Gesundheitswirksame Führung in der Verwaltung anhand des IGLO-Modells

Die Hessische Finanzverwaltung hat für sich erkannt, dass es eine ressourcenstärkende Gesundheitskultur braucht, um heutigen und zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Diese bildet die Basis, damit Führungskräfte die Beschäftigten, verschiedene Gruppen im Unternehmen, die Organisation und sich selbst gesund in die Zukunft führen können.

Der demografische Wandel und die fortschreitende Technologisierung des Arbeitslebens sind zwei wesentliche Veränderungen, die auch die Hessische Finanzverwaltung vor Herausforderungen stellt.[1] Das zunehmende Durchschnittsalter der Beschäftigten mit den altersbedingten Personalabgängen sowie die Arbeitsverdichtung verbunden mit Überlastung, Zeitdruck und Stress bleiben auch in der Verwaltung nicht ohne Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten. Eine Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung), die regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Medical Airport Service GmbH stattfindet, unterstreicht die insgesamt hohe Arbeitsintensität in allen Bereichen der Finanzverwaltung. Die befragten Beschäftigten geben an, dass sie große Arbeitsmengen zu bewältigen haben und eine hohe Konzentration von ihnen gefordert wird. Teilweise wird zudem eine höhere Taktung des Arbeitsalltags bedingt durch eine gestiegene Anzahl an (virtuellen) Meetings infolge der hybriden Zusammenarbeit erlebt. Auch die Pausenkultur scheint zu leiden und die Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben scheint vielen Beschäftigten zunehmend schwerer zu fallen. Dadurch nehmen Beanspruchungsreaktionen wie Anspannung, Erschöpfung und psychosomatische Beschwerden zu. Doch wie lässt sich diesen Herausforderungen begegnen?

Die Hessische Finanzverwaltung hat für sich erkannt, dass die Förderung einer ressourcenstärkenden Gesundheitskultur bereits heute zentral ist und perspektivisch noch stärker an Bedeutung gewinnen wird. Für eine nachhaltige Gestaltung und Umsetzung einer entsprechenden Gesundheitskultur sind Führungskräfte in der Finanzverwaltung ein entscheidender Schlüsselfaktor. Sie sind Vorbild und Wegbereiter, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen und ihre Mitarbeitenden und Teams auf dem Weg in eine gesunde Zukunft, geprägt von demografischem Wandel, Digitalisierung, Arbeitsverdichtung und hybrider Zusammenarbeit, aktiv mitnehmen.

Was brauchen Führungskräfte?

Dabei geht das Führungsverständnis im Rahmen einer ressourcenstärkenden Gesundheitskultur in der Finanzverwaltung über die Rolle der Führungskraft hinaus. Die Rückmeldungen aus der Mitarbeitendenbefragung legen nahe, dass es eine Erweiterung um die Ebenen der Team- und Selbstführung im Kontext der organisationalen Rahmenbedingungen braucht. Um eine entsprechende Gesundheitskultur zu schaffen und nachhaltig zu etablieren, hält die Hessische Finanzverwaltung daher seit vielen Jahren ein umfangreiches Angebot an Ressourcen im Bereich des behördlichen Gesundheitsmanagements bereit. Das behördliche Gesundheitsmanagement, das unter der Dachmarke „jobfit“ fest etabliert ist, zielt darauf ab, die Gesundheitspotenziale nicht nur der Beschäftigten, sondern insbesondere auch der Führungskräfte hinsichtlich ihrer Rolle und Position, aber eben auch mit Blick auf die Themenfelder Team- und Selbstführung zu stärken. Die Angebote an Ressourcen werden stetig ausgebaut und an die aktuellen Bedarfe der Führungskräfte, der Beschäftigten und der Verwaltung angepasst. Diese Ressourcen stellen die zentrale Basis dar, damit Führungskräfte den Ansprüchen an ihre Rolle im Zusammenhang mit der gesundheitswirksamen Führung sowie ihrer Fürsorgepflicht gerecht werden können. Doch was genau brauchen Führungskräfte, um gesund in die Zukunft zu führen?

Ergebnisse einer Metaanalyse zeigen, dass Ressourcen auf verschiedenen organisationalen Ebenen geeignet sind, um das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit in Organisationen zu fördern[2] und  entsprechend gesundheitswirksames Führen zu unterstützen. In Orientierung daran wird das IGLO-Modell, das Ressourcen nach vier Quellen klassifiziert[3], zugrunde gelegt. Demnach braucht  gesundheitswirksame Führung eine Stärkung auf Ebene des Individuums (I), der Gruppe (G), der Leitung (L) und der Organisation (O).

Individuum (I): Wie werden Beschäftigte gestärkt?

