Sieben Dinge, die Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen spürbar beeinflussen

Seit November 2024 steht ein neuer Mustertext der überarbeiteten DGUV Vorschrift 2 bereit, um Sicherheit und Gesundheit im Betrieb mit Unterstützung von Fachleuten zu organisieren. Die trägerspezifischen Fassungen werden schrittweise in Kraft gesetzt.

Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit unterstützen das Unternehmen bei der Organisation von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb. Mit ihrem Fachwissen und ihrer Beratungskompetenz sorgen sie dafür, dass Beschäftigte sicher und gesund arbeiten können. Die Unternehmensführung beansprucht den fachkundigen Rat dieser Expertinnen und Experten auf Grundlage der DGUV Vorschrift 2.[1] Diese Unfallverhütungsvorschrift konkretisiert ihre rechtlichen Pflichten aus dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG).[2] Um die Anforderungen verständlicher zu gestalten und die Effektivität der bestellten Fachleute zu verbessern, wurde die DGUV Vorschrift 2 überarbeitet – verständlicher, moderner, zielgerichteter.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird verständlicher

Das ABC der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung: Zentrale Begriffe des verbindlichen Vorschriftentextes werden klarer definiert und in der neuen DGUV Regel 100-002[3] erläutert. Jetzt können Unternehmerinnen und Unternehmer die Vorschrift leichter verstehen. Die neue Regel enthält zudem praxisnahe Umsetzungsbeispiele. Für die Unternehmerinnen und Unternehmer wird es damit greifbarer, wie sie die Anforderungen für den Einsatz von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sowie Fachkräften für Arbeitssicherheit in ihrem Betrieb erfüllen können.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird moderner

Ein Besuch vor Ort, der Griff zum Smartphone oder das nächste Online-Meeting? Zukünftig dürfen Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit die Unternehmensführung auch telefonisch oder online beraten. Sie kann also schneller und flexibler fachkundigen Rat einholen – denn manchmal genügt schon ein kurzes Gespräch, um einfache Fragen zu klären. Wenn Fahrzeiten reduziert werden, finden vor allem kleine Betriebe leichter geeignete Fachleute. Damit digital unterstützte Beratung wirksam sein kann, sollten sich Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit allerdings zunächst selbst durch eine Betriebsbegehung einen Eindruck vom Betrieb verschaffen.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird interdisziplinärer

Neuerdings dürfen Absolventinnen und Absolventen aus weiteren Fachgebieten als Fachkräfte für Arbeitssicherheit qualifiziert und bestellt werden, wie beispielsweise aus der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Biologie oder der Ergonomie. Mit dieser Ausweitung der Ausgangsqualifikation wird der Blick auf Sicherheit und Gesundheit im Betrieb ganzheitlicher. Die Unternehmerinnen und Unternehmer können ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit also zielgerichtet aussuchen – als „perfect match“ mit den Anforderungen der Branche und des Betriebs.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird hilfreicher

Mittlerweile können sich Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten bei einigen Berufsgenossenschaften durch ein Kompetenzzentrum betreuen lassen. Nachdem sich Unternehmerinnen und Unternehmer zur Organisation von Sicherheit und Gesundheit im Betrieb qualifiziert haben, können sie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit des Kompetenzzentrums beanspruchen. Die Kompetenzzentren sind von den Berufsgenossenschaften eingerichtet und bieten qualitätsgesicherte und kostengünstige Beratungsleistungen aus einer Hand an. Früher stand dieses Angebot nur Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten offen.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird nachhaltiger

Lebenslanges Lernen der beauftragten Fachleute gewährleistet, dass Unternehmensführungen von aktuellen arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Erkenntnissen profitieren. Deshalb verlangt der jährliche Bericht von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sowie Fachkräften für Arbeitssicherheit ab sofort Nachweise über absolvierte Fortbildungen. Für die Unternehmensführung bedeutet diese Neuerung mehr Kontrolle über die Qualität der Fachleute bei gleichbleibendem Aufwand.

