Hautschutz mit System: Das bietet die BGN ihren Versicherten

Um die Individualprävention zu stärken, hat die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) ein neues Angebot geschaffen für Versicherte, die an berufsbedingten Hauterkrankungen leiden. Bei einem „Individuellen Beratungstag Haut“ können Versicherte alle offenen Fragen zu ihrer Hautkrankheit klären.

Vor Corona betrafen etwa 60 Prozent aller gemeldeten Berufskrankheiten den Verdacht auf berufsbedingte Hauterkrankungen (BK 5101). Feuchtarbeit und Kontakt zu Nahrungsmitteln sind die dominierenden Ursachen für Hauterscheinungen an den Händen und Unterarmen der Versicherten bei der BGN. Um schnell und effektiv geeignete Maßnahmen zu ergreifen und einer Chronifizierung entgegenzuwirken, hat sich das sogenannte Hautarztverfahren bewährt.

Nach Eingang eines Hautarztberichtes oder eines Betriebsärztlichen Gefährdungsberichtes Haut – alternativ zu einer BK-Anzeige BK 5101 – wird ein hautärztlicher Behandlungsauftrag erteilt, wenn die Voraussetzungen für Maßnahmen nach § 3 Berufskrankheiten-Verordnung (BKV)  gegeben sind. Darüber hinaus erfolgen ein telefonisches Erst-Profiling mit den Versicherten und das Angebot, an einem Haut-Basisseminar teilzunehmen. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt werden bedarfsorientiert Leistungen festgestellt und ermöglicht.

Seit 2011 bietet die BGN im Rahmen des Stufenverfahrens nach § 3 BKV standardisierte eintägige Haut-Basisseminare deutschlandweit an. Mit Einverständnis der Versicherten können im Stufenverfahren weitere Maßnahmen durchgeführt werden. Dabei können auch der Betriebsarzt, die Betriebsärztin oder der Technische Aufsichtsdienst einbezogen und der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin kontaktiert werden.[1]

Bei schweren berufsbedingten Hauterscheinungen werden die beratenden Hautärztinnen und Hautärzte der BGN mit einbezogen, gegebenenfalls wird eine Maßnahme der Individuellen Tertiär-Prävention (TIP) als stationäre Maßnahme angeboten. Im Raum Erfurt/Dresden können Versicherte mit schweren Hauterscheinungen seit vielen Jahren zusätzlich in das sogenannte Hautpräventionsprogramm (HPP) aufgenommen werden. Das bedeutet: Nach ihrer Teilnahme an dem Haut-Basisseminar können sie sich in regelmäßigen Abständen bei einem Berufsdermatologen oder einer Berufsdermatologin vorstellen. Dies ist bis zu zwei Jahren begleitend zur Therapie bei einer niedergelassenen Hautärztin oder einem niedergelassenen Hautarzt möglich.

Bis zum 31. Dezember 2020 war für die Anerkennung der Hauterscheinungen als Berufskrankheit als besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit erforderlich.

Mit der Reform des Berufskrankheitenrechts zum 1. Januar 2021 ist der Unterlassungszwang für eine schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung entfallen. Der bisherige Unterlassungszwang sollte sicherstellen, dass eine weitere Schädigung durch die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit verhindert wird und Bagatellerkrankungen ausgeschlossen werden. Deshalb hat der Gesetzgeber bei bereits anerkannten Berufskrankheiten im Zuge der Novellierung als sein größtes Ziel die Stärkung von Präventionsmaßnahmen sowie Aufklärung und Beratung der Versicherten hinsichtlich der die Haut gefährdenden Berufstätigkeiten festgeschrieben.[2] So soll das Risiko vermindert werden, dass eine anerkannte Berufskrankheit nach Nummer 5101 der Berufskrankheitenliste auch bei Verbleib in der schädigenden Tätigkeit wiederauflebt oder sich verschlimmert. Neben den im Folgenden beschriebenen sekundär- und tertiärpräventiven Maßnahmen sei an dieser Stelle auch auf die große Bedeutung von primärpräventiven Maßnahmen in den Betrieben hingewiesen, die von der BGN in vielfältiger Weise unterstützt werden, zum Beispiel durch Informationsmaterial für die Unternehmerinnen und Unternehmer, etwa eine Aktionsbox Haut oder auch Informationsangebote im Rahmen von Gesundheitstagen.

