Arbeitsschutzkultur mit VISION ZERO stärken: das Erfolgsbeispiel Grupo Energía Bogotá

Angestoßen durch die Einführung eines neuen Strategieplans erlebte die Grupo Energía Bogotá in Kolumbien einen erheblichen Zuwachs an Bauprojekten. Die betrieblichen Auswirkungen waren massiv und es kam vermehrt zu schweren Arbeitsunfällen. Der Beitrag beschreibt, wie mithilfe der Vision Zero dieser Trend gestoppt werden konnte.

Im Jahr 2016 wurde bei Grupo Energía Bogotá, einer in Kolumbien ansässigen multinationalen Unternehmensgruppe, die entlang der gesamten Energiekette in Lateinamerika in den Bereichen Stromerzeugung, -übertragung und -verteilung sowie Erdgastransport und -verteilung tätig ist, ein neuer unternehmensübergreifender Strategieplan festgelegt. Dies führte zu einem massiven Zuwachs an neuen Bauprojekten, insbesondere im Übertragungsnetzgeschäft (Übertragungsleitungen, -türme, Umspannwerke), und hatte erhebliche betriebliche Auswirkungen. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich beispielsweise die Zahl der eingesetzten Auftragnehmenden und Arbeitsstunden um mehr als 700 Prozent. Die Entwicklung der Wachstumsprojekte bedingte außerdem einen Aufwuchs von Arbeitsplätzen, die mit risikoreichen Aufgaben verbunden waren. Das damals vorhandene Arbeitsschutzmanagementsystem befand sich noch in der Umsetzungsphase und definierte keine vorrangigen Maßnahmen, was zu einem geringen Reifegrad der Sicherheitskultur bei GEB führte. In der Folge kam es im Jahr 2017 und Anfang 2018 zu schweren Unfällen beziehungsweise Unfällen mit großem Schadenspotenzial.

Generell sind die Unfallzahlen für den Elektrizitätssektor in Kolumbien hoch und weisen großes Verbesserungspotenzial auf, um schwere und tödliche Unfälle zu reduzieren. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz des kolumbianischen Sicherheitsrats (Consejo Colombiano de Seguridad) gehörte der Elektrizitätssektor in den vergangenen Jahren zu den drei Wirtschaftssektoren mit der höchsten Sterblichkeitsrate bei Arbeitsunfällen.[1]

Vermeidung von schweren und tödlichen Unfällen

Vor diesem Hintergrund wurde bei GEB die Notwendigkeit erkannt, einen Plan zur Stärkung der Arbeitsschutzkultur umzusetzen, mit dem Ziel, das Auftreten von Unfällen mit Personen-, Sach- und Umweltschaden nachhaltig zu reduzieren. Nach umfangreichen Vergleichsstudien entschied sich GEB für das von der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) entwickelte Vision Zero-Modell als beste Alternative für die Entwicklung und Umsetzung von Best Practices im Rahmen der „7 Goldenen Regeln“ und als ersten Schritt zur Vermeidung von schweren und tödlichen Unfällen.

Um die gesetzten Ziele zu erreichen, wurde bei GEB eine Arbeitsschutzstrategie entwickelt, die einen erfolgreichen Kulturwandel sicherstellen sollte. Die Strategie zielt darauf ab, die Sicherheitskultur in der Grupo Energía Bogotá auszubauen, wobei ein Plan zur kurzfristigen Minderung vorrangiger Risiken (Eindämmungsplan) umgesetzt und ein strukturierter Plan auf der Grundlage von Best Practices im Rahmen des Vision Zero-Modells entwickelt wird, was zur betrieblichen Exzellenz des Unternehmens und damit zur Wertschöpfung (mittel-/langfristig) beiträgt.

Die Phase zur Minderung vorrangiger Risiken wurde unter Berücksichtigung des neuen Paradigmas konzipiert und umfasste die Entwicklung der folgenden Schritte:

  1. Identifizierung von Risiken bei kritischen Vorgängen
  2. Überprüfung der vorhandenen Systeme und Maßnahmen zur Kontrolle und Minderung von Risiken
  3. Festlegung von Maßnahmen, um identifizierte Risiken zu minimieren
  4. Begleitung bei der Umsetzung der festgelegten kurzfristigen Maßnahmen
  5. Priorisierung der Maßnahmen und Festlegung des Fahrplans
  6. Überwachung der Ausführung

In einem ersten Schritt wurde eine Diagnose des Managements von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz durchgeführt. Dabei wurden die folgenden vorrangigen Schwachstellen ermittelt:

  • Das Risikomanagement wurde an das Management für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz delegiert, ohne dass die Projekt- und Betriebsleitung geschult wurde.
  • Ein hoher Prozentsatz der betrieblichen Tätigkeiten, einschließlich risikoreicher Aufgaben, verlief ohne wirksame Kontrollen.
  • Auftragnehmende mit hohem Unfallrisiko wichen beim Ausführen von Aufträgen von Vorhaben ab.
  • Das Risiko, dass tödliche Unfälle sich wiederholten, war hoch, da Erkenntnisse aus dem eigenen Betrieb und der Branche nicht dokumentiert wurden.

Um die gewünschte Wirkung bei der Umsetzung der Eindämmungsmaßnahmen zu gewährleisten, wurde ein Arbeitsplan entworfen, der sich an den folgenden vier Schwerpunkten im Bereich der Weiterbildung und Schulungsmaßnahmen orientiert:

  1. Stärkung der Führungskompetenz
  2. Stärkung der Auftragnehmenden
  3. Stärkung der Funktion Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
  4. aus Vorfällen lernen

Beispielhaft soll an dieser Stelle auf die Maßnahmen eingegangen werden, die zur Stärkung der Führungskompetenz beitragen sollen.

