Preventive Health in der betrieblichen Präventionsarbeit

Preventive Health beschreibt nicht nur die steigende Bedeutung der Prävention in der Gesundheitsversorgung und mehr individuelle Eigenverantwortung, sondern auch ein wachsendes Handlungsfeld für die gesetzliche Unfallversicherung. Welche Aktivitäten bereits im Bereich Preventive Health vollzogen werden und welche Perspektiven sich eröffnen, erfahren Sie in diesem Artikel.

Preventive Health als Schlüsseltrend

In den vergangenen Jahren hat die Prävention in der Gesundheitsversorgung einen immer größeren Stellenwert eingenommen. Preventive Health spielt nicht nur in der Gesundheitsversorgung eine treibende Rolle, sondern wurde bereits im Jahr 2020 in einem Zukunftsworkshop im Rahmen der Geschäftsführerinnen- und Geschäftsführerkonferenz der DGUV (GFK) als ein Schlüsseltrend der gesetzlichen Unfallversicherung identifiziert.[1] Preventive Health beschreibt dabei die zunehmende Bedeutung der Prävention in der Gesundheitsversorgung und damit einhergehend das steigende Gesundheitsbewusstsein sowie den höheren Stellenwert für die Gesunderhaltung in der Bevölkerung.

Bezüge zu diesem Themenfeld bestehen sowohl hinsichtlich der Gesundheitskompetenz (Health Literacy) als auch der Digital Health – letztere betrifft den Umgang mit digitalen Gesundheitsangeboten und den Einsatz von digitalen Technologien in der Gesundheitsversorgung.[2] Aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages spricht die gesetzliche Unfallversicherung hinsichtlich der Gesundheitskompetenz gern von Sicherheits- und Gesundheitskompetenz. Nach Definition der DGUV „umfasst diese „[…] die kognitiven Fähigkeiten sowie die Fertigkeiten und Motivation, in vielfältigen Situationen gesundheitsgefährdende, -erhaltende und -fördernde Faktoren für sich und andere vorherzusehen oder zu erkennen, risikomindernde, gesundheitserhaltende und -fördernde Entscheidungen zu treffen sowie die Selbstregulation, diese verantwortungsvoll umzusetzen.“[3]

Sinkende Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung

Preventive Health beschreibt weit mehr als das regelmäßige Wahrnehmen von Vorsorgeuntersuchungen. Es geht um den generellen Umgang mit der eigenen Gesundheit und dem persönlichen Stellenwert der Prävention. Um sich mit der eigenen Gesundheit auseinandersetzen zu können, braucht es jedoch zunächst ein gewisses Grundwissen. Die Fülle an Gesundheitsinformationen, die insbesondere das Internet bietet, ist immens und der Zugang in der Regel niedrigschwellig. Dies erweckt leicht den subjektiven Eindruck, dass mehr Gesundheitsinformationen auch zu mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung führen. Eine aktuelle Studie von Schaeffer et al. beweist jedoch das Gegenteil. Laut dem zweiten Health Literacy Survey Germany (HLS-GER 2) hat sich die Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung verschlechtert. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (58,8 Prozent) weist im Jahr 2021 eine geringe Gesundheitskompetenz auf. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Gesundheitskompetenz laut einer zusätzlichen Erhebung des HLS-GER 2 leicht verbessert. Unklar ist jedoch, wie langfristig dieser Effekt ist.[4]

Die vorliegenden Daten zeigen, dass der erleichterte Zugang zu Gesundheitsinformationen nicht zwangsläufig eine Steigerung der Gesundheitskompetenz mit sich bringt. Vielmehr kann diese Fülle an Informationen die Beurteilung einzelner Gesundheitsinformationen erschweren.[5] An dieser Stelle ist die Unterstützung durch Expertinnen und Expertinnen gefragt, die fachlich gesicherte Informationen zur Verfügung stellen und bei Bedarf an die entsprechenden Ansprechstellen verweisen.

Digital-Health-Apps bieten Potenzial

Eine Form der Auseinandersetzung und Verbesserung der eigenen Gesundheit bieten Digital-Health-Apps. In der Prävention und Gesundheitsförderung wurde das Potenzial digitaler Gesundheitsangebote bereits erkannt und ausgebaut. Digitale Tools, die zum Beispiel dabei helfen, sich gesund zu ernähren oder mehr Sport zu treiben, sind so beliebt wie nie zuvor und liefern jährlich Milliarden-Umsätze.[6] Ein Problem stellt sich jedoch: Auch wenn die Zahl der Userinnen und User immens ist, verfügen die meisten über eine geringe digitale Gesundheitskompetenz und haben Probleme, die Vertrauenswürdigkeit, Neutralität und Qualität digitaler Informationen einzuschätzen.[7] Während viele Digital-Health-Apps im privaten Bereich und öffentlichen Gesundheitswesen schon zu Standardanwendungen gehören, werden sie in der betrieblichen Praxis bisher wenig genutzt. Hier besteht jedoch großes Potenzial, durch diese ein betriebliches Management für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu unterstützen. Nur eines von zahlreichen Beispielen hierfür ist die Anwendung einer Schrittzähler-App in einem Betrieb mit größtenteils Büroarbeitsplätzen, um gemeinsam den Bewegungsmangel zum Beispiel über einen Schrittzähler-Wettbewerb zu bekämpfen. Auch sind bestimmte Apps darauf spezialisiert, an regelmäßige Bildschirmpausen zu erinnern, Powernaps zu managen oder Achtsamkeitsübungen durchzuführen, um sowohl die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern als auch die Produktivität zu erhöhen.   