Die versicherte Person steht im Fokus

Sofern nach anerkannter Berufskrankheit weiterhin Hauterscheinungen mit schwerem oder wechselhaftem Verlauf bestehen und ärztlicherseits empfohlen wird, die schädigende Tätigkeit aufzugeben, ist es ein Anliegen der BGN, die Versicherten umfassend zu begleiten und zu informieren und in Bezug auf ihre Gesundheitskompetenz zu unterstützen. Dies erfolgte auch bereits vor der Reform des Berufskrankheitenrechts durch eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Um der nach Wegfall des Unterlassungszwangs vom Gesetzgeber geforderten Stärkung der Individualprävention gerecht zu werden, wurde den bereits bestehenden vielfältigen Präventionsmaßnahmen bei der BGN im Bereich der Hauterkrankungen ein weiteres Modul hinzugefügt – der sogenannte „Individuelle Beratungstag Haut“ für Versicherte mit anerkannter BK 5101.

Ein neues Modul in der Individualprävention der BGN

Bei verschiedenen chronischen Erkrankungen, zum Beispiel der Neurodermitis, ist gut belegt, dass eine umfassende Aufklärung der Betroffenen über ihre Erkrankung in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Lebensqualität und zu einer Reduktion der Symptome führt.[3] Bei der BGN wurden bereits langjährig gute Erfahrungen mit der Durchführung interdisziplinärer Gesundheitsseminare für Bäckerinnen und Bäcker mit obstruktiven allergischen Atemwegserkrankungen gemacht.[4]

Wenn Versicherte mit einer anerkannten BK 5101 und somit einer chronischen oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankung an ihrem Arbeitsplatz verbleiben – wie es nach Wegfall des Unterlassungszwangs möglich ist –, benötigen sie ebenfalls eine gute Aufklärung über ihre Erkrankung.

Die meisten Versicherten mit einer anerkannten BK 5101 haben bereits im Rahmen des Hautarztverfahrens an einem Haut-Basisseminar mit allgemeinen Informationen zum Thema Hautschutz und Hautpflege am Arbeitsplatz teilgenommen. Somit erschien es sinnvoll, ein erweitertes Präventionsangebot individueller auf die Versicherten zuzuschneiden.

Aus den Erfahrungen aus den Haut-Basisseminaren können Versicherte, die oft aus sehr kleinen Betrieben kommen, eine eintägige Präventionsmaßnahme zumeist gut wahrnehmen, sodass es nahelag, auch eine neu zu gestaltende Präventionsmaßnahme zeitlich entsprechend zu konzipieren.  Hieraus entstand die Idee eines „Individuellen Beratungstages Haut“. Dieser wird nach dem folgenden Konzept durchgeführt:

Für einen Beratungstag werden bis zu fünf Versicherte eingeladen, für die individuelle Beratung wird ein Zeitfenster von 1,5 Stunden eingeplant. Die Versicherten werden von einem interdisziplinären Team beraten. Dieses besteht aus in der Berufsdermatologie erfahrenen Dermatologinnen und Dermatologen, Reha-Management beziehungsweise Sachbearbeitung und dem Technischen Aufsichtsdienst der BGN, hier zumeist aus Aufsichtspersonen, die auch an der Gestaltung der Haut-Basisseminare mitwirken und besonders mit der Thematik der beruflichen Hauterkrankungen vertraut sind. Die Beratung erfolgt dabei gemeinsam im gesamten Team zur aktuellen beruflichen und gesundheitlichen Situation der jeweiligen versicherten Person in Bezug auf die bestehende Hauterkrankung. Im Anschluss findet dann bei Bedarf eine individuelle Kurzschulung zu Hautpflege- und Hautschutzmaßnahmen statt. Diese wird von erfahrenen medizinischen Assistentinnen und Assistenten durchgeführt. Vor der Beratung der versicherten Person findet eine kurze fallbezogene Besprechung der vorliegenden Befunde beziehungsweise der speziellen Fragestellungen statt. Ebenso werden nach erfolgter Beratung die Ergebnisse zusammengefasst und das weitere Prozedere wird gemeinsam abgestimmt.

Der Beratungstag wird in allen acht Außenstellen des Gesundheitsschutzes der BGN organisiert und angeboten. Derzeit sind jeweils zwei Veranstaltungen pro Jahr geplant. Das Angebot wird dem jeweiligen Bedarf angepasst.

Eingeladen werden primär Versicherte mit einer anerkannten BK 5101, die im Beruf verbleiben wollen. Für eine Beratung kommen aber auch folgende Versicherte infrage:

  • Versicherte, die sich noch unsicher bezüglich einer Tätigkeitsaufgabe sind
  • Versicherte, die aus medizinischen Gründen ihre Tätigkeit aufgeben sollten
  • Versicherte mit schweren und wechselhaften Verläufen
  • junge Versicherte abhängig von medizinischem Bild und Verlauf

Der individuelle Beratungstag bietet die Möglichkeit, speziell auf die konkrete Situation der Versicherten einzugehen. Mögliche Verbesserungen in der Therapie und Prävention der Berufsdermatose am Arbeitsplatz können hier ermittelt werden. Die Versicherten können konkret über Risiken bei einer Fortführung der Tätigkeit aufgeklärt werden; ebenso kann auf die Intensivierung von Schutz- und Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz hingewiesen werden. Bei Bedarf kann mit Einverständnis der Versicherten Kontakt zu der behandelnden Dermatologin oder dem Dermatologen aufgenommen sowie die verantwortliche Arbeitsmedizinerin oder der verantwortliche Arbeitsmediziner im Betrieb in die Betreuung eingebunden werden. Im Bereich des Arbeitsschutzes ist eine Unterstützung durch den Technischen Aufsichtsdienst möglich. Hier ist jedoch zwingend das Einverständnis der Versicherten notwendig, um deren Arbeitsplatz durch einen vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin eventuell nicht erwünschten Vor-Ort-Besuch des Technischen Aufsichtsdienstes nicht zu gefährden. Ergibt sich aus medizinischer Sicht im Rahmen der Beratung die Notwendigkeit zur Unterlassung der Tätigkeit, so kann dies direkt erläutert werden und eine Beratung hinsichtlich möglicher Leistungen zur Teilhabe bei Tätigkeitsaufgabe erfolgen.

Der persönliche Kontakt der Versicherten zur Sachbearbeitung oder dem Reha-Management kann von großem Vorteil sein – werden doch verwaltungsseitige Vorgänge so für die Betroffenen oft verständlicher und die BGN als betreuender Unfallversicherungsträger bekommt für die Versicherten ein persönliches Gesicht. Dies erleichtert spätere Kontaktaufnahmen und führt möglicherweise auch zu einer besseren Kooperation bei dem gemeinsamen Ziel, einen guten beruflichen Weg für Versicherte mit ihrer beruflich bedingten Hauterkrankung zu finden.

Zudem kann im Rahmen des Beratungstages auch eruiert werden, inwieweit psychische Belastungsfaktoren bei der beruflich bedingten Hauterkrankung eine zusätzliche Rolle spielen und deren Verlauf beeinflussen. Sollte dies von den Versicherten geäußert werden oder im ärztlichen Gespräch der Eindruck entstehen, dass hier eine entsprechende Relevanz vorliegt, kann auf Hilfestellungen wie Entspannungsverfahren, psychologische Beratung oder Schulung verwiesen werden.

Ein Fall aus der Praxis

Frau R., geboren 1970, war seit 1994 als Bäckereifachverkäuferin bei einem Mitgliedsbetrieb der BGN tätig. Hauterscheinungen an den Händen wurden erstmalig 2009 dokumentiert. Die Versicherte berichtete, dass die Hauterscheinungen bereits seit zehn Jahren bestehen würden und unter Behandlung mit steroidhaltigen Cremes und auch zeitweise Kortisontabletten immer wieder eine Besserung eingetreten sei.

Über viele Jahre bestand ein wechselhafter Verlauf. Während längerer Arbeitsunfähigkeiten heilten die Hauterscheinungen ab, traten mit Beginn der Tätigkeitsaufnahme jedoch sofort wieder auf. Durch die Bewilligung der ärztlichen Behandlung im Rahmen von § 3 BKV wurde eine nachhaltige dermatologische Behandlung und Therapie sichergestellt, die den Verbleib im Beruf erleichterte. Der Verlauf der Hauterkrankung wurde zudem fachärztlich dokumentiert. Danach bestand ein wechselhafter Verlauf ohne nachhaltige Besserung trotz durchgeführten zweitägigen Hautschutzseminars in einem Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm). Im Feststellungsverfahren wurde eine atopische Diathese (anlagebedingte Hauterkrankung) diagnostiziert. Eine Teilursache der dokumentierten Hauterscheinungen war die Arbeit in feuchtem Milieu und die verstärkende Wirkung von Okklusion erzeugenden Handschuhen. Sensibilisierungen gegenüber Berufsstoffen waren nicht zu eruieren. Ein Unterlassungszwang wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht festgestellt, da die zur Verfügung stehenden Präventionsmaßnahmen noch nicht ausgeschöpft waren. Ein stationäres Heilverfahren wurde vom Gutachter empfohlen, konnte aber nicht durchgeführt werden, weil die Versicherte ihr Kind pflegen musste. Im weiteren Verlauf wurde eine Proteinkontaktdermatitis nach Kontakt mit Mohn und Sesam dokumentiert. Auch bestanden weiterhin schwere Hauterscheinungen.

Aufgrund der BK-Rechtsreform zum 1. Januar 2021 war die Hauterkrankung als Berufskrankheit – ohne Tätigkeitsaufgabe – anzuerkennen.

Der Versicherten wurde die Teilnahme an einem Beratungstag im Gesundheitsschutz der BGN angeboten, damit interdisziplinär alle offenen Fragen für die Versicherte geklärt werden konnten, unter anderem zu Geldleistungen, Möglichkeiten der Umschulung, einer erneuten Hautschutzberatung. Im Verlauf des Gesprächs mit der beratenden Hautärztin berichtete die Versicherte, dass sie weiterhin immer wieder bei erneuten Schüben der Hauterkrankung für einige Tage Kortisontabletten einnehmen würde. Diese Schübe würden unter anderem ausgelöst durch den Kontakt mit Sesam, wie er zum Beispiel beim Wälzen von Brötchen in Sesam entsteht. Bei oralem Kontakt sei es zu einer Lippenschwellung gekommen. Zudem besteht bei der Versicherten ein Asthma bronchiale. Aufgrund der Symptomatik einer Kontakturtikaria/ Proteinkontaktdermatitis bei Kontakt mit Sesam, welcher in der Bäckerei nicht sicher gemieden werden kann und der Gefahr der Ausweitung der Symptome bis hin zu einer Anaphylaxie, wurde aus medizinischer Sicht die Tätigkeitsaufgabe empfohlen. Darüber wurde die Versicherte durch die beratende Hautärztin umfassend aufgeklärt.

Die Versicherte entschloss sich nach diesem Beratungstag zur Tätigkeitaufgabe.

Nach Ablauf des Beratungstages wurde Frau R. nach ihrem Eindruck gefragt. Sie empfand die Atmosphäre am Beratungstag als sehr angenehm. Auch konnten alle für sie offenen Fragen geklärt werden. Die Informationen wurden verständlich vermittelt. Sie konnte sich einen umfassenden Überblick zu Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung verschaffen. Besonders hilfreich war für sie das intensive Gespräch mit der Hautärztin des Gesundheitsschutzes der BGN. Hier konnten viele Fragen gut geklärt werden. Auch fand sie es beruhigend zu wissen, auf welche Leistungen nach Tätigkeitsaufgabe ein Anspruch bestehen würde. Als ihr dann eine adäquate Tätigkeit in der Nähe ihres bisherigen Arbeitsplatzes angeboten wurde, fühlte sie sich durch die BGN sehr gut beraten und bezüglich der finanziellen Möglichkeiten aufgeklärt, sodass ein reibungsloser Übergang in die neue Tätigkeit erfolgen konnte. Zurzeit arbeitet Frau R. als Kassiererin und Verkäuferin in einer Tankstelle ohne Backshop. Diese Arbeitsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe zu ihrer Wohnstätte bietet ihr die Möglichkeit, ihren derzeitigen familiären Verpflichtungen nachzukommen.

Die Hauterscheinungen heilten fast vollständig ab und Rezidive traten seitdem nicht mehr auf.

Fazit

Die beratenden Gespräche gemeinsam mit den der BGN zur Verfügung stehenden Fachleuten zeigen Versicherten mit beruflich erworbener Hauterkrankung alle für sie möglichen Perspektiven auf, unterstützen und bestärken sie letztendlich dabei, frei eine für sie stimmige Entscheidung zu treffen.

Die große Zufriedenheit und das ausnahmslos positive Feedback bestätigen sowohl die Fachleute vonseiten der BGN als auch bislang teilnehmende BGN-Versicherte mit ihren Antworten auf die jeweils anschließend freiwillig und anonymisiert erfolgende Befragung.

Die BGN hat mit der Einrichtung des „Individuellen Beratungstages Haut“ zeitgerecht und zielgerichtet auf die gesetzlichen Neuerungen durch die BK-Rechtsreform 2021 reagiert und das bestehende Hautschutzprogramm um diesen Beratungstag ergänzt. Dieses neue Modul wurde erfolgreich in der Verwaltungspraxis umgesetzt und bietet Versicherten mit speziellen Fragestellungen Antworten eines geschulten und gut zusammenarbeitenden interdisziplinären Teams.

Unseren Dank für Anregungen und Unterstützung an Frau Dr. Stark, Frau Dr. Hamacher, Frau Dr. Sautter, Frau Leiss und Herrn Erhardt.