„Kampagnen sind kein Selbstzweck“

Ein Interview mit Gregor Doepke, Leiter Kommunikation und Pressesprecher der DGUV, zum Ende der Präventionskampagne kommmitmensch am 31. Dezember 2021

Herr Doepke, Sie haben die Kampagne kommmitmensch der gesetzlichen Unfallversicherung geleitet und nun wird sie zum Jahreswechsel beendet. Hat die Kampagne ihre Ziele erreicht

Doepke: Die Kampagne hat sehr viel erreicht, aber sicher nicht alle Ziele, die wir uns zu Beginn gesteckt hatten. In der Rückschau ist das auch leicht zu erklären: Die Kampagne hat sich sechs Handlungsfeldern gewidmet, von der Führung über die Kommunikation bis hin zur Fehlerkultur. Jedes Thema für sich hätte eine Kampagne ausfüllen können. Unser Anspruch, die Kultur der Prävention in ganz Deutschland zu verändern, unterschiedliche Zielgruppen zum Mitmachen zu bewegen und das Image der gesetzlichen Unfallversicherung zu verbessern, hatte eine enorme Fallhöhe. Heute wissen wir, all diese unterschiedlichen Ziele konnten wir gar nicht erreichen. Trotzdem ist die Kampagne relevant, denn sie hat das Thema Kultur der Prävention in den Betrieben und Bildungseinrichtungen vorangebracht. Das Bewusstsein für das Thema hat sich deutlich verbessert und die Nachfrage nach den von der Kampagne erarbeiteten Handlungshilfen und Materialien ist so groß, dass einige über die Kampagne hinaus weiterentwickelt werden.

Das heißt, die Kampagne ist doch nicht so ganz abgeschlossen?

Abgeschlossen ist Präventionsarbeit ja nie. Denn selbst wenn es gelingt, viele Unfall- und Erkrankungsrisiken für einen bestimmten Tätigkeitsbereich und Zeitraum zu verhindern, müssen wir neue Gefährdungen in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt und Gesellschaft beobachten. Präventionsarbeit muss ständig auf dem Prüfstand stehen und das Thema Präventionskultur ist noch lange nicht erschöpfend behandelt. Der Steuerungskreis der Kampagne hat sich aber nach vier Jahren für eine Beendigung von kommmitmensch als Dachkampagne mit Außenwirkung, also in der Öffentlichkeit, ausgesprochen. Die zum Teil auch diskutierte Laufzeit von bis zu zehn Jahren wurde von den meisten Beteiligten als nicht mehr sinnvoll angesehen. Diesem Votum sind alle Gremien gefolgt.

Gregor Doepke ist Leiter Kommunikation und Pressesprecher der DGUV  | © Stephan Floss/DGUV
Gregor Doepke ist Leiter Kommunikation und Pressesprecher der DGUV ©Stephan Floss/DGUV

Was sind denn die Gründe für diese vorzeitige Beendigung?

Nicht wirklich vorzeitig. Aber da es auch in Teilen anders oder unklar kommuniziert worden ist, empfinden viele das als vorzeitig. Das Thema ist wie gesagt mit sechs Handlungsfeldern sehr umfangreich. Die Evaluation zeigt, dass viele Unternehmen und Einrichtungen keine ausreichenden Kapazitäten für eine fundierte Analyse, Entwicklung und Begleitung eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses haben. Und um ehrlich zu sein, wir waren auch intern in der Unfallversicherung noch nicht so aufgestellt, dass wir diese Themen flächendeckend in unser Präventionshandeln integrieren konnten. Wir haben gelernt, dass wir auch uns selbst mehr zeitliche Ressourcen für Kampagnenarbeit einräumen müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Die Kampagne hat dennoch dazu beigetragen, dem Thema Kultur der Prävention mehr Bedeutung und Akzeptanz zu verleihen. Es wird daher in die reguläre Präventionsarbeit überführt und langfristig in den Fachbereichen und Sachgebieten der DGUV angesiedelt. Zahlreiche Medien und Handreichungen, die im Rahmen von kommmitmensch entwickelt wurden, können von Betrieben und Bildungseinrichtungen weiter genutzt werden.

Können Sie dafür ein paar konkrete Beispiele nennen?

