Wie erleben ältere Beschäftigte digitalisierte Arbeit?
Eine ältere Erwerbsbevölkerung trifft auf zunehmend digitalisierte Arbeit. Der Artikel stellt anhand von Daten aus der lidA-Studie des Lehrstuhls für Arbeitswissenschaft der Bergischen Universität Wuppertal vor, wie sich das Erleben von Arbeitsintensivierung durch digitalisierte Arbeit bei älteren Beschäftigten entwickelt.
Der demografische Wandel ist längst ein vertrauter Hintergrund für Diskussionen über die Arbeitswelt in Deutschland. Der „Fachkräftemangel“ – oder inzwischen noch genereller: der „Arbeitskräftemangel“ – wird stark damit verknüpft, auch wenn es weitere Gründe für diesen Mangel gibt.[1] Die Erwerbsbeteiligung Älterer zu erhöhen, wird in dieser Situation als eine von mehreren Stellschrauben angesehen, um dem Mangel entgegenzuwirken. Der Versuch, die Erwerbsbeteiligung von Beschäftigten ab 50 Jahren zu erhöhen, trifft allerdings darauf, dass eine deutliche Mehrheit älterer Beschäftigter nicht einmal bis zum Regelrentenalter arbeiten möchte.[2] Hier zeichnen sich gesellschaftliche Spannungen ab.
Angesichts dieser Situation scheint die seit Jahren zunehmende Digitalisierung von Unternehmensprozessen als Effizienztreiber den Unternehmen Abhilfe zu versprechen. Digitalisierte Arbeit kann – neben anderen Vorteilen – den Personaleinsatz verringern, mithilfe von Homeoffice-Angeboten mehr (mögliche) Mitarbeitende ansprechen und einige bisherige Tätigkeiten auch vollkommen überflüssig machen (Substitution). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt für Deutschland, dass 38 Prozent der Beschäftigten in Berufen arbeiten, in denen der größte Teil der Tätigkeiten durch Computer oder computergesteuerte Maschinen ersetzt werden könnte (Stand 2022).[3] Für Personen in Beschäftigung kann allerdings gerade die Aussicht darauf, dass ihre altvertrauten Tätigkeiten obsolet werden, bedrohlich wirken, da mindestens eine Anpassung an neue Tätigkeiten verlangt wird oder sogar der Jobverlust droht.
Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht stellt sich wiederum die Frage, welche Tätigkeiten durch Digitalisierung ersetzt werden. Sind es die langweiligen Routinetätigkeiten, die wegfallen werden, oder eher die kreativen und herausfordernden? Durch digitalisierte Arbeit kann der Handlungsspielraum von Beschäftigten erweitert werden, wenn sie zum Beispiel mehr digital verfügbare Informationen für eine Entscheidung heranziehen können. Er kann allerdings auch eingeengt werden, wenn etwa ein Sachbearbeiter, der früher selbst über Fälle entschieden hat, heute Entscheidungsvorlagen von einer künstlichen Intelligenz (KI) erhält, die er nur noch prüfen soll.
Durch die steigende Verfügbarkeit von generativer KI in den vergangenen Jahren wandelt sich dabei das bisherige Bild, dass vor allem Tätigkeiten von Hilfs- und Fachkräften ersetzbar sind. Der Anteil von Tätigkeiten, die ersetzbar scheinen, hat in den vergangenen Jahren in Expertenberufen am stärksten zugenommen.[4] Abhängig davon, wie sich Tätigkeiten wandeln, wie sie wegfallen oder neu entstehen, sind jeweils verschiedene Folgen für die Arbeitsmotivation und die Gesundheit von Beschäftigten zu erwarten. „Den einen“ Einfluss der Digitalisierung gibt es nicht.
Haben Ältere Probleme mit digitalisierter Arbeit?
Die generelle Frage danach, wie sich digitalisierte Arbeit auf Beschäftigte auswirkt, wird noch gewichtiger, wenn man es mit einem steigenden Anteil Älterer im Arbeitsleben zu tun hat. Die Vermutung, dass ältere Beschäftigte mit digitalisierter Arbeit schlechter zurechtkämen als jüngere, hält sich hartnäckig und ist insbesondere in der Praxis immer wieder anzutreffen.[5] Sie hätten in diesem Bereich geringere Kompetenzen, würden langsamer dazulernen und seien somit schneller überfordert.