Führungskräfte brauchen Mitarbeitende, die sich ihrer Arbeit gewachsen fühlen und die den Anforderungen, die sich ihnen stellen, kompetent begegnen können.[4] 

Die Stärkung persönlicher Ressourcen in Form bedarfsgerechter Qualifikation beziehungsweise Weiterqualifikation und Kompetenzstärkung ist daher essenziell. In der Hessischen Finanzverwaltung können die Beschäftigten auf ein sehr umfangreiches Fortbildungsangebot zugreifen. Neben fachlichen und überfachlichen Fortbildungen werden im Rahmen von „jobfit“ auch zahlreiche Fortbildungen angeboten, die auf die Stärkung von Resilienz und persönlichen Gesundheitskompetenzen abzielen. Dieses Angebot wird an den Bedarfen ausgerichtet, die über die Mitarbeitendenbefragung (inklusive Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung) identifiziert werden. Im Fokus stehen Themen wie Stressmanagement und Erholungsförderung, Resilienz und Achtsamkeit. 

Da Selbstwirksamkeit, also die innere Überzeugung, Herausforderungen aus eigener Kraft meistern zu können, eine besonders wichtige persönliche Ressource ist[5][6], wird in einem Pilotprojekt evaluiert, inwieweit die aufgabenbezogene Selbstwirksamkeit der Teilnehmenden durch „jobfit“-Fortbildungen gefördert werden kann. 

Darüber hinaus haben Beschäftigte die Möglichkeit, sich in privaten und beruflichen Belastungssituationen sofortige, professionelle Unterstützung bei einer psychosozialen Mitarbeitendenberatung zu holen. Die Beraterinnen und Berater des externen Kooperationspartners EAP Assist unterstützen vertraulich über verschiedene Zugangswege und in einem breiten Themenspektrum.

Gruppe (G): Wie werden Gruppen gestärkt?

Führungskräfte brauchen Teams, die gut zusammenarbeiten – nicht nur vor Ort, sondern auch digital – mit Teammitgliedern, die sich unterstützen, in unsicheren Zeiten gegenseitig Halt geben und sich flexibel an Herausforderungen anpassen.[7] Dementsprechend werden in der Finanzverwaltung „jobfit“-Fortbildungen zu Themen wie Kommunikation und Umgang mit Konflikten angeboten. 

Um nachhaltig eine gute Zusammenarbeit zu ermöglichen, ist es wichtig, Konflikte konstruktiv zu bewältigen. Daher können Teams auf die verwaltungsinterne Mediation zurückgreifen. Ausgebildete, verwaltungsinterne Mediatorinnen und Mediatoren unterstützen bedarfsgerecht bei der Bewältigung von Reibungsverlusten und Kommunikationsherausforderungen. Darüber hinaus können sich Teams an den Kooperationspartner EAP Assist wenden und externe Expertinnen und Experten zur Teamberatung hinzuziehen. 

Werden Schwierigkeiten im Rahmen der Mitarbeitendenbefragung identifiziert, wird betroffenen Teams proaktiv ein entsprechendes Angebot unterbreitet. Darüber besteht für alle Teams und deren Führungskräfte jederzeit die Möglichkeit, proaktiv Unterstützung anzufordern.

Abbildung 1: IGLO-Modell – Ressourcen verschiedener Quellen | © Vladislav Gajic/stock.adobe.com/HMdF
Abbildung 1: IGLO-Modell – Ressourcen verschiedener Quellen ©Vladislav Gajic/stock.adobe.com/HMdF

Leitung (L): Wie werden Führungskräfte gestärkt?

Führungskräfte brauchen einen gesundheitsförderlichen Umgang mit sich selbst, um als gute Vorbilder voranzugehen. Auch ein partizipativer Führungsstil, um andere auf diesem Wege mitzunehmen, ist zentral.[8] Grundlage für eine gesundheitswirksame Führung sind daher das Gesundheitsverständnis und die Eigenverantwortung der Führungskraft. Dementsprechend stehen Führungskräfte im Fokus vieler „jobfit“-Angebote, die sich sowohl an die Führung von Beschäftigten als auch an die Selbstführung und die Selbstfürsorge richten. 

Fortbildungsangebote unterstützen Führungskräfte bei der Stärkung eigener Gesundheits- und Führungskompetenzen. Zudem richten sich spezifische Angebote speziell an den Umgang mit besonders  belasteten Beschäftigten. Denn eine frühzeitige Reaktion bei Auffälligkeiten ermöglicht rechtzeitige Hilfe und verhindert, dass sich Symptome chronifizieren und sich die Arbeitssituation für das gesamte Team zuspitzt.[9] Im „Mental Health First Aid (MHFA)“-Kurs für psychische Gesundheit des MHFA Ersthelfer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim lernen Führungskräfte, wie sie Beschäftigten mit psychischen Problemen Erste Hilfe leisten können. Die hauptberufliche Suchtbeauftragte der Finanzverwaltung gibt Führungskräften Strategien an die Hand, wie mit suchtbetroffenen Beschäftigten umzugehen und der Stufenplan anzuwenden ist. 