Insbesondere das Analysetool KulturCheck sowie die Dialogboxen mit Kartensätzen und Postern, die einen Gesprächseinstieg und die Erarbeitung von Präventionsmaßnahmen unterstützen, zum Beispiel zum Thema „psychische Belastungen“, fanden große Akzeptanz. Diese Medien werden auch künftig weiterentwickelt und angeboten.
Auch das Pandemiegeschehen hat die Entwicklung der Kampagne beeinflusst. Es gab einen großen Bedarf an Informationen und Unterstützung bei Fragen des Infektionsschutzes in Betrieben und Bildungseinrichtungen. Darauf haben wir reagiert. Unter dem Claim „Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz“ wurden digitale „Mini-Kampagnen“ zu Themen der Pandemie entwickelt, die unter Titeln wie #LüftenHilft, #MaskeTragen, #ImpfenSchützt, #TestenHilft gut gelaufen sind und aktuell immer noch weiterlaufen. So konnten branchenspezifische Praxishilfen und Informationen für Bildungseinrichtungen über die sozialen Medien und über Internetangebote schnell verbreitet werden. Diese Mini-Kampagnen kamen deutlich besser an als vieles, was wir vorher bei kommmitmensch gemacht haben. Wir werden solche Ansätze daher auch in Zukunft weiterverfolgen.

Was lässt sich aus dieser Kampagne lernen und was können wir in Zukunft besser machen?

Die gesetzliche Unfallversicherung hat vor der Kampagne kommmitmensch bereits vier mehrjährige Präventionskampagnen organisiert: die Aktion Sicherer Auftritt, Deine Haut – die wichtigsten 2 qm Deines Lebens, Risiko raus und Denk an mich – Dein Rücken. Wenn man sich diese vier Claims in Kombination mit den Keyvisuals anschaut, fällt auf, dass die Themen und Botschaften direkt klar sind. Es geht um die Vermeidung von Sturz- und Stolperunfällen, um Hautschutz, die Vermeidung von Risiken im Straßenverkehr und die Vorbeugung von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Bei der Namensgebung kommmitmensch war das nicht so. Es gibt auch keine konkrete Handlungsaufforderung bei diesem Themenkomplex. Denn die Kultur der Prävention umfasst die gesamte Unternehmensorganisation und -struktur. Mittels Analysen und der Entwicklung von Konzepten muss individuell erarbeitet werden, wie Prävention in Betrieben oder Bildungsstätten verankert und gelebt wird. Zudem lässt sich ein Kulturwandel auch nur anstoßen, wenn Führungskräfte offen für einen Veränderungsprozess sind, als Vorbilder und Aufmerksamkeitslenker vorangehen und Beschäftigte motiviert sind, teilzuhaben und mitzugestalten.

Klingt sehr komplex. Lässt sich das noch klarer auf den Punkt bringen?

Ja, ganz einfach. Der bekannte Spruch „Weniger ist mehr“ gilt auch hier. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Künftig sollten wir uns wieder klarer fokussieren und Themen vereinfachen. Wir können mit einer Kampagne nicht alles erreichen, sondern müssen uns auch entscheiden, was wir primär brauchen: eine Mitmachkampagne, eine Interventions- oder eine Imagekampagne? Klar sein muss auch, welche Unfallversicherungsträger wirklich ein Thema besetzen und mittragen wollen. Brauchen wir wirklich immer das Miteinander von Dach- und Trägerkampagnen? Vielleicht sind dann auch je nach Thema branchenspezifische Ansätze sinnvoll oder Kampagnen nur für Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen oder einzelne Träger, die aber wiederum unter sich zusammenarbeiten können.

Gibt es weitere Schlussfolgerungen aus der Kampagne?

Ja, wichtig ist in jedem Fall: Kampagnen sind kein Selbstzweck, sondern müssen einen klar definierten Zweck erfüllen. Deshalb ist die Themenwahl ebenso wichtig wie die Überprüfung der Kampagnentauglichkeit des Themas. Auch die Zielorientierung bei der Planung ist entscheidend. Kampagnen müssen einen Mehrwert, einen Nutzen schaffen, Probleme lösen und die Bedürfnisse der Zielgruppen erfüllen. Deshalb muss bei jeder Kampagnenplanung auch hinterfragt werden, ob eine Kampagne überhaupt das richtige Instrument für die Problemlösung beziehungsweise die Erreichung des Präventionsziels ist.

