der Arbeit) ältere Beschäftigte in Deutschland auf ihrem Weg vom Arbeitsleben in den Ruhestand. In drei- bis vierjährigen Abständen werden ältere Beschäftigte der Geburtsjahrgänge 1959, 1965 oder 1971 (Letztere seit 2022/2023) zu Hause oder telefonisch zu ihrer Arbeit, Erwerbstätigkeit, Privatleben, Gesundheit und auch zu ihren persönlichen Vorstellungen zum Rentenübergang interviewt. Die lidA-Studie basiert auf repräsentativ gezogenen Stichproben und umfasst bisher vier Erhebungswellen aus den Jahren 2011, 2014, 2018 und 2022/2023. Zuletzt wurden 8.884 Personen befragt, im Durchschnitt 82 Minuten lang.[8][9]
lidA-Broschüre – Arbeiten mit Krankheit
Die Ergebnisse der lidA-Studie werden für Beschäftigte, Betriebe und die Fachöffentlichkeit in Broschüren anschaulich aufbereitet. Ende 2024 ist die fünfte lidA-Broschüre mit dem Titel „Arbeiten mit Krankheit jenseits der 50 – vieles ist möglich“[10]erschienen. Sie wurde im Auftrag und in Abstimmung mit der Präventionsabteilung Gesundheit – Medizin – Psychologie der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) erstellt. Alle lidA-Broschüren und weitere Informationen sind über die Projektwebseite www.lida-studie.de erhältlich.
Im fachlichen Austausch mit dem begleitenden DGUV-Projektbeirat wurde abschließend festgestellt, dass diese Ergebnisse für die betriebliche Prävention ermutigend seien. Gerade aus primärpräventiver Sicht sei es nun aber von Interesse, sämtliche älteren Beschäftigten, also auch solche mit guter Gesundheit, zum Erhalt von Maßnahmen am Arbeitsplatz zu befragen. Es gehe bei solchen Maßnahmen ja darum, die gute Gesundheit aller Beschäftigten zu erhalten. So hat sich die Forschungsgruppe entschieden, die Fragen zu Maßnahmen am Arbeitsplatz (Infokasten 2) in lidA-Welle 4 (2022/2023) erneut zu stellen – diesmal aber sämtlichen Beschäftigten, das heißt 7.157 Personen. In diesem Beitrag werden nun erstmals Ergebnisse hierzu präsentiert. Dabei werden auch Maßnahmen berücksichtigt, die Beschäftigte im Zuge eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erhielten.
Infokasten 2: Frage nach „betrieblichen Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit“ in lidA[11]
„Wenn die Arbeit für einen Beschäftigten sehr anstrengend geworden ist, kann man die Tätigkeit oder den Arbeitsplatz anpassen. Uns interessiert, ob es bei Ihnen in den letzten 12 Monaten solche Anpassungsmaßnahmen gegeben hat. Es geht uns nur um Maßnahmen mit dem Ziel, Ihre Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu erhalten.“
Maßnahmen – wie häufig, wie hilfreich, wie viel Bedarf?
Es zeigt sich, dass nur relativ wenige Befragte in den zwölf Monaten vor der Befragung „Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit“ erhalten haben, nämlich 15,4 Prozent (Abbildung 2, linker, roter Kreis). Allerdings wird ebenfalls deutlich: Wenn Maßnahmen erhalten wurden, dann wurden sie fast immer auch als „hilfreich“ beurteilt (mittlerer, grüner Kreis). Darüber hinaus offenbart sich ein hoher ungedeckter Bedarf: Unter allen Befragten wünschten sich 64 Prozent (gegebenenfalls weitere) Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit (rechter, blauer Kreis). Damit unterstreichen diese Ergebnisse das große Potenzial betrieblicher Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit und belegen gleichzeitig, dass sie viel zu wenigen älteren Beschäftigten angeboten werden.
