Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten bei der Arbeit
Die Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten sowie die Aufsichts- und Organisationsverantwortung gehören zu den grundlegenden Aufgaben einer Führungskraft. Besonders wichtig ist es, Veränderungen im Leistungs- und Sozialverhalten zu erkennen, um frühzeitig und zielgerichtet zu handeln.
Sind die übersteigerten Reaktionen von Beschäftigten gegenüber Kritik nur Ausdruck einer vorübergehenden Unausgeglichenheit oder steckt etwas anderes dahinter? Ist das aggressive Verhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Mangel an Selbstbeherrschung, eine Folge von erlebtem Stress oder die Begleiterscheinung einer psychischen Störung?
Jede Führungskraft, die sich solche Fragen schon einmal gestellt hat, weiß, wie schwierig es ist, darauf eine Antwort zu finden. Aber es gilt: Was auch immer der Grund für auffälliges Verhalten einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters sein mag, Führungsverantwortliche müssen handeln, wenn Verhaltensweisen von Beschäftigten den Arbeitsprozess und/oder das Arbeits- und Teamklima negativ beeinflussen. Denn sie haben neben der Fürsorgepflicht auch Aufsichts- und Organisationsverantwortung, das heißt, sie tragen Verantwortung für das gesamte Team, den reibungslosen Ablauf des ihnen anvertrauten Arbeitsbereichs und die qualitätsgesicherte und fristgerechte Leistungserbringung ihrer Abteilung.
Psychisch auffällige Beschäftigte können diese Aufträge torpedieren. Es ist deshalb wichtig, Störungen im Arbeitsablauf zu erkennen und Ursachen abzuklären. Sind Missstände auf eine Überforderung einzelner oder mehrerer Beschäftigten zurückzuführen, was im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung ermittelt werden kann, oder beeinträchtigt eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin den Arbeitsprozess und das betriebliche Klima?
Psychische Beeinträchtigungen: Begriffsklärung und Abgrenzung
Es ist für alle Beteiligten wichtig und hilfreich, die Ausprägungen psychischer Auffälligkeiten oder Beeinträchtigungen voneinander abzugrenzen. Auffälliges Verhalten kann Ausdruck sein von psychischen Eigenheiten (= auffällige Charaktermerkmale), psychischen Beeinträchtigungen (= aktuelle berufliche oder private Probleme) oder psychischen Störungen.
Psychische Störungen werden definiert als erhebliche Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen. Psychische Störungen haben Krankheitswert – synonym wird auch der Begriff „Psychische Erkrankung“ verwendet – und sind behandlungsbedürftig. Häufige psychische Störungen sind Angsterkrankungen, affektive Störungen wie zum Beispiel Depression, Manie oder bipolare Störungen sowie Suchterkrankungen.
Anzeichen für psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen
Es gibt drei Bereiche, in denen Verhaltensauffälligkeiten festgestellt werden können: Veränderungen in der Arbeitsdisziplin, Veränderungen im Leistungs- und Sozialverhalten sowie weitere Auffälligkeiten im persönlichen Verhalten.
Meist ist es nicht ein Merkmal, das auf eine kritische Situation einer beschäftigten Person hinweist, sondern ein Bündel von Anzeichen, die das Bild abrunden.
Wichtig: Aufgabe der Führungsverantwortlichen ist weder die Diagnose noch die Therapie. Das heißt, sie stellen keine (Krankheits-)Diagnosen und geben auch keine Ratschläge, wie Verhalten zu ändern sei. Aber: Es gehört zu den Aufgaben einer Führungsperson, dass sie Verhaltensveränderungen ihrer Mitarbeitenden wahrnimmt und Hilfsangebote aufzeigt.