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Die DGUV Vorschrift 2 wird zeitgemäßer

Betriebe werden in der DGUV Vorschrift 2 einer Betreuungsgruppe zugeordnet – abhängig von den Gefährdungen ihrer Branche. Je niedriger die Betreuungsgruppe (I, II oder III) ist, desto mehr müssen Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit beansprucht werden. Die zugrunde liegende Aufschlüsselung der Wirtschaftszweige (WZ-Liste) wurde aktualisiert. Es wurden also Branchen gestrichen, ergänzt oder differenziert und somit an die aktuelle Wirtschaftsstruktur Deutschlands angepasst. Zugleich wurde die Zuordnung der Branchen zu den Betreuungsgruppen überarbeitet. Unternehmensführungen können ihren Betrieb damit leichter einer Betreuungsgruppe zuordnen und sicher sein, dass die Einsatzzeiten der Fachleute angemessen sind für die Gefährdungen im Betrieb.

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Die DGUV Vorschrift 2 bleibt bedarfsorientiert

Unternehmerinnen und Unternehmer aus kleinen und mittleren Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten können an einer alternativen Betreuungsform der Berufsgenossenschaften teilnehmen.[4] Zunächst erwerben sie in Qualifizierungsangeboten die Kompetenz, Sicherheit und Gesundheit selbstständig zu beurteilen und zu organisieren. Danach entscheiden sie auf Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung, in welchem Umfang sie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit einsetzen. Win-Win: Das „Mehr“ an Engagement der Unternehmensführung wird also mit einem „Mehr“ an Entscheidungsspielraum belohnt. Dadurch sollen Praxisnähe und Wirksamkeit der fachkundigen Beratung gefördert werden. Aktuelle Studien haben nachgewiesen,[5] dass insbesondere die Qualifizierungsangebote fruchten, weshalb diese Möglichkeit der Unternehmensführung in der überarbeiteten DGUV Vorschrift 2 erhalten bleibt. Übrigens: Unternehmerinnen und Unternehmer, die an der alternativen Betreuung teilnehmen, entscheiden auf Basis der Gefährdungsbeurteilung selbstständig über den Einsatz von digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie in der Betreuung.

Was ist sonst noch neu?

  • Grundbetreuung und betriebsspezifische Betreuung klarer abgegrenzt: Die Regelbetreuung für mittlere und große Betriebe (Anlage 2 DGUV Vorschrift 2) besteht aus zwei Komponenten: der Grundbetreuung und der betriebsspezifischen Betreuung. Beide Betreuungsarten bilden die Gesamtbetreuung und werden deutlicher voneinander unterschieden. Beispielsweise wurde nochmals klargestellt, dass die arbeitsmedizinische Vorsorge gemäß Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV)[6] eine Aufgabe der betriebsspezifischen Betreuung ist – sie ist kein „Add-on“ der betrieblichen Betreuung, sondern eine verpflichtende Leistung abhängig von den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Die Grundbetreuung beinhaltet Aufgabenfelder, die in allen Betrieben anfallen. Der Umfang der Grundbetreuung hängt von der Betreuungsgruppe und der Beschäftigtenzahl eines Betriebs ab. Die betriebsspezifische Betreuung wird von der Unternehmensführung festgelegt, indem sie ermittelt, welche der dazugehörigen Aufgabenfelder auf ihren Betrieb zutreffen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge wird als Bestandteil der betriebsspezifischen Betreuung nicht auf die Einsatzzeit der Grundbetreuung angerechnet.
  • Mindestanteile gestrafft: Die verbindlichen Mindestanteile von beiden Berufsgruppen für die Regelbetreuung von mittleren und großen Betrieben (Anlage 2 DGUV Vorschrift 2) am Gesamtumfang der Leistungen werden auf 20 Prozent vereinheitlicht. Das bedeutet zum Beispiel, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit nicht mehr als 80 Prozent des gesamten Leistungsumfangs für den Betrieb erbringen dürfen, während Betriebsärztinnen und Betriebsärzte mindestens 20 Prozent übernehmen müssen (oder umgekehrt).
  • Delegation ermöglicht: Betriebsärztinnen und Betriebsärzte dürfen unter bestimmten Bedingungen offiziell Aufgaben an qualifiziertes Assistenzpersonal delegieren – die Grundlage dafür ist die Arbeitsmedizinische Empfehlung „Delegation“ (AME Delegation).[7] Die gleichen Voraussetzungen gelten auch für Fachkräfte für Arbeitssicherheit.