Um die weitere Verbreitung solcher Maßnahmen zu fördern, ist es erforderlich, Umstände und Mechanismen zu erkennen, die erklären können, warum manche Gruppen eher Maßnahmen erhalten und andere nicht. Ist es der objektive Bedarf der Beschäftigten, der den Erhalt bestimmt? Die risikobehaftete Tätigkeit, die Aufmerksamkeit der Führungskraft, das Vermögen der Beschäftigten, eigenen Bedarf kundzutun, oder vielleicht schlicht und einfach das Ausmaß an Zugang und Erreichbarkeit? Allein diese Überlegungen legen nahe, dass der Erhalt betrieblicher Maßnahmen zur Förderung von Arbeitsfähigkeit und Gesundheit von zahlreichen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Vermutlich kommen häufig mehrere von ihnen zusammen. Um die gestellte Frage zu beantworten, werden im Folgenden zunächst die Maßnahmen nach ihrer Art detailliert aufgeführt. Anschließend wird in Tabelle 1 eine Aufschlüsselung von Erhalt, Wirksamkeit und (weiterem) Bedarf nach soziodemografischen, persönlichen und arbeitsbezogenen Faktoren präsentiert. Ferner wird in Tabelle 2 der Erhalt von Maßnahmen differenziert nach Berufsgruppen dargestellt. Auf dieser Grundlage werden abschließend Anregungen für die betriebliche Präventionsarbeit abgeleitet.

Welche Maßnahmen erhalten ältere Beschäftigte?
Die mit Abstand häufigste Maßnahme war eine Verbesserung des Arbeitsplatzes. Gut die Hälfte aller, die Maßnahmen erhalten hatten, nannte diese Maßnahme (Abbildung 3). Ähnliches ergab auch die niederländische Studie von Boot et al.[12], an der die lidA-Studie sich bei der Erstellung des Fragenmoduls orientiert hat. Regelmäßige Feedbackgespräche mit dem oder der Vorgesetzten folgten mit einigem Abstand (29 Prozent). Sie waren fast immer mit weiteren Maßnahmen kombiniert. Es ist naheliegend, dass im Zuge der Gespräche Entscheidungen über weitere Maßnahmen getroffen werden. Arbeiten von zu Hause als Maßnahme zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit war in Welle 3 (2018) noch die seltene Ausnahme.[13] Seit der Coronapandemie scheint sie aber akzeptiert zu sein und ist mit 26 Prozent unter den Empfängerinnen und Empfängern von Maßnahmen weitverbreitet.

Einige Maßnahmen wurden signifikant häufiger von Beschäftigten mit schlechter Gesundheit genannt, nämlich solche, bei denen sichtbar entlastend in den Arbeitsalltag eingegriffen wird. Es handelt sich um die Maßnahmen: stufenweise Wiedereingliederung, Reduzierung körperlicher Belastungen, längerfristige Reduzierung der Arbeitszeit, individuelle Begleitung zum Beispiel durch BEM-Coach, Umsetzung auf einen neuen Arbeitsplatz und die Reduzierung der Arbeitsmenge. Umgekehrt wurden von Beschäftigten mit guter Gesundheit signifikant häufiger die folgenden Maßnahmen genannt: Verbesserung des Arbeitsplatzes, Arbeit von zu Hause sowie berufliche Weiterqualifikation.
Die Befragten des Jahrgangs 1971, die zum Zeitpunkt der Befragung 51 Jahre alt waren, hatten signifikant häufiger als die älteren Jahrgänge Maßnahmen der Flexibilisierung der Arbeitszeit und berufliche Weiterqualifikation erhalten. Die Älteren dagegen berichteten häufiger von der Reduzierung körperlicher Belastungen.
Bestimmt der objektive Bedarf den Erhalt?
Wenn es der objektive Bedarf wäre, der den Erhalt von Maßnahmen bestimmen würde, dann müssten Beschäftigte mit schlechter Gesundheit und geringer Arbeitsfähigkeit auch eher solche Maßnahmen erhalten.