Umgang mit psychisch auffälligen Mitarbeitenden
Ein frühzeitiges Ansprechen von Verhaltensauffälligkeiten verhindert, dass Symptome chronifizieren und sich die Arbeitssituation zuspitzt. Führungsverantwortliche müssen – unabhängig von der Ursache der Verhaltensänderung – auf einer Änderung des Leistungs- und Sozialverhaltens bestehen. In Gesprächen mit einer betroffenen Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter ist zu klären, was die Ursachen für das veränderte Verhalten sind. Ursachen können betrieblich oder privat bedingt sein. Auslöser auf betrieblicher Seite können schlechte Arbeitsbedingungen, eine mangelhafte Arbeitsorganisation oder Probleme im Team sein. Dies kann im Rahmen eine Gefährdungsbeurteilung geklärt werden (§ 5 ArbSchG). Zur Fürsorgepflicht einer Führungskraft gehört zwar nicht die Lösung privater Probleme der Beschäftigten, aber man gibt Probleme nicht an der Betriebspforte ab, also können sie das Arbeitshandeln beeinträchtigen. Führungsverantwortliche sollten dies abklären.
Gespräche mit auffälligen Beschäftigten
Eine gute organisatorische und inhaltliche Gesprächsvorbereitung ist maßgeblich für den Erfolg des ersten Gesprächs. Hinweise dazu sind der DGUV Information 206-030 „Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten. Handlungsleitfaden für Führungskräfte“ zu entnehmen. Dort sind unter anderem Leitfragen aufgeführt, mit denen sich ein Gespräch steuern lässt.
Bei diesem ersten Gespräch handelt es sich um ein informelles Vieraugengespräch ohne disziplinarische Konsequenzen. Der weitere Fortgang ist abhängig von einer erfolgten Verhaltensänderung der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters. Bei positiven Verhaltensänderungen hat sich die Angelegenheit (erst einmal) erledigt. Verändert sich die Situation nicht, verschlechtert sie sich sogar, sind die nachfolgenden Gespräche abhängig von Betriebs- oder Dienstvereinbarungen des Unternehmens oder der Behörde.
Wichtig: Auch bei psychisch erkrankten Beschäftigten können mit strengen Auflagen verbundene arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Ermahnung, Abmahnung oder Kündigung erfolgen.
Inner- und außerbetriebliche Anlaufstellen
Führungsverantwortliche können sich innerbetriebliche Unterstützung und Ansprechpersonen suchen. Dazu zählen die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt, soziale Beratungsstellen im Unternehmen (Sozial-, Suchtberatung), die Personalabteilung und der Personal- oder Betriebsrat. Insbesondere die sozialen Beratungsstellen können Betroffenen oftmals mit Adressen externer Ansprechpersonen helfen.
Betroffene finden außerbetrieblich Hilfe bei psychologischem oder ärztlichem Fachpersonal, bei Beratungsstellen oder in Selbsthilfegruppen. Auch Online-Therapien oder Gesundheits-Apps können genutzt werden.
Relativ neu ist die Idee einer Sprechstunde „Psychische Gesundheit“ im Rahmen eines Employee Assistance Program (EAP): Externe Fachleute (Ärztinnen und Ärzte oder Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten) kommen in regelmäßigen Abständen in das Unternehmen und sind Ansprechpersonen für die Beschäftigten. Dadurch können Fehlbeanspruchungen und gesundheitliche Beschwerden frühzeitig erkannt und es kann gegengesteuert werden.
Die Klammer inner- und außerbetrieblicher Unterstützung und Beratung ist ein „Betriebliches Gesundheitsmanagement“.
Rückkehr in das Unternehmen nach Krankheit
Psychische Erkrankungen haben den gleichen Stellenwert wie körperliche Erkrankungen. Viele Betroffene sind froh, wenn sie nach Genesung oder auch mit leistungsgeminderten Einschränkungen wieder in den Betrieb zurückkehren können. Führungsverantwortliche haben hierbei eine wichtige Mittlerfunktion zwischen dem Team und Betroffenen. Die Möglichkeiten der Wiedereingliederung sind die gleichen wie bei körperlichen Erkrankungen.
Wichtig: Zu bedenken ist, dass jede psychische Erkrankung anders verläuft und es deshalb keine Standardlösung für die Wiedereingliederung gibt. Dennoch gibt es Vorgehensweisen, die sich interindividuell bewährt haben. Welche das sind, darauf weist die DGUV Information 206-030 hin.
Literatur
Wiessmann, F.; Merboth, H.; Wagner, G.: Umgang mit psychisch beeinträchtigtem Beschäftigten. Handlungsleitfaden für Führungskräfte. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (Hrsg.), DGUV Information 206-030, 09/2020