Psychische Belastung: Zusammenhänge mit Sicherheit und Gesundheit

Psychische Belastungen führen im Gegensatz zu physikalischen, chemischen und biologischen Risiken häufig noch ein Schattendasein bei der Beurteilung möglicher Risikofaktoren für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Die Hinweise auf Zusammenhänge mit Sicherheit und Gesundheit führen aber langsam zu einem Umdenken.

Psychische Belastung und Gesundheit

Im Jahr 2019 waren psychische Störungen nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund mit 42 Prozent aller bewilligten Anträge mit Abstand der häufigste Grund für die Anerkennung einer Erwerbsminderungsrente (siehe Abbildung 1).

Die steigende Bedeutung psychischer Erkrankungen wird häufig im Zusammenhang mit psychischer Belastung bei der Arbeit diskutiert. Vielfach wird ein Anstieg der psychischen Arbeitsbelastung als Grund für die erhöhte Relevanz psychischer Störungen betrachtet. Damit einher geht häufig die Forderung, psychische Erkrankungen oder zumindest einzelne Erkrankungsbilder als Berufskrankheit anzuerkennen. Das ist aber eine verkürzte Interpretation, die den komplexen Entstehungsbedingungen psychischer Erkrankungen nicht gerecht wird.

Zusammenhänge zwischen einzelnen psychischen Belastungen und Gesundheit konnten in einer Vielzahl korrelativer Studien gezeigt werden. Die Studie von Rau (2015) zeigt Auswirkungen psychischer Belastung sowohl hinsichtlich psychischer als auch körperlicher Beschwerden. Während Zusammenhänge mit muskuloskeletalen Beschwerden auch bereits gut durch Längsschnittstudien belegt werden konnten, ist dies für einzelne kardiovaskuläre sowie andere physische Beschwerden und den gesamten Komplex der psychischen Erkrankungen nicht der Fall. Es kann somit nicht auf kausale Eins-zu-eins-Beziehungen zwischen einzelnen Belastungen und Beschwerdebildern geschlossen werden. Es lassen sich aber insgesamt elf psychische Belastungen identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitsgefährdend sind. Dazu gehören beispielsweise eine hohe Arbeitsintensität oder ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung (Gratifikationskrisen).

Diese Einschätzung bestätigen auch die Ergebnisse des Berichtes „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2017. Der Bericht benennt auch konkrete Gestaltungsempfehlungen sowie psychische Belastungen, die als Ressource betrachtet werden können (zum Beispiel soziale Unterstützung oder Wertschätzung).

Neben psychischer Belastung spielen für die Entstehung psychischer Erkrankungen in der Regel aber auch private Belastungen und die individuelle Veranlagung, auch Vulnerabilität, eine wichtige Rolle.

Abbildung 1: Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit | © eutsche Rentenversicherung Bund, 2019
Abbildung 1: Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ©eutsche Rentenversicherung Bund, 2019

Psychische Belastung und Sicherheit

Der Relevanz psychischer Belastung für die Sicherheit von Menschen wird im Vergleich zur Gesundheit wenig Rechnung getragen. Das hängt auch mit dem theoretisch falschen und praktisch kontraproduktiven Begriff „Psychische Gesundheit“ zusammen, der den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Abwesenheit psychischer Erkrankungen lenkt. Damit bleibt großes Präventionspotenzial auch im Bereich der betrieblichen Prävention ungenutzt. Im Folgenden soll die enorme Relevanz der Prävention von Unfällen durch die Berücksichtigung der psychischen Belastung an den Beispielen Maschinenunfälle und Verkehrs- beziehungsweise Wegeunfälle aufgezeigt und daran appelliert werden, die Sicherheit in das Konstrukt der Gesundheitskompetenz zu integrieren.

