Wirtschaftszweigbezogene Auswertung des COVID-19-Infektionsgeschehens
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine COVID-19-Erkrankung als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannt werden. Der Beitrag beschreibt die Ergebnisse einer Sondererhebung der DGUV in Bezug auf das Infektionsgeschehen am Arbeitsplatz. Dazu wurden gemeldete Verdachtsfälle seit Beginn der Pandemie bis Ende August 2021 nach Wirtschaftszweigen ausgewertet.
Von Pandemiebeginn bis Ende Juni 2022 wurden den gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand unter Berücksichtigung der vorläufigen Zahlen für das aktuelle Jahr 61.338 Arbeitsunfälle in Zusammenhang mit COVID-19 gemeldet. Im Bereich der Berufskrankheiten wurden 380.185 Verdachtsanzeigen übermittelt (Stand: 31. Juli 2022). 18.543 COVID-19-Erkrankungen wurden 2020 als Berufskrankheit nach BK-Nr. 3101 anerkannt, dies entspricht fast 50 Prozent der gesamten im Jahr 2020 erstmals anerkannten Berufskrankheitsfälle. Im Jahr 2021 lag der Anteil von COVID-19 bei den Berufskrankheiten mit 101.855 Fällen bei 82 Prozent der insgesamt erstmals anerkannten Berufskrankheiten.[1]
Um die Rolle der betrieblichen Arbeitsstätte bei der Verbreitung von COVID-19-Infektionen besser zu verstehen, wurden im Rahmen einer Sondererhebung die Meldungen zu Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen aufgeschlüsselt nach Wirtschaftszweigen (WZ) untersucht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gesetzliche Unfallversicherung nur einen eingeschränkten Überblick über die Infektionslage an den Arbeitsplätzen hat. Die den Gesundheitsämtern vorliegenden Daten zum Infektionsort stehen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zur Verfügung. Somit kann eine eigene Untersuchung ausschließlich auf Basis der als Verdacht auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit gemeldeten Fälle beschränkt erfolgen. Das Meldeverhalten von Unternehmen, Ärztinnen und Ärzten sowie Krankenkassen ist von verschiedenen Faktoren abhängig, unter anderem von dem im Verlauf der Pandemie sich wandelnden Informations- und Kenntnisstand. Die Daten umfassen den Zeitraum März 2020 bis Ende August 2021.
Berufskrankheit oder Arbeitsunfall?
Eine COVID-19-Erkrankung kann grundsätzlich einen Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen. Unter den nachfolgend aufgeführten Voraussetzungen ist die Erkrankung als Berufskrankheit oder als Arbeitsunfall zu werten.
COVID-19 als Berufskrankheit
Von der Nummer 3101 der Berufskrankheitenliste werden Personen erfasst, die infolge ihrer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert werden und deshalb an COVID-19 erkranken. Gleiches gilt für Personengruppen, die bei ihrer versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maße besonders ausgesetzt waren. Das Infektionsrisiko muss sich in entsprechend hohen Erkrankungszahlen bezogen auf eine Branche niedergeschlagen haben; eine Gefährdung in einzelnen Betrieben reicht nicht aus.[2]
Ob eine Infektion mit dem COVID-19-Virus im Gesundheitsdienst oder in der Pflege eine Berufskrankheit sein kann, hängt wesentlich davon ab, ob die betroffene Person persönlichen Kontakt zu Patientinnen, Patienten oder zu betreuenden Personen hatte. Allein die Tätigkeit in einer Einrichtung des Gesundheitsdienstes – zum Beispiel im Verwaltungsbereich – reicht dafür nicht aus.
Bei der Beantwortung der Frage, ob einzelne Personen durch ihre Tätigkeiten in anderen Bereichen in ähnlichem Maße einer Infektionsgefahr ausgesetzt sind, kommt es auf die Art der Kontakte mit infizierten Personen an. Diese müssen bestimmungsgemäß mit unmittelbarem Körperkontakt (zum Beispiel Tätigkeiten des Friseurhandwerks) oder mit gesichtsnahen Tätigkeiten (zum Beispiel kosmetischen Behandlungen) verbunden sein.
