FlexA – Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit in der BGN

Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Forderungen nach verbesserter Work-Life-Balance – Begriffe und Themen, mit denen sich auch die Berufsgenossenschaften beschäftigen. Die BGN beschreitet mit dem Projekt FlexA einen eigenen Weg, ihre Attraktivität als Arbeitgeberin zu steigern. FlexA wird dabei die Art der Zusammenarbeit und die Unternehmenskultur verändern.

Agieren statt reagieren

Bereits im April 2018 – etwa zwei Jahre vor Beginn der Corona-Pandemie – definierte der Führungskreis der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) unter Leitung der Hauptgeschäftsführung (HGF) das Thema „Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort in der BGN“ als strategisches Ziel.

Gründe dafür waren:

  • die zunehmende Forderung der Belegschaft – insbesondere der jüngeren Generationen – nach einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
  • der demografische Wandel, durch den in den nächsten zehn Jahren fast 50 Prozent der Belegschaft altersbedingt ausscheiden werden
  • der bereits deutlich spürbare Fachkräftemangel im bisherigen Rekrutierungsgebiet der BGN
  • geplante etwa langjährige Straßenbaumaßnahmen in Ludwigshafen, die den Arbeitsweg vieler Beschäftigter sehr stark behindern werden

Ziel war es, unter diesen eher widrigen Ausgangsbedingungen die Attraktivität der BGN als moderne, zukunftsorientierte Arbeitgeberin nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen.

Ermöglichen statt verhindern

Die Zukunftsvision lautete: „Flexibles Arbeiten (zeit- und ortsunabhängig) ist 2020 bei der BGN etabliert!“

Vor der Einführung von FlexA gab es bei der BGN bereits die Möglichkeit der Telearbeit, die jedoch nur unter bestimmten, eng gefassten Bedingungen (zum Beispiel Betreuung nachweislich pflegebedürftiger Angehöriger) beantragt werden konnte. Die Teilnahme an der Telearbeit war auf die Dauer der Teilnahmevoraussetzungen beschränkt. Führungskräfte konnten nicht teilnehmen. Etwa 200 der 1.500 BGN-Beschäftigten nahmen durchschnittlich die Möglichkeiten der Telearbeit in Anspruch.

Flexibles Arbeiten sollte dagegen prinzipiell für alle BGN-Beschäftigten möglich sein.

„Flexibles Arbeiten bei der BGN bedeutet, dass zukünftig jede und jeder Mitarbeitende unter bestimmten Voraussetzungen in direkter Absprache mit den Vorgesetzten Teile der vereinbarten Arbeitsleistung außerhalb des BGN-Dienstsitzes, von zu Hause oder einem dritten Ort, erbringen kann.“

Der Projektauftrag, auf einen Satz reduziert, lautete:

Bis Ende 2020 sind die Voraussetzungen geschaffen, dass BGN-Beschäftigte flexibel arbeiten können.

Die ersten Überlegungen wurden um weitere Rahmenbedingungen und zwei Kernaussagen ergänzt:

  • Die Projektlaufzeit beträgt zwei Jahre bis Ende 2020.
  • Der Fokus liegt auf der räumlichen UND zeitlichen Flexibilität.
  • Die derzeitige Telearbeit wird in die FlexArbeit integriert.
  • Die Umsetzung erfolgt mit möglichst geringem administrativem Aufwand durch eine einheitliche Regelung ohne einzelvertragliche Ergänzungen.
  • Es wird eine positive Kosten-Nutzen-Bilanz (inklusive Opportunitätskostenbetrachtung) angestrebt.

Der Leitgedanke während der gesamten Projektarbeit lautete: „Lösungen finden, die FlexA ermöglichen, und keine Probleme suchen, die FlexA einschränken oder verhindern!“

Die freiwillige Teilnahme an FlexA soll eine Win-win-Situation für die Beschäftigten und die BGN sein!

Bei Projektstart wurde aufgrund von Erfahrungen anderer Verwaltungsunternehmen mit ähnlichen Projekten eine FlexA-Teilnahme von etwa 40 Prozent der Beschäftigten erwartet. Bereits bei dieser Größenordnung war abzusehen, dass die Flexibilisierung der Arbeit einen nachhaltigen Wandel der Zusammenarbeit und damit der Unternehmenskultur und -struktur in der BGN zur Folge haben würde. Dieser Wandel würde eine Reihe weiterer Projekte nach sich ziehen und durch ein geeignetes Changemanagement begleitet werden müssen.

