Gasversorgung, Wasserstoff und Arbeitsschutz

Wasserstoff wird eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche Energiewende spielen. Doch der Einsatz des chemischen Elements ist nicht ungefährlich. Die richtigen Schutzmaßnahmen helfen, die Gefährdungen zu vermeiden.

Für eine erfolgreiche Energiewende kommt Wasserstoff bei der Reduzierung von Kohlendioxid-Emissionen eine Schlüsselrolle zu. Er lässt sich klimafreundlich durch Strom aus erneuerbaren Energien mithilfe der Elektrolyse erzeugen. Bei Energieversorgungsunternehmen, in Bereichen der Stahlbranche sowie Chemieindustrie werden bereits Elektrolyseanlagen zur Herstellung, Verarbeitung und zum Transport von Wasserstoff betrieben.

Für das Arbeiten an Wasserstoffleitungen oder -anlagen sowie für den Betrieb der Anlagen muss der Unternehmer und die Unternehmerin für die Beschäftigten im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung geeignete Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der speziellen Eigenschaften von Wasserstoff festlegen. Zurzeit wird im Sachgebiet Energie und Wasser der DGUV eine Publikation der Reihe „Fachbereich Aktuell“ erarbeitet, die kurz und kompakt Schutzmaßnahmen für Arbeiten an Wasserstoffanlagen und -leitungen sowie zur Explosionssicherheit aufzeigt. Brand- und Explosionsgefährdungen stehen dabei im Vordergrund.

Praktische Lösungen für den Arbeitsschutz

Die DGUV Information 203-090 „Arbeiten an in Betrieb befindlichen Gasleitungen“ und die DGUV Information 203-092 „Arbeitssicherheit beim Betrieb von Gasanlagen“ bieten Hilfestellungen zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und geben Hinweise zu Schutzmaßnahmen für das Arbeiten an sowie den Betrieb von Erdgasanlagen.

In der DGUV-Publikation "Fachbereich Aktuell Wasserstoff" soll mit Bezugnahme auf beide zuvor aufgeführten DGUV Informationen die notwendigen Ergänzungen für Wasserstoff in Anlagen und Leitungen bereitstellen (Wasserstoffanteil über 98 Volumenprozent).

Zu den betrachteten Wasserstoffanlagen (Arbeitsbereiche) zählen zum Beispiel:

  • Erzeugungsanlagen (zum Beispiel Elektrolyse-Anlagen)
  • Gasaufbereitung
  • Gas-Verdichter
  • Speicherbehälter
  • Gas-Druckregel- und Messanlagen
  • Rohrleitungen (zum Beispiel freiverlegt, erdverlegt, Schlauchleitungen, Armaturen, Abblase- und Entspannungsleitungen)
  • Verbrauchsanlagen (zum Beispiel Thermoprozessanlagen, Haubenglüherei, Direktreduktionsanlagen, Hydrierung, Öfen und Wannen in der Glas- und Keramikindustrie)

Eigenschaften und Kenngrößen von Wasserstoff

Einen Überblick zu den sicherheitstechnischen Kenngrößen von Wasserstoff und Methan zeigt die Tabelle 1.

Tabelle 1: Sicherheitstechnische Kenngrößen und Eigenschaften von Methan und Wasserstoff  | © GESTIS, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)
Tabelle 1: Sicherheitstechnische Kenngrößen und Eigenschaften von Methan und Wasserstoff ©GESTIS, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)

Mit höherer Temperatur erweitert sich der Explosionsbereich, die Zündenergie nimmt ab und auch bei erhöhtem Druck nimmt die Zündenergie ab (die Werte wandern in die ungünstigere Richtung). Wasserstoff ist ein geruchloses und in reiner Form untoxisches Gas.[1][2]

Gefährdungen

Beim Betrieb von Wasserstoffanlagen und -leitungen ist mit dem Auftreten von Brand- und Explosionsgefährdungen zu rechnen. Hierzu nachfolgend einige Beispiele:

