Neue Chancen für die multidisziplinäre Zusammenarbeit in der betrieblichen Betreuung
Die neue DGUV Vorschrift 2 macht eine Sifa-Qualifizierung für Arbeits- und Organisationspsychologinnen und -psychologen zugänglich. Spezialisierungen in Arbeits- und Organisationspsychologie sowie betrieblicher Gesundheit erfolgen durch ein Studium oder Weiterbildungen. Die Möglichkeiten, die sicherheitstechnische Fachkunde zu erlangen, sollen noch weiter ausgebaut werden.
Frau Prof. Dr. Rehmer, wie bewerten Sie die Möglichkeit, dass sich Arbeits- und Organisationspsychologinnen und -psychologen künftig als Fachkräfte für Arbeitssicherheit qualifizieren lassen und tätig werden können?
Rehmer: Ich freue mich, dass mit der überarbeiteten DGUV Vorschrift 2 ein wichtiger Schritt zur Einbeziehung weiterer Professionen in die sicherheitstechnische Betreuung von Unternehmen offiziell erfolgt. Inhaltlich ergeben sich aus psychologischen Themen in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz verschiedene Einsatzfelder, die spätestens nach der letzten Überarbeitung der DGUV Vorschrift 2 zum 1. Januar 2011 und durch das GDA-Arbeitsprogramm[1] „Psyche“ an Sichtbarkeit und Relevanz gewonnen haben.
Bisher hatten sich die praktisch in der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz tätigen arbeits- und organisationspsychologischen Kolleginnen und Kollegen das notwendige sicherheitstechnische Fachwissen im Laufe vieler Jahre selbst angeeignet. Oder sie haben, wie ich beispielsweise auch, durch die „Hintertür der Meisteräquivalenz“ eine Sifa-Qualifizierung absolviert und damit die sicherheitstechnische Fachkunde erlangt.
Mit der aktuellen Überarbeitung der DGUV Vorschrift 2 ist der Grundstein dafür gelegt, aus der Hintertür einen Seiteneingang zu machen, sodass für uns Arbeits- und Organisationspsychologinnen und -psychologen die Sifa-Qualifizierung allgemein zugänglich geworden ist. In der überarbeiteten DGUV Vorschrift 2 ist auch schon in der betriebsspezifischen Betreuung eine Öffnung hinsichtlich der Zusammenarbeit der verschiedenen in der Beratung tätigen Professionen erfolgt. Ich hoffe aber auch, dass der Weg Richtung Vordertür weitergegangen wird, indem bei einer Überarbeitung des Arbeitssicherheitsgesetzes auch eine dritte Säule für weitere Professionen in der Grundbetreuung vorgesehen wird.

Welche Herausforderungen erwarten Sie bei der praktischen Umsetzung der Regelung, insbesondere bei der Zusammenarbeit von Psychologinnen und Psychologen, Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sowie anderen eher technisch geprägten Professionen?
Rehmer: Als eine schon seit mehr als 20 Jahren in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz tätige Arbeits- und Organisationspsychologin konnte ich bisher sehr viele und fast ausschließlich positive Erfahrungen in der multidisziplinären Zusammenarbeit mit Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sammeln, sowohl in der praktischen Arbeit als auch in der wissenschaftlichen, auf ministerialer und Verbandsebene.
Ich lebe in Thüringen – einem kleinen Bundesland, in dem sich in der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz zwischen den Professionen im Laufe der Jahre eine immer offenere und interessierte Zusammenarbeit entwickelt hat. Aber auch auf Bundesebene erlebe ich in verschiedenen Gremien und Beiräten eine große Kooperationsbereitschaft. Es wird natürlich immer (einzelne) Personen geben, die neuen Entwicklungen gegenüber unaufgeschlossen sind und eher kritisch einen potenziellen Verlust an Themen und Aufgabenfeldern diskutieren. Im Sinne der Kontakthypothese versuche ich am liebsten mit kritischen Personen in den Diskurs zu gehen und in gemeinsamen Projekten ergebnisoffen die Zusammenarbeit immer wieder neu auszutarieren.