Eine Anerkennung als Berufskrankheit setzt weiterhin voraus, dass nach einer Infektion mindestens geringfügige klinische Krankheitssymptome auftreten. Treten erst später Gesundheitsschäden auf, die als Folge der Infektion anzusehen sind, kann eine Berufskrankheit ab diesem Zeitpunkt anerkannt werden.
COVID-19 als Arbeitsunfall
Erfolgt eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit, ohne dass die Voraussetzungen einer Berufskrankheit vorliegen, kann die Erkrankung einen Arbeitsunfall darstellen. Dies setzt voraus, dass die Infektion auf die jeweilige versicherte Tätigkeit zurückzuführen ist. In diesem Rahmen muss ein intensiver Kontakt (gemäß den aktuellen Einschätzungen des RKI) mit einer infektiösen Person („Indexperson“) nachweislich stattgefunden haben.
Lässt sich kein intensiver Kontakt zu einer Indexperson feststellen, kann es im Einzelfall ausreichen, wenn es im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld (zum Beispiel innerhalb eines Betriebs oder Schule) der betroffenen Person nachweislich eine größere Anzahl von infektiösen Personen gegeben hat und konkrete die Infektion begünstigende Bedingungen bei der versicherten Tätigkeit vorgelegen haben.
Hat der Kontakt mit einer Indexperson auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Heimweg stattgefunden und ist in der Folge eine COVID-19-Erkrankung aufgetreten, kann ebenfalls ein Arbeitsunfall vorliegen. In eng begrenzten Ausnahmefällen kann auch eine Infektion in Kantinen oder die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften als Arbeitsunfall anerkannt werden.
Bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls ist aber stets zu berücksichtigen, ob im maßgeblichen Zeitpunkt Kontakt zu anderen Indexpersonen in nicht versicherten Lebensbereichen (zum Beispiel Familie, Freizeit oder Urlaub) bestanden hat.
(Weitere Informationen: www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/
Gesamtmeldungen nach Wirtschaftszweigen
Die Datenbasis der Sondererhebung enthält insgesamt 194.228 eingegangene Meldungen. Dabei entfallen auf den Bereich der Schülerunfallversicherung 1.631 Fälle, die in den weiteren Auswertungen nicht berücksichtigt werden. Ebenso verhält es sich mit der Gruppe der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden (1.132 Meldungen). Dies sind Personen, die sich in stationärer oder teilstationärer Behandlung befinden beziehungsweise stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten und in diesem Rahmen ihres Aufenthalts über die gesetzliche Unfallversicherung versichert sind. Sie führen somit keine aktive Arbeitstätigkeit im Sinne der Unfallversicherung aus. Ferner lagen für 1.297 Fälle keine Angaben zum Wirtschaftszweig vor. Die Anzahl der Meldungen, die als Grundlage für die nachfolgenden Analysen dienen, beläuft sich demnach auf 190.168 Meldungen. Diese setzen sich zu 85 Prozent aus Verdachtsanzeigen auf eine Berufskrankheit und zu 15 Prozent aus Arbeitsunfallmeldungen zusammen.
Eine Übersicht zu den am stärksten betroffenen Wirtschaftszweigen zeigt Abbildung 1. Hierbei werden alle Wirtschaftszweige mit einem Anteil von über einem Prozent am Gesamtmeldegeschehen dargestellt. Die Klassifikation der Wirtschaftszweige erfolgt gemäß der Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE Revision 2).[3] Über die Hälfte aller Meldungen zu COVID-19-Infektionen am Arbeitsplatz entfallen auf den Wirtschaftszweig 86 „Gesundheitswesen“. Dieser Bereich umfasst Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen sowie weitere Dienstleistungen des Gesundheitswesens. 26 Prozent der Meldungen wurden im Wirtschaftszweig 87 „Heime (ohne Erholungs- und Ferienheime)“, sieben Prozent im Wirtschaftszweig 85 „Erziehung und Unterricht“ und fünf Prozent im Wirtschaftszweig 88 „Sozialwesen (ohne Heime)“ registriert.
