Sägearbeiten eines Elternbeiratsmitglieds für einen Weihnachtsbasar sind versichert
Das Mitglied eines Elternbeirats eines Kindergartens in kommunaler Trägerschaft steht unter Versicherungsschutz, wenn sich die Tätigkeit nach gesetzlichen oder satzungsrechtlichen Bestimmungen dem qualifizierten Aufgaben- und Verantwortungsbereich des Kindergartens zuordnen lässt.
§ BSG, Urteil vom 05.12.2023 – Az. B 2 U 10/21 R
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) betrifft einen alltäglich anmutenden Sachverhalt aus dem Jahr 2017, der sich in einer thüringischen Gemeinde ereignete, die einen Kindergarten in eigener Rechtsträgerschaft betrieb. Der Kindergarten veranstaltete alljährlich einen Weihnachtsmarkt in den Räumlichkeiten der Gemeinde, wobei der Elternrat die Organisation des Weihnachtsbasars übernahm. Dieser beauftragte den Kläger als eines seiner Mitglieder damit, Baumscheiben zu beschaffen und diese für den Verkauf auf dem Basar des Weihnachtsmarktes zurechtzuschneiden. Der Erlös war für Projekte des Kindergartens vorgesehen. Beim Zurechtschneiden der Baumscheiben in seinem Garten geriet seine linke Hand in eine Kreissäge, wobei er sich Amputationsverletzungen am Mittel- und Ringfinger zuzog.
Als Mitglied des Elternbeirats stand der Kläger grundsätzlich unter Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a Sozialgesetzbuch (SGB) VII (Personen, die für Körperschaften des öffentlichen Rechts, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind), wobei kumulativ die Zurechnung sowohl zur Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts als auch zu deren Kindertagesstätte als einer der in § 2 Nr. 8 SGB VII genannten Einrichtungen vorlag. Dieser Umstand führte allerdings nicht zur Eingrenzung des Versicherungsschutzes, wie der Senat auch mit Recht unter I 2b) der Entscheidungsgründe feststellte.
Der Kläger führte das Amt als Elternratsmitglied ehrenamtlich ohne Bezahlung aus. Für die Zuordnung der konkreten Verrichtung, hier das Zusägen von Baumscheiben zum Zwecke des späteren Verkaufs auf dem Weihnachtsbasar, zur versicherten ehrenamtlichen Tätigkeit bedurfte es – wie der Senat auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung feststellte – der Zuordnung der konkreten Tätigkeit zum qualifizierten Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Gemeinde beziehungsweise des Kindergartens. So hat das BSG in einer bereits gefestigten Rechtsprechung es nicht für ausreichend erachtet, dass die ausgeübte Verrichtung allgemein in den Aufgabenbereich der öffentlich-rechtlichen Körperschaft fiel und sie aus einer subjektiven Handlungstendenz heraus der ehrenamtlichen Aufgabe dienlich ist. Vielmehr setze die ehrenamtliche Tätigkeit für eine öffentlich-rechtliche Körperschaft einen qualifizierten Aufgaben- und organisatorischen Verantwortungsbereich voraus, innerhalb dessen die ehrenamtliche Tätigkeit ausgeführt werden muss. Fehle es an einem gesetz- oder satzungsmäßig von vornherein festgelegten Aufgabenbereich für die konkrete Veranstaltung, genüge auch ein gesamtbezogener, eigenständiger Auftrags- (Übertragungsakt) oder Annahmeakt der Körperschaft als Zuordnungsgrund.
Gleiches gelte bei einem Tätigwerden für eine Einrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 oder 8 SGB VII (Kindertagesstätte). Auch hier müsse sich die Tätigkeit im Rahmen eines abgrenzbaren konkreten Aufgaben- und Verantwortungsbereichs der Einrichtung halten und sie muss durch gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Übertragungs- oder Annahmeakt an die tätige Person delegiert werden.
Diese Anforderungen hielt der Senat im zu entscheidenden Fall bei der Veranstaltung des Weihnachtsmarktes durch den gemeindlichen Kindergarten auf der Grundlage der Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) für gegeben. Das LSG hatte in Auslegung der thüringischen Landesgesetze (namentlich § 6 Abs. 1 Satz 3 Thüringer Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder – ThürKitaG beziehungsweise § 7 Abs. 1 Satz 6 Thüringer Kindergartengesetz – ThürKigaG) die Durchführung des Weihnachtsmarktes und als dessen Teil auch des Weihnachtsbasars als vom gesetzlichen Erziehungsauftrag umfasst angesehen. Ferner lag auch die Zurechnung zum Aufgabenbereich der Gemeinde nahe, da der Weihnachtsmarkt in Räumen der Gemeinde und nicht des Kindergartens selbst stattfinden sollte und im kommunalen Amtsblatt angekündigt wurde. Der Erlös war für den Kindergarten bestimmt. An diese Zuordnung hielt sich der erkennende Senat aufgrund der fehlenden Zuständigkeit zur Auslegung von Landesrecht (§ 162 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Dies galt auch für die gleichfalls vom LSG vorgenommene Bejahung eines konkreten Auftrags und Delegation dieser Aufgaben an den Elternbeirat. Zwar gehöre die Ausrichtung von Weihnachtsmärkten nicht in den Kernbereich der Tätigkeiten als Elternbeirat; doch habe den Feststellungen des LSG zufolge der Kindergarten in jahrelang praktizierter Übung die Organisation und Durchführung des Weihnachtsbasars dem Elternbeirat überlassen und sich dessen Tätigwerden zu eigen gemacht. Die einzelnen Elternbeiratsmitglieder waren damit über ihre gesetzlichen Kernaufgaben hinaus in Angelegenheiten des Kindergartens einbezogen worden.