Dies trifft zu für die körperliche Gesundheit und auch die Arbeitsfähigkeit (Tabelle 1). Hier ist ein signifikanter Gradient zu finden: Je schlechter beziehungsweise geringer, desto eher werden Maßnahmen erhalten, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. Bei Beschäftigten, die sich in Bezug auf ihre körperliche Gesundheit im schlechtesten Viertel befinden, ist zu erwarten, dass mehr als lediglich 19 Prozent von ihnen Maßnahmen erhalten. Vergleichbares gilt für die Arbeitsfähigkeit.

Interessanterweise findet sich dieser Gradient in Bezug auf die mentale Gesundheit nicht. Offenbar wird eine geringe mentale Gesundheit nicht in gleichem Maß als Anlass für die Nachfrage oder das Angebot von Maßnahmen angesehen. Mentale Gesundheit, wie sie in lidA gemessen wird, verteilt sich nicht klar entlang sozialer Statusgruppen wie körperliche Gesundheit. So berichten Beschäftigte aus einigen Männer-dominierten, schwer körperlich tätigen Berufsgruppen im Mittel eine gute mentale Gesundheit – trotz schlechter körperlicher Gesundheit und geringer Arbeitsfähigkeit (zum Beispiel Beschäftigte im Fahrzeugbau, Holzverarbeitung, Hausmeister und Hausmeisterinnen, Berufskraftfahrende; siehe Tabelle 2).
Beschäftigte mit ungünstiger Arbeitsexposition erhalten in der Regel seltener (!) Maßnahmen als solche mit besserer. Dies gilt in Bezug auf die Führungsqualität ebenso wie für die körperliche Arbeitsexposition. Personen, die mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit schwer heben und tragen oder ungünstige Körperhaltungen einnehmen, erhielten nur in 13 Prozent Maßnahmen.

Einfluss von Gesundheits- und Führungskultur
Die Ergebnisse zu zwei Einflussfaktoren heben die Bedeutung einer betrieblichen Gesundheits- und Führungskultur hervor: In der großen Gruppe der Beschäftigten, die der Aussage voll zustimmen, dass in ihrem Betrieb der Gesundheit eine hohe Bedeutung beigemessen wird, haben 21 Prozent Maßnahmen erhalten, mehr als jede andere Untergruppe in Tabelle 1. Die Gruppe derer, die hier gar nicht zustimmt, liegt mit sieben Prozent dreimal niedriger. Die betriebliche Gesundheitskultur zeigt sich in der lidA-Studie immer wieder als äußerst einflussreich, zum Beispiel auch in Bezug darauf, wie lange die Beschäftigten erwerbstätig bleiben können und möchten.[14]
In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse zur Rolle der Führungsqualität. In der Gruppe der Befragten, die die beste Führungsqualität erlebten, erhielten 20 Prozent Maßnahmen. Von diesen wiederum bewerteten 72 Prozent ihre Maßnahmen als „sehr hilfreich“, mehr als in jeder anderen Gruppe in Tabelle 1. Naheliegend ist, dass bei guter Führungsqualität die Maßnahmen besser abgestimmt sind mit den konkreten Bedürfnissen der Beschäftigten. Umgekehrt erhalten unter denjenigen, die schlechte Führungsqualität erleben, lediglich 13 Prozent Maßnahmen. Von diesen bewerten lediglich 51 Prozent die Maßnahmen als „sehr hilfreich“. Interessanterweise wünschten sich diese Beschäftigten auch nur relativ selten (weitere) Maßnahmen. Hier erreichen sie mit 49 Prozent den niedrigsten Wert in Tabelle 1, gemeinsam mit der Gruppe mit schlechter mentaler Gesundheit. Denkbar ist, dass sie ihren Bedarf nicht erwägen und erkennen, weil individuelle Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit nicht zur Normalität ihres Arbeitsalltags gehören.
Einfluss von Erreichbarkeit
Die Auflistung nach Berufsgruppen (Tabelle 2) gibt Hinweise darauf, dass auch die Erreichbarkeit der Beschäftigten bestimmen könnte, ob sie Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit erhalten. Einige oft räumlich mobile Berufsgruppen finden sich am unteren Ende der Tabelle, obwohl sie gesundheitlich und auch beruflich besonders belastet sind: Von den Beschäftigten in der Zustellung haben lediglich zehn Prozent Maßnahmen erhalten, Beschäftigte in der Reinigung lediglich zu sechs Prozent und Berufskraftfahrende nur zu drei Prozent, dem niedrigsten Wert überhaupt.