Auch unsere Vorarbeit in den Gremien war nicht klar genug. Spätestens als aufgrund der Umbenennung der Kampagne in kommmitmensch deutlich wurde, dass der Rückhalt bei den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen nicht umfassend war, hätten wir innehalten sollen.

Das klingt jetzt ein wenig resigniert …

Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Erstens ist ja durchaus einiges erreicht worden. Aber zum Zweiten bin ich froh und finde es auch persönlich toll, dass die gesetzliche Unfallversicherung ein lernfähiges System ist. Eins der Handlungsfelder der Kampagne ist Fehlerkultur und ich bin überzeugt, wir alle haben persönlich viel dazu gelernt, aber auch die Unfallversicherung als Institution. Wir haben alle Aspekte, egal ob positiv oder negativ, mit der Expertise unserer Kolleginnen und Kollegen aus dem IAG ergebnisoffen evaluiert und im Anschluss offen, ehrlich und auch kontrovers diskutiert. Am Ende ist es zwar niemandem leichtgefallen, aber wir haben dann auch einen klaren Beschluss gefasst. Darauf kann man in der Zukunft aufbauen.

Was heißt das konkret?

Bereits 2010 sind unter Beteiligung der Selbstverwaltung die „Gemeinsamen Grundsätze für Präventionskampagnen der gesetzlichen Unfallversicherung“ entstanden. In diesem Jahr wurden sie in Workshops und Gremien überprüft und redaktionell überarbeitet. Es hat sich gezeigt, dass es im Grunde nur wenig Aktualisierungsbedarf gab. Schon in diesen Grundsätzen wurde beispielsweise festgehalten, dass Kampagnen monothematisch ausgerichtet sein und sich auf wenige konkrete Ziele konzentrieren sollten, die nach den SMART-Kriterien festgelegt sind. Das heißt spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch, terminiert. Diese Grundsätze sind bei der letzten Kampagnenplanung nicht ausreichend beachtet worden. Mit der Verabschiedung der überarbeiteten Grundsätze, die in den Gremien gerade ansteht, hätten wir dann ein starkes Fundament für die zukünftigen Präventionskampagnen. Wir müssen uns künftig dann nur noch besser daran halten.

Wenn Sie ein Fazit ziehen müssten, wie sähe das aus?

Bestimmt war vieles nicht perfekt, aber wenn es darauf ankommt, sind wir kreativ und handlungsfähig. Das haben wir in der Corona-Krise bewiesen. Wir haben die Kampagne praktisch umgehend auf die neuen Herausforderungen dieser Krise ausgerichtet. Es sind viele konkrete Unterstützungsangebote für Betriebe und Bildungseinrichtungen entstanden, die wir auch über die Kampagnenmedien verbreitet haben. Das konnte sich wirklich sehen lassen.

Wöchentlich oder gar täglich mussten und müssen neue Entwicklungen des Geschehens, rechtliche Vorgaben und branchen- beziehungsweise länderspezifische Handlungshilfen kommuniziert werden. Durch etablierte Strukturen und funktionierende Kommunikationskanäle waren wir im Rahmen der Kampagne schnell und agil. Unter dem übergreifenden Claim „Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz“ fanden die oben bereits erwähnten Social-Media-Kampagnen wie #MaskeTragen und #ImpfenSchützt eine große Bekanntheit und viel Zuspruch. Viele Unfallversicherungsträger haben sich an der kurzfristig gestarteten Aktion #ImpfenSchützt beteiligt und wir haben damit die Bundesregierung in ihrer Aufklärungsarbeit unterstützt.

… und persönlich?

Trotz des bedrückenden Anlasses war ich persönlich schon ein wenig stolz und auch froh, bei der Unfallversicherung zu arbeiten: Nie zuvor bin ich an so vielen Stellen unseren eigenen Plakaten begegnet, in diesem Fall die mit den Hygieneschutzregeln. Im Einzelhandelsgeschäft, beim Bäcker, in der U-Bahn-Station, im Restaurant, an der Hotelrezeption, in der Kita, bei der Physiotherapie und im öffentlichen Park. Wir waren da und konnten helfen. Auch wenn es so nicht geplant war, dazu konnte die Kampagne eine Menge beitragen und das finde ich am Ende dann doch ziemlich gut.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Carla Bormann, DGUV