Digitale Plattformarbeit – Prävention auf verschiedenen Ebenen

Über digitale Plattformen vermittelte Arbeit nimmt stetig zu – typische Beispiele sind Handwerkstätigkeiten, Lieferdienste oder Softwareentwicklung. Nicht selten gehen diese neuen Arbeitsmodelle mit potenziellen Risiken für die Sicherheit und Gesundheit der Plattformtätigen einher. Der Prävention eröffnen sich hier Ansätze auf mehreren Ebenen.

Digitale Plattformen und Plattformarbeit

Landläufig werden mit digitalen Plattformen vor allem Social-Media-Netzwerke sowie Verkaufs- und Tauschplattformen in Verbindung gebracht. Hierüber findet jedoch in der Regel keine Vermittlung von Arbeitsleistungen statt. Im vorliegenden Beitrag werden daher insbesondere jene Plattformen in den Blick genommen, die eine Dienstleistung vermitteln und über die folglich Plattformarbeit betrieben wird.

Plattformarbeit lässt sich nach unterschiedlichen Maßstäben kategorisieren. Eine Variante ist die Unterscheidung von ortsgebundener und ortsungebundener Arbeit. Tätigkeiten, die ortsgebunden verrichtet werden können, werden als Gigwork bezeichnet. Beispiele sind Lieferdienste wie Lieferando, Plattformen zur Vermittlung von Haushalts- oder Handwerksdienstleistungen wie MyHammer und Helpling sowie Transportdienstleistungen wie Uber. Ortsungebundene Tätigkeiten – sogenanntes Cloudwork – können online verrichtet werden, beispielsweise in Form von Textarbeit wie unter www.content.de, Softwareentwicklung oder Produktbeschreibungen, wie Amazon Mechanical Turk sie vermittelt.[1]

Plattformarbeit ist kein neues Phänomen. Ihre Relevanz für die Prävention liegt auf der Hand.[2] Die konkreten Zahlen zu Plattformarbeit variieren jedoch je nach Erhebung stark. Einige aktuelle Eckdaten dazu:

  • Schon 2015 zeichnete sich ein Trend zur Zunahme von Plattformarbeit ab: Eine Studie der Weltbank prognostizierte für diese Arbeitsform eine weltweite jährliche Wachstumsrate von 30 Prozent.[3] Die Corona-Pandemie brachte einen weiteren Wachstumsschub von bis zu 450 Prozent mit sich. So erfolgt die Aufnahme einer Tätigkeit über digitale Plattformen aktuell häufig im Zuge pandemiebedingter Arbeitslosigkeit. Als unterstützend erweisen sich geringe Einstiegshürden und flexible Arbeitsmöglichkeiten.[4]
  • 2017 fand Plattformarbeit überwiegend als selbstständiges Nebengewerbe oder als Nebenerwerb im Angestelltenverhältnis zusätzlich zu einer anderweitigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung statt. Lediglich ein sehr geringer Anteil von Plattformarbeitenden erzielte mit dieser Arbeit ein erwerbssicherndes Einkommen.[5]
  • 2018 ergab eine EU-Erhebung, dass etwa 2,7 Millionen Deutsche über Plattformen tätig waren und damit entweder die Hälfte ihres Einkommens erwirtschafteten oder mindestens zehn Stunden pro Woche über Plattformen arbeiteten.[6]
  • Die meisten der über Plattformen erbrachten Dienstleistungen sind in den Branchen Medien und Informationstechnik verortet, gefolgt von Maschinenbau und sonstigem verarbeitendem Gewerbe.[7]

Plattformarbeit ist somit keine Eintagsfliege und nimmt mittlerweile einen festen Platz in der deutschen und internationalen Arbeitswelt ein. Immer mehr Menschen arbeiten über Plattformen. Dies offenbart zunehmend Regelungsbedarf in den Bereichen soziale Sicherung und Arbeitsschutz.

Digitale Plattformen in der politischen Diskussion

Angesichts dieser Entwicklungen scheint die politische Relevanz plattformvermittelter Arbeit klar. Bereits 2016 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) digitale Plattformen zu einem der zentralen Spannungsfelder der Arbeitswelt 4.0 erklärt.[8] Aber auch fünf Jahre später zeigte eine öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag, dass Datenlücken und die Vielschichtigkeit von Plattformarbeit die Politik weiterhin herausfordern.

Mit dieser Herausforderung hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere die „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“[9] im BMAS beschäftigt. In einem breit angelegten Dialogprozess führte sie die Perspektiven von Plattformtätigen, Plattformbetreibern, Gewerkschaften, Digitalwirtschaft, Wissenschaft und Sozialversicherungen zusammen. Intensiv diskutiert wurden vor allem Fragen zur statusrechtlichen Einordnung oder auch zur adäquaten Alterssicherung. Dass die spezifische Organisation von Plattformen etwa durch die Vorgabe der Geschäftsbedingungen ein hohes Maß an Fremdbestimmtheit auch für Selbstständige bedeutet, führt aus Sicht des BMAS zu einem erhöhten Schutzbedürfnis. Das warf Fragen auf, ob und wie diese Plattformen hinsichtlich der sozialen Absicherung soloselbstständiger Plattformbeschäftigter stärker in die Verantwortung genommen werden könnten.[10]

Auf dem Weg zu mehr Regulierung?

Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 setzte sich die politische Diskussion fort.[11] Im selben Jahr legte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eigene Eckpunkte für faire Arbeit in der Plattformökonomie vor.[12] Demnach sollten Plattformen in die soziale Sicherung der Selbstständigen miteinbezogen und finanziell mindestens an deren Alterssicherung beteiligt werden. Mit Blick auf unfallgeneigte Tätigkeiten wie bei Liefer- und Transportdiensten wollte das BMAS die Absicherung in der Unfallversicherung und den Arbeitsschutz stärken. Eine Konkretisierung oder gar Umsetzung fanden diese Eckpunkte bis zum Ende der Wahlperiode 2021 jedoch nicht.

Insbesondere durch die Initiativen der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit (siehe den Beitrag von Ilka Wölfle und Volker Schmitt „Brüssel möchte Plattformbeschäftigung regulieren“) nimmt die politische Diskussion aktuell wieder Fahrt auf. Die neue Ampel-Regierung kündigt hierzu in ihrem Koalitionsvertrag eine konstruktive Begleitung an.

Stimmen aus der Wissenschaft

Erste Vorschläge zur Bewertung fairer Arbeit in der Plattformökonomie schließen die Verantwortlichkeit der Plattformen für den Schutz vor arbeitsbezogenen Risiken und Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und Sicherheit der Plattformtätigen ausdrücklich mit ein.[13] In seinem ersten Arbeitsweltbericht hielt der vom BMAS 2020 eingerichtete „Rat der Arbeitswelt“ die Einbeziehung von Soloselbstständigen, also auch Plattformbeschäftigten, in die gesetzliche Sozialversicherung und damit auch in die Unfallversicherung für angezeigt. Ausdrücklich hervor hob er außerdem die Notwendigkeit, die Gesundheitskompetenz Soloselbstständiger zu stärken und sie in ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation zu unterstützen.[14]

Präventionsfeld Plattformarbeit

Nicht alle der bei Plattformarbeit möglichen Probleme sind völlig neu, wie die folgenden Beispiele zeigen:

  • ortsgebundene Plattformarbeit:
    • Umgang mit Gefahrstoffen bei der Reinigung (Haushaltsdienstleistungen)
    • Sicherheit von Verkehrsmitteln und Sicherheit im Verkehr (Essenslieferungen)
    • Sicherheit von Arbeitsmitteln (Handwerksleistungen)
  • ortsungebundene Plattformarbeit:
    • Ergonomie bei der Bildschirmarbeit
    • Trennung von Arbeit und Freizeit
    • Gefahr der Selbstausbeutung

Eine Studie zur Plattformarbeit in Deutschland im Auftrag der Bertelsmann Stiftung[15] nennt außerdem unter anderem die folgenden Arbeitsbedingungen als charakteristisch für Plattformarbeit:

  • häufig unbezahlter Arbeitsaufwand
  • Zunahme der Arbeitsbelastung
  • weltweiter Konkurrenzkampf
  • ständige Verfügbarkeit beziehungsweise fehlende feste Arbeitszeiten

Aus Sicht der Prävention ergibt sich aus diesen Bedingungen eine ganze Reihe von Problemen: ungeregelte Arbeits- und Ruhezeiten, potenziell unbegrenzte Arbeitsbelastung, Selbstausbeutung, psychische Belastungen diverser Art.

Prävention auf drei Ebenen

Digitale Arbeitsplattformen sind für die zumeist selbstständigen Plattformarbeitenden keine Arbeitgeber, sondern treten lediglich als Arbeitsvermittler auf. Daher entfallen für die Prävention auch die üblichen gesetzlichen Hebel wie das Arbeitsschutzgesetz und die DGUV Vorschrift 1 als Handlungsrahmen für die sichere und gesunde Gestaltung von digitaler Plattformarbeit. Dennoch ist die Prävention allgemein hier nicht gänzlich hilflos.

Auf der jeweils individuellen Ebene ist digitale Plattformarbeit verbunden mit hohen Anforderungen an Selbstdisziplin und Eigenverantwortung der Plattformtätigen: Die Trennung von Arbeit und Erholungs- beziehungsweise Freizeit ist mitunter schwierig, Selbstüberschätzung und damit (ungewollte) Überlastung können die Folge sein. Eine weitere Gefahr besteht in einer interessierten Selbstgefährdung, die auf einem Nicht-erkennen-Wollen von Überlastung beruht. Die Prävention kann hier –  ganz im Sinne des Rats der Arbeitswelt– durch entsprechende Maßnahmen zu einer Stärkung der Gesundheitskompetenz der Plattformtätigen beitragen.

Auf der technischen Ebene müssen Plattformtätige ihre Arbeitsmittel in der Regel selbst einbringen. Die normalerweise vom Arbeitgeber zu gewährleistende Sicherheit und Gesundheit der Arbeitsmittel ist hierbei nicht unbedingt gegeben. Die Prävention kann allerdings problemlos entsprechende Empfehlungen zu sicheren Arbeitsmitteln und deren ergonomischem Einsatz geben.

Auf der arbeitsorganisatorischen Ebene stehen die Plattformtätigen insbesondere bei ortsungebundener digitaler Plattformarbeit meist unter ständiger Beobachtung und unterliegen einer algorithmischen Leistungskontrolle, die in der Regel intransparent ist. Aufgabenbeschreibungen sind zudem oft unklar oder unvollständig und können sogar im Laufe der Bearbeitung erweitert oder verändert werden.

Ein möglicher präventiver Ansatz hierfür ist, einen Standard „Sichere und gesunde Plattformarbeit“ – gegebenenfalls auch in Verbindung mit einem Gütesiegel – zu schaffen. Ein Standard, der von einigen Plattformen selbst ins Leben gerufen wurde und auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung beruht, ist der „Code of Conduct“.[16] Die Unfallversicherung kann diesen als ein Beispiel guter Praxis aktiv fördern sowie seine Weiterentwicklung anregen und begleiten.

Fazit

Digitale Plattformarbeit ist mittlerweile kein Randphänomen in der Arbeitswelt mehr. Immer mehr Menschen, auch in Deutschland, arbeiten teilweise oder vollständig in über digitale Plattformen vermittelten Tätigkeiten. Aus arbeits- und sozialrechtlicher Sicht ist Plattformarbeit jedoch noch immer weitgehend ungeregelt und für die Prävention in vielen Belangen unsicheres Terrain. Hier ist vor allem auch die Politik am Zug. Darüber hinaus bietet sich für die Prävention jedoch schon heute eine Vielzahl von Möglichkeiten, sichere und gesunde Plattformarbeit zu fördern. Mit dem vorgestellten Modell der Prävention auf drei Ebenen brauchen die Fachleute der Prävention, allen voran die Unfallversicherung, den Sprung in das bislang unbekannte Gewässer Plattformarbeit nicht zu scheuen.

Literatur

Baethge, C. et al.: Plattformarbeit in Deutschland. Freie und flexible Arbeit ohne soziale Sicherung, hrsg. von der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2019.

Bröring, E. & Kohn, M.: Digitale Plattformarbeit – Unbekannte Gewässer für die Prävention? In: DGUV Forum, Ausgabe 12/2019,  S. 20–23.

[BMAS 2020a] Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Neue Arbeit fair gestalten Eckpunkte des BMAS. Faire Arbeit in der Plattformökonomie, Berlin 2020, www.denkfabrik-bmas.de/fileadmin/Downloads/eckpunkte-faire-plattformarbeit_1_.pdf (abgerufen am 11.04.2022).

[BMAS 2020b] Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Deutschlands Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Juli – Dezember 2020. Begleitband des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Berlin  2020.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Zukunftsdialog – Ergebnisbericht – Handlungsempfehlungen, Berlin 2019.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Weißbuch Arbeit 4.0, Berlin 2016.

Fairwork: Fairwork Deutschland Ratings 2021. Arbeitsstandards in der Plattformökonomie, Berlin, Oxford 2022.

Kuek, S. C. et al.: The Global Opportunity in Online Outsourcing. World Bank Group Report No, ACS14228, Juni 2015.

Peetz, K.: Plattformarbeit. Braucht Crowdworking neue Regeln?, www.deutschlandfunk.de/plattformarbeit-braucht-crowdworking-neue-regeln-100.html (abgerufen am 11.04.2022).

Pongratz, H. J. & Bormann, S.: Online-Arbeit auf Internet-Plattformen. Empirische Befunde zum „Crowdworking“ in Deutschland. In: Arbeits- und Industriesoziologische Studien, Jahrgang 10, Heft 2, November 2017, S. 158–181.

Rat der Arbeitswelt: Arbeitsweltbericht 2021. Vielfältige Ressourcen stärken – Zukunft gestalten, Berlin 2021.

Testbirds GmbH (Hrsg.): Code of Conduct. Grundsätze für bezahltes Crowdsourcing/Crowdworking, München 2017, www.crowdsourcing-code.com/media/documents/Code_of_Conduct_DE.pdf (abgerufen am 11.04.2022).