Betrachtet man nun das Meldegeschehen getrennt nach Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen, zeigt sich folgendes Bild: Im Bereich der Berufskrankheiten entfallen mit 87.454 Fällen über die Hälfte aller Meldungen auf den Wirtschaftszweig Gesundheitswesen (WZ 86). Rund 31 Prozent der Meldungen gingen für den Bereich Heime (WZ 87) ein, gefolgt von den Bereichen Erziehung und Unterricht (WZ 85) mit sieben Prozent sowie Sozialwesen (WZ 88) mit rund sechs Prozent (siehe Tabelle 1). Alle anderen Wirtschaftszweige tragen jeweils weniger als einem Prozent zu den Gesamtmeldungen bei.
Auch bei den Meldungen von Arbeitsunfällen liegt der Wirtschaftszweig Gesundheitswesen mit rund 9.209 Fällen an erster Stelle. Dies entspricht jedoch nur noch 32 Prozent aller Meldungen von Arbeitsunfällen. Ein weiterer Schwerpunkt mit 5.131 Fällen (18 Prozent) liegt im Wirtschaftszweig Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln (WZ 10), zu dem unter anderem der Bereich Schlachten und Fleischverarbeitung zählt. Alle weiteren Wirtschaftszweige mit einem Anteil von mehr als ein Prozent an den Gesamtmeldungen sind in Tabelle 2 dargestellt.
Infektionsgeschehen im Vergleich
Um das Infektionsgeschehen in den einzelnen Wirtschaftszweigen miteinander vergleichen zu können, wurde die absolute Anzahl der Meldungen in Relation zu den Beschäftigten der jeweiligen Wirtschaftszweige gesetzt. Abbildung 2 zeigt die Meldungen je 100.000 Beschäftigte. Wirtschaftszweige mit weniger als 100 gemeldeten Fällen wurden dabei nicht berücksichtigt. Die vier Wirtschaftszweige Gesundheitswesen, Heime, Erziehung und Unterricht sowie Sozialwesen (WZ 85 bis 88) belegen hier ebenfalls die vordersten Plätze. Im Wirtschaftszweig Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln gingen 761,2 Meldungen je 100.000 Beschäftigte ein.
Besonderheiten ausgewählter Wirtschaftszweige
Besonders die Wirtschaftszweige Erziehung und Unterricht, Gesundheitswesen, Heime und Sozialwesen stechen sowohl hinsichtlich der Anzahl an Meldungen als auch beim übergreifenden Vergleich pro 100.000 Beschäftigte deutlich heraus. Diese Bereiche sind mit ihren Unterkategorien in Tabelle 3 dargestellt.
Im Wirtschaftszweig Erziehung und Unterricht konzentriert sich das Infektionsgeschehen mit einem Anteil von rund 76 Prozent aller Fälle und 2.121,0 Meldungen je 100.000 Beschäftigte auf den Bereich Kindergärten und Vorschulen.
Im Gesundheitswesen liegt der Schwerpunkt des Infektionsgeschehens mit 75 Prozent der Fälle im Bereich Krankenhäuser. Hier sind mit einem Wert von 4.760,4 die Meldungen je 100.000 Beschäftigte besonders hoch.
Im Bereich Heime sind Pflegeheime mit einem Anteil von 78 Prozent am Meldegeschehen und 6.463,2 Meldungen je 100.000 Beschäftigte besonders stark betroffen. Eine hohe Meldequote je 100.000 Beschäftigte verzeichnet der Bereich Stationäre Einrichtungen zur psychosozialen Betreuung und Suchtbekämpfung. Hier entfallen 5.379 Meldungen auf rund 18.790 Beschäftigte.
Im Sozialwesen umfasst rund die Hälfte der Meldungen die Kategorie Soziale Betreuung älterer Menschen und Behinderter.
