Im Zeichen der Kompromissfähigkeit: die tschechische Ratspräsidentschaft
Was für eine Mammutaufgabe: Tschechien hat am 1. Juli für sechs Monate die europäische Ratspräsidentschaft übernommen. Das Amt fällt mitten in die Aufarbeitung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und wird vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine überschattet. Dementsprechend gestaltet sich auch die politische Agenda Prags. Der tschechische Premierminister Petr Fiala hat diese Leitthemen identifiziert: Ukrainekrieg, Energiesicherheit, Verteidigung und Cybersicherheit, die europäische Wirtschaft und die Stärkung der demokratischen Werte. In 14 informellen Minister- und einem Gipfeltreffen möchte er diese Themen auf der politischen Agenda der EU vorantreiben.
Doch was heißt Ratspräsidentschaft genau? Nach dem Rotationsprinzip hat jeder EU-Mitgliedstaat für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union inne. Diesem gehören die jeweiligen Fachministerinnen und Fachminister aus den Mitgliedstaaten an. Das Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, legt die politische Agenda fest, leitet die Sitzungen und hilft mit, Kompromisse zwischen den einzelnen EU-Staaten auszuhandeln. Also keine unbedeutende Aufgabe, die da auf Tschechien zukommt. Allerdings hat das Land bereits Erfahrungen mit dem Amt. Denn schon 2009 hatte es den Ratsvorsitz inne. Zudem ist der Vorsitz Tschechiens Teil einer Trio-Präsidentschaft. Das heißt, dass die Programme der drei Ratspräsidentschaften, die von Januar 2022 bis zum 30. Juni 2023 aufeinander folgen, thematisch abgestimmt sind. Das schließt die Ratspräsidentschaft von Frankreich, das nun den Staffelstab an Tschechien übergeben hat, und im kommenden Jahr die von Schweden ein.
Zurück zur politischen Agenda. Für die gesetzliche Unfallversicherung werden mehrere Themenschwerpunkte während der tschechischen Ratspräsidentschaft von Bedeutung sein. Ein wichtiges Thema ist die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt. Die Europäische Kommission möchte hierzu noch in diesem Jahr ein sogenanntes „Beschäftigungspaket“ vorlegen und Empfehlungen für Arbeitsmarktmaßnahmen aussprechen. Zudem soll noch in diesem Jahr eine Einigung zum Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeiterinnen und -arbeitern erzielt werden. Ziel ist es, Menschen, die über digitale Plattformen beschäftigt sind, besser sozial abzusichern. Die tschechische Ratspräsidentschaft wird also auch diese Themen politisch begleiten und versuchen, Kompromisse auszuhandeln.
Und noch mehr: Während der tschechischen Ratspräsidentschaft wird die Europäische Kommission ein Gesetz zur Cyberresilienz vorlegen, das neue Cybersicherheitsvorschriften für digitale Produkte und Nebendienstleistungen umfassen soll. Diese werden sicherlich auch für den Arbeitsschutz relevant sein, denn sie betreffen Sicherheitsfunktionen an Maschinen und Anlagen, die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedient werden. Ein Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission ist für das dritte Quartal 2022 geplant.
Auch das Thema Asbest und die Absenkung von Grenzwerten verschiedener chemischer Stoffe stehen auf der EU-Agenda. Im Zuge der Vorbereitung auf eine klimaneutrale Zukunft und die mit ihr verbundenen grünen Arbeitsplätze plant die Europäische Kommission, im Herbst einen Legislativvorschlag zur Überarbeitung des geltenden Arbeitsplatzgrenzwertes für Asbest vorzulegen. Des Weiteren soll die REACH-Verordnung überarbeitet werden. Die Europäische Kommission plant, im vierten Quartal einen Vorschlag zur Überarbeitung der Verordnung zu veröffentlichen.
Premierminister Fiala wird bis Jahresende also in zahlreichen Gesprächen versuchen, zu verschiedenen Themen der sozialen Sicherheit und des Arbeitsschutzes unter den 27 EU-Mitgliedstaaten tragfähige Kompromisse zu erzielen. In diesen unruhigen Zeiten ist eine geschlossene EU mehr denn je gefragt. Das Motto der tschechischen Ratspräsidentschaft „Europa als Aufgabe“ ist mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und seine Folgen, die Covid-Pandemie und die Kompromissfähigkeit der EU-Staaten also passend gewählt.