Arbeits- und Organisationspsychologinnen und -psychologen bringen ihr Fachwissen zu psychologischen Themen wie beispielsweise zu psychischer Belastung und Beanspruchung, zu methodischen Ansätzen wie Befragungen oder Diagnostik, aber auch zu arbeits- und organisationsstrukturellen Einflussfaktoren auf Menschen in Fachdiskussionen und die Beratung der Betriebe mit ein. Am Ende sollen die verschiedenen Kompetenzen aller beteiligten Professionen den Beschäftigten und Unternehmen zugutekommen, was in meinen Augen mit einer multidisziplinären und komplementären Betreuung gut gelingen kann.
Sie sind im Vorstand des PASiG Fachverbands. Welche Maßnahmen sind vorgesehen, um möglichst viele Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Arbeitspsychologie gezielt auf die neuen Möglichkeiten in der Arbeitssicherheit vorzubereiten?
Rehmer: Es bestehen bereits Zugangswege, um die sicherheitstechnische Fachkunde direkt im Studium oder in Weiterbildungen zu erlangen und sich in Arbeits- und Organisationspsychologie sowie betrieblicher Gesundheit zu spezialisieren. Die Möglichkeiten sollen zukünftig weiter ausgebaut werden.
Im Weiterbildungsbereich haben wir vonseiten des PASiG Fachverbands beispielsweise in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, kurz: DGPs, eine postgraduale Qualifizierung zum Fachpsychologen für Sicherheit und Gesundheit in der Arbeitswelt konzeptioniert. Hier werden wir vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen prüfen, ob es zielführend sein wird, eine Qualifizierung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit zu inkludieren. Zudem streben wir mit PASiG seit mehreren Jahren an, arbeitspsychologische Kompetenz auch in die geregelte Betreuung zu vermitteln. Derzeit laufen Bestrebungen, ein Weiterbildungsangebot in Kooperation mit verschiedenen staatlichen Organisationen, der DGUV (beispielsweise das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV, kurz: IAG) und verschiedenen Universitäten/Hochschulen zu entwickeln. Wir hoffen, mit PASiG in einer „Brückenfunktion“ arbeitspsychologische Qualifizierungen als sinnvolle Ergänzung im Arbeitsschutz interdisziplinär vorantreiben zu können.
Außerdem darf der psychologische Studiengang mit integrierter Qualifizierung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit nicht unerwähnt bleiben. Vor acht Jahren hatte ich die Möglichkeit, diesen an der SRH University aufzubauen. In der Konzeption habe ich viele Vertreterinnen und Vertreter aus den relevanten Fachverbänden und der UVT-Welt beteiligt, und seit dem Wintersemester 2017 bieten wir den Master-of-Science-Studiengang „Arbeits- und Organisationspsychologie mit dem Schwerpunkt Sicherheit und Gesundheit in der Arbeitswelt“ an, der den Anforderungen der DGPs entspricht und eine Qualifizierung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit in den Lernfeldern 1 bis 5 im Curriculum inkludiert (anerkannt gemäß DGUV-Qualitätsstandards für Qualifizierungsträger). Dieser Studiengang ist für Bachelors der Psychologie oder mit einem Bachelorabschluss (mit 180 ECTS) anderer Fachrichtungen beispielsweise aus den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Gesundheit oder Pädagogik studierbar – und wenn man bereits eine Qualifizierung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit erfolgreich abgeschlossen oder einen anderen zum Beispiel psychologischen Masterstudiengang absolviert hat, sind entsprechende Anerkennungen möglich.
Ich hoffe, mit unseren Erfahrungen weitere Hochschulen und Universitäten zu inspirieren, eine studiengangsintegrierte Qualifizierung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit in psychologischen Masterstudiengängen zu ermöglichen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Ljuba Günther.