Im Verlauf der Pandemie standen die Beschäftigten verschiedener Wirtschaftszweige mit häufigem Personenkontakt in geschlossenen Räumen im Verdacht, einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt zu sein, unter anderem im Einzelhandel, ÖPNV und der Gastronomie. Diese Wirtschaftszweige liegen alle unter dem Durchschnitt von 529 Meldungen je 100.000 Beschäftigte (siehe Abbildung 2). Auch bei der Betrachtung ohne die am stärksten betroffenen Wirtschaftszweige 85 bis 88 liegen sie unter dem Durchschnitt von 74 Meldungen je 100.000 Beschäftigte.[4]
Eine Besonderheit stellt der Wirtschaftszweig Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, der den Unterzweig Schlachten und Fleischverarbeitung (WZ 101) enthält, dar. Im Vergleich der Wirtschaftszweige gingen in diesem Bereich mit 761 Meldungen je 100.000 Beschäftigte überdurchschnittlich viele Meldungen ein. Hier wurde im Nachgang der Meldezeitpunkt erhoben. Rund 60 Prozent der Fälle liegen im Meldemonat Juli 2020 (siehe Abbildung 3). Es zeigt sich ein Ausbruchsgeschehen aufgrund nicht eingehaltener Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen in einem begrenzten Zeitfenster.
Ablehnungsgründe
Werden bestimmte Voraussetzungen erfüllt, kann eine COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit anerkannt werden. Neben der Grundvoraussetzung eines bestehenden Versicherungsschutzes und eines positiven Testergebnisses müssen klinische Symptome aufgetreten sein. Zudem muss ein kausaler Zusammenhang zwischen Infektion und beruflicher Tätigkeit nachgewiesen werden, entweder durch eine sogenannte Indexperson oder eine größere Anzahl infizierter Personen innerhalb des Betriebs. Auch der Arbeitsweg kann eine Infektionsquelle darstellen.[5] (s. Infobox) Für die Anerkennung einer Berufskrankheit muss darüber hinaus die berufliche Infektion in Tätigkeitsbereichen des Gesundheitsdienstes, der Wohlfahrtspflege oder der Laboratorien erfolgt sein (Nr. 3101 der Berufskrankheitenliste).
Von den insgesamt 190.168 Meldungen lag für 87,4 Prozent der Fälle zum Stichtag am 31. August 2021 eine Entscheidung vor. Von den 166.180 entschiedenen Fällen wurden 29,7 Prozent abgelehnt. Im Bereich der Berufskrankheiten lag der Anteil der abgelehnten Fälle insgesamt bei 24,4 Prozent (34.765 abgelehnte Fälle), bei den Arbeitsunfällen bei 60,6 Prozent (14.518 abgelehnte Fälle). Eine detaillierte Aufstellung ist in Abbildung 4 dargestellt.
Die Ablehnungsgründe wurden in einem weiteren Teil der Sondererhebung für ausgewählte Wirtschaftsbereiche, unter anderem mit häufigem Personenkontakt in zum Teil geschlossenen Räumen, erfasst. Für 5.450 abgelehnte Arbeitsunfälle, das entspricht mehr als einem Drittel aller abgelehnten Fälle, liegen die Ablehnungsgründe vor.
Der Hauptgrund für die Ablehnung eines Arbeitsunfalls war, dass in 78 Prozent der untersuchten Fälle kein direkter Zusammenhang zwischen Infektion und beruflicher Tätigkeit nachgewiesen werden konnte. Weitere erfasste Ablehnungsgründe waren fehlende Symptome, ein negatives Testergebnis, eine fehlende Mitwirkung oder ein fehlender Versichertenstatus (siehe Tabelle 4).