Doch inwieweit handelt es sich dabei um einen Fakt, inwieweit um ein Vorurteil? Auffallend ist hier, dass die Frage schon seit etwa 30 Jahren mit ähnlichen Vorzeichen diskutiert wird – obwohl die Älteren von 1994 sich in ihrer „digitalen Laufbahn“ ganz wesentlich von den Älteren des Jahres 2024 unterscheiden dürften. Dies wird aber in der Diskussion oft ausgeblendet. Der inzwischen populäre Wortgebrauch, der die „Digital Natives“ (die digital „Eingeborenen“ der jüngeren Jahrgänge) den „Digital Immigrants“ (den digital „Zugewanderten“ der älteren Jahrgänge) gegenüberstellt, interpretiert eventuelle Unterschiede – mal mehr, mal weniger ausdrücklich – als Altersunterschiede und nicht als Generationenunterschiede. Ein solches Denken ignoriert, dass eine 1965 geborene Person („Babyboomer“-Jahrgang) durchaus 1995 mit ihrer digitalen Laufbahn begonnen haben kann und heute schon länger digitale Erfahrungen gesammelt haben kann, als eine 25-jährige Person lebt. Außerdem blendet dieses Denken die Frage danach aus, über welche konkreten digitalen Kompetenzen und Neigungen Personen aus den jeweiligen Altersgruppen verfügen und inwiefern diese jeweils relevant für den Arbeitsplatz sind – oder im Gegenteil sogar hinderlich. Kortmann et al.[6] zeigen zudem, dass höhere Digitalisierungslevel im Beruf mit positiveren Altersselbstbildern einhergehen, und warnen davor, ältere Beschäftigte – selbst in protektiver Absicht – von digitalisierten Tätigkeiten abzuhalten.
Bildung und Arbeit wichtiger als das Alter
Eine ökonometrische Studie aus den USA zieht Daten von 1984 bis 2018 heran, um der Frage nach dem Altersunterschied nachzugehen. Tatsächlich zeigte sich eine Alterskluft in der Computernutzung am Arbeitsplatz. Diese hatte ihren Höhepunkt jedoch etwa in den 1990er-Jahren! Seitdem gleichen sich die Altersgruppen wieder aneinander an („The knowledge gap between age groups was temporary“[7]). Ein Unterschied, der hingegen über die gesamte Zeit hin bestehen blieb, ist der zwischen Personen mit hoch versus niedrig qualifizierten Tätigkeiten: Letztere haben eine geringere Neigung zu digitalen Aktivitäten. Bildungsstand und/oder Anforderungsniveau der Tätigkeit sind also für die Computernutzung möglicherweise relevanter als das Lebensalter. Ähnliches stellt Kirchner[8] im Querschnitt anhand von repräsentativen Daten aus dem European Working Condition Survey (EWCS) aus dem Jahr 2010 fest. Aus diesen Befunden ergeben sich gute Ansatzpunkte für präventives Handeln. Und sie untermauern die Bedeutung systematischer Ansätze zur Verringerung des „Digital Skills Gap“.[9] An diesen Studien kann kritisiert werden, dass sie nur mit relativ groben Digitalisierungsindikatoren arbeiten, zum Beispiel Fragen nach Computer- und Internetnutzung. Deren Vorteil ist allerdings die Möglichkeit langer Längsschnitte und die Anwendbarkeit auf die allgemeine Erwerbsbevölkerung mit ihren sehr unterschiedlich digitalisierten Berufsgruppen.
Auch das DGUV-geförderte Forschungsprojekt „lidA III – Auswirkungen des Wandels der Arbeit“[10] untersuchte, wie ältere Beschäftigte digitalisierte Arbeit erleben. Das Projekt war Teil der Langzeitstudie „lidA – leben in der Arbeit“ (siehe Infokasten 1, Details unter https://www.dguv.de/ifa/forschung/projektverzeichnis/ff-fp0403.jsp).
Der überwiegende Teil älterer Beschäftigter gab in der Befragungswelle im Jahr 2018 an, sich bei der Nutzung digitaler Arbeitsmittel (eher) sicher und (eher) zufrieden zu fühlen. Wer digitale Arbeitsmittel häufig nutzte, hatte keine schlechtere psychische Gesundheit als Personen, die diese selten nutzten. Die Arbeitsfähigkeit lag sogar höher[11], ebenso die Motivation, weiter erwerbstätig zu bleiben[12]. Die große Stichprobe der Studie ermöglichte zu zeigen, dass diese Effekte unabhängig vom beruflichen Anforderungsniveau (Experten und Expertinnen, Spezialisten und Spezialistinnen, Fachkräfte, Hilfskräfte) auftreten. So konnte ausgeschlossen werden, dass die positiven Effekte des digitalisierten Arbeitens nur Folge eines höheren Sozialstatus sind.