Auftreten von Gas-Luft-Gemischen, zum Beispiel:

  • undichte gasführende Systeme
  • Freisetzung von Wasserstoff an Abblase- und Entspannungsleitungen oder Atmungsleitungen
  • Wasserstofffreisetzung beim Öffnen gasführender Anlagenteile und Rohrleitungen im Rahmen der Instandhaltung
  • Bildung von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre im Inneren von Leitungen und Anlagen bei In- und Außerbetriebnahme sowie Instandhaltung

Zündquellen:

  • heiße Oberflächen
  • mechanische Reib-, Schlag- und Abtrennvorgänge
  • elektrische Anlagen
  • statische Elektrizität
  • Blitzschlag

Infolge der Entzündung eines explosionsfähigen Gemisches an Abblase- und Entspannungsleitungen ist mit folgenden Auswirkungen zu rechnen:

  • Gasbrand
  • Druckanstieg infolge verzögerter Zündung einer Gaswolke

Weitere Gefährdungen:

  • Erstickungsgefahr infolge Sauerstoffverdrängung durch Wasserstoff oder Inertgase (zum Beispiel Stickstoff)

Ab etwa zehn Volumenprozent Wasserstoff im Gemisch mit Luft sind die Auswirkungen von Explosionen in einem weiten Konzentrationsbereich sehr heftig.

Beispiele für Schutzmaßnahmen

Im Rahmen der Unterweisung sind neben den allgemeinen Gefährdungen und Schutzmaßnahmen für die durchzuführenden Tätigkeiten die wasserstoffspezifischen Gefährdungen und Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen.

Die wasserstoffspezifischen Schutzmaßnahmen sind in der Betriebsanweisung beziehungsweise Arbeitsfreigabe aufzuführen.

Spezielle persönliche Schutzausrüstung betrifft zum Beispiel ableitfähiges Schuhwerk, ableitfähige Schutzkleidung, ableitfähige Handschuhe. Diese Schutzausrüstung ist zu tragen, wenn im Arbeitsbereich mit dem Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre zu rechnen ist; siehe. Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 727[3].

Tragbare Gaswarngeräte

Bei Instandhaltungsarbeiten mit Überwachung der Konzentration im Arbeitsbereich wird das Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre mithilfe von tragbaren Gaswarngeräten erfasst. Wird beim Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre ein Alarm ausgelöst, ist der Gefahrenbereich umgehend zu verlassen.

Beschäftigte, die diese Messungen durchführen, müssen nach der Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS) 1112 Teil 1[4] über die erforderliche Fachkunde verfügen, bezogen auf:

  • verwendete Messgeräte und Messverfahren
  • Eigenschaften der zu messenden Stoffe (Medium Wasserstoff)
  • angewendete Arbeitsverfahren und betriebliche Verhältnisse

Die Gaswarngeräte müssen für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereichen für Wasserstoff auf der Grundlage der Europäischen Richtlinie (RL) 2014/34/EU[5] hinsichtlich ihrer Sicherheit als elektrische Betriebsmittel zulässig und entsprechend gekennzeichnet sein. Zusätzlich muss die messtechnische Funktionsfähigkeit für die vorgesehene Anwendung entsprechend den Anforderungen der RL 2014/34/EU nachgewiesen sein. In der DGUV Regel 113-001 „Explosionsschutz-Regeln (EX-RL)“ Anlage 3 „Liste funktionsgeprüfter Gaswarngeräte“ sind für Wasserstoff geeignete Gaswarngeräte aufgeführt.