„Zielgerichteter Einsatz von Ressourcen“

Statement von Andrea Kuhn, Leiterin des Fachbereichs Organisation von Sicherheit und Gesundheit der DGUV

Im Jahr 2011 ging die neue DGUV Vorschrift 2 mit einem Paradigmenwechsel an den Start: Im Mittelpunkt der damaligen Reform standen die Gleichbehandlung gleichartiger Betriebe, die Stärkung der Eigenverantwortung des Unternehmers oder der Unternehmerin und die Berücksichtigung zeitgemäßer Betreuungserfordernisse. Nach einer umfangreichen Evaluation dieser Reform wurde 2017 eine Projektgruppe des Fachbereichs Organisation von Sicherheit und Gesundheit der DGUV ins Leben gerufen mit dem Ziel, die DGUV Vorschrift 2 an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die wesentlichen Änderungen von 2011 sollten dabei erhalten bleiben, denn diese wurden in der Evaluation durchweg bestätigt. Zugleich sollte die DGUV Vorschrift 2 verständlicher, moderner und zielgerichteter werden. Dabei wurde immer die Frage mitgedacht: Wie kann dafür Sorge getragen werden, dass die DGUV Vorschrift 2 auch für Kleinst- und Kleinbetriebe umsetzbar ist?

Durch die Ausweitung des Zugangs zur Qualifizierung von Fachkräften für Arbeitssicherheit und die Möglichkeiten einer digitalen Betreuung wird ein zielgerichteter Einsatz von Ressourcen gefördert. Gleichzeitig bleiben die Qualitätsstandards der bisherigen betrieblichen Betreuung erhalten. Die vertieften Erläuterungen in der dazugehörigen DGUV Regel 100-002 geben den Unternehmen passgenaue Hilfestellungen zur Umsetzung der verbindlichen Vorschrift.

Damit hat der zuständige Fachbereich eine Anpassung der bestehenden Regelungen vorgelegt, die aktuelle Bedarfe der Betriebe aufnimmt und die Vorgaben entsprechend umsetzbar macht. Nun gilt es, die Änderungen in den Betriebsalltag zu integrieren. Wie nach der Reform im Jahr 2011 sollen auch die Ergebnisse dieser Anpassung nach einem angemessenen Zeitraum überprüft und bei Bedarf weiterentwickelt werden. Nur so kann die betriebliche Betreuung zeitgemäß bleiben. Der Fachbereich Organisation von Sicherheit und Gesundheit der DGUV wird auch bei zukünftigen Diskussionen seinen Beitrag dazu leisten, dass die DGUV Vorschrift 2 die fachliche Expertise abbildet und dabei praxisnah und umsetzbar bleibt.

 

„Arbeitsschutzrechtliche Betreuung von kleinen Unternehmen wird gezielt verbessert“

Statement von Dr. Richard Mechtenberg, Referat Arbeitsschutzrecht, Arbeitsmedizin, Prävention nach dem SGB VII im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) begrüßt die Neufassung der DGUV Vorschrift 2. Ihre Novellierung konnte im Oktober 2024 mit der Vorgenehmigung durch das BMAS und den Beschluss der Mitgliederversammlung der DGUV im November 2024 erfolgreich abgeschlossen werden. Für die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung sind die rechtlichen Änderungen eine wertvolle Grundlage, um diese zukunftsorientiert auszurichten. Künftig können digitale Anwendungen in der arbeitsschutzrechtlichen Betreuung genutzt werden. So kann die Arbeit sowohl von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten als auch von Fachkräften für Arbeitssicherheit spürbar erleichtert werden. Zudem wurde der Zugang unterschiedlicher Professionen zur sicherheitstechnischen Fachkunde erweitert. Ziel der Regelung ist, Fachkräften mit verschiedenen Qualifikationen den Zugang zur sicherheitstechnischen Fachkunde zu ermöglichen, damit sie ihre spezifischen Perspektiven einfließen lassen können. Dies stärkt auch die personellen sicherheitstechnischen Ressourcen. Die neuen Regelungen werden ergänzt durch die Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung von kleinen Unternehmen, die aus dem Fachdialog zwischen BMAS und Berufsgenossenschaften zur alternativen Betreuung von Kleinst- und Kleinbetrieben hervorgegangen sind. Mit dem Dialog von BMAS, DGUV und Unfallversicherungsträgern[8] wurde als geeintes Ergebnis insbesondere die Einrichtung von Anlaufstellen nach einheitlichen Standards beschlossen. Außerdem bekommt der Nachweis der Gefährdungsbeurteilung im sogenannten Unternehmermodell zusätzliches Gewicht. So wird die arbeitsschutzrechtliche Betreuung von kleinen Unternehmen gezielt verbessert.