Psychische Erkrankungen und Corona
Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung hatten vielfältige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Im Beitrag wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auf die Entwicklung psychischer Belastungen und Erkrankungen hat und welche Personengruppen in besonderem Maße psychisch belastet sind.
Psychische Belastung in der Allgemeinbevölkerung
Es gibt eine Vielzahl an möglichen Folgen der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit. Dazu gehören neben direkten Folgen durch eine Infektion mit dem Virus auch solche, die sich durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ergeben (BPtK, 2020). Grundsätzlich verfügen Menschen über ein erhebliches Potenzial, Krisen zu durchleben. Je länger diese jedoch andauern, desto eher sind die psychischen Widerstands- und Regenerationskräfte überfordert. Insgesamt zeigte sich eine Zunahme der psychischen Belastung im Zusammenhang mit der Pandemie. Hierzu liefert die repräsentative Befragung der NAKO-Studie Daten, bei der mehr als 100.000 Deutsche befragt wurden (Peters et al., 2020). Dabei hat sich im Vergleich zur Basisuntersuchung der Studie, die vor der Pandemie durchgeführt wurde, eine erhöhte psychische Beanspruchung in allen Altersgruppen gezeigt. Besonders stark hat die psychische Beanspruchung bei Teilnehmenden unter 60 Jahren, insbesondere bei jüngeren Frauen, zugenommen. Doch nicht nur psychische Beschwerden nahmen bereits während der ersten Welle zu. Neben der NAKO-Studie beobachteten auch andere Studien vermehrt klinisch relevante Depressions- und Angstsymptome in der Allgemeinbevölkerung, die auf eine Zunahme von psychischen Erkrankungen hindeuten (Bäuerle et al., 2020; Kunzler et al., 2021).
Die psychische Belastung durch die Pandemie war dabei in der Bevölkerung nicht gleich verteilt. Verschiedene Personen- und Berufsgruppen waren einem unterschiedlich hohen Risiko und unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt, beispielsweise durch unterschiedlich verteilte Infektions- und Mortalitätsrisiken. Insbesondere für medizinisches und Pflegepersonal hat die Pandemie zu einer hohen Doppelbelastung geführt. Zur bereits bestehenden hohen psychischen Vulnerabilität dieser Berufsgruppe kamen weitere Belastungsfaktoren hinzu, wie ein hohes Infektionsrisiko, ethische und moralische Konflikte sowie hohe Sterberaten von Patienten und Patientinnen und Pflegebedürftigen (Eggert & Teubner, 2021). Ob und wieweit es bei einer einzelnen Person zu einer Chronifizierung von psychischen Symptomen und der Entstehung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen kommt, ist von vielen Faktoren abhängig, wie den erlebten Belastungen und der psychischen Vulnerabilität.
COVID-19-Erkrankte und deren Angehörige
Insbesondere an COVID-19 erkrankte Personen hatten ein erhöhtes Risiko, psychische Beschwerden zu entwickeln. Eine retrospektive Kohortenstudie aus Großbritannien kam nach Auswertung von mehr als 200.000 elektronischen Akten von Patientinnen und Patienten zu dem Ergebnis, dass jede dritte Person sechs Monate nach einer COVD-19-Erkrankung eine neurologische oder psychische Folgeerkrankung entwickelte (Taquet et al., 2021). Dabei kann eine Erkrankung mit COVID-19 auf verschiedenen Wegen zu psychischen Symptomen führen. Zum einen besteht ein direkter Einfluss des Virus auf das Gehirn, beispielsweise durch Entzündungen oder auch Hirnschädigungen durch Sauerstoffmangel. Zum anderen können neuropsychologische und affektive Symptome auch in Form des sogenannten „Post-intensiv-care-Syndrome“ als Folge einer intensivmedizinischen Behandlung auftreten. Dabei ist anzunehmen, dass kognitive Defizite und (neuro-)psychologische Symptome als Ergebnis der Interaktion aus krankheitsbezogenen Faktoren, behandlungsspezifischen Aspekten, Komorbiditäten und prämorbiden Variablen entstehen. Typische auftretende Symptome sind beispielsweise Gedächtnis-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme, Depression, Ängste und Traumatisierung (Halpin et al., 2021).