Einschränkend muss aber gesagt werden: Wenn das digitalisierte Arbeiten dazu führte, dass mehr und schneller gearbeitet werden musste (Arbeitsintensivierung), fielen mentale Gesundheit und Arbeitsfähigkeit geringer aus.[13] Dass digitalisiertes Arbeiten häufig mit Arbeitsintensivierung einhergeht und dass dies als belastend erlebt wird, stimmt überein mit anderen Befunden.[14][15]
Digitalisierte Arbeit kann auf verschiedenen Wegen zur Arbeitsintensivierung beitragen, zum Beispiel durch erhöhte Lernanforderungen oder erweiterte arbeitsbezogene Erreichbarkeit. Im Projekt lidA III zeigte sich zum Beispiel, dass schon die Erwartung, in der Freizeit dienstlich kontaktiert zu werden, bei der Hälfte der Betroffenen Unzufriedenheit auslöste.[16] Auch Erschöpfungszustände sind als mögliche Folge einer solchen Entgrenzung bekannt. Hier könnte eine verringerte Arbeitsfähigkeit aufgrund mangelnder Erholung in der Freizeit dazu führen, dass eine objektiv unveränderte Arbeit als intensiviert empfunden wird, dass also erhöhte Beanspruchung auftritt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Eine zunehmend ältere Erwerbsbevölkerung trifft auf zunehmend digitalisierte Arbeit – und das oft vor dem Hintergrund gesteigerter Produktivitätserwartungen der Unternehmen. Zwar gehört der Generalverdacht, dass ältere Erwerbstätige stärker als jüngere digitalisiertes Arbeiten als problematisch erleben, auf den Prüfstand. Trotzdem ist es relevant für die Prävention, mögliche ungünstige Ausprägungen digitalisierten Arbeitens bei der wachsenden Gruppe der Älteren im Blick zu behalten. Daher soll im Folgenden anhand von Daten der lidA-Studie (siehe Infokasten 1) betrachtet werden, wie sich das Erleben von Arbeitsintensivierung durch digitalisierte Arbeit (im Folgenden kurz: „Arbeitsintensivierung“) unter älteren Beschäftigten in den vergangenen Jahren entwickelt hat.
Infokasten 1: Studien-Steckbrief „lidA – Leben in der Arbeit“ (www.lida-studie.de)
• Die Studie folgt mehreren Kohorten älterer Beschäftigter, die wiederholt befragt werden. So können Verläufe über lange Abschnitte betrachtet werden.
• Die Befragten wurden zufällig und repräsentativ aus Daten der Bundesagentur für Arbeit (sozialversicherungspflichtig beschäftigt jeweils zu einem bestimmten Stichtag) gezogen. Die Personen wurden an 220 Orten in Deutschland in ihrer eigenen Wohnung interviewt. Da die Welle 4 in die Zeit der Coronapandemie fiel, wurde hier als Alternative eine telefonische Variante der Befragung angeboten, um möglichst vielen Personen die Teilnahme zu ermöglichen.
• Erhebungswellen fanden in den Jahren 2011, 2014, 2018 und 2022/2023 statt. Der Beitrag verwendet Daten von Personen, die 1959 oder 1965 geboren sind, aus den Wellen 3 und 4.
• Vorstellung von Ergebnissen aus Welle 4: „Warum wollen ältere Beschäftigte früh in die Rente?“ https://arbeit.uni-wuppertal.de/fileadmin/arbeit/Brosch%C3%BCre_und_Flyer/vollst%C3%A4ndigelidA-Brosch%C3%BCreWelle4.pdf
Arbeitsintensivierung durch digitalisierte Arbeit?
Betrachtet wurde der Teil der Gesamtstichprobe, der an den Befragungswellen 3 (2018) und 4 (2022/2023) teilgenommen hat. Die Befragten waren entweder 1959 oder 1965 geboren und gehörten damit den „Babyboomer“-Jahrgängen an. Die Fragen zur Arbeitsintensivierung wurden jeweils nur an Erwerbstätige gerichtet, die zuvor bejaht hatten, mindestens ein digitales Arbeitsmittel zu benutzen (n = 1.997). Details finden sich in Infokasten 2.

Abbildung 1 zeigt, wie die Befragten die Arbeitsintensivierung ihrer digitalisierten Arbeit im Längsschnitt bewerten. 2018 erlebten 18,2 Prozent eine hohe Arbeitsintensivierung („W3 – AI hoch“), vier Jahre später war der Anteil nur geringfügig auf 20,3 Prozent angestiegen („W4 – AI hoch“). Zu jedem Zeitpunkt erlebte also eine sehr deutliche Mehrheit nur geringe (oder keine) Arbeitsintensivierung. Der Unterschied der Gruppenmittelwerte zu beiden Zeitpunkten war nicht signifikant (M2018 = 2,53, M2022 = 2,56; t-Test für gepaarte Stichproben; t(1996) = –1,126, p = .130). Die Abbildung 1 zeigt außerdem die Dynamik des Phänomens. Bei 20,1 Prozent der Befragten hat sich die Arbeitsintensivierung über die beiden Messzeitpunkte verändert: 9,2 Prozent erlebten 2018 hohe Arbeitsintensivierung und vier Jahre später niedrige (b), bei 11,1 Prozent verhielt es sich genau umgekehrt (c). Offensichtlich ist aber auch: Wer 2018 schon hohe Arbeitsintensivierung erlebt hatte, hatte ein deutlich erhöhtes Risiko, diese Exposition auch vier Jahre später zu erleben.