Aktive Einbindung aller Beteiligten

Bei der Zusammensetzung des Projektteams und der angewendeten Projektmethodik wurden mit FlexA neue Wege beschritten.

Erste Recherchen ergaben eine Vielzahl von Themen, auf die FlexA gestaltenden Einfluss haben würde und die im Rahmen der Projektarbeit oder in nachgelagerten Fachbereichsprojekten bearbeitet werden mussten. Nach dem Clustern dieser Projektthemen wurde das interdisziplinäre Projektteam aus entsprechenden Expertinnen und Experten zusammengestellt. Dieses konnte bei Bedarf temporär durch weitere Personen aus den Fachbereichen ergänzt werden. In der Folge bearbeitete das Projektteam die unterschiedlichen Themen in parallel arbeitenden Projektgruppen unter Federführung der jeweiligen Fachleute.

Aufgrund der anfänglichen Zielunschärfe kamen einige agile Projektmanagementmethoden zur Anwendung. Das Projektteam traf sich wöchentlich zu einem halbstündigen „Weekly“, um sich kurz auszutauschen und die Wochenziele zu besprechen, sowie monatlich zu einer vierstündigen Projektsitzung, um die zwischenzeitlichen Gruppenergebnisse vorzustellen und anliegende Entscheidungen im Konsens zu treffen. Zwischen den Projektsitzungen wurden die Themen in den selbstorganisierten Arbeitsgruppen weiterbearbeitet. Zwischenergebnisse wurden regelmäßig an die verschiedenen Kundengruppen (Beschäftigte, Führungskräfte und Gremien der BGN) kommuniziert. Deren Rückmeldungen waren die Basis für die Definition der nächsten Etappenziele. Auf eine klassische Meilensteinplanung wurde zugunsten einer schnellen Reaktion auf die sich weiterentwickelnden Kundenerwartungen und Zieldefinition verzichtet.

Gremienvertretungen  – Gleichstellungsbeauftragte (GleiB), Hauptpersonalrat (HPR) und Schwerbehindertenvertretung (SBV) – waren vollberechtigt in das Projektteam integriert und arbeiteten in den einzelnen Arbeitsgruppen mit. Als gleichzeitige Mitglieder des auf HPR-Seite installierten Arbeitskreises FlexA sicherten sie den kontinuierlichen Informationsfluss in beide Richtungen. Die wenigen verbleibenden Konfliktpunkte konnten meist schnell am „runden Tisch“ mit der HGF gelöst werden.

Die Führungskräfte wurden in Einzelgesprächen und in Präsenzveranstaltungen am jeweiligen Standort über das Projekt informiert. Eine repräsentative 20-köpfige Mitarbeitenden-Reflexionsgruppe stellte die Einbindung der Beschäftigten sicher. Da sich die Beschäftigten für die Mitarbeit in der Reflexionsgruppe aktiv bewerben mussten, bestand diese ausschließlich aus hoch motivierten und engagierten Beschäftigten. In sieben monatlichen Workshops wurde der jeweilige Projektstand vorgestellt und interaktiv ein aktuelles Projektthema bearbeitet. Die Gruppenmitglieder fungierten außerdem als Multiplikatoren und Stimmungsgeber für die Kollegen und Kolleginnen in ihrem Bereich und an ihrem Standort.

Flankiert wurde das umfassende Kommunikationskonzept durch eine Intranetseite mit Projektnews, FAQs, zielgruppengerechten Mails an Führungskräfte und Beschäftigte sowie regelmäßigen Berichten im Printmedium „BGNews intern“.

Das Organigramm des FlexA-Projekts | © BGN
Das Organigramm des FlexA-Projekts ©BGN

Mit progressivem Konzept zu einem attraktiven Arbeitgeber

Anstatt klassisch vorzugehen und Inhalte zunächst vollständig zu erarbeiten, bevor sie nach zeitaufwendigen Verhandlungen mit den Gremien in eine Dienstvereinbarung münden, entschied sich das Projektteam, parallel zur Projektarbeit mit der Ausformulierung einer Rahmendienstvereinbarung zu beginnen und diese kontinuierlich zu erweitern und abzustimmen. Ausgangspunkt der Projektarbeit war die Überlegung: „Was muss alles geregelt sein, damit FlexA funktioniert und den gesetzlichen Anforderungen genügt?“ Gleichzeitig sollte die Dienstvereinbarung (DV) genug Spielraum lassen, um Details bilateral zwischen Führungskraft und Beschäftigten unter Beachtung der jeweiligen Fachbereichsanforderungen festzulegen.