Führungskräftecoachings durch das Fachpersonal des externen Partners EAP Assist unterstützen Führungskräfte bei Herausforderungen und im alltäglichen Handeln. In den Gesprächen können sie vertraulich ihr Handeln reflektieren, gesundes Führungsverhalten weiterentwickeln und neue Impulse aufnehmen. 

Neben entsprechendem Fach- und Prozesswissen brauchen Führungskräfte zudem Instrumente und Leitlinien, an denen sie ihr Handeln ausrichten können. Mitarbeitendengespräche stellen ein  entscheidendes Führungsinstrument dar. Vor allem das Jahresgespräch nimmt in der Finanzverwaltung eine zentrale Funktion und Weichenstellung für die Personalentwicklung im Sinne persönlicher Potenzialentfaltung und Sinnstiftung ein. Ein Leitfaden unterstützt Führungskräfte hinsichtlich einer an verschiedenen Lebensphasen orientierten Personalpolitik und holt die Beschäftigten stärker in die Selbstverantwortung hinsichtlich der beruflichen Weiterentwicklung.

Organisation (O): Wie wird die Organisation gestärkt?

Führungskräfte brauchen organisationale Rahmenbedingungen sowie förderliche Strukturen und Prozesse, die darauf abzielen, Gefährdungen zu reduzieren und Gesundheitspotenziale zu stärken.[10]

Um nachhaltig gesunde Rahmenbedingungen zu schaffen, sind neben der Erfüllung gesetzlicher Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Vorgaben der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes, vor allem geeignete behördliche Strukturen unentbehrlich.[11] In der Finanzverwaltung ist dementsprechend ein umfangreiches organisationales Netzwerk etabliert worden. Hierzu gehört ein strategisches Team im Finanzministerium, das für die zukunftsfähige Ausrichtung des Gesundheitsmanagements verantwortlich ist, und ein operatives Team in der Oberfinanzdirektion Frankfurt, das die verwaltungsweite, operative Umsetzung übernimmt. In allen Dienststellen sind zudem lokale Gesundheitsmanagerinnen und Gesundheitsmanager eingesetzt, die Maßnahmen vor Ort planen, organisieren und umsetzen. Weitere themenspezifische Netzwerke runden die Strukturen ab, die alle stetig weiterentwickelt und durch bedarfsgerechte Möglichkeiten und Angebote professionalisiert werden. 

Darüber hinaus steht die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze im Fokus von „jobfit“. Neuausstattung erfolgt grundsätzlich mit höhenverstellbaren Schreibtischen. Neubauten werden mit „jobfit“ Räumen  ausgestattet, die für Bewegungsangebote genutzt werden können. Ebenfalls werden Aktivelemente wie Aktiv-Stehmatten und Balance-Boards zur Verfügung gestellt, die sich Beschäftigte ausleihen und an ihrem Arbeitsplatz nutzen können. Bei allen Aktivelementen handelt es sich um universale Geräte für Jung und Alt. Für Bewegungseinheiten, auch beim mobilen Arbeiten, werden digitale Fortbildungen mit Bewegungsfokus angeboten. Diese kurzen Bewegungseinheiten, die sich gut in den Alltag integrieren lassen, zielen ebenfalls auf die Entlastung des Bewegungsapparates und die Förderung der Konzentration ab.

Abbildung 2: Übersicht der Angebote, die die Hessische Finanzverwaltung auf den vier IGLO-Ebenen unterbreitet | © Dr. Anna R. Ott und Dr. Julia J. Tonn, Hessisches Ministerium der Finanzen
Abbildung 2: Übersicht der Angebote, die die Hessische Finanzverwaltung auf den vier IGLO-Ebenen unterbreitet ©Dr. Anna R. Ott und Dr. Julia J. Tonn, Hessisches Ministerium der Finanzen

Ausblick

Ganzheitliche Gesundheitsförderung heißt in der Hessischen Finanzverwaltung mehr Balance in allen Bereichen. Ressourcen auf allen IGLO-Ebenen sind geeignet, um Wohlbefinden und Produktivität zu steigern. Insbesondere das Ansetzen auf mehreren Ebenen gleichzeitig erlaubt es, Synergieeffekte zu nutzen[12] und gesundheitswirksam in die Zukunft zu führen. Die Finanzverwaltung will an diesem multifaktoriellen Ansatz festhalten und so auch zukünftigen Herausforderungen begegnen. 

Damit dies gelingt, braucht es Partizipation und Einbezug, denn nur solche Angebote, die sich an den tatsächlichen Bedarfen ausrichten, können den gewünschten Effekt erzielen. Die Hessische Finanzverwaltung hat daher ein gesundheitsbezogenes Kennzahlencontrolling eingeführt, das zukünftig als Wegweiser für das  behördliche Gesundheitsmanagement dient und Führungskräfte kennzahlengestützt unterstützen soll, gesund in die Zukunft zu führen.