Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen – Erfahrungen der freiwilligen Feuerwehren

Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte ist immer wieder ein Thema. Mit ihrer Befragung von mehr als 2.500 Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr gibt die FUK Niedersachsen einen datenbasierten Überblick. Die Ergebnisse der Umfrage helfen, die richtigen Präventionsangebote zu machen.

Umfrage-Setting

Inspiriert durch die Kampagne „#schlussdamit – Keine Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte“  hat die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen eine Umfrage zu „Erfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen in den Freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen“ durchgeführt. Unterstützt wurde sie dabei vom Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) und von der Berliner Feuerwehr. Die Befragung sollte Aufschluss darüber geben, in welchem Maße die Feuerwehren in Niedersachsen von Gewalterfahrungen betroffen sind und welche Formen von Gewalt am meisten verbreitet sind.

Hintergrund

Das Thema „Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte“ kursiert seit Langem in den Medien. Allerdings erreichen die gesetzlichen Unfallversicherungsträger nur wenige Unfallanzeigen, die in einen Zusammenhang mit Gewalterlebnissen gebracht werden können. Die meisten Vorfälle, in denen Gewalt gegen Einsatz- und Rettungskräfte in welcher Form auch immer eine Rolle spielt, verursachen keine behandlungsbedürftigen Gesundheitsschäden und sind deshalb nicht meldepflichtig. Krank machen können sie trotzdem, denn die Psyche leidet darunter.

Der Begriff „Gewalt“ ist vielschichtig. Die Definition der International Labour Organization (ILO) beschreibt Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt als „eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung, gleich ob es sich um ein einmaliges oder ein wiederholtes Vorkommnis handelt, die auf physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden abzielen, diesen zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben, und umfasst auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung“.

Die FUK Niedersachsen hat mit einer Umfrage unter aktiven Feuerwehrangehörigen Erfahrungen mit Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und tätlichen Angriffen in den freiwilligen Feuerwehren ermittelt.

Durchführung und Methode der Datenerhebung

Die Methode: Online-Befragung (Dazu wurde der Link zum Online-Fragebogen per E-Mail an alle Kreisbrandmeister und Kreisbrandmeisterinnen sowie an alle Stadtbrandmeister und Stadtbrandmeisterinnen der kreisfreien Städte versandt.)

Die Pilotumfrage wurde im September 2020 in der Region Hannover und im Landkreis Leer durchgeführt.

Die Hauptumfrage startete landesweit Ende Oktober 2020 (erstmals in dieser Form).

Die Dauer: Der Befragungszeitraum betrug jeweils vier Wochen für die Pilotumfrage und die Hauptumfrage.

Der Zeitraum: Die Umfrage bezog sich auf die vergangenen zwei Jahre oder die zuletzt erlebte Situation.

Das Ziel: Möglichst viele Feuerwehrmitglieder sollten sich zu ihren Erfahrungen mit Gewalt in jeder Form äußern können, gleichzeitig wurde eine hohe Rücklaufquote angestrebt.

Die Zielgruppe: alle volljährigen aktiven Feuerwehrangehörigen in Niedersachsen

Die Beteiligung: 2.668 aktive freiwillige Feuerwehrmitglieder haben teilgenommen.

Kernbotschaften der Befragung

  1. Mehr als ein Drittel (im Ballungsraum Hannover: die Hälfte) der Umfrageteilnehmenden hat Erfahrungen mit Gewalt machen müssen.
  2. Mit Abstand am häufigsten wurden Beschimpfungen und Beleidigungen mit Worten und Gesten erlebt. Den sozialen Medien kommt dabei eine große Bedeutung zu.
  3. Die Täterinnen oder Täter waren weit überwiegend Einzelpersonen; Alkoholeinfluss spielte dabei praktisch keine Rolle.

Umfrageergebnisse im Detail

Neben den drei zentralen Ergebnissen der Befragung liegen eine Reihe von Detailergebnissen vor:

Überwiegend Männer in der Stichprobe: 86 Prozent der Teilnehmenden an der Umfrage waren männlich, 13 Prozent weiblich und 0,2 Prozent machten die Angabe divers. Die Umfrage ist hinsichtlich des Merkmals „Geschlecht“ repräsentativ.

