Verwaltungskosten: Aufwendungsersatz gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII präzisiert

Das Oberlandesgericht Dresden hat entschieden, dass Unfallversicherungsträger gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII auch Verwaltungskosten, Gerichts- und Gutachtengebühren, Zinsen und Rechtsanwaltsgebühren regressieren können, wenn der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Geschädigten ohne Haftungsprivilegien des Schädigers nach §§ 104 ff. SGB VII die Höhe der Aufwendungen erreicht.

§ Hinweisbeschluss des OLG Dresden vom 10.06.2024 – Az. 4 U 92/24

In diesem Rechtsstreit klagten nach einem schweren Arbeitsunfall im Jahr 2012, bei dem sich ein Arbeitnehmer durch einen Sturz durch eine nicht durchtrittsichere Lichtplatte und anschließendem Fall von sieben Metern Höhe schwer verletzt hatte, der gesetzliche Unfallversicherungsträger und der gesetzliche Rentenversicherungsträger gemeinsam auf Aufwendungsersatz gemäß § 110 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII. Der Unfallversicherungsträger, der bereits umfangreiche Aufwendungen getragen hatte, erhob sowohl eine Leistungsklage als auch eine Feststellungsklage. Der Rentenversicherungsträger, der noch keine Leistungen erbracht hat, aber wegen eines möglichen früheren Renteneintritts des Versicherten in Zukunft noch erbringen muss, hatte sich auf das Erheben einer Feststellungsklage zur Vermeidung des Eintritts einer Verjährung ihm gegenüber beschränkt.

Zunächst war zu klären, ob eine Haftung des Arbeitgebers gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII dem Grunde nach bestand. Denn dieser Arbeitgeber hatte seine Arbeitnehmenden in Kenntnis der hohen Gefahren auf das Dach geschickt. Der Klage wurde dem Grunde nach voll stattgegeben – sowohl vom Landgericht (LG) Chemnitz als auch vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Diese Entscheidungen wurden auch vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt. In solchen Fällen, in denen wie hier die Haftung des Arbeitgebers gemäß §§ 110 Abs. 1, 111 SGB VII dem Grunde nach rechtskräftig bejaht worden war, wird in der Regel anschließend mit den hinter den Arbeitgebenden stehenden Betriebshaftpflichtversicherungen eine außergerichtliche Lösung gefunden, die den Anspruch der Berufsgenossenschaft der Höhe nach erfüllt. Dies war hier anders. Es bedurfte eines weiteren jahrelangen Prozesses – erneut erstinstanzlich vor dem LG Chemnitz – zur Höhe der Ansprüche des klagenden Unfallversicherungsträgers.

Das LG Chemnitz hat der Klage der Berufsgenossenschaft durch ein am 8. Dezember 2023 verkündetes Endurteil nahezu vollständig stattgegeben. Dabei hatte es festgestellt, dass der fiktive zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Geschädigten bei Hinwegdenken des Haftungsprivilegs des Beklagten gemäß § 104 SGB VII deutlich höher ist als die Summe aller Aufwendungen der klagenden Berufsgenossenschaft. Gleichwohl hatte es der Klage deswegen nicht in vollem Umfang stattgegeben, weil es einen Teil der Aufwendungen, die die Berufsgenossenschaft getragen hatte, als nicht erstattungsfähig ansah. Dagegen richtete sich die Berufung der Berufsgenossenschaft, mit der sie die Verurteilung des Beklagten zu vollem Aufwendungsersatz begehrte.

Das erstinstanzliche Gericht hatte hinsichtlich gezahlter ärztlicher Berichtskosten mitgeteilt, dass diese nach Überzeugung des Gerichtes deswegen nicht erstattungsfähig seien, da sie Teil der Arbeit der Berufsgenossenschaft und nicht durch das Schadensereignis veranlasst seien. Auch Schreibgebühren für die Erstellung von Gutachten zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Geschädigten seien nicht erstattungsfähig, weil sie Teil des Verwaltungsaufwandes der Berufsgenossenschaft seien. Dasselbe gelte für die an den Geschädigten gezahlten Zinsen nach § 44 SGB I und auch für die Verwaltungskosten, die die Klägerin an die Krankenkasse des Geschädigten gezahlt habe, die nach dem Generalauftrag Verletztengeld die Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes des Geschädigten übernommen hatte.