Die DV-Abschnitte wurden von den verschiedenen Projektarbeitsgruppen parallel erarbeitet. So entstand eine sechsseitige DV mit sechs Anlagen. Das Auslagern bestimmter Inhalte in die Anlagen stellt sicher, dass diese an sich verändernde Rahmenbedingungen angepasst werden können, ohne die eigentliche DV neu verhandeln zu müssen.

Wesentliche Punkte, die mit der „DV FlexA“ geregelt werden, sind:

  • Die Teilnahme an FlexA ist beiderseits freiwillig und widerruflich.
  • Der Wunsch nach FlexA geht immer von dem oder der Beschäftigten aus.
  • Persönliche Eignung, Eignung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsinhalte müssen vorhanden sein.
  • Der Umfang von FlexA wird zwischen Führungskraft und der oder dem Beschäftigten bilateral geregelt, wobei die Führungskraft das gesamte Team im Blick hat.
  • Die Anzahl der FlexA-Tage kann ebenso über die Zeitachse variieren wie die konkreten Wochentage. Auf Wunsch der Beschäftigten können auch feste Wochentage vereinbart werden.
  • Die Erbringung der Arbeitsleistung hat Vorrang, ebenso wie die Orientierung an den üblichen Bürozeiten, soweit die Arbeit Außenwirkung entfaltet.
  • Aus dienstlichen Gründen kann die Anwesenheit in der BGN verlangt werden.
  • Die Arbeitsschutzbestimmungen, der Datenschutz und die Informationssicherheit sind auch am flexiblen Arbeitsplatz verpflichtend einzuhalten. Die Beschäftigten werden entsprechend informiert und geschult.
  • Die IT-Ausstattung des Arbeitsplatzes zu Hause wird von der BGN zur Verfügung gestellt. Eine ergonomische Büromöbelausstattung wird von dem oder der Beschäftigten gestellt.
  • Ab einem Umfang der durchschnittlichen Arbeitszeit zu Hause von mehr als 20 Prozent der individuellen Arbeitszeit steht der oder dem Beschäftigten in der BGN statt eines fest zugewiesenen Arbeitsplatzes ein Poolarbeitsplatz zur Verfügung.
  • Die bisherige Telearbeit entfällt und geht in FlexA auf.

Mit dem Inkrafttreten der DV FlexA wurde auch die DV zur Arbeitszeitregelung angepasst, die nun ein zeitlich erweitertes Arbeiten zu Hause innerhalb der zuschlagsfreien Tarifarbeitszeiten erlaubt. Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit müssen nach wie vor beantragt und genehmigt werden.

Corona als erste Bewährungsprobe

Die ursprüngliche Planung, nach Inkrafttreten der DV FlexA die Anmeldebögen freizuschalten und die notwendige zusätzliche IT-Hardware einzelfallorientiert zu beschaffen, wurde durch den Ausbruch der Corona-Pandemie hinfällig.

Auf Basis der damals fast fertigen DV FlexA wurde es einem Großteil der BGN-Beschäftigten sehr schnell ermöglicht, unter Mitnahme der IT-Hardware von zu Hause aus zu arbeiten.

Positiv war: Es existierte ein sofort anwendbares Regelwerk, das auch für das Arbeiten unter Pandemiebedingungen genutzt werden konnte. Für das Projekt kam dies einer Pilotphase gleich, während deren viele Beschäftigte Erfahrungen mit dem selbstorganisierten Arbeiten zu Hause und der überwiegend elektronischen Kommunikation und Zusammenarbeit sammeln konnten. Viele FlexA-kritische wie auch FlexA-euphorische Beschäftigte haben durch den Praxistest ihre Meinung relativiert.

Negativ war: Die Beschaffung der für FlexA notwendigen zusätzlichen IT-Hardware verzögerte sich aufgrund von Lieferengpässen um Monate.  Der Übergang von Corona zu „FlexA in Reinkultur“ bedarf einer bis heute andauernden Planung und Umsetzung. Es gilt nun, die während der Pandemie überproportionalen Freiheiten, jederzeit von zu Hause aus arbeiten zu dürfen, auf das in den FlexA-Anmeldebögen vereinbarte Maß zurückzuführen.