Junge stark vertreten: Knapp 50 Prozent der Teilnehmenden an der Umfrage waren zwischen 18 und 35 Jahre alt, rund 31 Prozent zwischen 36 und 50 Jahre und 20 Prozent waren zwischen 51 und 67 Jahre alt.

Gewalt ist kein Einzelfall: Knapp 35 Prozent der Teilnehmenden an der Umfrage hatten als aktives Feuerwehrmitglied in den vergangenen zwei Jahren bereits Gewalt in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlichen Angriffen erlebt.

Es scheint wenig Verständnis bei den Täterinnen und Tätern für die Arbeit der freiwilligen Feuerwehr vorhanden zu sein und größtenteils an Respekt gegenüber den Feuerwehreinsatzkräften zu mangeln.

Mehr als ein Drittel der Befragten hat bereits Gewalt erlebt | © FUK Niedersachsen
Mehr als ein Drittel der Befragten hat bereits Gewalt erlebt ©FUK Niedersachsen

Mehr als 70 Prozent der Teilnehmenden gaben an, in den vergangenen zwei Jahren Gewalt in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen mit Worten und Gesten erlebt zu haben.

Außerdem wurden vermehrt Bedrohungen mit Worten und Gesten erlebt. Aus der Auswertung der offenen Fragen ließ sich schließen, dass 56 Prozent der Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen in Zusammenhang mit Straßensperrungen erfolgen. Ein deutlicher Anteil dieser Formen der Gewalt zeigt sich auch in den sozialen Medien.

Auffällig ist, dass der Großteil der Umfrageteilnehmenden in den vergangenen zwei Jahren Beschimpfungen und Beleidigungen mit Worten/Gesten erfahren hat | © FUK Niedersachsen
Auffällig ist, dass der Großteil der Umfrageteilnehmenden in den vergangenen zwei Jahren Beschimpfungen und Beleidigungen mit Worten/Gesten erfahren hat ©FUK Niedersachsen

Orte der Gewalt: Knapp 40 Prozent der Teilnehmenden haben Gewalt im Dorf erlebt, knapp 30 Prozent in kleineren oder mittleren Städten. Dass nur 6,1 Prozent der Gewalterlebnisse in einer Großstadt anzusiedeln sind, dürfte dadurch zu erklären sein, dass hier – im Gegensatz zu ländlichen Gebieten – überwiegend Berufsfeuerwehren an Einsätzen beteiligt sind. Diese wurden nicht befragt.

Da in Großstädten überwiegend Berufsfeuerwehren aktiv sind, gibt es ein klares Übergewicht an Feuerwehrleuten, die Gewaltsituationen im dörflichen Bereich erlebt haben | © FUK Niedersachsen
Da in Großstädten überwiegend Berufsfeuerwehren aktiv sind, gibt es ein klares Übergewicht an Feuerwehrleuten, die Gewaltsituationen im dörflichen Bereich erlebt haben ©FUK Niedersachsen

Für mehr als die Hälfte der Befragten war die als am schlimmsten empfundene Situation nicht vorhersehbar. Die Auswertung der offenen Fragen bestätigt, dass 38 Prozent der Befragten in der jeweiligen Situation deeskalierend reagiert und sich dementsprechend richtig verhalten haben.

Keine Verhaltensänderung: 82 Prozent der Teilnehmenden würden sich in einer ähnlichen oder gleichen Situation nicht anders verhalten.

Knapp 20 Prozent würden sich künftig anders verhalten | © FUK Niedersachsen
Knapp 20 Prozent würden sich künftig anders verhalten ©FUK Niedersachsen

Darüber reden? Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten hat den am schlimmsten empfundenen Vorfall der Führungskraft beziehungsweise dem Ortsbrandmeister oder der Ortsbrandmeisterin, einer Kollegin oder einem Kollegen gemeldet. Noch weniger, nur 16 Prozent, gaben an, den am schlimmsten empfundenen Vorfall der Polizei oder der Gemeinde gemeldet zu haben.

Mehr als die Hälfte der Befragten hat den Vorfall nicht gemeldet | © FUK Niedersachsen
Mehr als die Hälfte der Befragten hat den Vorfall nicht gemeldet ©FUK Niedersachsen

Einzeltäterinnen und Einzeltäter dominieren: Knapp 85 Prozent der Teilnehmenden gaben an, Opfer von Einzeltäterinnen oder Einzeltätern zu sein. Nur 15 Prozent der Befragten hatten es mit Gruppen von Täterinnen und Tätern zu tun.

