Verwaltungs-Berufsgenossenschaft für gewerbliche Zeitarbeit zuständig

Für Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ist auch bei monostruktureller Zeitarbeit nur die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und nicht die Fach-Berufsgenossenschaft zuständig.

§ Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 19. Januar 2022 – L 2 U 50/19, juris

Die Klägerin war als Zeitarbeitsunternehmen bei der beklagten Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) eingetragen und beantragte im Jahr 2013 die Überweisung zur beigeladenen Fach-Berufsgenossenschaft, weil sie mittlerweile ausschließlich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Unternehmen der Luft- und Raumfahrt vermittele, die bei der beigeladenen Berufsgenossenschaft versichert seien. Jene teilte die von der Klägerin vertretene Auffassung, dass ausschließlich an Unternehmen in ihrer Zuständigkeit Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überlassen würden und damit auch ihre Zuständigkeit für das klagende Zeitarbeitsunternehmen begründet sei. Die im Verfahren eingeschaltete Schiedsstelle wies diese Auffassung jedoch zurück, weil nach den von der Klägerin überreichten Unterlagen weiterhin an Unternehmen verschiedener Gewerbezweige von der Klägerin Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen überlassen würden, die der Luft- und Raumfahrzeugindustrie zuzurechnen seien, aber in die sachliche Zuständigkeit verschiedener Unfallversicherungsträger fielen, und damit mangels eines monostrukturellen Unternehmens die Auffangzuständigkeit der VBG greife.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Hamburg eingelegte Berufung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird nochmals auf die materielle Rechtsgrundlage der Zuständigkeit der VBG nach dem auf der Grundlage von Art. 3 § 1 des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung (vom 09.03.1942, RGBl. I, S. 107) ergangenen Erlass des Reichsarbeitsministers vom 16. März 1942 (AN 1942, S. II 201; dort Nr. 3) sowie Nr. 2e der Ausführungsbestimmungen des Reichsversicherungsamtes (vom 22.04.1942, AN 1942, S. II 287) verwiesen, die aufgrund des Untätigbleibens des Verordnungsgebers entgegen der Ermächtigung in § 122 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII weiterhin die Zuständigkeit nach § 122 Abs. 2 SGB VII der VBG als sogenannte Auffang-Berufsgenossenschaft begründeten. Sonach hatte die Beklagte von Anfang an ihre sachliche Zuständigkeit für das klagende Unternehmen als solches der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung richtig bestimmt. Da mithin kein Überweisungstatbestand nach § 136 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gegeben war, konnte lediglich aufgrund einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB VII die Überweisung beansprucht werden. Die dort vorausgesetzte grundlegende und dauerhafte Umgestaltung des Unternehmens liege jedoch selbst für den Fall nicht vor, dass mittlerweile ausschließlich an Unternehmen in der sachlichen Zuständigkeit der beigeladenen Fach-Berufsgenossenschaft von der Klägerin Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verliehen würden. Auch dann bliebe es bei der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten, denn Unternehmensgegenstand der Klägerin sei nach wie vor die Arbeitnehmerüberlassung. Letztlich entscheidend für die generelle Zuständigkeit der Beklagten für die Zeitarbeitsunternehmen sei die büromäßige Tätigkeit des Unternehmens, die darin besteht, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an Entleiher (in der Regel, aber nicht zwingend verschiedener Branchen) zu verleihen. Die gegenteilige Auffassung für monostrukturelle Zeitarbeitsunternehmen widerspreche dem seit jeher im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannten Grundsatz der Katasterstetigkeit. Denn der Arbeitnehmerüberlassung als flexibler, nicht auf einen Gewerbezweig fixierten Branche sei ein flexibler Arbeitseinsatz immanent; hier könnten die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die verliehen werden, schneller gewechselt werden als Maschinen und andere sächliche Produktionsmittel.

Mit dem (rechtskräftigen) Urteil des LSG ist eine weitere Stimme einer umfassenden Zuständigkeit der VBG für alle Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung zutage getreten; für die nach wir vor umstrittene und nicht höchstrichterlich geklärte Auffassung sprechen die vom LSG angeführten tragenden Gründe. Die mangelnde personelle Kontinuität in der Zeitarbeit wurde im Zuge der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) 2017 mit der Begrenzung der Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate nochmals verschärft, und dem Argument der besseren Prävention durch die Fach-Berufsgenossenschaft ist in der Literatur bereits seit Längerem durch Verweis auf eine sachgerechte, den gemeinsamen Strukturen der Zeitarbeit, wie Wechsel des Arbeitsplatzes, der Tätigkeitsfelder und -orte, angepasste Präventionsarbeit der Beklagten entgegengetreten worden (Bigge, jurisPR-SozR 23/2006 Anmerkung 4).