30 Jahre BGN-Präventionsprogramm – Bäckerasthma im Wandel der Zeit
Das Programm der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) zur Individualprävention bei Bäckerasthma wurde 1994 als umfassendes Routineverfahren eingeführt. Seitdem wurde das Verfahren kontinuierlich weiterentwickelt und an rechtliche Reformen, den medizinischen Fortschritt, arbeitstechnische Innovationen und den Strukturwandel der Branche angepasst.
Noch vor 50 Jahren wurde „Bronchialasthma, das zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat“ unter einer einzigen Berufskrankheit mit der Ziffer 41 zusammengefasst. Die Entdeckung von Immunglobulin E (IgE) im Jahr 1966 war ein Meilenstein für das allergologische Krankheitsverständnis. Erst seit 1976 unterscheidet die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bei den obstruktiven Lungenerkrankungen zwischen der BK-Nr. 4301 (durch allergisierende Stoffe verursacht) und der BK-Nr. 4302 (durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursacht).[1]
Allergisches Asthma: ein Steckbrief
Die Volkskrankheit Asthma bronchiale wird unter anderem durch Pollen, Milben oder Tierhaare ausgelöst. Diese unterscheidet sich bis auf das auslösende Allergen nicht vom Berufsasthma, das durch Mehlstaub entsteht. Allergisches Asthma wird durch spezifisches IgE gegen das jeweilige Allergen vermittelt (Allergie vom Typ I). Vorbestehende außerberufliche Atemwegserkrankungen wie Heuschnupfen sind häufig und der Erkrankungsbeginn liegt meist in den ersten Berufsjahren. Die Symptome sind stark von der Expositionshöhe abhängig und bei Allergenmeidung reversibel. Die Präventionsmaßnahmen zielen darauf ab, akute Asthmaanfälle und eine Dauerschädigung der Lunge zu vermeiden.
Die Rhinopathie der BK-Nr. 4301
1988 wurde die Rhinopathie in die Legaldefinition der BK-Nr. 4301 aufgenommen[2], da sich aus einem allergischen Schnupfen häufig Asthma entwickelt. Aus präventiven Gründen sollte jungen Versicherten mit allergischer Rhinitis frühzeitig die Möglichkeit zur beruflichen Umorientierung gegeben werden.
Forschungsprojekt und kontroverse Diskussionen
1990 gingen bei der BGN über 2.000 Verdachtsanzeigen auf eine BK-Nr. 4301 ein – eine Verdreifachung gegenüber 1980. Die Notwendigkeit für Angebote der Individualprävention wurde dringlicher, denn viele Betroffene hatten eine hohe Berufsbindung und wollten trotz ihrer gesundheitlichen Probleme in ihrem Beruf verbleiben. Mit Unterstützung des damals zuständigen Bundesministeriums wurde ein BGN-Forschungsprojekt zum Bäckerasthma initiiert.
1991 und 1993 fanden in Heidelberg wissenschaftliche Symposien zu obstruktiven Atemwegserkrankungen im Backgewerbe statt. Die Implementierung eines BGN-Präventionsprogramms für Versicherte mit fortgesetzter Mehlstaubexposition war jedoch zunächst umstritten. Dahinter stand damals die Sorge vor akuten und chronischen Asthma-Komplikationen, die unter den damaligen Therapiemöglichkeiten zum Teil beobachtet wurden.
Ein Meilenstein: die inhalative Asthmatherapie
Parallel dazu revolutionierte um 1990 die Einführung der inhalativen Therapie mit Kortikoiden die Asthmatherapie. Mit dieser modernen, hochwirksamen Inhalationstherapie kann meist eine gute Krankheitskontrolle ohne gravierende Nebenwirkungen erreicht werden. Ohne diesen Meilenstein der Asthmatherapie wäre eine verantwortbare Individualprävention in vielen Fällen bis heute nicht möglich.
Interdisziplinäres Präventionsprogramm ab 1994
1994 wurde das Präventionsprogramm für Versicherte mit Bäckerasthma und -schnupfen als Routineverfahren eingeführt. Die BGN übernahm die Kosten für die Maßnahmen der Individualprävention innerhalb des Programms. Zum Angebot zählten von Beginn an Seminare, ärztliche Beratung, Diagnostik und medikamentöse Behandlung. Voraussetzung für die Aufnahme in das Programm war die betriebliche und therapeutische Mitwirkung der Versicherten inklusive der Teilnahme an einem mehrtägigen Gesundheitsseminar an mehreren Wochenenden.
Bis zur Reform des Berufskrankheitenrechts 2021 wurden mehr als 2.400 Versicherte ins Präventionsprogramm aufgenommen. Beim Bäckerasthma treten die ersten Beschwerden meist schon während der Ausbildung in jungen Jahren auf. Für die jugendlichen Versicherten, die erst am Beginn eines langen Berufslebens stehen, bleibt die berufliche Umorientierung die erste Wahl. Deshalb war das durchschnittliche Eintrittsalter ins Programm mit 36,9 Jahren vergleichsweise hoch. Ziel war eine gute Krankheitskontrolle und der Erhalt des Arbeitsplatzes bis ins Rentenalter. 2020 nahmen 1.225 Versicherte aktiv am Präventionsprogramm teil. Das Durchschnittsalter betrug 47,5 Jahre.[3]
Allergenminimierung im Betrieb und ärztliche Maßnahmen
Das interdisziplinäre Konzept der Individualprävention, das hier nur kurz skizziert werden kann, wurde an anderen Stellen mehrfach publiziert.[4][5][6][7]
Die enge Verzahnung von Allergenminimierung im Betrieb (Tabelle 1) und ärztlicher Diagnostik beziehungsweise Therapie ist für die Individualprävention elementar. Auch die präventive Beachtung von außerberuflichen Allergien und die Raucherentwöhnung sind entscheidend für den Präventionserfolg.[8][9][10] Die langfristige Betreuung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist ebenfalls von großer Bedeutung.