Anforderungen an Arbeitsmittel und Geräte

Muss mit dem Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre im Arbeitsbereich gerechnet werden, sind wirksame Zündquellen zu vermeiden. Bei der Auswahl elektrischer und nicht elektrischer Geräte und Arbeitsmittel im Sinne der Richtlinie 2014/34/EU sind diese entsprechend der Gerätegruppe II, Kategorie 2 G auszuwählen, soweit sich aus der Gefährdungsbeurteilung keine anderen Anforderungen ergeben (vgl. TRBS 1112 Teil 1). Die Explosionsgruppe IIC für Wasserstoff ist zu berücksichtigen.

Handwerkzeuge

Für Wasserstoff ist auch beim Gebrauch von einfachen handgeführten Werkzeugen wie Schraubenschlüsseln, Zangen, Schraubendrehern oder relativ leichten Geräten wie Leitern die Möglichkeit einer Entzündung durch Funken zu unterstellen.

Zur Gefährdungsvermeidung findet sich in der TRGS 723[6] der Hinweis auf die Verwendung von funkenarmen Werkzeugen aus nicht gehärtetem Nichteisen-Metall, zum Beispiel Beryllium-Kupfer-Legierung zur Zündfunkenvermeidung.

Brandbekämpfung

Die Unterbrechung des nachströmenden Wasserstoffs ist im Brandfall die bevorzugte Methode der Brandbekämpfung.

Instandhaltung von Wasserstoffleitungen und -anlagen

Müssen gasführende Anlagenteile geöffnet werden, sind Arbeitsverfahren auszuwählen, bei denen das Auftreten gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre im Arbeitsbereich vermieden wird. Dazu zählt zum Beispiel das Arbeiten im gasfreien Zustand. Folgende Sachverhalte sind hierbei zu berücksichtigen: Beiderseits der Arbeitsstelle ist eine gasdichte Absperrung (mittels Sperrstrecke oder Steckscheiben) zu realisieren, nach dem Entspannen des Leitungsabschnittes ist der Arbeitsbereich zu inertisieren[7], zum Beispiel durch Spülen mit Stickstoff. Beim Spülen von Rohrleitungen ist darauf zu achten, dass eine Schichtenbildung in der Leitung vermieden wird, damit kein Wasserstoff in der Leitung verbleibt. Dazu ist eine ausreichend hohe Strömungsgeschwindigkeit in der Leitung erforderlich. Für die Inertisierung von Baugruppen und Leitungsabschnitten in Gasanlagen kann das Verfahren der Druckwechselinertisierung angewendet werden, wie es in der TRGS 722 im Anhang 2[8] beschrieben wird. Für eine erfolgreiche Inertisierung sind unter anderem folgende Kriterien zu beachten: Dichteunterschiede der Gase, Durchmesserunterschiede der Leitungsabschnitte, Abzweigungen, Strömungsgeschwindigkeit, Toträume.

Der gasfreie Zustand in der Leitung ist nachzuweisen (zum Beispiel mittels Gaskonzentrationsmessgerät) und zu dokumentieren (Arbeitsfreigabeschein).

Die Durchführung der Inertisierung ist schriftlich im Vorfeld festzulegen (Arbeitsablaufplan).

Bei Arbeiten an Gasleitungen in Gebäuden ist dafür zu sorgen, dass sich keine gefährlichen Gas-Luft-Gemische in den Räumen bilden können.

Vermeidung von Zündquellen

Kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gasreste im System verbleiben, sind Maßnahmen zur Zündquellenvermeidung im Arbeitsbereich festzulegen. Hierzu zählt auch die Erdung von Personen sowie ortsbeweglicher und metallischer Arbeitsmittel.

Absperrverfahren

Absperrsysteme und -verfahren (zum Beispiel Blasensetzgerät, Stopple-Gerät) zum temporären Sperren müssen für den Einsatz an Wasserstoffleitungen vom Hersteller hierfür freigegeben sein.

Prüfungen und Kontrollen

Für die Kontrolle einer ordnungsgemäßen Begasung ist darauf zu achten, dass der Messbereich des verwendeten Messgerätes dies zulässt (100 Volumenprozent Wasserstoff).