Viele Bedürftige äußern keinen Bedarf
Die in Tabelle 1 dargestellten Ergebnisse zu Maßnahmenerhalt, -wirksamkeit und -wunsch offenbaren eine ausgeprägte soziale Ungleichheit bei betrieblicher Präventionsarbeit: Beschäftigtengruppen mit besseren Arbeitsbedingungen erhielten häufiger Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit als solche mit schlechteren. Noch deutlicher sind die sozialen Unterschiede im Hinblick auf die Wirksamkeit und insbesondere den Wunsch nach weiteren Maßnahmen. Hier gilt: Wer einen erhöhten Bedarf hat, also eine schlechtere Gesundheit beziehungsweise Arbeitsfähigkeit oder auch schlechtere Arbeitsbedingungen, bewertet erhaltene Maßnahmen seltener als hilfreich und wünscht sich weniger häufig (weitere) Maßnahmen.
Die Darstellung nach Berufsgruppen in Tabelle 2 hilft, dies zu konkretisieren: Viele Berufsgruppen, die als besonders präventionsbedürftig und vulnerabel gelten können, erhalten weniger häufig Maßnahmen und finden sich daher in der unteren Tabellenhälfte. Nicht-manuelle Berufsgruppen rangieren dagegen eher oben. Hier kommen vermutlich soziale und psychologische Mechanismen ins Spiel: Das Vermögen höher qualifizierter Beschäftigter, den eigenen Maßnahmenbedarf zu äußern, könnte beispielsweise den hohen Rang von Beschäftigten in der Geschäftsführung erklären. Dagegen kann für die sieben Berufsgruppen am unteren Ende der Tabelle 2 angenommen werden, dass die Äußerung von Maßnahmenbedarf und weiterer eigener Interessen gegenüber dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin weniger erlernt ist. Dies entspricht weniger dem eigenen Rollenverständnis und/oder ist möglicherweise mit einem erhöhten Risiko von negativen Sanktionen durch den Arbeitgeber beziehungsweise die Arbeitgeberin verbunden.
Baldridge und Veiga[15] haben untersucht, warum Menschen mit Behinderungen in den USA ihr Recht auf Unterstützungsmaßnahmen häufig nicht wahrnehmen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Bereitschaft, solche Maßnahmen einzufordern, maßgeblich von persönlichen, normativen Überzeugungen beeinflusst wird. Insbesondere spielen wahrgenommene persönliche Risiken und Kosten eine zentrale Rolle – dazu zählen die Angst vor negativen Reaktionen, Imageverlust oder Stigmatisierung durch die Offenlegung gesundheitlicher oder funktionaler Einschränkungen sowie potenzielle rechtliche Konsequenzen. Auch die Wahrnehmung von Unfairness und Unzuverlässigkeit im Umsetzungsprozess sowie die Sorge vor rechtlichen Nachteilen können hier Einfluss nehmen. Diese potenziellen Kosten werden von den Betroffenen gegen den erwarteten Nutzen der Maßnahmen abgewogen.
Schlussfolgerungen
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass betriebliche Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit mit 15,4 Prozent in zwölf Monaten bei älteren Beschäftigten in Deutschland nur selten erfolgten. Aber offenbar können diese Maßnahmen eine erhebliche Wirksamkeit entfalten, denn 93 Prozent aller, die Maßnahmen erhalten haben, bewerteten diese als hilfreich. Der subjektive Bedarf ist groß, 64 Prozent aller älteren Beschäftigten wünschen sich solche Maßnahmen. Selbst bei denen, die solche in den zurückliegenden zwölf Monaten bereits erhalten hatten, waren es noch 60 Prozent. Dass der Bedarf nach Maßnahmen üblicherweise größer ist als das Angebot, ist aus der wissenschaftlichen Literatur bekannt.[16] Die aus Präventionssicht entscheidende Frage ist also: Warum ist dieser große Bedarf trotz der hohen Wirksamkeit weitgehend ungedeckt?