Arbeitstechnische Innovationen
Ein herausragendes Beispiel für innovative Lösungen in der Backbranche sind hydrothermisch behandelte Mehle (HT-Mehle). Durch das HT-Verfahren, das Befeuchtung und Trocknung kombiniert, werden die feinsten Stäube (A-Staub), die tief in die Atemwege eindringen können, mittels Agglomeration weitgehend eliminiert (Abbildung 1). Diese Trennmehle reduzieren die Staubentwicklung bei der Teigaufarbeitung drastisch und tragen somit erheblich zum Präventionserfolg bei.

Strukturwandel in der Backbranche
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Struktur der Backbranche zugunsten von Groß- und Mittelbetrieben stark verändert. Diese Entwicklung erforderte sowohl inhaltlich als auch organisatorisch eine Anpassung der Individualprävention. Die schichtbegleitende Risikozustandsanalyse (RZA), die speziell für handwerkliche Familienbetriebe entwickelt wurde, ist heute seltener geworden.
Reform des Berufskrankheitenrechts 2021
Mit der Reform des Berufskrankheitenrechts 2021 und dem Wegfall des Unterlassungszwangs bei der BK-Nr. 4301 kann die Erkrankung jetzt auch bei Versicherten, die trotz ihrer Allergie im Beruf bleiben, als Berufskrankheit anerkannt werden. Der Gesetzgeber fordert ausdrücklich die Stärkung der Individualprävention und den Erhalt des Arbeitsplatzes. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt, denn gleichzeitig besteht für die Unfallversicherungsträger die Pflicht zur umfassenden Aufklärung über die Gesundheitsgefahren und zum Hinwirken auf Unterlassung der Tätigkeit, wenn die Gefahr nicht beseitigt werden kann. In der Backproduktion lässt sich die Mehlstaubexposition zwar minimieren, aber letztlich nicht vollständig beseitigen.
Individuelle Abwägung und berufliche Neuorientierung
Die Entscheidung zwischen dem Verbleib im Beruf und einer beruflichen Neuorientierung erfordert die gründliche Abwägung aller Für und Wider. Die ärztliche Beratung spielt bei dieser wichtigen Weichenstellung für den weiteren Lebensweg eine zentrale Rolle, da medizinische Argumente wie die Schwere der Erkrankung gegen psychosoziale, sozioökonomische und betriebliche Faktoren abgewogen werden müssen. Beispiele hierfür sind die Backproduktionsleitung, die ihre gute Stellung nicht aufgeben möchte, der Inhaber oder die Inhaberin eines traditionsreichen Familienbetriebs oder Bäckergesellinnen und Bäckergesellen, die einen erneuten Berufsschulbesuch ablehnen.
Eine fundierte persönliche Entscheidung zum weiteren Berufsweg ist die unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Individualprävention. Besonders bei frühzeitigem Bäckerasthma, das bereits in den ersten Berufsjahren auftritt, bleibt die berufliche Umorientierung oft die beste Wahl. Das Gleiche gilt bei schwerem, unkontrolliertem Asthma.[11][12][13]
Vision Zero und aktuelle BGN-Forschung
Im außerberuflichen Kontext sind Weizen und Roggen seit der frühen Kindheit Grundnahrungsmittel und potenzielle Nahrungsmittelallergene. Damit ist die Allgemeinbevölkerung eine wichtige Referenzgruppe für das Bäckerkollektiv. Im Rahmen von Vision Zero und der Suche nach Ansätzen der Primärprävention hat die BGN in Kooperation mit dem Robert Koch-Institut (RKI) Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) ausgewertet. Diese Studie, eine der größten Gesundheitsmonitoring-Studien weltweit, untersuchte über 7.000 Blutproben von repräsentativ ausgewählten Personen auf spezifisches IgE gegen Weizen- und Roggenmehl sowie 50 weitere Allergene. Die Ergebnisse zeigen, dass 8,9 Prozent der erwachsenen Bevölkerung unter 29 Jahren und 9,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen gegen Weizenmehl sensibilisiert sind. Sensibilisierungen gegen Getreide sind in ausgeprägter Weise in Polysensibilisierungen eingebunden.[14]
Viele Indizien sprechen dafür, dass Bäckerasthma sich oft in den ersten Berufsjahren auf dem Boden von vorbestehenden Mehl- und Polysensibilisierungen sowie allergischen Atemwegserkrankungen, die bereits in der Kindheit vorlagen, entwickelt. Daher hat die BGN ihre primärpräventiven Bemühungen um eine möglichst frühzeitige allergologische Berufsberatung für zukünftige Auszubildende verstärkt.[15]
Fazit und Ausblick
In den vergangenen drei Jahrzehnten wurde bei mehr als 2.400 Beschäftigten mit Bäckerasthma und -schnupfen eine systematische betriebliche und ärztliche Individualprävention durchgeführt, um erfolgreich den Arbeitsplatz in der Backbranche zu erhalten. Die Zahl der Verdachtsanzeigen auf eine BK-Nr. 4301 ist bei der BGN von über 2.000 pro Jahr in den 1990er-Jahren auf deutlich unter 400 pro Jahr gesunken. Dennoch bleibt die Stärkung der arbeitsmedizinischen Vorsorge und der Individualprävention von hoher Bedeutung, da es sich um eine potenziell gefährliche und kostenintensive Berufskrankheit handelt, die eng mit den Volkskrankheiten allergisches Asthma und Rhinitis verknüpft ist.