Erfolgreiche (Wieder-)Eingliederung durch Individual Placement and Support (IPS)

Individual Placement and Support (IPS) ist ein wirksamer Ansatz zur beruflichen (Wieder-)Eingliederung psychisch erkrankter Menschen. IPS fokussiert den hohen Bedarf eines frühen Beginns der (Wieder-)Eingliederung und einer individualisierten, langfristigen Begleitung am Arbeitsplatz. IPS funktioniert auch in Deutschland und bringt psychisch erkrankte Menschen erfolgreich in Arbeit.

Hintergrund

Der in Deutschland noch wenig in der Rehabilitation umgesetzte Ansatz des Supported Employment beziehungsweise der Supported Education für den Bereich Schule, Ausbildung, Studium umschreibt ein besonders wirksames Vorgehen für die berufliche Eingliederung psychisch erkrankter Menschen, das sich in wesentlichen Punkten von der Praxis traditioneller beruflicher Rehabilitation unterscheidet. Ausgehend vom angloamerikanischen Sprachraum vollzieht sich seit den 1980er-Jahren ein Paradigmenwechsel in der arbeitsbezogenen Inklusion psychisch erkrankter Menschen.[1] Das traditionelle Vorgehen, dass nach einer geschützten Trainingsphase die Platzierung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt folge, wird im IPS praktisch umgekehrt, indem zügig nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit eine Arbeitsstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesucht oder an den noch bestehenden Arbeitsplatz zurückgekehrt wird. Die individuelle Unterstützung durch einen Jobcoach findet vor Ort statt und beinhaltet die Möglichkeit einer prinzipiell unbefristeten Begleitung, denn oftmals ist es der Erhalt des Arbeitsplatzes, der psychisch erkrankten Beschäftigten schwer gelingt. Die am besten untersuchte manualisierte Version von Supported Employment ist das „Individual Placement and Support“-Modell, kurz IPS (siehe Infokasten). IPS basiert auf acht Prinzipien, die in einem Anwendungsmanual genau beschrieben sind.[2][3]

Die acht Prinzipien des IPS-Modells

  1. Primäres Ziel von IPS ist das Finden und Erhalten von Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit mindestens Mindestlohn.
  2. Niemand mit Interesse an Arbeit wird ausgeschlossen.
  3. Arbeitsbezogene und klinische Leistungen werden integriert erbracht. Ein IPS-Jobcoach gehört maximal zwei Behandlungsteams an.
  4. Die Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche ist an den individuellen beruflichen Präferenzen ausgerichtet.
  5. IPS beinhaltet Beratung hinsichtlich Sozialversicherungsleistungen und finanzieller Hilfen.
  6. Zügige Arbeitsplatzsuche, das heißt, der Arbeitswunsch der Teilnehmenden wird unmittelbar angegangen (in der Regel innerhalb von 30 Tagen).
  7. Erschließen von Arbeitsplätzen durch Vernetzung mit Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes und gezielte Suche nach Betrieben, die den Präferenzen der Teilnehmenden entsprechen.
  8. Langfristiger, wenn nötig unbefristeter Support der Teilnehmenden und ihrer Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen.

Wirksamkeit und Evidenz des IPS-Modells

Die hohe Wirksamkeit von IPS konnte international in 28 randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesen werden. Etwa zweieinhalbmal so viele Menschen mit psychischen Erkrankungen können durch die Teilnahme am IPS auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig werden, im Vergleich mit der traditionellen beruflichen Rehabilitation nach dem Prinzip „Erst trainieren – dann platzieren.“[4][5][6] IPS ist international wirksam.[7] Aufgrund der ausgezeichneten Evidenz wurde IPS in der überarbeiteten S3-Leitlinie für psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen der DGPPN[8] mit dem höchsten Empfehlungsgrad A versehen.[9] Die Wirksamkeit von IPS, also der Eingliederungserfolg, ist maßgeblich abhängig vom Grad der Umsetzung der im Infokasten aufgeführten Prinzipien.[10][11][12]

Implementierung und Umsetzung von IPS an einer Klinik

Am Vivantes Klinikum Am Urban, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Berlin wird IPS seit 2016 für die Patientinnen und Patienten, die Unterstützungsbedarf bei der (Wieder-)Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anmelden, in stationärer, tagesklinischer und ambulanter Behandlung in der psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) angeboten.

Das IPS ist personell mit vier Jobcoaches plus Leitung (insgesamt vier VK) besetzt. Ein IPS-Jobcoach bietet maximal 20 Coachings pro Woche an. Viele Patientinnen und Patienten haben bereits in der klinischen Versorgung Bedarf an Unterstützung bei ihren arbeitsbezogenen Problemlagen. Jede Patientin und jeder Patient mit Interesse an Arbeit erhält innerhalb einer Woche ein Informationsgespräch und kann bei der Bereitschaft, sich auf einen längerfristigen (Wieder-)Eingliederungsprozess einzulassen, das IPS unmittelbar aufnehmen.