Nicht nur für Erkrankte selbst, sondern auch für deren Angehörige stellte eine Coronavirus-Infektion eine besondere psychische Belastung dar. Neben der Sorge um den Gesundheitszustand von Angehörigen oder möglicher eigener Ansteckungen spielten auch hier die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie eine wesentliche Rolle. Beispielsweise weil Kontaktverbote dazu führten, dass kein persönlicher Beistand oder im Todesfall kein Abschied von Angehörigen möglich war. Wie eine Befragung von Rossi und Kollegen und Kolleginnen zeigen konnte, nahm die psychische Belastung bei Angehörigen noch einmal deutlich zu, nachdem ein an COVID-19 erkranktes Familienmitglied verstorben war (Rossi et al., 2020).
Menschen mit psychischen Erkrankungen
Die Corona-Pandemie stellte insbesondere für diejenigen eine Belastung dar, bei denen bereits eine psychische Vulnerabilität bestand. Bei Menschen mit bereits bestehender psychischer Erkrankung stellte der Wegfall von haltgebenden Alltagsstrukturen und Sozialkontakten eine besondere psychische Belastung dar. Hinzu kam, dass während der Pandemie zeitweise auch der Zugang zu Hilfs- und Selbsthilfesystemen erschwert war. So kam beispielsweise das Deutschland-Barometer Depression 2020, eine repräsentative Befragung von mehr als 5.000 Deutschen, zu dem Ergebnis, dass Menschen mit Depressionen stärker durch die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 belastet waren als die Allgemeinbevölkerung (Deutsche Depressionshilfe, 2020). Demnach litten Menschen mit Depression doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur und blieben deutlich öfter tagsüber im Bett, fast jede zweite befragte Person mit diagnostizierter Depression (44 Prozent) berichtete von einer Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs in den vorangegangenen sechs Monaten. Bei Überforderung mit der aktuellen Situation und gleichzeitigem Mangel an Ressourcen besteht zudem die Gefahr, dass vermehrt auf dysfunktionale Bewältigungsstrategien wie Alkohol- und Substanzmittelkonsum zurückgegriffen wird (Clay et al., 2020).
Ältere und pflegebedürftige Menschen
In besonderem Maße von der Pandemie betroffen ist auch die Gruppe der älteren und pflegebedürftigen Menschen, da ein hohes Alter einen der größten Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf darstellt. Deswegen wurden, insbesondere bevor für diese Gruppen Impfungen zur Verfügung standen, entsprechend strenge Schutz- und Isoliermaßnahmen beispielsweise in Pflegeheimen getroffen, die oft auch zu einer starken sozialen Isolierung geführt haben.
In zwei unterschiedlichen Studien berichtete mindestens die Hälfte der Angehörigen pflegebedürftiger Personen davon, dass sich die Pflegesituation während der Pandemie verschlechtert hat; vermehrte psychische Symptome wie Depressivität und Einsamkeit der Pflegebedürftigen beobachteten knapp 70 Prozent der Angehörigen (Horn & Schweppe, 2021; Jacobs et al., 2021).