Ungleichheiten bei Erhalt, Wirksamkeit und Wunsch
Der Zugang zu Maßnahmen wie auch deren Wirksamkeit hängen offenbar stark von verschiedenen Faktoren ab, darunter körperliche Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, Gesundheitskultur und Führungsqualität. Damit zeigt diese Studie, dass strukturelle und kulturelle Faktoren in Betrieben eine entscheidende Rolle spielen. Beschäftigtengruppen und Berufe mit geringer Verhandlungsmacht scheinen benachteiligt zu sein, was auf strukturelle Ungleichheiten schließen lässt. Frühere Forschungsergebnisse weisen auch auf die Beteiligung psychologischer Mechanismen beim Wunsch und bei der Inanspruchnahme von Maßnahmen.[17]
Präventionspotenzial und Herausforderungen
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass präventive Maßnahmen – sofern sie ergriffen werden – in den meisten Fällen hilfreich und sinnvoll sind. Dies trifft sowohl auf gesundheitlich eingeschränkte Beschäftigte als auch auf Personen mit guter Gesundheit zu. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines individuenzentrierten Ansatzes, der die Zusammenarbeit vieler Akteure aus betrieblicher Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz erfordert. Allerdings nehmen Führungskräfte hier eine Schlüsselrolle ein. Eine besondere Herausforderung der Prävention ist es zudem, dass der Erhalt von Maßnahmen offenbar oft von der Fähigkeit und Möglichkeit abhängt, den eigenen Bedarf zu artikulieren. Vor allem Beschäftigte in besonders belastenden Berufen oder mit geringem Zugang zu Führungskräften scheinen hier im Nachteil zu sein.
Mehrere Ansatzpunkte für die betriebliche Präventionsarbeit lassen sich ableiten:
- Verbesserung des Zugangs: Maßnahmen sollten breiter verfügbar gemacht werden, insbesondere in kleinen Betrieben, für Beschäftigte mit wechselnden Arbeitsorten und nicht zuletzt für Beschäftigte mit geringer Verhandlungsmacht.
- Sensibilisierung von Führungskräften: Führungskräfte sollten sich ihrer aktiven Rolle bewusst sein, die häufig zur Initiierung und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit bei Beschäftigten erforderlich ist. Sie sollten auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugehen und dabei deren Bedenken und Hemmungen verstehen, Maßnahmen nachzufragen.
- Förderung der Gesundheitskultur: Betriebe sollten ein Umfeld pflegen, in dem die Gesundheit der Beschäftigten als zentraler Wert wahrgenommen wird. Dies sollte beinhalten, dass die Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit einen selbstverständlichen Teil des betrieblichen Handelns darstellt. Durch eine Kultur, die den offenen Dialog über Anpassungsbedürfnisse fördert, profitieren sowohl die betroffenen Beschäftigten als auch die Organisation als Ganzes.[18]
- Präventiver Fokus: Maßnahmen sollten nicht nur reaktiv, sondern proaktiv umgesetzt werden, um viele Beschäftigte und insbesondere solche mit dem größten Bedarf zu erreichen. Dies gilt für primär- wie sekundärpräventive Maßnahmen.
- Sensibilisierung von Betrieben: Übergreifende Institutionen sollten Strategien entwickeln, um Verantwortliche in möglichst vielen Betrieben gezielt anzusprechen und sie umfassend über die erheblichen Potenziale betrieblicher Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit aufzuklären.
Dieser Beitrag zeigt, dass insbesondere in Zeiten älter werdender Belegschaften das wirkungsvolle Präventionsinstrument „Maßnahmen zur Förderung von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit“ das Potenzial hat, in größerem Umfang als bisher Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu fördern, so zu mehr Lebensqualität und Beschäftigung beizutragen und gleichzeitig auch soziale Ungleichheiten in der Prävention zu reduzieren.
Förderhinweis
Das Projekt wird gefördert von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund, Förderkennzeichen 0421/40-64-50-78).