Die Teilnehmenden werden von ihrem IPS-Jobcoach settingübergreifend begleitet, das heißt, in der stationären, tagesklinischen sowie ambulanten Behandlung ist der gleiche IPS-Jobcoach zuständig, um Kontinuität zu der Bezugsperson zu gewährleisten. Im Informationsgespräch werden die Interessenten für das Rational des IPS sensibilisiert. Das heißt, die individuelle „optimale Anforderung eines Arbeitsplatzes“ ist weder im Bereich der Unterforderung (langfristige Arbeitsunfähigkeit, fehlende Tagesstruktur, Prokrastination, Passivität und gegebenenfalls Substanzkonsum) noch im Bereich der Überforderung, die sich durch Frühwarnzeichen bemerkbar macht, anzusiedeln. Die Patientinnen und Patienten entscheiden sich aus eigener Motivation für eine Teilnahme. Bei rund 30 Prozent bleibt es (vorerst) bei diesem Infogespräch beziehungsweise einer Kurzzeitberatung mit maximal drei Terminen. Patientinnen und Patienten, die in das Programm einsteigen, treffen ihren Jobcoach zunächst in wöchentlicher Frequenz. Die Jobcoachings finden in den Büros an der Klinik, im Umfeld der Patientinnen und Patienten oder an deren Arbeitsplatz statt.

Besteht noch ein Arbeitsplatz, erfolgt die Unterstützung häufig in Form einer stufenweisen Wiedereingliederung. Diese reicht von der gemeinsamen (mit den Teilnehmenden und behandelnder Ärztin oder behandelndem Arzt) Erstellung des Eingliederungsplans, der Begleitung zum BEM-Gespräch bis hin zu regelmäßigen Standortgesprächen am Arbeitsplatz mit dem oder der Vorgesetzten und gegebenenfalls dem Arbeitsteam.

Die IPS-Jobcoaches stellen sicher, dass die Teilnehmenden im Betrieb eine feste Ansprechperson haben, die gerade in der ersten Zeit des (Wieder-)Einstiegs an den Arbeitsplatz eine wichtige Unterstützung und Sicherheit vermittelnde Größe darstellt. Die Frequenz der IPS-Jobcoachings wird nach Stabilisierung der Situation am Arbeitsplatz individuell reduziert und kann in Krisen wieder intensiviert werden. Die Coachingtermine finden grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit statt und können in Präsenz oder online durchgeführt werden. Die Jobcoaches sind zwischen den Terminen kurzfristig telefonisch erreichbar. Ist kein Arbeitsplatz vorhanden oder kann die teilnehmende Person nicht an den bestehenden Arbeitsplatz zurückkehren, erhält sie eine individuelle Unterstützung beim Suchen und Finden einer neuen Tätigkeit. Für nahezu alle IPS-Teilnehmenden ist der Umgang mit der psychischen Problematik am Arbeitsplatz ein wichtiges Thema.

Stigmatisierungserfahrungen und Selbststigmatisierung lassen den kontrolliert offenen Umgang mit der psychischen Erkrankung und insbesondere mit deren leistungsbezogenen Auswirkungen am Arbeitsplatz (die für die Vorgesetzten wiederum eine wichtige Information darstellen) zunächst häufig inakzeptabel erscheinen. Insbesondere beim Wiedereinstieg an einen bestehenden Arbeitsplatz und dem charakteristischen Vorlauf der psychischen Krise (Absenzen, sozialer Rückzug, Überforderungserleben und reduzierte Arbeitsleistung, schwelende oder offene Konflikte mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten) schafft erst das offene und unaufgeregte Gespräch mit den Vorgesetzten am Arbeitsplatz unterstützt durch den IPS-Jobcoach die Voraussetzungen für eine angstfreie und strukturierte stufenweise Wiedereingliederung.

In Deutschland gibt es derzeit zwei IPS-Programme, die ihre Eingliederungsquoten erheben. Sie erbringen Ergebnisse, die mit denen internationaler Studien vergleichbar sind. Am Zentrum für Psychiatrie (zfp) Reichenau wurden 60 Prozent  (Arbeitsplatzsuche) und 90 Prozent (Arbeitsplatzerhalt) der Teilnehmenden[13] und am Vivantes Klinikum am Urban in Berlin 45 Prozent (Arbeitsplatzsuche) und 59 Prozent (Arbeitsplatzerhalt) der Teilnehmenden (wieder) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig.[14]

Barrieren bei der Implementierung von IPS in Deutschland

Die größte Barriere für eine flächendeckende Implementierung von IPS in Deutschland stellt gegenwärtig das stark zergliederte Versicherungssystem mit seinen zahlreichen Schnittstellen dar, unterschiedlichen Zuständigkeiten und Kostenträgern. So wird eine gesicherte Finanzierung von individuell angepassten und integrativen Ansätzen, wie dem IPS, blockiert und die Finanzierung für traditionelle berufliche Maßnahmen bevorzugt.[15] Zu vermuten ist, dass vor allem aus diesem Grund IPS derzeit in Deutschland nur vereinzelt zur Verfügung steht und die Personengruppe, die überhaupt Zugang zu einem IPS-Programm hat, noch klein ist. Ein weiteres Hemmnis stellen die im Rehabilitationsrecht (§ 10 SGB VI) definierten persönlichen Voraussetzungen (Rehabilitationsfähigkeit mit einer Erwerbsfähigkeit von mindestens drei Stunden pro Tag und das Abwarten, bis eine günstige Prognose gestellt werden kann) dar, die einem raschen und niedrigschwelligen, bedarfsorientierten Zugang zu wirksamen Interventionen, wie dem IPS, entgegenstehen. Dies befördert den Verbleib psychisch erkrankter Beschäftigter in arbeitsmarktfernen Rechtskreisen (lange Arbeitsunfähigkeiten im Krankengeldbezug), was wiederum mittel- und langfristig ungünstig auf die Prognose einer Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit wirkt.