Kinder und Jugendliche
Für Kinder und Jugendliche ging die Pandemie mit einer ganzen Reihe von Belastungsfaktoren einher, dazu gehörte beispielsweise die Schließung von Kitas, Schulen, Spielplätzen und Sportvereinen, die zu massiven Einschränkungen des Spiel- und Soziallebens führte. Hinzu kam die Belastung der Eltern und Familien durch Faktoren wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, finanzielle Existenzängste, Überlastung durch Arbeit und Betreuung sowie den Wegfall gewohnter Strukturen. Das alles führte dazu, dass das Risiko für Konflikte und häusliche Gewalt zunahm, wobei gleichzeitig Rückzugsmöglichkeiten, Schutzräume und Anlaufstellen fehlten. Entsprechend zeigte auch eine Befragung von 1.000 Kindern und Jugendlichen (elf bis 17 Jahre) und 1.500 Eltern von Kindern zwischen sieben und 17 Jahren, dass Kinder und Jugendliche verstärkt unter Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Gereiztheit und Kopfschmerzen litten (Ravens-Sieberer et al., 2020). Bereits während der ersten Welle gaben 71 Prozent der Kinder und Jugendlichen an, sich durch Kontaktbeschränkungen belastet zu fühlen. Etwa ein Viertel der Kinder berichtete, sich häufiger zu streiten, und ein Drittel der Eltern gab an, dass Streitereien mit den Kindern häufiger eskalierten. Entsprechend stieg auch das Risiko für psychische Auffälligkeiten von 18 Prozent vor der Pandemie auf 30 Prozent während der Pandemie.
Mehr Psychotherapieanfragen
Die Umsetzung von Hygienekonzepten und der Einsatz von Videobehandlungen halfen, die psychotherapeutische Versorgung trotz Pandemie, Lockdown und Quarantänemaßnahmen aufrechtzuerhalten. Allerdings waren Videobehandlungen keine Option für Menschen, die in beengten Räumlichkeiten leben und/oder nicht über das notwendige Equipment verfügen. Besonders die schon vor der Pandemie vor allem außerhalb von Ballungsgebieten unzureichenden Behandlungskapazitäten stellten sowohl für Hilfesuchende als auch behandelnde Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen ein kaum zu lösendes Problem dar. Eine Mitgliederumfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung von Januar 2021 zeigte, dass die Zahl der Anfragen in den psychotherapeutischen Praxen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 40 Prozent gestiegen ist (Rabe-Menssen, 2021). Nur jede vierte aktuell anfragende Person erhielt demnach noch einen Termin für ein erstes Gespräch. Und nur zehn Prozent der anfragenden Patienten und Patientinnen erhielten innerhalb eines Monats einen Behandlungsplatz. Bei Kindern und Jugendlichen war die Zahl der Anfragen sogar um 60 Prozent gestiegen.
Fazit: Ausreichende Behandlungskapazitäten schaffen
Der wachsenden Anzahl an Menschen, die sich durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie psychisch belastet fühlen und die sich psychotherapeutische Hilfe suchen, stehen aktuell unzureichende Behandlungskapazitäten gegenüber, sodass sich mittlerweile ein zunehmendes Versorgungsdefizit abzeichnet. Um eine ausreichende psychotherapeutische Versorgung sicherzustellen, sind daher neben verstärkten Präventionsmaßnahmen dringend mehr Behandlungskapazitäten notwendig, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen und im Ruhrgebiet. Auch vor der Pandemie bestanden bereits Versorgungsdefizite, diese werden nun nochmals dringlicher. Die Pandemie ist eine globale Krise, die Ressourcen beansprucht und zur Überlastung führen kann, sei es aufgrund gesundheitlicher Folgen einer COVID-19-Erkrankung, des Verlustes Angehöriger oder finanzieller Existenzängste. Dieser erhöhten psychischen Belastung in der Allgemeinbevölkerung wird man langfristig nur effektiv begegnen können, wenn ausreichend psychotherapeutische Behandlungsangebote sichergestellt werden.
Es braucht daher neben einer realistischeren Bedarfsplanung auch kurzfristig die Möglichkeit für psychotherapeutische Praxen, ihre Behandlungskapazitäten auszubauen. Privatpraxen sollte es zudem ermöglicht werden, ohne bürokratische Hürden Menschen mit psychischen Beschwerden und Erkrankungen auch auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zu versorgen.
Literatur
Bäuerle, A.; Teufel, M. ; Musche, V. ; Weismüller, B. ; Kohler, H. ; Hetkamp, M. ; ... & Skoda, E. M. (2020): Increased generalized anxiety, depression and distress during the COVID-19 pandemic: a cross-sectional study in Germany. Journal of Public Health, 42(4), S. 672–678
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