Ein Wirtschaftszweig mit vergleichsweise vielen Fällen und einer hohen Ablehnungsquote von 79 Prozent stellt die Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln dar. In der Unterkategorie Schlachten und Fleischverarbeitung wurden die Angaben zu Ablehnungsgründen für 3.603 Fälle ausgewertet. Bei über der Hälfte der Fälle fehlten die zur Anerkennung erforderlichen Angaben, die von den versicherten Personen zu erbringen waren (fehlende Mitwirkung). Zudem konnten bei einem Drittel der Fälle keine klinischen Symptome nachgewiesen werden.
Auch im Wirtschaftszweig Gastronomie (WZ 56) war die fehlende Mitwirkung mit rund 27 Prozent der Fälle vergleichsweise hoch. Jedoch wurden in diesem Wirtschaftszweig Fälle aufgrund fehlender beruflicher Verursachung mit 68 Prozent häufiger abgelehnt.
Für die Wirtschaftszweige Land- und Luftverkehr (WZ 49 beziehungsweise 51) wurden für insgesamt 283 Fälle Angaben zu den Ablehnungsgründen erfasst. Hier war eine fehlende berufliche Verursachung für 87 Prozent aller Meldungen ein Ablehnungsgrund.
Auch im Wirtschaftszweig Öffentliche Verwaltung (WZ 84) war der Hauptgrund die fehlende berufliche Verursachung der Infektion (72 Prozent der abgelehnten Fälle). Ein negatives Testergebnis und fehlende Symptome wurden in 15 Prozent beziehungsweise 14 Prozent der abgelehnten Fälle als Ablehnungsgrund aufgeführt.
Die unterschiedlichen Ablehnungsgründe dieser ausgewählten Wirtschaftszweige werden in Abbildung 5 gegenübergestellt.
Einordnung der Ergebnisse
Die Auswertungen der Sondererhebung zum COVID-19-Infektionsgeschehen am Arbeitsplatz zeigen, dass sich die Meldungen auf die Wirtschaftszweige Gesundheits- und Sozialwesen sowie Erziehung und Unterricht mit dem Schwerpunkt Vorschule und Kindergarten konzentrieren. Beschäftigte in diesen Sektoren sind durch den engen und häufigen Kontakt mit infizierten Personen einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt.
Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsdaten der Mitglieder im Zeitraum März 2020 bis Juli 2021 zeigt ebenso eine überdurchschnittliche COVID-19-Infektionsrate bei Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich Kinderbetreuung und -erziehung.[6] Zudem wurde auch in einer Untersuchung zum branchenspezifischen Infektionsrisiko auf Basis von Routinedaten der BARMER Krankenkasse, die den Zeitraum Juni bis Oktober 2020 umfassen, für die Berufsgruppen im Gesundheits- und Pflegesektor ein erhöhtes Risiko festgestellt.[7]
Weitere Berufsgruppen, für die ein erhöhtes Infektionsrisiko vermutet wurde, umfassen Branchen mit häufigem Kundenkontakt, wie zum Beispiel den Einzelhandel[8], die Gastronomie oder den öffentlichen Personennah- und –fernverkehr[9] [10] Jedoch zeigen die Auswertungen für diese Wirtschaftszweige ein unterdurchschnittliches Meldegeschehen. Eine gemeinsame Studie der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) kam zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte im Einzelhandel unter anderem aufgrund von kurzen Kontaktdauern und entsprechenden Hygienemaßnahmen keinem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind.[11] Eine Langzeituntersuchung der Charité Research Organisation (CRO) und der Deutschen Bahn Fernverkehr AG zeigte, dass Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter im Vergleich zu Beschäftigtengruppen ohne Kundenkontakt kein erhöhtes COVID-19-Infektionsrisiko aufweisen.[12] Ein ähnliches Bild zeigt sich für die Wirtschaftszweige Verkehr, Gastgewerbe und Handel in der Untersuchung von Möhner und Wolik (2021). Die Autoren schlussfolgern, dass die ergriffenen Arbeitsschutzmaßnahmen und Hygienekonzepte das Infektionsrisiko wirksam reduzieren konnten und somit kein Anlass besteht, diese Berufsgruppen in die Liste der privilegierten Personen der Berufskrankheit Nr. 3101 aufzunehmen.[13]