Wöchentliche Agenda mit Arbeitsschutzthemen

Um eine systematische Überprüfung durch die Führungsebene im Hinblick auf Maßnahmen zur Minderung kritischer Risiken zu erreichen, wurde eine wöchentliche Agenda mit Arbeitsschutzthemen und wichtigen Leistungsindikatoren festgelegt. Dazu wurden die Leistungen von Auftragnehmenden mit schweren oder potenziell schweren Unfällen ermittelt. Ein zusätzlich entwickeltes Leistungsdashboard, sollte mithilfe von Früh- und Spätindikatoren dazu beitragen, die Eindämmungsmaßnahmen kontinuierlich und nachhaltig umzusetzen. Wöchentlich werden Maßnahmen überwacht und ergriffen, die die Vermeidung schwerer Unfälle gewährleisten. Ein weiterer Baustein sind monatliche Besuche durch die Führungskräfte bei den Verantwortlichen für das Übertragungsgeschäft mit dem Ziel, die Beschäftigten zu inspirieren und ihnen zu vermitteln, wie wichtig der Wert des Lebens ist.

Der Plan zur Stärkung der Arbeitsschutzkultur wurde nach dem Vision Zero-Modell entwickelt und umfasste die Durchführung der folgenden Schritte:

  1. Diagnose: erste Beurteilung des Reifegrads der Arbeitsschutzkultur in der GEB und ihren Tochtergesellschaften
  2. Definition der Vision für Sicherheit und Gesundheit und der entsprechenden Maßnahmen
  3. Pläne zur Umsetzung der Maßnahmen und Einführung der „7 Goldenen Regeln“ der Vision Zero
  4. Verhaltensschulung und -intervention
  5. Umsetzung neuer Fähigkeiten
  6. Stabilisierung und Reifung der Fähigkeiten

In Schritt eins wurde der Reifegrad von GEB in Bezug auf die Arbeitsschutzkultur und die Prozesssicherheit ermittelt, indem das Unternehmen anhand von Umfragen, Gesprächen und der Einholung von Dokumenten eine Analyse und Beurteilung vornahm.

Das Dokument zur Feststellung der Sicherheitskultur zeigte die Schwachstellen sowie Empfehlungen zu deren Beseitigung auf. Auf der Grundlage der Wahrnehmung der direkten Beschäftigten der GEB konnte für jede Tochtergesellschaft und die konsolidierte Konzernzentrale der GEB der Reifegrad der Sicherheitskultur basierend auf fünf Stufen (Parker-Skala) ermittelt werden.

Gleichzeitig wurden auf der Grundlage der vom Center for Chemical Process Safety (CCPS) veröffentlichten Richtlinien für ein risikobasiertes Managementsystem für Prozesssicherheit eine Dokumentenprüfung, Besuche und Gespräche durchgeführt, um den Grad der Einhaltung der vier vom CCPS empfohlenen Elemente zu ermitteln.[2] Der Bericht enthält den Stand der Umsetzung und die kurz- und mittelfristig erforderlichen Maßnahmen.

Auf dieser Grundlage wurden die Pläne für empfohlene Arbeiten für die folgenden 18 Umsetzungsmonate für die Umgestaltung der Sicherheitskultur und der Prozesssicherheit erstellt. Das Dokument wurde ergänzt und mit Terminen und Aktivitäten je nach den Bedürfnissen der einzelnen Tochtergesellschaften abgestimmt.

Nach Anwendung der Diagnoseinstrumente für die Arbeitsschutzkultur erfolgte die Erstellung von Arbeitsplänen unter Berücksichtigung der ermittelten Bedürfnisse und Schwachstellen. Das Managementmodell für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz wurde gemeinsam mit den dafür Verantwortlichen in den einzelnen Tochtergesellschaften auf der Grundlage der Vision Zero-Strategie entwickelt.

„Das Leben geht vor“

Für jede Tochtergesellschaft wurde ein Unternehmensausschuss zur Einhaltung des Leitsatzes „Das Leben geht vor“ (Primero la Vida) definiert und gebildet. Hierbei handelt es sich um ein Leitungsgremium, das die Synchronisierung mit der Unternehmensgruppe bei der Umsetzung der aus der Diagnose und den Maßnahmenplänen resultierenden Strategien ermöglicht. Weiterhin wurden unter Berücksichtigung der in der Diagnose ermittelten Schwachstellen für die einzelnen Tochtergesellschaften die empfohlenen Arbeitspläne für die Umsetzungsphase erstellt, die über sechs Querschnittsbereiche angegangen wurden: Arbeitsschutzmanagement vor Ort, Arbeitsschutz-Governance, Personalmanagement im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, „Just Culture“, Prozesssicherheit und Management von Auftragnehmenden.

Der darauf basierend entwickelte Schulungsplan für die strategische, taktische, operative und für die Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz-Ebene umfasst fünf Bereiche: proaktive Praktiken, sichtbare Führung im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Prozesssicherheit und betriebliche Disziplin. Diese Themen wurden nach Prioritäten geordnet und in den Jahren 2021 und 2022 verteilt.

Nach mehr als drei Jahren erfolgreicher Umsetzung des Vision Zero-Modells in der GEB und ihren Tochtergesellschaften in Kolumbien, Peru und Guatemala gibt es folgende Ergebnisse: keine tödlichen Unfälle mehr in den Betrieben und eine deutliche Senkung der Unfallhäufigkeit (68 Prozent weniger Arbeitsunfälle mit Ausfallzeiten). Die Haltung von GEB „Das Leben geht vor“ bildet die Grundlage für die Umsetzung des strategischen Ziels, eine Arbeitsschutzkultur in allen Tochtergesellschaften zu entwickeln.