Die überwiegende Mehrheit der Befragten wurde Opfer von Einzeltäterinnen oder Einzeltätern | © FUK Niedersachsen
Die überwiegende Mehrheit der Befragten wurde Opfer von Einzeltäterinnen oder Einzeltätern ©FUK Niedersachsen

Alkohol spielt geringe Rolle: Nur sieben Prozent der Teilnehmenden berichteten, dass die Tat unter Alkoholeinfluss ausgeübt wurde. 41 Prozent  beantworteten diese Frage mit „Nein“ und etwa die Hälfte konnte dies nicht beurteilen. Ein ähnliches Ergebnis erbrachte die Frage nach möglichem Drogeneinfluss der Täterinnen und Täter.

In Bezug auf Erfahrungen mit Gewalt spielt Alkohol keine bedeutende Rolle. Ein ähnliches Ergebnis erbrachte die Frage nach möglichem Drogeneinfluss der Täterinnen oder Täter | © FUK Niedersachsen
In Bezug auf Erfahrungen mit Gewalt spielt Alkohol keine bedeutende Rolle. Ein ähnliches Ergebnis erbrachte die Frage nach möglichem Drogeneinfluss der Täterinnen oder Täter ©FUK Niedersachsen

Erkenntnisse aus der Umfrage und Ableitungen

Das Befragungsergebnis macht deutlich, dass es weniger um körperliche Gesundheitsrisiken geht, das erklärt auch die geringe Anzahl von Unfallanzeigen.  Es sind vielmehr psychische Belastungen, die durch verbale Gewaltvorfälle hervorgerufen werden können, die aber für sich allein gesehen zunächst keiner medizinischen Betreuung bedürfen.

Die Antworten auf die offenen Fragen der Umfrage haben ergeben, dass insbesondere die Öffentlichkeit über die Tätigkeit und die Bedeutung der freiwilligen Feuerwehr in der Gesellschaft noch stärker und gezielter aufgeklärt werden muss. 30 Prozent der Umfrageteilnehmenden machten hierzu entsprechende Angaben. Es scheint wenig Verständnis bei den Täterinnen und Tätern für die Arbeit der freiwilligen Feuerwehr vorhanden zu sein und größtenteils an Respekt gegenüber den Feuerwehreinsatzkräften zu mangeln.

  • Neue Präventionsangebote

Sobald es wieder möglich ist, sollen Seminare, Schulungen und Workshops zu Themen wie Deeskalation und richtiges Verhalten am Einsatzort stattfinden. Wichtig ist, dass diese von Expertinnen und Experten abgehalten werden, da es sich um eine sensible und gegebenenfalls auch mit traumatischen Erlebnissen verbundene Thematik handelt. Die Seminare sollen dezentral in allen Landkreisen und Städten in Niedersachsen angeboten werden.

  • Geänderte Strategie
    • Insgesamt wird eine stärkere Vernetzung mit dem Niedersächsischen Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz angestrebt. Gegebenenfalls könnten auch dort entsprechende Seminare und Schulungen durchgeführt werden. Sofern die aktuelle COVID-19-Situation dies zulässt, soll ein Fachsymposium der FUK Niedersachsen zum Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte stattfinden. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, hat bereits die Unterstützung seines Ministeriums zugesagt.
    • 20 Prozent der Teilnehmenden betonen, dass der strafrechtliche Aspekt im Blick behalten werden muss – auch um weiterer Resignation bei den Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr vorzubeugen. Härtere und sofortige Sanktionen könnten nach Ansicht der Befragten dazu beitragen, Gewalt gegen Feuerwehreinsatzkräfte zu verringern. Dazu müssen Gewalterlebnisse dem Ortsbrandmeister oder der Ortsbrandmeisterin und gegebenenfalls der Polizei gemeldet werden.

Fazit

Mit der Umfrage hat die FUK Niedersachsen ein aktuelles Thema der Einsatz- und Rettungskräfte für ihr Bundesland aufgegriffen und in Kooperation mit dem Innenministerium, der Berliner Feuerwehr und dem IAG Erkenntnisse generiert, die auf Zahlen basieren und aus denen sich Strategien und Präventionsmaßnahmen ableiten lassen. Die hohe Rücklaufquote bei der Befragung zeigt auch den Bedarf und das Interesse der Zielgruppe am Thema.