Eine besondere Infektionslage in einzelnen Betrieben zeigte sich im Sommer 2020 im Wirtschaftszweig Schlachten und Fleischverarbeitung. Rund 60 Prozent der Fälle entfielen auf den Meldemonat Juli 2020, nachdem in den vorangegangenen Monaten Juni und Mai eine hohe Fallzahl von COVID-19-Erkrankungen in mehreren Großschlachthöfen bekannt wurde. Die übrigen 40 Prozent verteilten sich auf die nachfolgenden Monate. Im November und Dezember 2020 sowie im März 2021 lag der Anteil bei fünf bis sechs Prozent, ansonsten unter fünf Prozent. Zu diesen Zeitpunkten waren auch die Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung erhöht. Diese Zahlen korrespondieren mit den im Sommer 2020 durch die Medien bekannt gewordenen Ausbruchsgeschehen in einzelnen Betrieben dieses Wirtschaftszweigs. Sie zeigen im weiteren zeitlichen Verlauf, dass bei konsequenter Einhaltung von Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen in diesem Wirtschaftszweig keine mit den Bereichen Gesundheitsdienst, Wohlfahrtspflege oder Laboratorien vergleichbar deutlich erhöhte Infektionsgefahr besteht.
Die Ablehnungsquote von COVID-19-Erkrankungen, also der Anteil ablehnender Entscheidungen an der Gesamtzahl der getroffenen Entscheidungen, im Bereich Berufskrankheiten lag bei 24 Prozent, das heißt, 76 Prozent der bis zum Stichtag entschiedenen Verdachtsfälle wurden anerkannt. Diese liegt deutlich über der allgemeinen Bestätigungsquote von Berufskrankheiten im Jahr 2019, die im letzten Jahr vor Beginn der Coronapandemie 45 Prozent aller bis zum Stichtag entschiedenen Fälle betrug. Im Bereich der Infektionskrankheiten (BK-Nr. 3101), zu denen auch eine COVID-19-Infektion zählt, wurden vor Beginn der Coronapandemie 44 Prozent der entschiedenen Fälle anerkannt.
Der Anteil der abgelehnten Fälle im Bereich der Arbeitsunfälle lag bei 61 Prozent. Fehlende Mitwirkung der versicherten Personen trug besonders bei Beschäftigten in Schlachtbetrieben zu einem hohen Anteil von Ablehnungen bei.
Bisher mangelt es noch an vergleichbaren internationalen Zahlen zum berufsbezogenen Infektionsgeschehen von COVID-19. Eine Untersuchung in der kanadischen Provinz Ontario [14] im Zeitraum April 2020 bis einschließlich März 2021 ergab eine erhöhte Infektionsquote bei Berufsgruppen des Gesundheits- und Sozialwesens, im Erziehungs- und Bildungssektor sowie in der Nahrungsmittelherstellung. Jedoch zeigten sich dort auch im landwirtschaftlichen Sektor, im Einzelhandel und im Transportsektor erhöhte Infektionsquoten, allesamt Wirtschaftszweige, für die in Deutschland vergleichsweise wenige Verdachtsfälle im beruflichen Kontext gemeldet wurden. In Italien entfielen von März bis Oktober 2020 rund 10 Prozent der Entschädigungsanträge von Beschäftigten in Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion auf den Bereich der Öffentlichen Verwaltung[15], wohingegen in Deutschland dieser Sektor nur einen Anteil von einem Prozent am Meldegeschehen von COVID-19-Infektionen innehatte. Auf das Gesundheits- und Sozialwesen entfielen in der italienischen Studie rund 70 Prozent der Fälle. In den Niederlanden betrug der Anteil der berufsbezogenen COVID-19-Fälle für den Zeitraum April bis September 2020 in diesen Wirtschaftszweigen 93 Prozent.[16]Für Deutschland wurde in der vorliegenden Auswertung ein Anteil von 82 Prozent ermittelt, allerdings über einen Zeitraum bis August 2021.