Wichtig ist jedoch, Digital-Health-Apps im Hinblick auf deren Seriosität gezielt auszuwählen und die Beschäftigten bei der Anwendung zu begleiten, sodass es nicht zu Überforderung oder falscher Anwendung kommt.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Preventive Health nachhaltig zu stärken und die Gesundheit jeder und jedes Einzelnen zu verbessern, ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Insbesondere den Sozialleistungsträgern kommt hier eine tragende Rolle zu, denn sie können im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Unterstützung in Lebenswelten wie Betrieben und Bildungseinrichtungen leisten.

Entscheidend ist, durch entsprechende verhaltens- und verhältnispräventive Angebote Preventive Health zu fördern und alle Beteiligten zu befähigen, ihre Gesundheit selbstständig zu stärken. Sinnvoll ist eine Verknüpfung einer gesundheitsförderlichen Gestaltung der Arbeit beziehungsweise des Lernens mit individuell zugeschnittenen verhaltensorientierten Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung auf Basis der Beurteilung der Arbeitsbedingungen.

Preventive Health in der gesetzlichen Unfallversicherung

Innerhalb des ganzheitlichen Präventionsansatzes leistet die gesetzliche Unfallversicherung bei Bedarf individualpräventive Maßnahmen, die zum einen darauf zielen, die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben einer Berufskrankheit zu verhindern. Zum anderen dienen sie dazu, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren infolge einer Erkrankung oder eines Arbeitsunfalls bei Vorliegen eines individuell erhöhten Gesundheitsrisikos zu vermindern.

Die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen unterstützen Preventive Health durch zahlreiche Angebote im Rahmen ihrer Präventionsleistungen. Dies kann beispielsweise eine Beratung der Betriebe und Bildungseinrichtungen zu spezifischen Themen wie der Prävention psychischer Belastung sein oder eines der vielen Präsenz- oder Online-Angebote für betriebliche Akteurinnen und Akteure oder Beschäftigte zu Themen wie Stressmanagement, Ernährung oder Bewegung.

Auch die Fachbereiche der DGUV mit ihren zugehörigen Sachgebieten stellen gesicherte Gesundheitsinformationen zur Verfügung, wie beispielsweise zur Gesundheitsförderung und Prävention in Schulen[8] oder zu verhaltenspräventiven Maßnahmen während und außerhalb der Arbeitszeit bei Schichtarbeit.[9] Bei Bedarf vermitteln sie die Beratung durch Expertinnen und Experten.

Die Institute der DGUV forschen seit Jahren auf dem Gebiet Preventive Health und leiten aus den Erkenntnissen Handlungsansätze für die Prävention ab. Im besonderen Fokus der Arbeit des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin (IPA) stehen medizinisch-wissenschaftliche Themen zur Prävention beruflich bedingter Erkrankungen. Schwerpunkte sind aktuelle Fragestellungen zu Erkrankungen beziehungsweise gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Gefährdungen, wie beispielsweise Hitze, UV-Strahlung, physische Belastungen oder Expositionen gegenüber Allergenen und Bioaerosolen an Arbeitsplätzen und in Bildungseinrichtungen inklusive SARS-CoV-2. Das Institut für Arbeitsschutz (IFA) setzt mit einem Forschungsprojekt bereits bei den Kleinsten an, in dem es Kinder in Kindertagesstätten und Grundschulen selbst zur Prävention forschen lässt. Das Institut für Arbeit und Gesundheit (IAG) veröffentlicht unter anderem regelmäßig Beiträge zum Thema Sicherheits- und Gesundheitskompetenz.

Vernetzung aller Beteiligten

Zunehmend richtet sich der Fokus des Präventionshandelns auf die Vernetzung – sowohl nach innen als auch nach außen. So trägt die interne Zusammenarbeit der Bereiche Prävention und Rehabilitation der gesetzlichen Unfallversicherung zu einer optimierten Versorgung bei und ermöglicht Rückschlüsse für die Prävention.

Nach außen gilt es, die anderen Sozialleistungsträger und weitere Institutionen im Blick zu behalten und bei Bedarf auf deren Leistungen zu verweisen. Beispielsweise können Beschäftigte mit ersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch das Programm RV Fit der Deutschen Rentenversicherung unterstützt werden. Auch hinsichtlich Vorsorgeuntersuchungen kann ein Verweis an andere Sozialleistungsträger sinnvoll sein. Zum Beispiel bieten Krankenkassen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung Screening-Untersuchungen an und finanzieren den Check-up 35. Beschäftigte über 45 Jahre können über die Deutsche Rentenversicherung einen Ü45-Gesundheits-Check erhalten.

Ausblick

„Preventive Health“ verstärkt den Trend zur Förderung der Gesundheit und umfasst dabei weit mehr als die Inanspruchnahme einzelner Gesundheitsleistungen. Vielmehr sollte der Fokus darauf gerichtet werden, Arbeits- und Lernbedingungen gesundheitsförderlich und präventiv zu gestalten sowie Strukturen zu schaffen, die die Menschen in ihrer Sicherheits- und Gesundheitskompetenz unterstützen sowie Möglichkeiten zur individuellen Prävention bieten. Die gesetzliche Unfallversicherung hilft Betrieben und Beschäftigten sowie Bildungseinrichtungen durch zahlreiche Präventionsangebote und trägt durch die Ermittlung und Verbreitung gesicherter Erkenntnisse auch zur Stärkung von Sicherheits- und Gesundheitskompetenz bei. Entscheidend ist jedoch, dass alle beteiligten Akteurinnen und Akteure im Präventionsfeld „Gesundheit im Betrieb“ an einem Strang ziehen und die Betriebe unterstützen, damit Preventive Health von einem Trend zur Routine wird.