Maschinenunfälle

Zum Schutz der Sicherheit von Personen an Maschinen werden diese mit Schutzeinrichtungen versehen. Dies gilt für Maschinen in Produktionsstätten genauso wie an Privatgeräten, zum Beispiel an Rasenmähern. Diese Schutzeinrichtungen reichen von einfachen Vorrichtungen, die die Nutzung beider Hände für die Bedienung der Maschine voraussetzen („Zweihandschaltungen“), bis zu komplexen, sensorgesteuerten oder laserbasierten Schaltungen, die Maschinen bei kritischen Ereignissen ausschalten. Eine Studie der heutigen DGUV (Apfeld et al., 2006; zusammenfassend Cosmar, 2017) verdeutlichte, dass ein erheblicher Teil der Maschinen in der Produktion manipuliert wird. Unter den Gründen für die Manipulationen durch die Nutzerinnen und Nutzer finden sich insbesondere die Prozessbeschleunigung, die bessere Sicht auf den Arbeitsprozess und erweiterte Nutzungsmöglichkeiten der Maschine. Die Reduktion psychischer Belastung, zum Beispiel Zeitdruck oder Unsicherheit im Herstellungsprozess, ist hier also häufig ein wichtiger Aspekt. Um solche Anreize für Manipulation möglichst zu vermeiden, sind vor allem eine optimierte Gestaltung sowie Konstruktion von Schutzeinrichtungen wichtig. Eine Beteiligung der zukünftigen Bedienerinnen und Bediener im Konstruktionsprozess ist hier ein Erfolg versprechender Ansatzpunkt. Der Umgang von Führungskräften mit Manipulationsanreizen und tatsächlichen Manipulationen sowie generell die Kultur des Unternehmens mit Blick auf Sicherheit und Gesundheit sind wichtige Stellschrauben.

Unfälle im Straßenverkehr

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) weist zusammen mit den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen in seiner Schwerpunkt- und Jugendaktion 2019 zum Thema Alleinunfälle („Wo bist du gerade“ und „Allein unterwegs“) auf die enorme Relevanz der psychischen Belastung (neben Ablenkung, Selbstüberschätzung, Kontrollverlust und Fahrbahnschäden) für die Unfallentstehung und somit für die Prävention hin. Dies ist eine konsequente Umsetzung seit Jahren bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. zusammenfassend zum Beispiel Brachwitz et al., 2017), die zumindest teilweise auch anderweitig in die Praxis einfließen. In den Aktionen weist der DVR insbesondere auf die psychische Belastung und Beanspruchung der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer aus aktuellen und vergangenen Situationen hin. Dazu gehören zum Beispiel Belastungen aus der aktuellen Fahrt selbst und aus der vorherigen Arbeitssituation – aber natürlich auch aus dem Privatleben. Das entspricht einem ganzheitlichen Umgang mit dem Thema psychische Belastung und ihren Folgen. In diese Richtung geht in neuerer Zeit zum Beispiel auch die Forderung von Arens (2020) für die Logistik: „Zu den Aufgabenschwerpunkten der Sicherheit muss es daher gehören, psycho-soziale Bedingungen zu analysieren und daraus Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung abzuleiten“ (S. 17). Die Übertragung solcher psychologischer, sicherheitsrelevanter Themen zum Beispiel als grundsätzlichen Bestandteil in jedes Betriebliche Gesundheitsmanagement ist dringend erforderlich.

Erhöhung nicht nur der Gesundheitskompetenz

Die Sicherheits- und Gesundheitskompetenz ist durch die Ausweitung des Homeoffice wichtiger geworden, weil Beschäftigte in höherem Maße Selbstfürsorge zeigen müssen (Heitmann & Zieschang, 2020). Gewöhnlich wird bei diesem wichtigen Konstrukt nur von Gesundheitskompetenz gesprochen und Sicherheit nicht betrachtet. An Beispielen wie dem Verlegen eines Laptopkabels oder der ergonomischen Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes wird deutlich, dass gerade auch im Homeoffice die Sicherheitskompetenz ebenso von Bedeutung ist wie die Gesundheitskompetenz. Unternehmen und Einrichtungen sollten die Sicherheitskompetenz neben der Gestaltung von Arbeitsanforderungen daher mit im Blick haben.