Tatsächlich hat also Arbeitsintensivierung durch digitalisiertes Arbeiten im Mittel unter älteren Beschäftigten von 2018 bis 2022 nicht signifikant zugenommen. Dies mag überraschen, da die zweite Erhebung gegen Ende der Coronapandemie stattfand, die einen allgemeinen Digitalisierungsschub mit sich gebracht hatte.[17] Ein Erleben zusätzlicher Arbeitsintensivierung wäre hier naheliegend gewesen. Allerdings war die Situation 2022/2023 nicht mehr neu, und es ist denkbar, dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Gewöhnung an neu eingeführte Technologien aufgetreten war. Auch zu bedenken ist die Möglichkeit des „Survivor-Effekts“, dass nämlich Personen, deren Arbeitsfähigkeit durch Arbeitsintensivierung besonders beeinträchtigt war, nach 2018 die Arbeitswelt verlassen haben und somit nicht in die Auswertung eingingen. Dadurch würde eine Zunahme von Arbeitsintensivierung unterschätzt.
Auch wenn Arbeitsintensivierung unter älteren Beschäftigten seit 2018 nicht nennenswert zugenommen hat, sollte die stark beanspruchte Gruppe Beachtung finden, die zu beiden Erhebungszeitpunkten (und vielleicht durchgängig) hohe Arbeitsintensivierung erlebt hat (9,2 Prozent der Befragten). Zudem können auch Personen, die nur zu einem der beiden Zeitpunkte hohe Arbeitsintensivierung angeben, diese Belastung während eines großen Teils der vier Jahre erlebt haben (weitere 21,1 Prozent der Befragten (b+c, Abb. 1)). In beiden Gruppen (zusammen 30,3 Prozent und damit mehr Personen, als man im einfachen Querschnitt identifiziert hätte) ist mit ungünstigen Folgen für die Gesundheit und Arbeitsmotivation zu rechnen, die dem Verbleib der Älteren im Unternehmen und vielleicht im Arbeitsleben überhaupt entgegenstehen. Drei häufig genannte Aspekte, warum ältere Beschäftigte mit Frühausstiegswunsch vielleicht doch noch länger arbeiten würden, sind freies Bestimmen darüber, wie viel und wann sie arbeiten, sowie eine nicht zu anstrengende Tätigkeit.[18] „Mehr und schneller arbeiten müssen“ scheint damit wenig kompatibel.
Will man ältere Beschäftigte in ihrer Tätigkeit halten, spricht also einiges dafür, die digitalisierte Arbeit im Unternehmen nicht nur anhand technischer oder (kurzfristiger) ökonomischer Indikatoren zu optimieren, sondern auch Fragen der Ergonomie und der Optimierung psychischer Belastungen ernst zu nehmen. Wie dies geht, ist aus der Forschung schon seit Langem bekannt: Partizipation von Beschäftigten bei der Einführung oder Änderung von Technologien, Zeit zur Einarbeitung gewähren, gute ergonomische Gestaltung von Software und dauerhafte, leicht verfügbare Unterstützung für Anwender und Anwenderinnen. Der demografische Wandel ist ein Anlass, sich diese Erkenntnisse wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Infokasten 2: Wie wurde Arbeitsintensivierung erhoben?
Arbeitsintensivierung durch digitale Technologien wurde erhoben mit den beiden Statements „Aufgrund der digitalen Technologien am Arbeitsplatz … habe ich mehr Arbeit als früher/…muss ich schneller arbeiten als früher.“ (1: trifft sehr zu, 2: trifft überwiegend zu, 3: trifft teilweise zu, 4: trifft überwiegend nicht zu, 5: trifft überhaupt nicht zu). Der Mittelwert dieser beiden Items bildete den Indikator „Arbeitsintensivierung durch digitale Technologien“, wobei die Ausprägungen 4 bis 5 als „hoch“ gelten, Werte darunter als „niedrig“. Er wurde jeweils für Welle 3 (2018) und 4 (2022/2023) berechnet.
Förderhinweis
Dieser Beitrag wurde gefördert durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.