Schließlich hielt der Senat nach den Feststellungen des LSG es auch für erwiesen, dass dem Kläger hinsichtlich der Beschaffung der Baumscheiben und deren Zuschneiden nach einem vorgegebenen Muster ein konkreter Auftrag erteilt worden sei, der dem Kindergarten auch bei Erteilung nur durch den Elternbeirat zuzurechnen war. Dies folgerte das LSG aufgrund einer insoweit ebenfalls revisionsrechtlich nicht angreifbaren Auslegung des § 12 ThürKigaG beziehungsweise § 10 ThürKitaG. Die Zurechnung korrespondiere auch mit der weiteren Feststellung, dass die Kindergartenleitung jederzeit in die konkrete Planung des Elternrates eingreifen und darauf einwirken konnte.
Keine räumliche Begrenzung
Hingegen schloss sich der Senat nicht der Rechtsauffassung des LSG an, dass die Durchführung auf dem Privatgrundstück des Klägers der Zurechnung zum konkreten Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Gemeinde beziehungsweise des Kindergartens entgegenstünde. Der Versicherungsschutz für die ehrenamtliche Tätigkeit hänge nicht von der (fehlenden) Einwirkungsmöglichkeit auf die konkrete Ausführung der Tätigkeit ab. Anders als der Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII, bei dem der Versicherungsschutz „während des Besuchs einer Einrichtung“ besteht, erstrecke sich der Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a SGB VII auf ehrenamtliche Tätigkeiten „für“ die Einrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII ohne räumliche Begrenzung. Demnach könnten auch Vorbereitungshandlungen vom Versicherungsschutz umfasst sein, soweit nach allgemeinen Grundsätzen der innere Zusammenhang der konkreten unfallbringenden Verrichtung mit der versicherten Tätigkeit vorliege. Die vom LSG angenommene räumliche Begrenzung würde der vom Gesetzgeber bezweckten Förderung des ehrenamtlichen Engagements sowie dem weiten Verständnis ehrenamtlicher Tätigkeit widersprechen.
Die Entscheidung ist im Schrifttum auf Bedenken und Kritik gestoßen; kritische Stimmen fordern eine Begrenzung des Versicherungsschutzes ehrenamtlicher Tätigkeit (Zimmermann, jurisPR-SozR 16/2024. Anm. 4). Sie erkennen in verschiedenen Entscheidungen eine gewisse Tendenz des BSG, den Unfallversicherungsschutz für Ehrenamtliche auszuweiten (Plagemann, NJW 2024, S. 11311, 1312). Das LSG hatte sich ebenfalls gegen einen Versicherungsschutz auch außerhalb des „organisatorischen Verantwortungsbereichs“ gewandt. Es scheint mit der schon vor Einfügung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII erkennbaren Tendenz, Tätigkeiten im Homeoffice allein aufgrund ihres inneren Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit vermehrt unter Versicherungsschutz zu stellen (vgl. die in DGUV Forum 06/2024 kommentierte Entscheidung des BSG vom 21. März 2024 – Az. B 2 U 14/21 R bei Betätigung der heimischen Heizungsanlage), zu einer Art „Dammbruch“ gekommen zu sein, die Ortsbezogenheit von Verrichtungen zum Einwirkungsbereich des Unternehmens grundsätzlich für den Versicherungsschutz außer Acht zu lassen. Die Frage ist, ob dies Folgen auch in anderen Bereichen, wie hier beim Versicherungsschutz für ehrenamtliche Tätigkeiten, ausgelöst hat.
Dem BSG ist aber zuzustimmen, dass die Zuordnung der Tätigkeit zum Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Gemeinde letztlich auf den konkreten Feststellungen und Auslegungen des LSG zur Zuordnung der Planung und Organisation der Veranstaltung Weihnachtsmarkt zum kommunalen Aufgaben- und Verantwortungsbereich beruhte. Diese dann nur auf das Erfordernis einer örtlichen Einwirkungsmöglichkeit hin wieder zu begrenzen und von der Anwesenheit auf (kontrollierte?) Liegenschaften des Trägers abhängig zu machen, lässt einen nachvollziehbaren dogmatischen Ansatzpunkt vermissen. Die mangelnde Prävention oder fehlende Einwirkungsmöglichkeit auf die Unfallverhütung führt auch in zahlreichen anderen Fällen nicht zur Ablehnung von Versicherungsschutz.
Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.