Nach Abschluss der Arbeiten ist die Dichtheit der Leitung zu prüfen (zum Beispiel mittels geeigneter Gasspürgeräte oder schaumbildender Mittel).

Explosionssicherheit

An den Mündungen von Abblase- und Entspannungsleitungen zur Atmosphäre von Anlagen sind mögliche Gefährdungen zu bewerten und erforderliche Schutzmaßnahmen festzulegen. Folgende Gefährdungen können vorhanden sein: Explosion, Brand, Druckauswirkung bei der Zündung.

Festlegungen sind zu treffen für:

  • explosionsgefährdete Bereiche
  • Schutzabstand für unzulässige Wärmeeinwirkung auf die Umgebung
  • Schutzabstand hinsichtlich Druckauswirkung infolge verzögerter Zündung
  • Zur Ermittlung der Gefahrenbereiche und Schutzabstände können geeignete Berechnungsverfahren angewendet werden.

Für die Zoneneinteilung spezieller Wasserstoffanlagen finden sich in der DGUV Regel 113-001 zwei Beispieltabellen:

  • Punkt 1.2.7 „Anlagen zur Herstellung und Verwendung von Wasserstoff“
  • Punkt 4.2.5Anlagen für die Einspeisung von Wasserstoff in Gasversorgungsnetze“

Die Einteilung explosionsgefährdeter Bereiche in Zonen ist ein bewährtes Mittel, um die Anforderungen an die Zündquellenvermeidung festzulegen.

Wasserstoff

Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar. Er kann beispielsweise als Brenn-, Hilfs- und Grundstoff in der Industrie eingesetzt werden und lässt sich mittels Brennstoffzellen in Strom und Wärme umwandeln, um Häuser mit Elektrizität zu versorgen und zu beheizen. Außerdem kann Wasserstoff als Treibstoff dienen oder als Rohstoff bei der Produktion synthetischer Kraftstoffe für Lastkraftwagen, Züge, Schiffe und Flugzeuge.

Zurzeit liegt der Verbrauch von Wasserstoff in Deutschland bei rund 55 Terawattstunden. Bedarfe gibt es in erster Linie in der Industrie, zum Beispiel in der Ammoniak-Herstellung oder in der Petrochemie. Der Hauptteil des derzeit genutzten Wasserstoffs ist „grauer“ Wasserstoff. Dieser basiert auf dem Einsatz von fossilen Kohlenwasserstoffen. Seine Erzeugung ist mit erheblichen CO2-Emissionen verbunden.

Hoffnungsträger im Rahmen der Energiewende und des Klimaschutzes ist hingegen der „grüne“ Wasserstoff. Er wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei für die Elektrolyse ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt. Die Produktion von grünem Wasserstoff ist damit CO2-frei.

Die Bundesregierung sieht bis 2030 einen Wasserstoffbedarf von etwa 90 bis 110 Terawattstunden. Um einen Teil dieses Bedarfs zu decken, sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland Erzeugungsanlagen von bis zu fünf Gigawatt Gesamtleistung einschließlich der dafür erforderlichen Offshore- und Onshore-Energiegewinnung entstehen. Dies entspricht einer grünen Wasserstoffproduktion von bis zu 14 Terawattstunden und einer benötigten erneuerbaren Strommenge von bis zu 20 Terawattstunden.

Um die Produktion von grünem Wasserstoff zu fördern, hat die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) geschaffen. Sie setzt einen Handlungsrahmen für die künftige Erzeugung, den Transport, die Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff und damit für entsprechenden Innovationen und Investitionen. Sie definiert die Schritte, die notwendig sind, um zur Erreichung der Klimaziele beizutragen, neue Wertschöpfungsketten für die deutsche Wirtschaft zu schaffen und die internationale energiepolitische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.

Begleitet und weiterentwickelt wir die Strategie von einem Nationalen Wasserstoffrat. Das Gremium setzt sich aus 26 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen.