Was passiert im Immunsystem bei einer Post-COVID-Erkrankung?
Nicht nur die akuten Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion, sondern auch die bei einigen Infizierten auftretenden gesundheitlichen Langzeitfolgen werden immer bedeutsamer. Bislang gibt es keine gesicherten Erkenntnisse über den genauen Krankheitsmechanismus. Das IPA-Projekt „Post-COVID und Immunsystem“ versucht hier über Zusammenhänge aufzuklären.
Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann individuell sehr unterschiedlich verlaufen. Manche Menschen überstehen sie (fast) symptomlos, andere haben mit starken Beschwerden zu kämpfen. Neben der Phase einer akuten SARS-CoV-2-Infektion und der COVID-19-Erkrankung klagt ein Teil der infizierten Personen, die laut Teststatus eigentlich als genesen gelten, weiterhin über anhaltende Symptome, sodass über Langzeitfolgen der Erkrankung immer häufiger berichtet wird. Das Spektrum dieser Langzeitfolgen bei den sogenannten „kranken Genesenen“ ist sehr groß und reicht von leichten Beschwerden bis hin zu starken gesundheitlichen Einschränkungen. Betroffen sind oft die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System, aber auch psychische und neurologische Beschwerden treten auf. Bei den anhaltenden Symptomen werden Müdigkeit, Erschöpfungszustände wie das Fatigue-Syndrom, Konzentrationsschwäche und verminderte Leistungsfähigkeit, aber auch Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn, Brust-, Muskel- und Kopfschmerzen sowie Atemnot berichtet. Psychische Probleme äußern sich häufig als Angstzustände und Depression.
Langzeitfolgen unter Beschäftigten im Gesundheitswesen
Berichte über diese Langzeitfolgen häufen sich auch unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen, bei denen durch eine COVID-19-Erkrankung eine Berufskrankheit (BK 3101) durch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) anerkannt wurde. Mehr als 240.000 Verdachtsmeldungen auf eine beruflich bedingte COVID-19-Erkrankung bei der BGW wurden seit Beginn der Pandemie bis Ende Mai 2022 gemeldet, wobei mehr als 127.000 Fälle bereits zu diesem Zeitpunkt anerkannt wurden. Die Häufigkeit des Post-COVID-Syndroms liegt nach Einschätzung der aktuellen Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bei etwa 15 Prozent, wobei die große Varianz zwischen 7,5 und 41 Prozent durch unterschiedliche Studienmethodik, Falldefinitionen, Beobachtungsdauer et cetera erklärt werden.
Long-COVID und Post-COVID - was ist was?
Die AWMF hat in der entsprechenden Leitlinie Long-COVID definiert als gesundheitliche Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase einer SARS-CoV-2-Infektion von vier Wochen fortbestehen oder auch neu auftreten. Als Post-COVID-Syndrom werden alle Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als zwölf Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können. Dabei wird als eine mögliche Manifestation von Post-COVID auch die Verschlechterung einer vorbestehenden Grunderkrankung berücksichtigt. Für das sehr heterogene und komplexe Krankheitsbild des Post-COVID-Syndroms könnten fehlgeleitete Funktionen des Immunsystems, hervorgerufen durch die Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2, ursächlich sein.
Die Rolle des Immunsystems
Ein intaktes Immunsystem stellt die wichtigste und effektivste Verteidigungslinie des Körpers dar, um vor Krankheitserregern und schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen. Hierbei stehen dem Körper unterschiedliche Schutzmechanismen auf verschiedenen Ebenen der Immunantwort zur Verfügung. Haut und Schleimhäute als erste mechanische Barrieren, aber insbesondere die unterschiedlichen Immunzellen spielen bei der Immunabwehr eine bedeutende Rolle. Beim Eindringen von Krankheitserregern in den Körper reagiert zunächst das sogenannte angeborene Immunsystem. Es reagiert sehr schnell, aber relativ unspezifisch durch die Ausschüttung von Botenstoffen, die den Erreger direkt schädigen oder weitere Abwehrzellen aktivieren, um den Erreger aufnehmen und zerstören zu können. In vielen Fällen reicht das nicht aus und so greift gegebenenfalls das sogenannte erworbene Immunsystem ein. Im Gegensatz zum angeborenen Immunsystem setzt es hoch spezialisierte Zellen und Antikörper ein, die den Erreger gezielt erkennen und vernichten können. Zusätzlich – und das ist für einen langfristigen Schutz von großer Bedeutung – kann sich ein Immungedächtnis ausbilden. Bei der Erstinfektion dauert der Prozess der Entwicklung des Immungedächtnisses meist mehrere Tage bis sogar Wochen. Dieses sorgt allerdings dafür, dass bei einer erneuten Infektion die Erkrankung schneller bekämpft werden kann, sodass nur mildere oder keine Symptome auftreten, also eine Immunisierung vorliegt. Insgesamt besitzt das intakte Immunsystem ein hoch spezialisiertes Regulationssystem, um das Entgleisen von Reaktionen bei der Abwehr von Erregern zu verhindern. Bei einer Fehlsteuerung und Ungleichgewichten können Entzündungsreaktionen mit Organschädigungen ausgelöst werden. Bei den Langzeitbeschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion scheint diese Regulation aus dem Gleichgewicht geraten beziehungsweise fehlerhaft zu sein. Allerdings gibt es bislang keine gesicherten Erkenntnisse dazu. Daher besteht ein dringender Bedarf, die Immunantwort nach einer SARS-CoV-2-Infektion mit Entwicklung eines Post-COVID-Syndroms zu untersuchen.
Studie am IPA zu Post-COVID und Immunsystem
Im Rahmen des Projekts, das von der BGW initiiert und insbesondere von der BGW-Bezirksverwaltung Bochum unterstützt wird, sollen in einem Kollektiv von Versicherten mit einem COVID-19-Befund beziehungsweise mit einer nach COVID-19-Erkrankung anerkannten BK 3101 Zusammenhänge zwischen den aktuellen Beschwerden beziehungsweise dem Gesundheitszustand nach der Infektion und dem Immunstatus aufgedeckt werden. Mittels Fragebogen werden neben Alter, Geschlecht und beruflicher Tätigkeit wichtige Einflussgrößen wie Vorerkrankungen, Zeitpunkt der Infektion, aktuelle Beschwerden und Beschwerden zum Zeitpunkt der Infektion, ärztliche Diagnosen sowie die Zeitpunkte möglicher SARS-CoV-2-Impfungen erfasst. Der Immunstatus wird anhand von SARS-CoV-2-spezifischen Antikörpern, Entzündungsmarkern, aber insbesondere auch auf zellulärer Ebene analysiert. Weiterhin besteht durch die Einlagerung von Probenmaterial in die IPA-Biobank die Möglichkeit, zu späteren Zeitpunkten weitere Untersuchungen durchzuführen, um potenziell geeignete Biomarker zu detektieren. Geplant sind Untersuchungen an 200 Versicherten der BGW im Längsschnitt zu drei Zeitpunkten (Zeitpunkt 0 Eintritt in die Studie, nach sechs und zwölf Monaten). Mit den ersten Untersuchungen konnte im November 2021 nach Bewilligung des Antrags, Erstellung des Datenschutzkonzeptes, positivem Votum durch die Ethikkommission der Ruhr-Universität Bochum und dem Aufbau der Logistik begonnen werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen können hoffentlich einen Beitrag zur Aufklärung der Pathogenese von Post-COVID, dem Syndrom mit den vielen Gesichtern, leisten.