Fazit für die gesetzliche Unfallversicherung

Die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse verdeutlichen, dass es verschiedene psychische Belastungen gibt, die im Sinne von Risikofaktoren für die Sicherheit und Gesundheit betrachtet werden können oder müssen. Andere Belastungsarten stellen dagegen Ressourcen dar. Für die Präventionsarbeit im Sinne des erweiterten Präventionsauftrags der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 31 Abs. 1 SGB VII) ist die Betrachtung und Gestaltung psychischer Belastungen also von großer Bedeutung, um Unfälle und Erkrankungen bestmöglich zu vermeiden. Die Unfallversicherungsträger bieten dazu ausführliche Informationen und Beratung an.

Als Arbeitsunfall wird durch die DGUV gemäß Siebtem Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nur eine Traumatisierung anerkannt, wenn sie infolge eines einzelnen Ereignisses während der Arbeitsausführung aufgetreten ist. Sie kann also beispielsweise bei Bankangestellten nach einem Überfall oder Lokomotivführern nach einem Personenunfall anerkannt werden. Andere psychische Beschwerdebilder können in der Regel nicht auf ein isoliertes Ereignis zurückgeführt und damit nicht anerkannt werden. Darüber hinaus können psychische Störungen ebenfalls anerkannt werden, wenn sie sich infolge eines Arbeitsunfalls mit körperlichen Verletzungen entwickeln.

Psychische Erkrankungen sind nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt, die die Bundesregierung auf Grundlage von Beratung durch den Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) verabschiedet. Entsprechend ist eine Anerkennung als Berufskrankheit in Deutschland grundsätzlich nicht möglich. Eine entsprechende Neubewertung ist nur dann möglich, wenn sich der wissenschaftliche Kenntnisstand ändert, also eindeutige kausale Beziehungen zwischen psychischen Belastungen und einzelnen psychischen Beschwerdebildern aufgezeigt werden können. Außerdem kann eine Häufung von psychischen Erkrankungsfällen in einer Berufsgruppe ein Anhaltspunkt für die Prüfung auf Aufnahme in die Berufskrankheitenliste sein.

Literatur

Apfeld, R.; Huelke, M.; Lüken, K.; Schaefer, M.; Paridon, H.; Windemuth, D.; Zieschang, H.; Preuße, C.; Umbreit, M.; Hüning, A.; Reudenbach, R.; Pfaffinger, F.; Wenchel, K.; Reitz, R.; Pinter, H.:  Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen. Hrsg.: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG), Sankt Augustin 2006

Arens, U.  Sicherheit in der Logistik. Hanser, München 2020

Brachwitz, J.; Habenicht, H.; Ruttke, T.; Stangneth, R. und Trimpop, R. (2017): Berufliche Mobilität. In: Windemuth, D.; Kunz, T.; Jung, D. und Jühling, J. (Hrsg.): Psychische Faktoren als Unfallrisiken: Relevanz in Bildung und Beruf. 2017. Wiesbaden: Universum Verlag. S. 237-255

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.): Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Wissenschaftliche Standortbestimmung. baua: Bericht Forschung Projekt F 2353, Dortmund/Berlin/Dresden 2017

Cosmar, M.: Manipulation an Schutzeinrichtungen von Maschinen. Motivation und Prävention aus psychologischer Sicht. In: Windemth, D.; Kunz, T.; Jung, D. & Jühling, J. (Hrsg.): Psychische Faktoren als Unfallrisiken. Relevanz in Bildung und Beruf. S. 211–227, Wiesbaden 2017

Deutschen Rentenversicherung Bund: Rentenversicherung in Zahlen. Statistik der Deutschen Rentenversicherung, 2020

Heitmann, C. & Zieschang, H.: Sicherheits- und Gesundheitskompetenz. DGUV Forum, 8/2020, S. 40–42

Rau, R.: Risikobereiche für psychische Belastungen. iga.Report 31, Hrsg.: Initiative Gesundheit und Arbeit, 2015