Das OLG Dresden hat daraufhin im Berufungsverfahren am 10. Juni 2024 folgenden Hinweis erteilt: Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Anspruch des Sozialversicherungsträgers aus §§ 110, 111 SGB VII der Höhe nach durch den fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Geschädigten begrenzt wird. Zur Ermittlung der Anspruchshöhe müssen daher zuerst die gesamten unfallbedingten Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers und in einem zweiten Schritt der gesamte erstattungsfähige Schaden des Geschädigten ermittelt werden, unter Abzug von ersparten Aufwendungen des Geschädigten einerseits, andererseits aber unter Einbeziehung eines fiktiven Schmerzensgeldes. Übersteigt der Schadensersatzanspruch des Geschädigten die nach § 110 SGB VII ersatzfähigen Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers, ist dessen Anspruch in voller Höhe begründet.

Nach § 110 SGB VII sind grundsätzlich die Aufwendungen zu ersetzen, die dem Sozialversicherungsträger durch den Versicherungsfall entstanden sind. Dazu gehören zunächst die – vom LG Chemnitz bereits zugesprochenen – Aufwendungen für die vom Sozialversicherungsträger erbrachten Leistungen, wie zum Beispiel Heilbehandlungskosten, Rehabilitationskosten und Rentenzahlungen. Zu den erstattungspflichtigen Aufwendungen zählen aber auch alle weiteren unfallbedingten Mehraufwendungen, wie bezifferbare Verfahrenskosten, beispielsweise für ärztliche Begutachtungen und Berichte, Zeugengebühren, Gerichtskosten, sowie der unfallbedingt konkret angefallene Verwaltungsmehraufwand. Diese schließen den Verwaltungskostenersatz an andere Leistungsträger ein, nicht aber die anteiligen eigenen Verwaltungskosten des Sozialversicherungsträgers. Die Darlegungs- und Beweispflicht für die Aufwendungen obliegt dem Sozialversicherungsträger als Anspruchsteller.

Die Unfallversicherungsträger als Anspruchsinhaber gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII fordern in ihren Regressprozessen keine fremden Verwaltungskosten. Hinsichtlich der Verwaltungskosten, die die Krankenkasse den Unfallversicherungsträgern für die Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes in Rechnung stellt, gab es bisher, soweit ersichtlich, keine explizite obergerichtliche Entscheidung, ob diese als fremde und damit erstattungspflichtige Verwaltungskosten anzusehen sind oder als – letztlich ausgelagerte – nicht erstattungspflichtige eigene Verwaltungskosten der Unfallversicherungsträger. Das OLG Dresden ordnet diese Verwaltungskosten, die tatsächlich angefallen und vom Unfallversicherungsträger an die Krankenkasse ausgezahlt wurden, den fremden und damit erstattungspflichtigen Verwaltungskosten zu. Auch entsprechende Gerichtsgebühren, Gutachtengebühren, Zinsen, die nach § 44 SGB I an den Versicherten zu zahlen waren, die vom Unfallversicherungsträger zu entrichtenden Gerichtskosten in Sozialgerichtsverfahren und erstattete Rechtsanwaltsgebühren des Versicherten in Sozialgerichtsverfahren sind erstattungspflichtige Aufwendungen, die nach § 110 Abs. 1 SGB VII regressiert werden dürfen. Mit diesem Hinweisbeschluss des OLG Dresden vom 10. Juni 2024 ist damit für die Regressprozesse der Unfallversicherungsträger eine zuvor nicht geklärte Frage beantwortet worden. Dies ist im Sinne der Rechtsklarheit zu begrüßen. 

Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.