Das Phasenmodell zeigt den Übergang von der Corona-Zeit zu FlexA. | © BGN
Das Phasenmodell zeigt den Übergang von der Corona-Zeit zu FlexA. ©BGN

Für die Umsetzung von FlexA in der BGN gehört neben einem verbindlichen Regelwerk auch die Planung der zukünftig benötigten fest zugewiesenen Arbeitsplätze und der neu einzurichtenden Poolarbeitsplätze. Auf Basis der Vereinbarungen in den FlexA-Anmeldebögen wurde mit den Führungskräften der Organisationseinheiten in Einzelgesprächen die benötigte Anzahl je Arbeitsplatztyp festgelegt. Die nach einem einheitlichen Schema ermittelten Zahlen wurden prozentual beaufschlagt, um zukünftige Schwankungen sicher ausgleichen zu können.

Das Einrichten der Poolarbeitsplätze sowie die notwendige Raumplanung und die damit verbundenen innerbetrieblichen Umzüge werden als Fachbereichsprojekte der IT und des Gebäudemanagements umgesetzt.

Beginn eines Struktur- und Kulturwandels

Das weit gefasste Regelwerk zur flexiblen Arbeit in der BGN und die praktischen Erfahrungen aller Beschäftigten während der Corona-Pandemie führten dazu, dass sich bisher mehr als zwei Drittel der rund 1.500 BGN-Beschäftigten zum FlexA-Programm angemeldet haben – weit mehr als die zu Projektbeginn prognostizierten 40 Prozent.

Das Führen wie das Geführtwerden auf Distanz verlangen eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens. Das Führen der Beschäftigten erfolgt stärker als bisher mittels Zielvereinbarungen und aktiver Kommunikation zwischen Führungskraft und den Mitarbeitenden. Führen durch Kontrolle funktioniert spätestens seit FlexA nicht mehr, ebenso wie der Anwesenheitsnachweis kein Maß für die Arbeitsleistung ist.

Dies verlangt nach geeigneter organisatorischer und technischer Unterstützung sowie weiteren geeigneten Personalentwicklungsangeboten.

Ebenso bedarf es Mechanismen, die zuverlässig die Gefahren der Selbstausbeutung und der sozialen Vereinsamung, aber auch das Unterlaufen des Arbeitsschutzes verhindern.

Vorgesetzte müssen ein Augenmerk auf eher ruhige Mitarbeitende haben und den aktiven Kontakt pflegen.

Das Arbeitsumfeld in der BGN und die Art der Zusammenarbeit werden sich verändern. Wenn ständig ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Beschäftigten von zu Hause aus arbeitet, werden weniger Arbeitsplätze in der BGN benötigt. Dies hat Auswirkungen auf die benötigten Gebäudeflächen an allen Standorten. Es bedarf einer besseren Koordination und Abstimmung, wenn anlassbezogen alle Beschäftigten eines Bereiches gleichzeitig in die BGN kommen sollen.

Poolarbeitsplätze „gehören“ nicht ausschließlich einem Fachbereich, sondern dürfen fachbereichsübergreifend genutzt werden.

Für das Arbeiten innerhalb der BGN-Gebäude muss ein Arbeitsumfeld vorhanden sein, das zusätzliche Vorteile gegenüber dem alleinigen Arbeiten zu Hause bietet. Diese Vorteile liegen in der Zusammenarbeit bei Präsenzveranstaltungen und dem persönlichen fachlichen und informellen, also auch dem sozialen Austausch unter Kolleginnen und Kollegen sowie mit Führungskräften. Entsprechende Raumkonzepte für diese Begegnungskultur sind zu entwickeln.

Nicht zuletzt wird FlexA als Katalysator für Digitalisierungsprojekte in der BGN dienen. Denn nur Arbeitsinhalte, die digital über das VPN-geschützte Unternehmensnetz zu Hause bearbeitet werden können, sind für das flexible Arbeiten geeignet.

Ausblick

Dem Einführungsprojekt FlexA 2020 schließt sich aktuell das Projekt FlexA 2022 an. Schwerpunkte sind die Evaluation der Zielerreichung des Einführungsprojektes, das Entwickeln eines Konzeptes für eine moderne, kollaborationsfördernde Arbeitsumfeldgestaltung in der BGN und das Erstellen einer Kosten-Nutzen-Analyse.